Christiane Mielck-Retzdorff

Emilys List



 
 
Emily wählte einen Pantoffel im konservativen Stil aus Leder mit kariertem Innenfutter. Es war mit Sicherheit ein für diesen Anlaß, den ihr Ehemann Norbert wie jedes Jahr vergessen würde, zu teures Geschenk, aber er würde wenigstens, wie immer peinlich berührt, das Hausschuhwerk, in diesem Fall wohl mit geheuchelter, Freude annehmen.
 
Norbert war trotz seinen 64 Jahre noch sportlich aktiv, politisch interessiert und sogar tanzfreudig und weigerte sich standhaft, sich als zukünftigen Rentner zu betrachten. Und genau das symbolisierten Pantoffeln für ihn: Den inaktiven Mann auf dem Sofa, der mit seinem Leben bereits abgeschlossen hatte und in Trägheit dem Ende entgegendöste. Unter weniger romantischen Umständen hätte er das Geschenk mit Bestimmtheit abgelehnt.
 
Aber Emily wählte den Valentinstag für ihre Überraschung. Manchem mochte es albern vorkommen, dass sie selbst nach über 30 Jahren Ehe noch seiner gedachte und jedes Mal eine Kleinigkeit für ihren Mann bereithielt. Doch Norbert zeigte sich stets sichtlich gerührt und sie vermutete sogar, dass er vor seinen Kameraden damit angab. Er hatte eben eine aufmerksame und fürsorgliche Frau, die ihn heute genauso liebte wie einst den jungen Mann. Und genauso geschah es am Valentinstag, wobei Norbert die Art des Geschenks diesmal vor seinen Freunden geheimhielt.
 
In ihrer Ehe hatte Norbert die Hausarbeit mehrheitlich seiner Frau überlassen, da er ja schließlich für das Auskommen der Familie sorgte. Gelegentliche Gartenarbeit und die Betreuung des Autos erschienen ihm genug, um seine moderne Einstellung zur Arbeitsteilung in einer Lebensgemeinschaft zu demonstrieren. Im Grunde störte sich Emily auch nicht daran, denn es gab nichts Schlimmeres als einen gehobenen Verwaltungsbeamten, der versuchte Ordnung in ihren geordneten Haushalt zu bringen. Aber mit seiner Pensionierung und seiner ständigen Anwesenheit im Hause brachen andere Zeiten an. Es war abzusehen, dass Norbert lieber die Zeitung auswendig lernen würde, als den Staubsauger zu schwingen.
 
So saß Norbert also auf dem Wohnzimmersofa, um Emily nicht bei der Arbeit in der Küche zu stören, vertieft in die Weltpolitik. Emily stellte den Staubsauger etwas abseits, doch noch im Blickwinkel ihres Gatten ab und wartete, ohne sich erneut blicken zu lassen. Wie vermutet, blieb das Wunder aus. Kein Staubsaugergeräusch drang aus dem Wohnzimmer. Also griff Emily zur Waffe. Aus der hintersten Ecke des Kleiderschrankes fischte sie die Pantoffeln. Sie ging zurück in das Wohnzimmer, kniete vor ihrem Mann nieder, stellte die Hausschuhe neben sich und begann, ihm die Straßenschuhe auszuziehen. Norberts erstaunter Blick wandelte sich in Entsetzen, als ihm bewußt war, welches Schuhwerk bald seine Füße zieren würde. Wortlos sprang er auf, faltete die Zeitung zusammen und schritt würdevoll zu dem Staubsauger.
 
Es wird wohl ewig Norbert Geheimnis bleiben, ob ihn eine Erkenntnis gestreift oder ihn nur der abrundtiefe Hass auf Pantoffeln zur Hausarbeit getrieben hatte. Emily war das auch egal, als sie, mit dem vertrauten Summen des Saugers im Ohr, die Hausschuhe wieder im Schrank verstaute. Sie waren genauso nützlich wie sie vermutet hatte.      
 
 
 
    

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Christiane Mielck-Retzdorff).
Der Beitrag wurde von Christiane Mielck-Retzdorff auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.02.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Christiane Mielck-Retzdorff als Lieblingsautorin markieren

Buch von Christiane Mielck-Retzdorff:

cover

Trug und Wahrhaftigkeit: Eine Liebesgeschichte von Christiane Mielck-Retzdorff



Zum wiederholten Mal muss sich die Gymnasiastin Lisa-Marie in einer neuen Schule zurechtfinden. Dabei fällt sie allein durch ihre bescheidene Kleidung und Zurückhaltung auf. Schon bei der ersten Begegnung fühlt sie sich zu ihrem jungen, attraktiven Lehrer, Hendrik von Auental, der einem alten Adelsgeschlecht entstammt, hingezogen. Aber das geht nicht ihr allein so.
Die junge Frau muss gegen Ablehnung und Misstrauen kämpfen. Doch auch der Lehrer sieht sich plötzlich einer bösartigen Anschuldigung ausgesetzt. Trotzdem kommt es zwischen beiden zu einer zarten Annäherung. Dann treibt ein Schicksalsschlag den Mann zurück auf das elterliche Gut, wo ihn nicht nur neue Aufgaben erwarten sondern auch Familientraditionen, die ihn in Ketten legen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (5)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Humor" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Christiane Mielck-Retzdorff

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Der kleinste Tropfen von Christiane Mielck-Retzdorff (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)
PIZZA-Studie - wissenschaftliche Mouse-Arbeit von Siegfried Fischer (Humor)
Schnell wird man ein Ewald von Rainer Tiemann (Kindheit)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen