Die Straße war gerade frisch betoniert geworden. Sie war lang und verlief schnurgerade. Die frisch betonierte Straße wurde von vielen Regenpfützen bedeckt, in denen sich die dunklen Wolken am Himmel widerspiegelten. Sie wirkten wie eiserne Panzer, die sich wie ein Wasserfall ihren Weg allen Widerständen zum Trotz selbst graben.
Es war ein gewöhnlicher und friedlicher Abend. Doch die letzte Klappe des Tages sollte bald fallen. Es war nichts mehr zu erwarten von dem Tag, dem die Sonne nicht viel Wärme geschenkt hatte. Die Ruhe nach dem Wolkenbruch wurde allerdings bald von der metallenen Spitze eines Gehstocks unterbrochen, dessen Besitzer sich die Straße entlang kämpfte.
Der Mann war alt. Er ging sichtlich schwer, selbst mit seinem Gehstock. Dieser war aus einem dunklen sehr edel wirkenden Holz gefertigt worden. Ob der Stock wirklich alt war oder es nur zu sein vorgab, lässt sich im Nachhinein nicht mehr beurteilen. Der Mann schien auch keinen Gedanken daran zu verschwenden. Er hielt stattdessen verkrampft an dem Griff fest. Sie schienen untrennbar miteinander verbunden, wie der Baumstamm und seine Wurzeln oder wie die Blätter und ihre Zweige. Er kam nur langsam voran, aber seine Schritte wirkten sicher.
Die metallene Spitze des Stocks leuchtete silbern im Licht der Laternen, welche die Straße einst wie die Bäume säumten. Im Gegensatz zu den Bäumen standen sie bei Wind und Wetter unbeirrbar still und gaben keinen Kommentar zu den um sie herum stattfindenden Geschehnissen ab. Sie waren stumme Statisten. Auf jeden Fall aber bereitete die metallene Spitze der Seelenruhe der Pfützen ein Ende. Sie traf immer ins leere Schwarze und ließ mehr oder weniger hohe Wellen zurück.
Der Mann mit dem Gehstock trug einen langen schwarzen Wintermantel. Er war aus einem sehr schweren schwarzen Stoff gefertigt worden und wirkte neuwertig. Doch obwohl er fast in ihm unterzugehen schien, ragten seine gebeugten Schultern und sein Buckel hervor wie ein Felsen bei ruhigem Seegang. Zweifellos aber spendete er ihm Wärme, aber er war nicht für ihn gemacht. Die mattschwarzen Knöpfe waren alle geschlossen.
Jedes Mal, wenn der Mann sich einer Laterne näherte, bekam er Rückendeckung von seinem Schatten. Der gebückte Mann und sein erhabener Schatten machten im Schein der Laterne einen fast bedrohlichen Eindruck. Doch dieser währte nicht lange. Der Schatten fiel seinem Meister in den Rücken und lief ihm ein Stück voraus. Im Dunkeln vor der nächsten Laterne wartete er allerdings immer geduldig auf ihn, sodass keiner von beiden alleine durchs Licht schreiten musste.
Mühsam setzte der Mann seinen Weg fort. Es war augenscheinlich, dass noch ein großer Teil des Weges vor ihm lag. Von woher er kam oder wie weit ihn seine Füße an diesem Tag schon getragen hatten, bleibt im Dunkeln. Doch trotz aller Widrigkeiten ließ er sich nicht beirren oder gar von seinem Weg abbringen. Er ging konzentriert weiter.
Man hatte als Außenstehender den Eindruck, als ob er nicht viel von seiner Umwelt wahrnahm. Nicht dass es viel wahrzunehmen gegeben hätte. Die Szenerie wurde von keiner weiteren Menschenseele gestört. Zudem war der Abend schon sehr weit fortgeschritten, die Nacht und der nächste Regenguss warteten schon um die nächste Ecke.
Während es wieder zu nieseln begann, setzte der alte Mann weiterhin einen Fuß vor den anderen. Seine schwarzen Schuhe wirkten schon sehr abgetragen, aber jemand hatte sie erst vor kurzem aufpoliert. Da ging er also seines Weges, komplett unbeeindruckt von den Pfützen, den Laternen, der Straße und dem einsetzenden Regenguss. Er gehorchte lediglich dem Takt seines Gehstocks und Schritt für Schritt erkämpfte er sich seinen Weg.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.03.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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