Hermann Weigl

Die Drachenreiter von Arctera (Teil 9)

Tarrabas erkundete die Felsnische, in die sie die Drachen gebracht hatten. Es war nur eine Vertiefung in der Wand der Höhle, die aber groß genug war, um ein Lager für ein Dutzend Männer samt ihrer Pferde aufzuschlagen.  
Zwei einfache Lager aus Zweigen und einer Schicht Stroh waren hier errichtet. Sie legten Felle und Decken darüber und setzten sich nieder.
Aus der Ferne drangen die Rufe der Drachen zu ihnen.
„Mir ist kalt“, sagte Elisabietha, und schlang die Arme um ihren Leib.
„Ich könnte ein Feuer machen“, schlug der Prinz vor.
„Nein. Das dürft Ihr nicht. Sie mögen es nicht.“
„Mein Vater hat mir beigebracht, wie man auch unter den schwierigsten Umständen überleben kann. Wir könnten uns gegenseitig wärmen.“
„Das wäre ein Verstoß gegen die Etikette“.
„Wir sind weit von zuhause weg, Prinzessin. Niemand würde davon erfahren.“
„Ich weiß nicht so recht…“
„Dann nehmt meinen Mantel. Bitte.“
„Aber dann werdet Ihr selbst frieren.“  
Sie sorgt sich um mich, obwohl sie mich kaum kennt, dachte Tarrabas. Er legte das wärmende Kleidungsstück ab. „Nehmt ihn zumindest so lange, bis Euch wieder warm ist.“ Da sie nicht widersprach, legte er den Mantel um ihre schmalen Schultern, und setzte sich ihr gegenüber wieder auf sein Lager.
„Wären alle Männer Agostinas so wie Ihr, gäbe es keinen Krieg“, flüsterte die Prinzessin.
„Schlaft jetzt“, erwiderte der Prinz ausweichend, und beobachtete, wie sich die junge Frau auf ihrem Lager ausstreckte.
Schweigend saß er da und hing seinen Gedanken nach.
Inzwischen war es so finster geworden, dass er Elisabietha nur noch schemenhaft ausmachen konnte. An ihren regelmäßigen Atemzügen erkannte er, dass sie eingeschlummert war. Er beschloss, sich selbst schlafen zu legen. Der Tag war lang und aufregend gewesen. Er war schon weit vor Sonnenaufgang aufgestanden, um rechtzeitig die Ruinenstadt zu erreichen. Auch die Nacht vorher hatte er nur wenig Ruhe gefunden, und nun verlangte es ihn nach Ruhe. Er verwendete das grobwollene dicke Tuch, das er auf seinem Lager ausgebreitet hatte, als Zudecke, und schloss seufzend die Augen.
Als Tarrabas am nächsten Morgen die Augen öffnete, begrüßte ihn Elisabietha mit einem Lächeln.
Er erwiderte ihre Freundlichkeit mit einem Scherz: „Die erste Nacht, die ich mit einer Prinzessin verbringe, habe ich mir anders vorgestellt.“
Sie lachte hell auf, erhob sich von ihrem Lager, und ließ sich vor seinem nieder.
Noch nie war er der Prinzessin so nah gewesen. Ihre Pupillen waren schwarz wie die Oberfläche eines tiefen Waldsees bei Nacht.  
Sie hob eine Hand, strich ihm über die Wange. Er fühlte die weiche Wärme ihrer zierlichen Finger, und seine Haut begann dort zu prickeln, wo sie ihn berührte.
Kaum hörbar flüsterte er: „Als ich Euch dort auf der Lichtung gesehen habe, da habe ich mein Herz an Euch verloren.“
Elisabietha senkte die Lider, und er hob eine Hand, um die zarte Blässe ihrer Wangen zu berühren.  
Ein plötzlicher Windstoss ließ ihn aufschrecken. Die Höhle hatte sich verdunkelt, und ein mächtiger Schatten füllte den Eingang aus, der nun seine Flügel zusammenfaltete.
„Unari“, rief die Prinzessin voller Freude und sprang auf, um ihre Freundin zu begrüßen.
„Prinzessin, ich bringe Neuigkeiten für den Prinzen“, sagte die Drachin.
Tarrabas trat neben Elisabietha und sah Unari an. „Bitte, sprich.“
„Wir haben lange beraten - bis tief in die Nacht. Wir sind sicher, dass die Prophezeiung ihren Anfang genommen hat. Die Drachen wollen Euch nun prüfen,
und die Wahl treffen.“
„Prüfen? Mich? Ich verstehe nicht, worauf.“
„Unser König hat bestimmt, dass Ihr ein Drachenreiter werdet.“
„Aber das ist ja wunderbar“, sagte die Prinzessin.
„Es ist ein Bündnis fürs Leben“, erklärte Unari. „Hat ein Drache einmal die Wahl getroffen, und Ihr willigt ein, seid Ihr für immer mit ihm verbunden - bis in den Tod. Er wird sein Leben für Eures geben, aber er fordert die gleiche Leistung von Euch.“
„Die gleiche Leistung? Aber wie könnte ich ein so mächtiges Geschöpf wie einen Drachen beschützen?“
„Das wird derjenige, der Euch wählt, nur Euch selbst anvertrauen.“
Der Prinz dachte an den Flug zurück, wie sie hierher gelangt waren, und versuchte sich vorzustellen, welchen Eindruck es auf seinen Vater machen würde, wenn er mit einem so mächtigen Freund neben der Burg landet. Auch würde es kein Feind wagen, sein Land anzugreifen, wenn ihm ein gewaltiger Drache gegenüber steht.
„Seid Ihr bereit, die Prüfung anzutreten?“, fragte Unari den Prinzen.
„Ja. Ich bin bereit“, sagte Tarrabas und sein Körper straffte sich.
„In etwa einer Stunde werdet Ihr abgeholt. Bereitet Euch auf die Rückreise vor. Wir werden noch heute zurückfliegen.“
Die Drachin sprang in die Tiefe und verschwand in der dämmrigen Tiefe der Höhle.

In den Tiefen der Drachenhöhle entstand nun Unruhe. Immer mehr der Fabelwesen zogen mit rauschenden Schwingen an der Höhlung vorbei. Tarrabas trat noch näher an den Rand der Öffnung heran uns sah hinaus. Alle Drachen schienen ihre Schlafstellen zu verlassen, und bildeten eine immer dichter werdende Schar, die an der Peripherie der Höhle entlang ihre Runden drehte.
Als er eines der Wesen auf sich zukommen sah, trat er ein paar Schritte zurück. Es war der Drache, der ihn von der Ruinenstadt abgeholt hatte.
„Kommt mit mir, Hoheit. Eure Prüfung beginnt.“
„Und die Prinzessin?“, warf er ein.
„Sie wird hier bleiben. Die Prüfung müsst Ihr alleine antreten. Ein zweiter Geist in unmittelbarer Nähe würde den Prozess der Findung stören.“
Mit klopfendem Herzen stieg der Prinz auf den Rücken des Drachens.
Das Fabelwesen reihte sich in die Menge der kreisenden Drachen ein. Mehrmals umrundete er den zentralen Felskegel, auf dem der weiße Drache saß. Dann gab er mehrere kurze Rufe von sich, und flog auf einen Tunnel zu, der dem ähnelte, durch den sie gestern in die Höhle gelangt waren. Erneut wurde es finster um ihn. Er hörte lediglich den Widerhall der Flügelbewegungen des Drachen. Dann drang von vorne her der erste Schimmer Sonnenlicht in den Schacht, und sie gelangten ins Freie hinaus.  
Geblendet schloss der Prinz für einen Moment die Augen, schirmte sie mit eine Hand ab, und blinzelte dann gegen das Tageslicht.
Der Drache trug ihn weit hinauf zum höchsten Punkt des Bergrückens und setzte dort auf.
„Ihr müsst nun hier warten, Prinz.“
Ohne weitere Erklärungen abzugeben, flog das Fabelwesen wieder davon.
Der Prinz folgte mit den Augen dem Flug des majestätischen Wesens. Es stieß ein lautes Brüllen aus, kehrte in weitem Bogen zurück,  rauschte über den Prinzen hinweg, und ließ sich weiter oben auf einem Felsbrocken nieder.  
Wie still es hier war. Das Rauschen des Windes, und seine Atmen waren die einzigen Geräusche. Dichter Nebel füllte die Täler, so weit er sehen konnte. Bergrücken und andere Gipfel erhoben sich aus dem Dunst. Die Felsen waren schwarz und fleckig vom Alter. Es gab keinen Bewuchs, nur ein paar spärliche Gräser, die sich in den Ritzen festsetzten. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel herab, aber ihre Strahlen waren nur schwach. Fröstelnd zog er den warmen Mantel enger um sich.
Was würde nun geschehen? Was sollte er tun? Was, wenn er sich falsch verhielt? Würde er dann kein Drachenreiter werden? Und wenn sich keines der Fabelwesen für ihn entschied, was dann?
Und dann kamen die anderen Drachen. Es schien, als würde sie der Berg aus unzähligen Öffnungen gleichzeitig ausspeien. Sie stiegen höher und vereinigten sich zu einer dichten Wolke, die auf den nächsten Berg zuhielt. Dort kam wieder Ordnung in ihre Formation, und sie begannen, um den Gipfel zu kreisen.  
Der Prinz beobachtete, wie sich zuerst nur einzelne Drachen, und nach und nach immer mehr aus dem Kreis lösten, und lautlos über das tiefe Tal hinweg auf seine Position zu glitten. Er bemerkte, dass sie alle zu ihm heruntersahen. Sie überquerten seinen Standpunkt, und flogen in einer weiten Schleife zurück zu den anderen Drachen. Er sah dunkelgrüne, braune, und beinahe schwarze Körper.
Immer mehr der Fabelwesen strichen über ihn hinweg, und er wunderte sich über die Anzahl. Nie hätte er gedacht, dass die Höhle so viele von ihnen birgt. Irgendwann aber ließ der Ansturm nach, bis zuletzt nur ein einzelner Drache auf ihn zuflog. Er war von tiefschwarzer Farbe, und kam so weit herab, dass der Prinz deutlich seine feuerroten Augen sehen konnte.  Die Beine mit den gefährlichen Klauen hatte er dicht an den Körper angelegt. Der Prinz blickte ihm nach und bemerkte, dass er nicht zum Gipfel zurückkehrte, sondern in einer weiten Schleife wendete, und sich dann beinahe senkrecht in den Himmel schraubte. Als er so hoch gestiegen war, dass er klein wie eine Taube erschien, warf er sich in der Luft herum, legte die Flügel an und stürzte kopfüber wie ein Stein herab. Wiederholt drehte er sich dabei schlangengleich um seine Längsachse, und als Tarrabas schon befürchtete, der Drache würde auf den Felsen zerschellen, breitete er seine Schwingen aus, der freie Fall ging in einer mörderischen Kurve in einen waagrechten Flug über. Mit hoher Geschwindigkeit flog er auf den Prinzen zu, so tief, dass Tarrabas schon befürchtete, er wolle ihn vom Felsen fegen. War dies womöglich ein Teil seiner Prüfung, um seinen Mut zu testen? Mit klopfendem Herzen blieb er aufrecht stehen, und sah dem Wesen entgegen.

(C) 2011 Hermann Weigl

Fortsetzung folgt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.03.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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