Markus Schoppen

Ein Diebstahl der besonderen Art

Es war Diebstahl. Doch einer der besonderen Art.
Als Kind wurde ich von meiner Mutter einmal wöchentlich zum Kirchgang gezwungen. Widerwillig betrat ich ein Reich der Vergangenheit und wurde Zeuge wie man Dinge auf raffinierte Art entwendet. Bereits am Eingang konfiszierte man das Selbstbewusstein.
Wiedergänger in gestrigen Gewändern fälschten meine Bilanz und nahmen dem Tageslicht den Mehrwert des Lächelns. Selbst der klare Messwein den sie tranken, konnte den Pathos ihrer dunklen Phrasen nicht aufhellen. Hier schien alles Lebendige ausgemerzt zu sein.
Die Zeit ist zu kostbar, dachte ich.
Der Tod als Schatten der Geburt und Ende der menschlichen Wertschöpfungskette bedroht die Harmonie der Existenz zwar schon mit dem ersten Atemzug; ich jedoch, mußte ihm regelmäßig direkt ins Auge schauen. Die ersten Male war ich aufgrund kindlicher Naivität bereit mir etwas vorzustellen, was es nicht geben kann. Ich betete zu einem „Vater“ genannten Gott, der in einem körperlosen Akt einen Sohn zeugte, den er zu unserem Wohlergehen grausam sterben ließ, um ihn drei Tage später in Luft aufzulösen. Sein Ableben vergiftet seit zweitausend Jahren unsere Seelen. Sollte ich das glauben?
Am Anfang war ich dazu bereit. Doch mit den Jahren merkte ich, dass die Wesen in jenen Gemäuern keine Vitalität ausstrahlten, ja das ihnen sogar die für Menschen typischen Verhaltensweisen fehlten. Es wurde einem die Vorstellung, unseren Planeten gegen einen furchtbaren anderen getauscht zu haben, aufgenötigt.
Ich glaubte ihnen nicht mehr!
Das Märchen, das man uns vortrug, war sehr alt . Das schlug sich auch in der merkwürdigen Kostümierung seiner Protagonisten nieder. Sie ängstigten ihre Zuhörer wöchentlich mit Drohungen und Verhaltensregeln, unterbrochen von einer kurzen Predigt, die eine Aufforderung zu mehr Nächstenliebe war, sich jedoch wegen ihrer Leidenschaftslosigkeit perfekt in das restliche Einerlei fügte.
Ich entkam der Kälte der Sonntagsmesse stets um Punkt zwölf Uhr mittags. Oft schien die Sonne von einem blauen Himmel auf ein Meer von Blumen jeglicher Couleur. Ich beneidete die Rosen auf dem Kirchplatz darum, dass sie keine Ohren besitzen.
Mein Herz drängte mit aller Kraft nach Hause, um mich von diesem besonderen Diebstahl zu erholen und diese gesegnete Hölle, die mir den Himmel versprach, versteckt in meinem Kinderzimmer zu verfluchen.
Der Austritt aus jener Gemeinschaft im Wartezimmer auf das Paradies fiel mir nicht schwer.
Als ich volljährig wurde, bestätigte ich mit einer Unterschrift bei Gericht meine Absicht. Ab sofort war ich nur noch Bewohner der Erde.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.03.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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