Andreas Gritsch

Laufzeit




















Ich verlebte meine Kindheit in einem sehr alten Dorf. Als Kinder hatten wir für jeden Tag ein anders Spiel, aber nur einen wirklichen Wettkampf. Die besten Läufer unseres Alters machten den Besten unter sich aus, indem vom Eingans- bis zum Ausgansschild des Ortes ein Rennen organisiert wurde. Da jedoch ein Staudamm von grossem Ausmaß, nicht weit von unserer Gemeinde entfernt gebaut wurde, hatten wir jedes Jahr neue Läufer am Start, deren Eltern sie auf Grund ihrer Arbeit mit sich nahmen. Sie hatten keine Freude an den Spielen, aber grosse Lust auf dieses Rennen. Es waren die einzigen Tage ohne Streit, zumindest bis zum Ende einer jeden Veranstaltung.
Wir hatten als Kinder kein grosses Nachsehen mit anderen in unserem Alltag, dafür umso häufiger in diesen Wettkämpfen. Sie kamen aus Ländern, deren Namen wir kaum aussprechen konnten, aber sie rannten sehr schnell. Am Ziel angekommen fielen sie sich in die Arme und begannen zu singen und tanzen, während wir sie nur noch stumm und starr betrachteten und auf irgendeine Reaktion uns gegenüber gewartet hatten. Doch ausser ihren Blicken kam dann kaum noch was.
Im Rennen der älteren Jahrgänge wurde schon garnichts mehr erwartet, die gingen nach dem verlorenen Lauf gleich auf die anderen los. Wir allerdings fühlten uns durch diese Niederlangen nie so aufgeputscht, sondern gingen dann vereinzelt unserer Wege.

Wir haben uns nie darüber unterhalten, wohin es den einzelnen nach der Niederlage verschlug, ich aber fühlte mich dann immer zum einsamsten Menschen in unserem Dorf hingezogen. Wir waren eine kleine Gemeinde, hatten aber den größten Friedhof im Umland mit nur einem Totengräber. Dieser wohnte gleich neben der Kirche am Rand zu den ersten Gräbern in seiner selbst gebauten Holzhütte. Bis spät in die Nacht fackelte Kerzenschimmer aus einem Fenster, auch wenn niemand so richtig wusste, ob er denn zuhause ist oder nicht. Am Tage liefen wir als Kinder oft vorüber, schmissen Steine an sein Fenster oder spuckten Kaugummis dagegen, bei Dunkelheit jedoch mieden wir sein Haus. Ich machte mir darüber keine Gedanken, weil ich mich im Vorübergehen gut verstecken konnte und somit im Glauben war, nicht von ihm erkannt zu werden. Nachts jedoch wollte sich bei mehr kein rechter Grusel wie bei den anderen einstellen, also schlich ich manchmal still an seiner Hütte vorbei, ohne auch nur daran zu denken, an seine Tür zu klopfen. Einmal aber, nachdem ich zum ersten mal als Läufer anzutreten hatte und natürlich verlor, es mich danach wieder an diesen Ort gezogen hatten und ich mich schon auf den Heinweg machen wollte, öffnete sich plötzlich die Tür. Der Totengräber stand vor mir, sah mich an und schwieg. Ich erstarrte für einen Moment vor Angst um ihn gleich danach wüst anzuschreien. Er lächelte nur und zeigte mit einer Handbewegung in sein Haus. Ich ging auf ihn zu und blieb direkt neben ihm an der Türschwelle stehen. Er hatte nur ein einziges Photo an seiner Wand hängen, das ihn beim Gewinn eines Rennens vor vierzig Jahren zeigte. Wir standen schweigend nebeneinander, bis er sich von mir weg drehte um das Lichtermeer auf dem Friedhof zu betrachten. Ich ging nach Hause, wurde alt und wollte nicht mehr laufen.



























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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.02.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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