Kein Mann versteht eine Frau, wenn sie kreischend und am Rande eines Nervenzusammenbruchs ihre Nase an den Badezimmerspiegel quetscht und in hysterische Heulattacken verfällt, während sie ihre Falten zählt. Keine Frau versteht einen Mann, wenn dieser sagt, dass es nicht so ist wie sie glaubt und er sie trotzdem liebt. “Es ist nicht so schlimm“ bedeutet in den Ohren einer sensiblen Frau: Du hast Falten Puppe und bald tausche ich Dich mit einem 10 Jahre jüngeren Babyface aus.
NT: “Sehe ich gut aus?“
DG: “Ja.“
NT: “Sehe ich wirklich gut aus?“
DG: “Ja.“
NT: “Quillt der Bauch nicht aus der Hose?“
DG: “Nein.“
NT : “Aber ich sehe es!“
DG: “Du siehst Gespenster.“
NT: “Ich habe Falten!“
DG: “Nein, hast Du nicht.“
NT: “Doch! Ich habe! Ich sehe sie! Ich habe sie gezählt!“
DG: “Wo?“
NT: “Hier! An der Stirn! Drei Stück! Die waren gestern noch nicht da!“
DG: “Die kommen nicht über Nacht, Du hast sie nur noch nie gesehen.“
NT: “Aha! Also habe ich doch Falten! Wieso sagst Du dann, ich hätte keine?!“
DG: “Weil Du keine hast.“
NT: “Gerade eben hast Du gesagt, ich hätte!“
DG: “Nein, hast Du nicht.“
NT: “Zwei Kerben an der Oberlippe, je 13 Stück unter jedem Auge und drei Stück an der Stirn!“
DG: “?Und?“
NT: “Sehe ich alt aus?“
DG: “Nein, tust Du nicht.“
NT: “Wieso habe ich dann Falten?“
DG: “Das hat jeder.“
NT: “Also hab´ ich doch Falten! Wieso sagst Du dann, ich hätte keine?!“
DG: “Weil es hübsche Lachfalten sind und keine richtigen Falten.“
NT: “Ha! Lachfalten! Lach-F-A-L-T-E-N bleiben Falten! Ich will keine Falten! Ich hasse Falten!“
DG: “Du nervst!“
NT: “Sehe ich wirklich nicht alt aus?“
DG: “Nein, tust Du nicht.“
NT: “Bist Du sicher, dass ich nicht alt aussehe?“
DG: “Nein! Andere Mütter sehen viel schlimmer aus!“
NT: “Schlimmer? Also sehe ich doch alt aus, habe doch Falten und sehe einfach nicht so schlimm aus wie andere Mütter!!“
DG: “Du bist eine schöne Mami!“
NT: “Warum sagst Du dann, mein Busen sehe so aus wie der von afrikanischen Frauen? Deren Busen hängt bis zum Bauchnabel! Meiner nicht! Er hüpft ein bisschen und sieht nicht aus wie eine Saugglocke! Aber er sieht nicht aus wie der einer afrikanischen Frau!“
DG: “Willst Du mich in den Wahnsinn treiben?“
NT bedeutet die Nervtötende und die Nervtötende bin ich. DG bedeutet die von der Nervtötenden Genervte und ist meine Zuckertaube.
Einer elfjährigen Tochter, die noch immer einen Teil ihrer Eierschale auf dem Kopf trägt, die Tragweite eines beginnenden Schrumpelgesichtes zu erklären, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Einer Mutter und Mitdreissigerin eintrichtern zu wollen, dass sie frisch und knackig wie ein Granny-Smith-Apfel aussieht, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Eines Tages hatte mich der Moment eingeholt, von dem ich Zeit meines Lebens davon überzeugt gewesen war, diesem gelassen entgegen zu sehen.
Schonseife, Peeling-Pads sowie Vitamine-C Nachtaufbau-Paste hatten ihre Runde über mein Gesicht gemacht.
Und dann entdeckte ich sie.
Drei noch nie da gewesene Falten glitzerten durch die Crèmeschicht. Ich rückte näher an den Spiegel, schnitt Grimassen, entspannte mich, verzerrte nochmals das Gesicht, entspannte mich wieder. Sie waren immer noch da. Wo war des Übels Kern zu suchen? Lag ich zu oft in der Sonne? Regte ich mich unnötig auf? Zog ich dauernd die Brauen zusammen? War ich zu ernst? Heulte ich zu viel? Trank zu wenig Wasser, rauchte zu viel und hätte den Margaritas Hastalavista sagen sollen? Benutzte ich die falschen Crèmes? Woher zum Teufel kamen diese Dinger auf meiner Stirn?
Es war soweit. Ich hatte die Kippe erreicht. Die Rückwärts-Alterskippe. Eine überaus hässliche Rückwärts-Alterskippe.
Zählte ich bis zu diesem Moment und wenigen Wochen bei Ausfüllbogen noch in die Altersgruppe der zwischen 28 und 34-Jährigen, würde ich nun in die Kategorie der 35 bis 45-Jährigen rutschen, jüngere Menschen würden mich nicht mehr Duzen, grellgeschminkte Parfümerie-Tanten würden mir fies lächelnd eine reichhaltige Nährcrème für die reife Haut in die Tüte stecken, mein Hormonspiegel würde rapide nach unten sinken, die Gesundheits-Risikofaktoren würden sich schlagartig verdoppeln und altersbedingte Zipperlein würden jeden Tag mein Leben versauen. Bald würde ich mich mit meinen Kolleginnen über Rheuma, Wechseljahrbeschwerden, Lustlosigkeit sowie Kurzatmigkeit unterhalten und bei schummrigem Discogeflimmer könnte ich mich nicht mehr unter die 20-Jährigen mischen, ohne aufzufallen.
Trübe Aussichten für noch trübere Einsichten. Konnte man nicht in Würde älter werden ohne dass es jedermann bemerkte?
An einem sonnigen Herbstnachmittag in einem Strassencafé, als die Sonne schon nicht mehr so grell vom Himmel schien und mein Gesicht unvorteilhaft hätte betonen können, löcherte ich Dolores mit Fragen, beklagte das Schicksal und den Umstand, in nur wenigen Tagen in die Alterskatastrophe zu schlittern.
“Warum grinst Du?“ Das blöde Lächeln von Dolores nervte. Kapierte sie nicht, dass ich in einer Depression hockte, weil ich glaubte, eine welke Blume zu werden?
“Hm...ich hätte da was...das Neuste überhaupt! Vergiss die Crème-Tanten! Vergiss die Schnipselärzte! Habe ich Dir schon von meinem Frauenclub erzählt? Wir treffen uns einmal im Monat und fahren nach Zürich. Shivas Vater hat dort seine Praxis. Einmal im Monat macht er einen Freundinnen-seiner-Tochter-Spezial-Nachmittag...“
Der Freundinnen-seiner-Tochter-Spezial-Nachmittag sah so aus, dass sich eine immer grösser werdende Frauengruppe im Alter zwischen 28 und 40 Jahren in immer mehr werdende Autos quetschte und im Konvoi nach Zürich bretterte. Dort wartete der Gott in Weiss, Shivas Vater, der seit 30 Jahren die Problemzonen einer Frau erfolgreich wegspritzte. Gemäss Dolores´ Ausführungen durfte man nicht darauf warten, bis die Falten das Tiefegrad eines Grand Canyon erreicht hatten. Man musste das Übel sofort bekämpfen.
“Wann startet die nächste Spritzentour?“ In Gedanken hatte ich mein Bankkonto überarbeitet, die Problemzonen meines Gesichtes nach Wichtigkeit sortiert und das Bild meines zukünftigen Babyfaces visualisiert. Ich liebte es jetzt schon.
“Im Oktober. Kommste mit?“ Dolores grinste wieder.
Klar kam ich mit! Ich würde zuvorderst im Autokonvoi sitzen, als erste die Praxis stürmen und sämtliche Störfaktoren in meinem Gesicht wegzaubern lassen.
Bis dahin würde ich noch eine Weile meine Zuckertaube und die mir Liebsten mit Gejammer nerven und nach Aufbaukomplimente heischen.
Bis dahin konnte Dolores die Visitenkarten sortieren, die sie beim Verlassen des Strassencafés zugesteckt bekam und auf denen stand: Will Shiva auch kennen lernen! Will auch in den Autokonvoi! Hat Shivas Vater genug Spritzen für uns alle?
Er hat.
Es ist ein wundervolles Gefühl der Selbsterkenntnis, nicht die einzige Nervtötende, mit ihren Falten beschäftigte, vor einem Babyface zitternde, diese bekämpfende und eigentlich doch zufriedene Frau zu sein.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.02.2003.
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