Heidi Huber-von Aesch

Vorurteile

Es ist ein ehrenwertes Haus in dem die Familie Schweizer, Frau Zürcher und Herr Basler wohnen. Herr Sahib, Familie Sinah, Herr Özala, Familie Levy und noch einige haben sich ebenfalls in diesem Haus niedergelassen. Ein Haus mit 48 Wohnungen! Doch eigentlich ging alles recht gut, obwohl verschiedene Nationalitäten zusammenwohnen.
 
Doch plötzlich wurde eine Wohnung leer. Frau Zürcher hat sich ins Altersheim zurückgezogen. Eigentlich schade, denn sie war doch eine so ruhige und unscheinbare Frau, die man fast nicht zur Kenntnis nahm. Sie ging ihrer Wege und störte weder mit Lärm, noch sonst mit irgendwelcher Auffälligkeit jemanden. Nun ist von dieser Generation nur noch Herr Özala da. Auch genau so ruhig und unscheinbar. Herrlich, wenn man solche Mieter hat! Sie sind wohl da, aber kein Mensch merkt, oder beachtet sie.
 
Und nun das! In die leere Wohnung von Frau Zürcher ist Leben gekommen. Alle haben sie ihn im Treppenhaus gesehen. Und - oh Schreck! Es ist ein „glatzköpfiger“ Jugendlicher! Mein Gott. Familie Schweizer & Co. haben Mühe. Dies sind doch die „Neo-Nazis“ das hat uns ja gerade noch gefehlt! Man merkte es. Es wurde plötzlich ruhig im Treppenhaus. Jeder nahm so gut es ging den Lift und ging sofort in seine Wohnung. Aus war es mit dem Schwatz im Treppenhaus. Nur ja nicht diesem Jugendlichen begegnen. Die sind ja so gefährlich! Und das in einem so multinationalen Haus! Da ist doch das Chaos schon fast vorprogrammiert. Dieser Jugendliche wird ja bestimmt auch „Freunde“ haben, und die werden dann auch vorbeikommen. Mein Gott, nicht auszudenken, was hier alles in Zukunft noch passieren kann! Am besten, man verhält sich so ruhig wie möglich. Besonders, wenn man nicht „Schweizer“ ist.
 
Schade eigentlich, denn alle haben voneinander gelernt. Haben die Kulturen der Nachbarn studieren können und auch ihre Lebensgeschichten vernommen. Jetzt soll wegen eines Jugendlichen, der sich die Haare geschoren hat alles vorbei sein?
 
Es kam natürlich so wie erwartet. Die Freunde des Jugendlichen trafen sich hier in diesem ehrenwerten Haus. Eigentlich waren fast alle überrascht, denn es ging nicht laut und auch nicht auffällig zu. Doch, wenn es so ruhig verläuft, was steckt dann dahinter? Wahrscheinlich werden sie irgendwelche Schandtaten aushecken! Furchtbar – nicht auszudenken! Die Angst ging ganz massiv um.
 
Es war an einem Freitag etwa 23.00 Uhr, als sich die Freunde des „Glatzköpfigen“ wieder auf den Heimweg machten. Man hörte sie als sie aufbrachen und sich verabschiedeten. Plötzlich läutete es bei Familie Schweizer. Mein Gott – dieser Jugendliche stand draussen! Man sah ihn durch den Spion. Was soll man da machen? Frau Schweizer nahm den ganzen Mut zusammen und machte die Tür auf. Sie schaute den Jugendlichen an und sah echte Besorgnis in seinen Augen. Die anderen Kollegen standen hilflos und bestürzt im Treppenhaus. Was ist geschehen? Er kam schnell zur Sache: „Würden Sie bitte so gut sein und sofort einen Krankenwagen bestellen!“ Warum, so fragte sie ihn? „Im Treppenhaus unten liegt ein alter Mann, vermutlich ein Ausländer, auf jeden Fall kann er nicht gut deutsch! Ich kenne ihn nicht, da ich ja noch nicht so lange in diesem Haus wohne. Und einen Telefonanschluss habe ich auch noch nicht, darum muss ich Sie belästigen!“ Nun war es an Frau Schweizer, ihre Überraschung zu zeigen. Doch sie hatte keine Zeit, lange zu überlegen. Sie ging ans Telefon und rief das Krankenhaus an. Minuten später kamen die Sanitäter und holten Herr Özala ab. Gerade noch früh genug, um ihm das Leben retten zu können.
 
Nun hatten alle Zeit – vor allem Zeit um die Vorurteile abzubauen und sich eigentlich dafür zu schämen. Wäre dieser „glatzköpfige“ Jugendliche nicht so überlegt und beherzt gewesen, hätte es vielleicht schon bald eine leere Wohnung mehr gegeben und, vielleicht auch wieder neue Mieter, gegen die sich die Vorurteile richten würden. Doch diese Begebenheit hat alle in diesem Haus wirklich etwas Wichtiges gelehrt: Nämlich, Menschen nicht nach ihrem Äusseren zu beurteilen. Sondern erst mal abzuwarten wie sich alles entwickelt!
 
Seit dieser Nacht ist Freude und vor allem Respekt gegenüber diesem Jugendlichen in diesem Haus eingekehrt. Er und seine Freunde sind allen jederzeit herzlich willkommen.
 
Später, viel später hat Frau Schweizer Alex (so heisst dieser Jugendliche nämlich) ihre Vorurteile gebeichtet. Es tat ihm auf eine Art leid. Doch, er machte sie darauf aufmerksam, dass viele Jugendliche ihre Haare stutzen aus Bequemlichkeit. „Man hat so am Morgen kein Puff mit der Haarpflege, besonders, wenn man so ein Morgenmuffel ist wie ich, und auch beim Sport betreiben sei dies viel angenehmer. Man könne sich den Scheitel dann mit dem Waschlappen machen!“ meinte er und lachte herzlich dazu.  

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