Diethelm Reiner Kaminski

Kleidersorgen



Ralf Trommer betrat den mit eleganten weißen Ledersofas und Sesseln ausgestatteten Laden, wartete gar nicht, bis eine Verkäuferin oder ein Verkäufer erschien, sondern bettete seinen Mops, den er auf dem Arm getragen hatte, liebevoll in die weichen Kissen eines der Sessel. Der Mops war so fett, dass er es unmöglich allein geschafft hätte, vom Parkettfußboden auf das Sitzmöbel zu springen. Da hockte er nun träge und gelangweilt. Seine Augen, kaum noch sichtbar in den dicken Fettpolstern, blinzelten böse. Ralf Trommer blieb stehen und streichelte fortwährend seinen Hund.
Die Ladenbesitzerin Marie-Luise Klöppele betrat den Verkaufsraum. Sie war gekleidet und geschmückt, als hätte sie sich gerade für einen festlichen Empfang zurechtgemacht. Ein langes schwarzes Kleid mit gewagtem Ausschnitt, spitzhackige Schuhe, Hochfrisur, silberne Ketten, Reifen und Ringe an Hals, Armen und Fingern.
„Sie sind meine letzte Hoffnung“, rief Ralf Trommer in gespielter Verzweiflung. „In zwei Wochen ist Rosenmontag, und ich habe immer noch kein passendes Kostüm für Sokrates gefunden. Düsseldorf, Essen, Bonn – überall Fehlanzeige.“
„Sie hätten eben gleich nach Köln kommen sollen. Wir haben nach der überraschend großen Nachfrage des letzten Jahres eine extra große Kollektion anfertigen lassen. Ich bin sicher, dass Sie das Passende für Sokrates finden werden. Nicht wahr, mein Kleiner?“, wandte sie sich nun an den Mops im Sessel, der sie indes nur wütend anknurrte.
„Wie das Kostüm mir gefällt, ist dabei nicht wichtig“, sagte Ralf Trommer, „Sokrates muss sich selbst gefallen. Wenn er sich wohlfühlt, fühle ich mich auch wohl.“
„Da kann ich Ihnen beiden nur beipflichten. Herrchen und Hund gleichermaßen glücklich zu machen, ist unser vornehmstes Prinzip. Ein Hund ist ja heutzutage nicht nur ein Hund, sondern unser Lebenspartner. Aber wem sage ich das. Wollen wir jetzt vielleicht zur Anprobe schreiten? Haben Sie schon eine bestimmte Vorstellung? Das erleichtert uns die Auswahl“, fügte Frau Klöppele noch hinzu.
„Eine bestimmte nicht“, sagte Ralf Trommer, „aber seriös muss das Kostüm schon sein. Es sollte auf jeden Fall zu seinem Namen „Sokrates“ und seinem ernsten Charakter passen. Auch im Karneval lasse ich meinen Sokrates nicht zum Affen machen. Also bitte kein Clownskostüm, kein Marienkäfer und kein Hippie.“
„Dann suche ich Ihnen am besten Kreationen in gedeckten Farben heraus. Alles Unikate, von unseren besten Designern in unseren eigenen Studios gefertigt. Wie wäre es zum Beispiel mit dem Modell „Banker“, schwarzweiß gestreift, mit roter Seidenfliege? Wollen wir das vielleicht einmal kurz anprobieren?“
Der Mops ließ sich das Hundemäntelchen willenlos überstreifen, weil er inzwischen eingeschlafen war und nicht einmal bei der Anprobe wach wurde.
„Nicht schlecht“, sagte Ralf Trommer, „aber im Hinblick auf den schlechten Ruf, in den die Banker seit Neuestem geraten sind, möchte ich meinem Sokrates diese Schmach doch lieber ersparen.“
„Und das Modell „Meisterdirigent“ – wie wäre es damit? Das macht doch was her. Schwarzer Smoking mit silbernen Rockaufschlägen …“
Und schon hatte die Ladenbesitzerin Sokrates das Modell „Banker“ ab- und das Modell „Meisterdirigent“ übergestreift. Der Mops war wach geworden und gähnte, zu träge, um zu bellen oder sich auch nur aus eigener Kraft zu bewegen. Er schaute gleichgültig von seinem Herrchen zu der fremden Frau und von der fremden Frau zu seinem Herrchen.
„Das Kostüm scheint ihm zu gefallen“, triumphierte Frau Klöppele. „Er besitzt ein sicheres Gespür für Qualität. Das sieht man gleich.“
„Dann packen Sie´s mir, bitte, ein. Die schwerste Aufgabe wird jetzt sein, für mich ein ähnliches Kostüm zu finden. Denn mein Sokrates und ich gehen grundsätzlich im Partnerlook. Sokrates würde es nicht verstehen, wenn ich von diesem Prinzip abweiche.“
„Überhaupt kein Problem“, sagte die Ladenbesitzerin stolz. „Solchen verständlichen Wünschen unserer Kunden tragen wir grundsätzlich Rechnung. In unserer Filiale in der Goldschmiedegasse finden Sie die gleichen Modelle, die hier die Hundeherzen erfreuen, in allen Größen für ihre Herrchen. Hier gebe ich Ihnen die Visitenkarte mit der Anschrift.“ Sie hatte während ihrer Erläuterungen das Hundekarnevalskostüm in einen Karton gepackt, in goldenes Papier gewickelt, mit Goldband umwickelt und kunstvoll zu einer Schleife gebunden. „Sie zahlen cash oder mit Karte? Das wären dann, abzüglich drei Prozent Skonto bei Barzahlung, nur noch 335 €.“
 


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.02.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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