Christiane Rutishauser

Wellness



Die Warteschlange an der Kasse der Bodensee-Therme glich exakt der
Warteschlange bei Aldi an einem Freitagabend. Gabriel verspürte
plötzlich dieses scharfe Zwicken im Magen; dasselbe Zwicken,
das er immer bei Aldi bekam, nur schlimmer.

Er schaute Lisa von der Seite an und hoffte auf ein Wunder, zum
Beispiel, dass sie ihren Badeanzug vergessen hatte oder sonst etwas
Wichtiges. Er wünschte sich irgendeinen triftigen Grund, um auf
der Stelle umzukehren.

Sie lächelte ihn an und bemerkte:
„Du wirst sehen, das verläuft sich, sobald wir drin sind.“
„Vielleicht sollten wir ein anderes Mal...?“
Noch bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte, umwölkte sich ihre
Stirn.
„Ich dachte du freust dich.“
„Ich freue mich doch, sehr sogar“, beteuerte er schnell und küsste
ihr Ohrläppchen.

An der Kasse ging es einfach nicht voran. Eine Kreditkarte funktionierte
nicht. Die Kassiererin erklärte in gebrochenem Englisch einem
jungen Mann, der trotz sommerlicher Temperaturen eine Wollmütze
trug, das Problem.

Es stellte sich heraus, dass er keinen Cent Bargeld bei sich trug.
„Oh, what a mess!“, rief er ärgerlich aus und schaute Hilfe suchend
umher.
„Mess heißt Sauerei“, bemerkte die ältere Frau hinter ihm mit
schwäbischen Akzent und schaute dabei Beifall heischend umher.
Niemand bemerkte etwas dazu. Alle hofften nur, dass es endlich voran
ging.

„Sie machen eine zweite Kasse auf“, zischte Lisa ihm ins Ohr und zog ihn
mit einem Ruck zur Seite. Plötzlich standen Sie unter dem
Protest derer, die keine so rasche Reaktionsfähigkeit besaßen,
an erster Stelle. Ihm war es ein wenig unangenehm, dass sie sich
einfach so vorgedrängt hatten.

Der Wellness-Gutschein, den sie ihm zum Valentinstag geschenkt hatte,
wanderte über die Theke und wurde eingelöst.
Die Frau wünschte: „Viel Vergnügen“, und drückte ihnen
jeweils ein rotes Plastikarmband mit Chip in die Hand. Sie zwängten
sich mit den großen Badetaschen durch ein enges Drehkreuz und
standen endlich in den Umkleideräumlichkeiten.
„So, jetzt sind wir drin“, meinte Lisa zufrieden und schaute ihn dabei
erwartungsvoll an.

Er beeilte sich ein glückliches Lächeln aufzusetzen und sich
seine Bestürzung angesichts des Lärms, der Gerüche und
der Enge, nicht anmerken zu lassen. Überall drängten sich
Menschen in den verschiedensten Stadien des An- und Ausziehens.
Nasse Füße hinterließen kleine Pfützen auf dem
gekachelten Boden und die Haartrockner verursachten ein schier
unerträgliches Geräusch.

In der schmalen Kabine stieß er sich mehrfach die Gliedmaßen
an und fand sich schließlich, die ausgezogenen Kleidungsstücke
und Schuhe in der einen Hand, die Badetasche in der anderen, im
Gedränge vor den Schließfächern wieder. Umständlich
stopfte er die Sachen hinein und hielt Ausschau nach Lisa. Sie ließ
sich wie immer Zeit. Als er schon fürchtete, sie verloren zu haben, stand sie plötzlich genau neben
ihm. Ihr Anblick in dem roten knappen Bikini entschädigte ihn
einen Moment lang für so manches.

Sie passierten die Duschen und standen nun in der Halle vor dem
Thermalbecken.
Unzählige Köpfe und Schultern ragten aus dem aufgewühlten Wasser. Die
hohe Decke warf das Stimmengemurmel und die spitzen Schreie der
Kinder hundertfach zurück. Nacheinander kletterten Sie ins
lauwarme Becken. Zum Schwimmen gab es nicht genug Platz, also glitten
sie zwischen den Badenden hindurch auf die Schleuse zu, die den
Innenbereich mit dem Außenbereich verband.

Draußen war die Luft frischer und er nahm erleichtert ein paar tiefe
Atemzüge. Die Massage-Düsen und Liegen an den Rändern
des Schwimmbeckens waren alle besetzt. So schwammen sie in der Mitte ein wenig
hin und her, begafft von denjenigen, die sich eine Düse
ergattert hatten. Er ertappte sich dabei, dass er den Kopf krampfhaft
über die Wasseroberfläche hielt, um nicht aus Versehen
einen Schluck aus dem Becken zu trinken.

Lisa schwamm auf ihn zu. Eine nasse Haarsträhne klebte anmutig auf
ihrer Stirn. „Es ist doch ein wenig voll. Lass uns in den
Saunabereich gehen. Vielleicht ist es da besser“, meinte sie.
Er zuckte bei diesem Satz kurz zusammen. DIE SAUNA!

Etwas, dass er bisher nur vom Hörensagen kannte. Dort sei man nackt,
ganz und gar nackt. Nicht, dass er ein Problem mit seiner eigenen
Nacktheit gehabt hätte, aber ein Blick in die Runde verursachte
ihm Unbehagen. All diese Leute nackt? Das war irgendwie zu viel
Intimität.

Der Saunabereich war durch ein weiteres Drehkreuz vom Badebereich
getrennt.
„Hier beginnt die textilfreie Zone“ stand auf einem Schild. Es gab
Duschen und extra Fächer für die Textilien. Er streifte
zögernd die nasse Badehose ab und warf einen Seitenblick auf
Lisa, die völlig unbefangen ihren roten Bikini ausgezogen hatte.
 
Das Duschen war der reine Segen nach dem Bad in der Massenbadewanne. Ein
Handtuch um die Hüfte gewickelt, harrte er der Dinge, die da
noch kommen würden. Eine Lisa im weißen Bademantel mit
Plastikbadeschuhen an den zierlichen Füßen schob ihn in
einen großen hellen Raum mit vielen geheimnisvollen Türen
an den Seiten, einem Panoramafenster, einer Theke, wo man Getränke
und Essen servierte, einem Ruhebereich mit Liegen und einem runden
Whirlpool. Künstliche Pflanzen und einige duftende Teelichter
sorgten für die nötige Wellness-Atmosphäre. Es roch
intensiv nach Schweiß und ätherischen Ölen.

So ungefähr hatte er sich das vorgestellt: Er sah junge und alte
Haut, fette Schenkel und Hintern, knochige Hüften, haarige
Rücken, rasierte und unrasierte Intimzonen, wunderschöne
Brüste und solche, die der Schwerkraft folgten. Nur wenige
bedeckten sich mit Bademänteln oder Handtüchern. Die
meisten, vor allem Männer fortgeschrittenen Alters, hielten dies
wohl für überflüssig. Sie präsentierten sich so
wie Gott oder die falsche Ernährung sie geschaffen hatte. Ein
schlacksiger Typ im gestreiften Bademantel kam ihm irgendwie bekannt
vor. Sie musterten sich und plötzlich fiel ihm ein, wo er ihn
schon einmal gesehen hatte: What a mess! Ohne Mütze wirkte er
nackt.

Gabriel übte sich darin, nicht so genau hinzugucken und hielt dies fast
zwei Stunden lang durch. Lächelnd ließ er die Aroma-Sauna, das
Saunarium, das Dampfbad, das Honig-Salz-Peeling, das eiskalte
Tauchbecken und den Whirlpool über sich ergehen. Im Whirlpool
beobachtete er fasziniert ein dickes schwarzes Haar, das munter auf
der Wasseroberfläche tanzte. Auf der Ruheliege nickte er für
einen Moment erschöpft ein. Am späten Nachmittag verließen
Sie das Wellness-Paradies. Seine Haut fühlte sich an wie
Schaumgummi und ihm war ein wenig schlecht.

Sie schlenderten ein Stück die Uferpromenade entlang und bestaunten
den See, der still in Nachmittagssonne glänzte. Eine Parkbank lud
zum Ausruhen ein und sie setzten sich für einen Moment, um den
wunderschönen Anblick zu genießen.

Lisa wirkte nachdenklich.
Ihre Haare waren immer noch ein wenig feucht und
kringelten sich um ihre Stirn. Sie drückte seine Hand.
„Ich wollte dir eine Freude machen“, sagte sie leise.
„Ich hab mich gefreut, ehrlich“, beteuerte er.
„Wirklich? Aber es war so überfüllt.“
„Mhm…naja.“
„Du siehst müde aus.“
„Nein, ich bin ganz entspannt. Das war ein tolles Geschenk.“
Sie lächelte erleichtert und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

„Ich hab dich so lieb, weißt du?“
Er nickte und unterdrückte ein Gähnen.
„Ich dich auch.“ 

 











 

Schon bevor ich lesen und schreiben konnte, habe ich mir Geschichten ausgedacht. Ich schreibe Tagebuch, für die Schublade, für die Festplatte und für die Menschen, die ich liebe. Die Liebe mit all ihren Facetten ist mein Lieblingsthema. Veröffentlicht habe ich bislang nur wenig. Das soll sich ändern. Deshalb bin ich hier bei e-stories.de.
Diese Geschichten sind für euch!
...mit Liebe
Christiane
Christiane Rutishauser, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.02.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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