Lisa Moser

Irgendwann


Wieder ein Einbruch in unserer Nachbarschaft. Es ist nun schon der fünfter dieser Woche. Wie soll das alles noch weitergehen? Kann man sich hier denn überhaupt noch sicher fühlen? Kann man nicht ohne Angst nach draußen gehen, um die Zeitung zu holen oder einkaufen zu gehen?
Früher war alles ganz anders. Kinder spielten fröhlich auf der Straße, Nachbarn grüßten freundlich  und Hundebesitzer drehten mit ihren geliebten Tieren wieder einmal eine Runde. Jedes Haus hatte einen wunderschönen Garten. Blumen sprossen, eine einzigartiger als die andere. Wir waren eine Bilderbuch-Nachbarschaft.
Jetzt ist jedes zweite Fenster eingeschlagen. Viele Häuser stehen schon leer. Die wenigen Familien lassen ihre Kinder nicht mehr auf die Straße. In manchen Gärten klafft ein riesiges Loch. Keine Blumen sprießen mehr. Man bekommt keine freundlichen Grüße mehr, wenn man einkaufen geht, nur noch misstrauische Blicke.
Wenn ich durch unsere Straße gehe, wird mir immer ganz mulmig zumute. Egal wo ich hinsehe, von jeder Seite erblicke ich Leid, Trauer, Angst, Verzweiflung.
An den Häuserwänden kann man die Einschusslöcher erkennen. Manche sind noch blutig. Andere Häuser gibt es nicht mehr. Sie sind zerbombt oder durch die Erschütterung durch Bombenabwürfe eingestürzt. Ein Leichenwagen fährt an mir vorbei. Ich hatte schon einige gesehen, doch jedes Mal muss ich mich überwinden, um nicht in Tränen auszubrechen und aus Verzweiflung zu schreien.
Ich sehe zu einem Haus hoch. Die vordere Hauswand ist gänzlich verschwunden. Dort wo das Schlafzimmer zu sein scheint, hängt jemand. Schnell drehe ich mich weg.
Viele Menschen bringen sich um. Sie denken, dass es keinen Ausweg mehr gibt. Nur noch den Tod.
Auch ich spiele öfters mit dem Gedanken, einfach diese widerliche Welt zu verlassen. Wie leicht wäre es, all den Problemen und Ängsten zu entfliehen. Doch dann denke ich wieder an meine Kinder. Ich muss stark bleiben für sie. Ich darf keine Schwäche ihnen gegenüber zeigen, denn ich gebe ihnen Hoffnung, mit meinen Versprechungen, dass alles wieder gut werden würde. Dass es nicht mehr lange dauert, bis wir wieder in Frieden leben können.
Manchmal höre ich in der Nacht, wenn ich nicht einschlafen kann, einen  Schuss. Am Morgen danach, bewahrheiten sich meine Befürchtungen dann immer, denn es passiert oft, dass der Herr eines Nachbarhauses auf einer Bahre in einem Leichentuch verhüllt hinausgetragen wird. Wenn ich dann seine Frau oder Kinder weinend neben der Bahre hergehen sehen, bricht es mir fast das Herz. In diesen Momenten weiß ich, dass ich meine Kinder nie so verlassen werden möchte.   
Doch solche Zustände gibt es nicht nur in unserer Straße. Die ganze Stadt, nein, das ganze Land erlebt dieses Leid. Und nicht nur unser Land, sondern auch die anderen sind schwer davon betroffen.
Die Lebensmittelversorgung wird knapper. Ich bekomme nur noch ein Stück Brot und wenn ich Glück habe auch ein paar Eier. Wenn ich allein leben würde, könnte ich damit überleben. Doch in einer Großfamilie ist es schwer so wenig an so viele aufzuteilen.
Jeden Tag hoffe ich, dass es vorbeigeht. Jeden Tag hoffe ich, dass mein Mann zurückkommt und mich in die Arme schließt und dass wir uns unser wunderbares Leben wieder aufbauen, das wir einst hatten. Doch ich werde ihn nur im Jenseits wieder treffen können. Er wurde mir genommen. Vieles wurde mir genommen.
Man könnte meinen die Menschheit hätte aus seinen Fehlern gelernt. Doch wieder einmal beweist es, dass wir unsere Fehler anscheinend wiederholen müssen, bis es wieder neue Bündnisse gibt, bis es wieder Aufschwünge der Wirtschaft gibt.
Manchmal erscheint mir der Mensch, als sei er geboren um zu zerstören. Er möchte kein Glück besitzen und nicht die schönen Dinge des Lebens genießen. Er will Hass und Angst verbreiten.
Warum? Warum kann man nicht mit dem zufrieden sein, was man hat?
Obwohl ich mich jede Nacht in den Schlaf weine oder Angst um meine Familie habe, wenn uns wieder ein Bombenalarm bevorsteht, keimt sich in mir immer ein kleiner Funken Hoffnung auf.
Irgendwann wird das alles wieder vorbeigehen. Irgendwann gibt es wieder einen Neuanfang.
Irgendwann werde ich wieder bei ihm sein.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.03.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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