Helmut Wurm

Sokrates und seine Reflexionen zu Lehrer-mobben-Lehrer

 

 „Homo hominis lupus“ (lateinisch) oder „Jeder Mensch kann dem anderen ein Wolf sein“. Das gilt überall dort, wo Menschen zusammen leben und zusammen arbeiten – auch bezüglich der Lehrer untereinander.

  

Diese Worte fielen Sokrates ein, als er von dieser Sitzung des „Schlichter-Ausschusses der übergeordneten Schulverwaltung“ zurückkam. Es waren auf dieser Sitzung einige traurige Beispiel dafür dem Vermittler vorgetragen worden... Aber der Reihe nach...

 

Sokrates hatte gehört, dass es in einem bestimmten Bundesland, welchem, das ist unwichtig,    „Ombuds-Leute“ für Streitfragen und Beschwerden innerhalb der Lehrer-Kollegien gibt und hatte gebeten, einmal an einer solchen Sitzung teilnehmen zu dürfen. Das war ihm erlaubt worden und die Bitte war angefügt worden, diese Sitzung aus seiner Sicht zu beurteilen.

 

Der Tag der Sitzung ist gekommen und Sokrates hat sich im Sitzungssaal unauffällig nach hinten gesetzt. Er möchte nur zuhören und nachdenken können. Mehrere Lehrer sind an diesem Tag gekommen und möchten ihr Leid klagen. Es sind diesmal nur männliche Lehrer eingeladen worden, weil die Mobbing-Strukturen bei/unter weiblichen Lehrern etwas anders sind. Die Mobbing-Strukturen bei/unter männlichen Lehrern sind klarer erkennbar und auch grober.

 

An diesem Tag sollen die betreffenden Lehrer nur angehört werden. Man möchte erst einmal das Material sammeln und dann mit Überlegung gezielt eventuelle weitere Gespräche einleiten.  Die Lehrer, die sich teilweise nur einmal aussprechen möchten, bzw. die teilweise zusätzliche Schritte eingeleitet wünschen, werden einzeln gebeten, ihre Sorgen und Mobbing-Erlebnisse vorzutragen. Alle anderen hören jeweils mit.

 

Der erste Lehrer: Ich komme von einer größeren Gesamtschule. Unser Schulleiter überblickt nach meinem Eindruck nicht mehr den gesamten Ablauf an seiner Schule oder ist nicht daran interessiert, mehr Mühe in die Beobachtung und Kontrolle zu investieren. Er hat sich auch nicht um das gekümmert, was ich jetzt vortrage.

 

Zuerst zu meiner Person: ich bin ein älterer Lehrer mit den Fächern Deutsch und Sozialkunde. Ich weiß, dass ich nicht so modern ausgebildet worden bin wie die jungen Kollegen, die an unsere Schule kommen. Die haben sehr neuartige Unterrichtsmethoden gelernt und verhalten sich sehr locker. Die Schüler finden das natürlich „cool“, wie sie es ausdrücken. Ich tue mir da schwerer.

 

Nun zu meinem Problem: Es ist vor einigen Jahren ein junger Lehrer mit denselben Fächern, wie ich sie unterrichte, bei uns eingestellt worden. Dieser Lehrer möchte nur noch Unterricht nach der modernsten Methodenform halten. Am liebsten macht er nur noch Projekt-Unterricht.

 

Ich selber meine nun, dass man gerade in Deutsch nicht allen Lernstoffe, zumal in den unteren Klassen, am besten in Form von Projekten vermitteln kann, sondern bestimmte Themen sogar erfolgreicher in Form von traditionellem Unterricht. Mir kommt es auf das Ergebnis an, nämlich was die Schüler im Endeffekt dauerhaft gelernt haben. Er aber hat dafür kein Verständnis und hat mich deswegen „auf dem Kicker“, wie man sagt. Ich kritisiere ihn nicht vor anderen, denn ich bin der Ansicht, jeder solle seinen Unterricht so gestalten, wie er es für richtig hält, sofern man sich erkennbare Mühe gibt.

 

Für diesen jungen Kollegen ist aber alles Frühere falsch und schlecht. Für ihn gibt es nur die modernen Methoden, hauptsächlich eben Projekt-Unterricht. Und zusätzlich gibt er viel bessere Noten als ich, zu schülerfreundliche Noten, wie ich meine, und stellt das als eine Folge seines Projekt-Unterrichts dar. Bald bekam er von dem nächstgelegenen Studienseminar Praktikanten zu Besuch geschickt und das machte ihn noch selbstüberzeugter gegenüber anderen, die nach seiner Ansicht schlechte Lehrer sind. Damit meint er vor allem mich.

 

Zuerst hat er mich nur verspottet, auch vor den Schülern, dann stellte er mich regelmäßig vor Eltern und Schülern als altmodisch bloß. Und jetzt macht er Folgendes: Er verteilt jedes halbe Jahr kurz nach den Zeugnissen mit den vielen guten Noten von ihm an die Schüler Fragebögen mit den beiden Fragen, ob sie lieber bei ihm oder bei mir Deutschunterricht hätten. Sie sollen nur ankreuzen. Das Ergebnis der halbjährlichen Befragungen kann man sich natürlich denken. Welcher Schüler kreuzt nicht die schülerfreundlichere Notengebung an - wobei ich der Ansicht bin, dass meine Schüler in manchen Stoffgebieten mehr gelernt haben als bei ihm.

 

Langsam wird der morgendliche Gang zur Schule, vor allem kurz nach den Zeugnissen, für mich zu einer immer größeren Belastung. Die Schüler grinsen schon hämisch hinter mir her...

 

Sokrates denkt für sich: Da ist ein übermäßig selbstbewusster junger Lehrer, man kann ihn auch als eingebildeten Lehrer bezeichnen, mit einer modernen methodischen Ausbildung an eine Schule gekommen und betrachtet sich und sein Unterricht als den Maßstab, an dem die anderen Lehrer gemessen werden. Wie verhält sich eigentlich der Schulleiter in diesem Fall? Und könnte dieser ältere und altmodische Lehrer klugerweise nicht auch Projekt-Unterricht, zumindest gelegentlich, machen?

 

Ähnlich denkt offensichtlich auch der von der Schulbehörde entsandte Schiedsmann. Er fragt deswegen den klagenden Lehrer danach, wie sich der Schulleiter in dieser Situation verhält und ob er selber nicht auch etwas moderneren Unterricht anbieten könne. Dann wären seinem Kritiker doch schon viele Argumente genommen. Als der Lehrer dann antwortet, dass er es schwer empfinde, solche neuen methodischen Schritte zu wagen und dass sich der Schulleiter überhaupt nicht um diese Spannung kümmere, denkt Sokrates:

 

Sokrates: Dieser Schulleiter ist entweder kein Schulleiter, sondern nur ein Schulverwalter vom Büro aus oder er schiebt den über-selbstbewussten jungen Lehrer vor, um den älteren und altmodischen Lehrer so unter Druck zu setzen, dass dieser vielleicht früher in Pension gehen muss. In beiden Fällen wäre das kritikwürdig.

 

Der altmodische Lehrer mag insofern Recht haben, dass mit den althergebrachten Methoden früher ein hohes Bildungs-Niveau erreicht wurde und dass diese Methoden nicht immer sooo schlecht waren, wie sie jetzt teilweise dargestellt werden. Aber trotzdem muss ein Lehrer den guten Willen zeigen, sich modernen Entwicklungen in der Pädagogik zu öffnen. Wieweit er sie dann umsetzt, ist seiner verantwortungsbewussten Entscheidung überlassen.

 

Aber keinesfalls darf sich ein junger Lehrer, der vermutlich ein guter Lehrer ist, dazu hinreißen lassen, sich als Messlatte zu fühlen und andere Kollegen bewusst zu mobben. Es ist eine Frage der Toleranz und des Taktes, dass man andere, vielleicht tatsächlich schlechtere Lehrer, wenn diese sich aufrichtig bemühen, nicht vor anderen blamiert und als schlecht darstellt.

 

Der nächste Lehrer wird gebeten, sein Anliegen vorzubringen.

 

Der zweite Lehrer: Ein Kollege kann mich nicht leiden und wir vertreten politisch und auch gesellschaftlich unterschiedliche Positionen. Während ich mich in meinen Einstellungen vor den Schülern zurückhalte, lässt der Kollege die seinen erkennbar in seinen Unterricht einfließen. Er äußert er sich vor Schülern und Eltern über mich negativ, warnt vor meinen Einstellungen, vor meinem Verhalten, meinem Unterrichtsverlauf, meinen Arbeiten, vor meinen Äußerungen über dieses und jenes... Er schafft besonders bei neuen Schulklassen ein negatives Vorab-Bild von mir, das mir den Unterricht deutlich erschwert. Er ruft Schüler und Eltern auf, sich über mich bei ihm oder noch besser bei der Schulleitung sofort zu beschweren, wenn ihnen etwas nicht passe... So werde ich immer unsicherer, wenn ich in Klassen unterrichten muss, in denen er Klassenlehrer ist... Der Chef kümmert sich aber nicht darum, denn er schätzt die Aktivität des betreffenden Kollegen in verschiedenen anderen Bereichen. Dieser Kollege ist nämlich so eine Art Hans Dampf in der Schule, immer laut, immer lustig, von den meisten gerne gesehen... Langsam gehe ich immer gehemmter zu meinem Dienst...

 

Sokrates denkt: In diesem Fall nutzt ein Kollege seine Vitalität und seine anerkannte Position und Aktivitäten dazu aus, einen Kollegen, den er persönlich nicht mag, schlecht zu machen, zu mobben. Vielleicht empfindet er einfach Freude daran, über jemanden täglich zu triumphieren.

Es gibt solche Charaktere gerade unter denjenigen, die sich gerne in den Vordergrund spielen. Man könnte dem gemobbten Kollegen vielleicht raten, innerhalb der Schule sich um kleinere Funktionen zu bemühen, die ihn vor Schülern und Kollegen etwas aufwerten...

 

Ein weiterer Lehrer ergreift das Wort.

 

Der dritte Lehrer: Unser Chef hat gebeten, dass in jeder Fachgruppe ein Lehrer sich dafür verantwortlich fühlt, dass die Lerninhalte, die Unterrichtsformen, die schriftlichen Arbeiten und die Notengebung in etwa angenähert/harmonisiert werden. Unterricht soll und kann zwar nicht gleich sein, aber zu sehr auseinander triften dürfen die Unterrichtsformen an einer Schule aber auch nicht. Dazu darf der betreffende verantwortliche Kollege auch im Unterricht der anderen hospitieren. In den Fachsitzungen sollen wir dann über zu große Abweichungen sprechen. In unserer Fachgruppe wurde ein promovierter Kollege gewählt, diese Funktion zu übernehmen, weil er stofflich die meisten Kenntnisse hat.

 

Aber der betreffende Kollege unserer Fachgruppe hospitiert bei mir nicht nur, sondern er steht  in meinem Unterricht regelmäßig auf und kritisiert vor allen Schülern, was ihm gerade an meinem Unterricht nicht gefällt, was angeblich falsch wäre, bezüglich des Tafelbildes, bezüglich meiner Erklärensweise usw. Die Schüler sitzen dann da und grinsen und ich werde ganz aus der Sicherheit gebracht. Nach einer Hospitations-Stunde will er Fehler aus seiner Sicht nicht unter vier Augen mit mir besprechen. Er begründet das damit, dass er sofort Ungenaues oder Falsches richtig stellen müsse, damit es die Schüler nicht lernten... Bei anderen macht er das übrigens nicht... Ich weiß, dass ich keine solchen Kenntnisse habe wie er, denn ich habe die Lehrbefähigung in diesem Fach nachträglich nur über die Lehrerfortbildung erworben...

 

Ich getraue mich nun nicht, zur Schulleitung zu gehen. Vielleicht werde ich dann noch strenger überprüft, obwohl ich mir bezüglich meines Unterrichts Mühe gebe... Oder ich bekomme die Lehrerlaubnis für dieses Fach entzogen, obwohl ich es gerne unterrichte...

 

Sokrates denkt: Hier nutzt ein fachlich überdurchschnittlich kompetenter Kollege seine Über-legenheit aus, einen Kollegen, dem er fachlich wenig zutraut, den er als Schmalspur-Lehrer verachtet, vor allen Schülern zu berichtigen und damit bloß zu stellen. Das ist deutliche Fach-Eingebildetheit. Aber fachliche Überlegenheit gibt keine Berechtigung, Kollegen zu mobben...

 

Ein nächster Lehrer wird gebeten, seine Mobbing-Sorgen vorzutragen

 

Der vierte Lehrer: Der Fachleiter in meinem Fach ist von Natur aus ein „Bevormunder“. Er versteht sich schon immer etwas als ein Mann, der die Wahrheit, das Richtige vertritt. Wer anders denkt, anders handelt, der muss mit seinem Misstrauen rechnen und, wenn er eine Handhabe hat, mit seinen aggressiven Belehrungs-Aktionen. Wenn man diesen Mann mit seiner tiefen, selbstbewussten Stimme nur hört, wird man schon ängstlich, und wenn man ihn dann mit seiner breitschultrigen, untersetzten Figur und mit seinem Bart sieht, dann weiß man schon, dass es geraten ist, mit ihm keine Dissonanzen zu haben. 

 

Nun habe ich jüngst eine eigene methodische Neuerung in meinem Unterricht erprobt, die den Schülern Erleichterungen verschaffen soll und von den Schülern auch mit großer Zustimmung aufgenommen wurde. Wie alle Erprobungen von Neuem muss man dabei an dieser Idee feilen, Details korrigieren und aus Teil-Fehlern lernen. Nun ärgerte er sich, dass diese Idee nicht von ihm war, denn er will hauptsächlich auch der Einführer von Neuem an der Schule sein. Und so wartete er nur auf eine Gelegenheit, mir diese Neuerung zu blockieren. Als an guten Noten interessierte Schüler ein anderes Thema zur Sprache brachten (sie wollten die Schulordnung während einer Leistungsfeststellung bei mir etwas dehnen, um Notenvorteile zu bekommen, während ich auf der Einhaltung der Schulordnung bestanden) nutze er diesen Unmut aus, um gegen mich und meine Neuerung massiv zu Felde zu ziehen. Er fragte mich wutschnaubend, wie ich mir das denke, mit ihm weiter zusammen zu arbeiten, wo Schüler mich so kritisierten? Ich müsse künftig meinen gesamten Unterricht mit ihm vorher absprechen und durch ihn als Fachleiter genehmigen lassen. Und gegenüber dem Elternsprecher äußerte er, man solle am besten wegen meiner möglichen vorzeitigen Entlassung beim Ministerium vorstellig werden.

 

Dabei haben die Schüler in einem späteren Gespräch ausdrücklich gesagt, dass sie nicht meine Neuerung kritisierten, sondern dass ich die Schulordnung zu ihren Gunsten nicht gedehnt hätte, damit sie möglichst viele sehr gute und gute Leistungen erreichen konnten. Ich bin von Natur aus etwas schüchtern und mir ist Streit etwas sehr Unangenehmes, mit wem es auch sei. Ich konnte einige Wochen nicht zu meinem Dienst erscheinen und ich fürchte, dass ich mich wirklich fragen muss, ob ich nicht die vorzeitige Entlassung in den Ruhestand beantragen sollte.

 

Nun bin ich nicht der einzige Kollege, mit dem dieser Fachleiter nicht zufrieden ist. Wenn die Notengebung eines anderen ihm nicht richtig erscheint, dann beruft er eine Fachkonferenz ein und zieht gegen diesen Lehrer zu Felde. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass die Notengebung unter den Kollegen etwas harmonisiert sein sollte, aber hier macht die Art und Weise, wie er gegen den anderen vorgeht, die Musik. Man kann vorsichtig und diplomatisch versuchen, zu einer Harmonisierung zu kommen. Er aber versucht, missliebige Kollegen durch sein Vorgehen einzuschüchtern. Er benötigt Triumphe...

 

Und das alles kann er nur tun, weil der Chef sich um nichts kümmert, solange er nicht direkt angesprochen wird. Man könnte nun fragen, weshalb ein solcher Mann Leiter einer Fachgruppe werden kann. Das hängt mit seinem Gespür für Macht zusammen. Gegen die meisten anderen Fachkollegen ist er sehr jovial, trifft sich mit ihnen privat, mit Schülern albert er herum...

    

Sokrates sinniert: Es ist immer das Ähnliche. Selbstbewusste und sicher auch zu aggressivem Handeln neigende Lehrer versuchen, ihre Vorstellungen durchzusetzen und über Schwächere zu triumphieren. Dazu kommt, dass in Schulen mit den vielen Schülern, Eltern, Lehrern und Wahlverfahren gewisse politische Bedingungen bestehen, die politisch begabten Personen die Möglichkeiten bieten, wie auf der öffentlichen politischen Bühne zu handeln und sich durchzu-setzen... Dieser Kollege ist vermutlich ein politisch begabter Mann, der seine Begabung in der Schule auszuleben versucht. Man sollte ihm empfehlen, sich auf lokaler oder regionaler Ebene politisch zu betätigen, dann hat er dort ein größeres Betätigungsfeld und lässt dafür dann die Kollegen vielleicht in Ruhe...

 

Das hier Gehörte ist nur möglich, wenn eine schwache Persönlichkeit Schulleiter oder besser nur Schulverwalter ist. Dann erst kann sich das Mobbing von Lehrern durch Lehrer ungehemmt entfalten...

 

Der fünfte Lehrer (er ist auffallend gut angezogen, mit Anzug, Krawatte...): Wir haben einen Kollegen, der aus den 68iger Studentenkreisen stammt und noch immer ein solcher 68iger ist. Er läuft nur mit alten Jeans, ausgelatschten Schuhen und einer graugrünen Jacke herum, hat langes schmieriges Haar und einen wirren langen Bart. Das sei für unsere Gesellschaft besser, meint er, denn wir wären nur Sklaven der Wirtschaft, auch der Bekleidungs-Industrie. Dazu raucht er ständig und stinkt ungewaschen. Aber er ist andererseits didaktisch ein guter Lehrer, der bei den männlichen Schülern gut ankommt und Einfluss auf deren Verhalten hat.

 

Ich habe nun andere Vorstellungen und kleide mich bewusst anders, weil ich meine, ein Lehrer müsse eine gewisse Vorbildrolle leisten, auch in der Kleidung. Das ist diesem „Gammel-Lehrer“ ein Dorn im Auge und er lästert seit Jahren gegen mich, wo er nur kann, verspottet mich vor den Schülern. Jedes Mal, wenn ich mit Schülern ein Konzert besuchen oder ins Theater gehen möchte und ich die Schüler bitte, sich festlicher anzuziehen, dann erscheint er in der Pause in meiner Klasse oder auf dem Schulhof bei meinen Schülern und fragt, ob sie meine altmodische Pfauen-Maskerade mitmachen wollten. Ein Konzert sei genau so etwas wie der Besuch eines Fußballspiels oder einer Gartenparty. Die Eltern sollten ihr Geld nicht für schöne Kleidung der Kinder ausgeben, sondern lieber für die 3. Welt spenden. Und auf einem Elternabend, an dem er auch anwesend war, hat er mich vor allen Eltern und Schülern als einen altmodischen und senilen Mann dargestellt, der bei den Schülern mit seinen Kleider-Vorstellungen nicht ankäme.

 

Ich trage nun erst recht in der Schule gepflegte Kleidung. Aber innerlich werde ich langsam mürbe, zumal unserem Chef egal ist, wie die Schüler in ein Konzert gehen. Die Hauptsache sei, sagt er, dass sie überhaupt in ein Konzert gehen. Alles Weitere sollten die Lehrer mit ihren Schülern ausmachen... Und gegenüber diesem Gammel-Kollegen habe ich keine Chance...

 

Sokrates denkt: Hier sind 2 gegensätzlich denkende Kollegen an einem Arbeitsort aufeinander getroffen und besonders der eine macht dem anderen das Leben schwer. Dieser eine stammt aus den gammelig gekleideten 68igern, die bewusst ihre Überzeugungen über die Schulen und Universitäten in die Gesellschaft tragen wollten. Der Lehrer mit der übertrieben guten Kleidung ist natürlich für ihn ein gefundenes Fressen. Aber dass dieser „Gammel-Lehrer“, wie ihn hier der Vortragende bezeichnet, mit Mobbing versucht, Schüler von einer gepflegten oder sogar festlichen Kleidung bei Konzertbesuchen abzuhalten, dass er keine Unterschiede zwischen Zuschauern bei einem Fußballspiel und bei einem Konzert macht und für seine nivellierende Einstellung wirbt, ist ebenfalls nicht richtig. Und hier ist wieder der Hinweis auf den passiven Schulleiter von Bedeutung. Ein starker Schulleiter würde einen solchen mobbenden Gammel-Kollegen nicht dulden und würde andererseits den anderen Kollegen auf Ausgewogenheit auch in seiner Schul-Kleidung hinweisen.

 

Noch 2 Kollegen sind anwesend, die gerne ihre Sorgen oder Belastungen mitteilen möchten.

Der vorletzte wird aufgerufen. Es steht ein ungewöhnlich ernster Mann auf, der selten zu lachen scheint. Er berichtet:

 

Der nächste Kollege: An unserer Schule ist ein Kollege, der das Kollegium seit längerem in

2 Lager spaltet. Das ist so ein Luftikus, ein ewig grinsender, lachender, nur Witze reißender Mann. Die ernstesten Themen und Ereignisse begleitet er mit Albernheiten und Spaß. Nichts ist ihm heilig, niemals kann er ernst bleiben. Es vergehen keine 5 Minuten eines Gespräches, in denen er nicht eine spaßige Bemerkung macht, in denen er dem Thema eine lustige Wendung gibt und in ein Lachen ausbricht. Manchmal ist das in bestimmten Situationen peinlich für alle, die mit ihm zusammen sitzen. Aber die Schüler finden diesen Kollegen natürlich cool, locker, spaßig, kurz sympathisch.

 

Nun findet ein Teil des Kollegiums das interessant und gut und als Orientierung für ihr eigenes Verhalten. So hat sich eine Witze-Lachen-Albernheit-Gruppe gebildet, die wie ihr Anführer nicht lange ernst sein kann. Und die Schüler stehen dieser Gruppe natürlich positiv gegenüber.

 

Die anderen Lehrer, zu denen ich gehöre und die etwas ernster die Phasen des schulischen Lebens begleiten und bewältigen wollen, bilden die andere Gruppe. Das fänden wir im Grunde noch nicht so dramatisch, aber nun sind wir zunehmend die Zielscheibe des Spaßes und Witzes dieser anderen Gruppe geworden. Bei allen möglichen Gelegenheiten, auch vor Schülern und Eltern, macht diese Gruppe, besonders ihr Anführer, seine Späße über uns. Wir seien die „Muffelkopf-Gruppe“, wir sollten alles etwas weniger ernst sehen, sollten lockerer sein. Der Sinn des Lebens sei Spaß zu haben, je mehr desto besser. Das gelte auch für die Schule und das Unterrichten. Und ernste Gespräche sollten wir zu Hause führen und nicht in der Schule...

 

Mich nehmen dieser Kollege und seine engen Freunde besonders aufs Korn, weil ich von Natur aus ein ernsthafter Mensch bin. Ich kann keine Witze machen und ich behalte auch keine. Es vergeht kein Tag, an dem wir, die ruhigeren, ernsthafteren Lehrer und besonders ich, nicht mit einer dummen Bemerkung bedacht werden. Der Spaß-Kollege muss nur an mir vorbei gehen und schon fällt ihm ein spitzer Witz auf mich ein. Aber auch die anderen Kollegen haben dieses „Bewitzelt-Werden“ satt und haben mich als Vertreter hierher geschickt, um diese Lage einmal vor einem Vertreter der übergeordneten Schulverwaltung zur Sprache zu bringen. Denn unser Schulleiter fällt als Beschwerde-Instanz weitgehend aus, weil er selber dazu neigt, ein immer vergnügter, lächelnder „Strahlemann“ zu sein. Man erzählt sich, er kenne diesen „Dauerspaß-Kollegen“ von früher her und habe dessen Anstellung an unserer Schule gefördert...

 

Sokrates denkt: Es gibt solche „Dauer-Spaßige“ als Naturanlagen. Hier spielt die individuelle Konstitution mit. Das kann sogar eine leicht krankhafte Veranlagung sein. Ob so etwas bei diesem Kollegen vorliegt oder ob er nur ein oberflächlicher ewig-lustiger Typ ist, muss man offen lassen. Jedenfalls sind solche Dauer-Lustige schnell gesellschaftlich anerkannt, rücken in der Beachtung nach vorne und sammeln schnell eine Gruppe von Gefolgsleuten des Spaßes um sich. Solche oberflächlig-lustige Leute können wirklich für ernsthafte Menschen zu einer Plage werden. Und da der Schulleiter mehr der leichtlebigen Gruppe zuzuneigen scheint, haben es dieser ernsthafte Mann und seine ernsthafte Gruppe schwer... Der ernsthafte Lehrer müsste etwas lockerer werden und auch mal einen Spaß machen und der Dauer-Lustige müsste etwas ernsthafter werden. Aber das könnte nur ein starker und selbst ausgeglichener Chef erreichen. Und der fehlt hier wieder...

 

Der letzte Lehrer für diesen Tag steht auf. Er wirkt etwas pastoral-streng und um den Mund herum verkniffen, so wie jemand, der die anderen stets an seinen anspruchsvollen Maßstäben misst. Er beginnt etwas verlegen-starr.

 

Der letzte Lehrer: Es ist ein Gesetz der Natur, dass Männer von schönen Frauen beeindruckt werden. Aber das sollte man im Stillen mit sich selber abmachen und nicht offen zeigen. Und andererseits nutzen Frauen das gerne aus und führen möglichst viele Männer ihrer Umgebung an einer unsichtbaren langen Leine. Das ist eines der selten ausgesprochen, aber bekannten Probleme, wenn Männer und Frauen an einem Ort zusammen arbeiten. Und das gilt auch für Lehrer-Kollegien. Über dieses Thema wird kaum gesprochen, die Schulverwaltungen vermeiden das so weit wie möglich. Dabei kommt es gewissermaßen sowohl „subakut“ wie auch „akut“ häufig vor, um mit medizinischen Ausdrücken zu sprechen, und kann zu Spannungen und zu Mobbing untereinander führen. Über einen solchen Fall möchte ich jetzt diskret sprechen.

 

Vor einigen Monaten kam eine hübsche, junge, unverheiratete Lehrerin zu uns an die Schule. Sie ist aber nicht nur hübsch, sie ist auch erfahren darin, Verehrer um sich zu sammeln, diese an der langen Leine zu führen, sie gegeneinander auszuspielen und andere, ihr missliebige Kollegen zu mobben. Kaum war sie da, so entflammten gleich mehrere Kollegen für sie und sie scheint, nach meinen diskreten Beobachtungen, auch mehrere erhört zu haben. Wieweit das an einer Schule passend ist, ist eine andere Frage. Selbst Schüler haben nach dem, was ich so hörte, bereits diesbezüglich Beobachtungen gemacht. Aber das wäre alles mehr eine private Angelegenheit unter den anderen Kollegen, wenn diese junge Kollegin nicht auch Schulpolitik zu ihren Gunsten machen würde.

 

Zu ihren Verehrern gehört auch der zweite Konrektor, der für die Stundenpläne verantwortlich ist. Und es fällt auf, dass sie am wenigsten Vertretungsstunden aufgebrummt bekommt und wenn, unter sehr günstigen Bedingungen. Sie bekommt weiter nur pflegeleichte Klassen zur Klassenführung zugeteilt. In der Klassenführung wird sie von verschiedenen Kollegen freiwillig unterstützt. Wenn sie Klassenarbeiten schreiben möchte, dann überlassen ihr Kollegen sofort die besten Termine. Und man munkelt, dass ihr sogar ein Teil der Korrekturen abgenommen werde. Einige Kollegen überlassen ihr regelmäßig ihre Stundenvorbereitungen usw...

 

Unser Musiklehrer, er ist verheiratet und Musiklehrer sind ja häufig feinfühlige Menschen, fand in ihr den Frauentyp, der ihm schon immer vorgeschwebt hat. Er hat sie in Cafes eingeladen, hat viele Stunden sehnsüchtig vor ihrem Fenster gestanden und empor geblickt, bis seine Frau zu unserem Chef gegangen ist und ihn gebeten hat, diese Kollegien versetzen zu helfen, denn sie möchte ihre Ehe nicht weiter gefährdet sehen. Der Chef hat aber nur verlegen gelacht und gesagt, solche Gefühle seinen eben menschlich und auch an Schulen „menschele“ es eben. Er könne auf solch einem Feld nichts machen... Vielleicht gehört er ja selber zu den heimlichen Verehrern dieser heimlichen Königin und macht es nur geschickter...

 

Und nun kommt das eigentliche Ärgerliche: Die junge Umworbene merkt natürlich, dass nicht alle Kollegen sie umschwärmen und dass einige sogar diesen Zustand nicht für richtig finden. Dadurch fühlt sie sich als Frau abgelehnt. Und wenn wir, die wir uns neutral verhalten, öfter ärgerlich anmahnen, welche Vorteile diese junge Kollegin bekommt und dass deren Vorteile zu unseren Lasten gehen, denn wir müssen die schwierigeren Klassen führen, wir bekommen die weniger günstigen Vertretungsstunden usw., dann erzürnt das diese weibliche graue Eminenz und sie benutzt ihre Werber einschließlich des Konrektors dazu, uns das Leben schwerer zu machen. Bei den Konferenzen widersprechen uns sofort ihre Verehrer, wenn wir eine Meinung äußern, und zwar nur, um uns zu widersprechen. Wir werden vor den Schülern als Lehrer dargestellt, die keine menschliche Wärme ausstrahlten..., kurz, wir werden als die zweite Lehrergarnitur dargestellt... Und ich habe besonders darunter zu kleiden, weil ich angeblich ein völlig gefühlskalter, verknöcherter Mensch wäre.

 

Ich bin jetzt gebeten worden, das hier zur Sprache zu bringen und ebenfalls darauf zu dringen, dass diese junge hübsche und raffinierte Lehrerin an eine andere Schule versetzt wird... Dort mag sie ihre Fäden ziehen, hier reicht es. Vielleicht sollte man sie überhaupt pauschal alle 2 Jahre versetzten, bis sie heiratet, Kinder bekommt und aus dem Schulleben ausscheidet...

 

Sokrates denkt schmunzelnd: Also auch das gibt es an deutschen Schulen, nicht nur früher in unserer altgriechischen Sagenwelt... Das sieht ja fast so aus wie damals die Vorbedingungen zum Kampf um Troja... Die junge hübsche Frau als Unruhestifter... Aber es stimmt vermutlich: Solche menschlichen Beziehungsfragen innerhalb eines Kollegiums dürften nur ungern von den Schulverwaltungen aufgegriffen werden... Und wie sollten sich diese dann verhalten, welche Entscheidungen treffen? Eigentlich könnte man solche Probleme tatsächlich nur so lösen, dass man solche jungen, raffinierten, geschickten Lehrerinnen aus dem Schuldienst entfernt... Aber das ist juristisch nicht durchsetzbar... Das ist ein schwieriger Fall von „menscheln“ innerhalb eines Kollegiums... Hier könnte wieder nur ein starker Schulleiter vor Ort die Extreme mildern. Aber der Schulleiter dieser Schule gehört offensichtlich auch nicht zu den konsequenten und starken Persönlichkeiten...

 

Die Sprechstunde des „Ombudsmannes“ der Schulverwaltung ist damit beendet. Der Schlichter will seine Notizen zurück an seine übergeordnete Dienststelle mitnehmen, mit Fachreferenten darüber sprechen und dann versuchen, helfende Maßnahmen und vor allem Gespräche mit den Schulleitern einzuleiten. Er sagt noch zu Sokrates vor der Tür:

 

Der Ombudsmann/Schlichter: Das waren wieder interessante Beschwerden und Mobbing-Fälle. Natürlich gibt es noch viele andere Möglichkeiten, wo und wie sich Mobbing abspielen kann, wobei die Felder von Mobbing unter Männern meistens etwas anders gestaltet sind als unter Frauen. Bei Mobbing durch Männer handelt es sich mehr um Verursacher, die entweder eine aggressive oder rechthaberische Natur haben oder die sich und ihre Meinung für den Nabel der Welt halten. Bei Mobbing unter Frauen handelt es sich mehr um die Gefühlsebene und um menschliches Anerkanntwerden... Zur nächsten Aussprechstunde sollte ich wieder einmal nur Lehrerinnen einladen, die sich gemobbt fühlen...

 

Dass solche Spannungen innerhalb von Lehrer-Kollegien vorkommen, ist nicht zu verhindern. Es „menschelt“ eben auch unter Lehrern. Dass sich derartige Spannungen aber zu solchen Intensitäten aufbauen, ist meistens nur unter schwachen oder gleichgültigen Schulleitungen möglich. Hier liegt deshalb auch der Hauptansatzpunkt für ihre Bearbeitung und Minderung. Man muss zuerst mit den jeweiligen Schulleitern sprechen. Und das werde ich auch tun... Im Extremfall müssten eigentlich einige solcher unfähigen, schwachen oder bequemen Schulleiter ausgewechselt werden... Aber bis das geschieht...

 

Damit geht er, und Sokrates, der eine andere Richtung einschlägt, denkt dasselbe. Er hält den geplanten Weg des Ombudsmannes für richtig und möchte auf eine genauere Eigenbeurteilung der gehörten Fälle deshalb verzichten. Allein schon ein neutraler Bericht über diese Sitzung genügt nach seiner Meinung. Und der liegt hier ja vor.   

 

(Aufgeschrieben von discipulus socratis, der ebenfalls mit dabei saß. Er möchte hinzufügen, dass die mitgeteilten Fälle keine erdichteten Fälle sind, sondern dass er einiges Ähnliche in seiner früheren Zeit als Lehrer selber erlebt hat und dass er andere ähnliche Fälle von Lehrern glaubwürdig gehört hat - auch einen ähnlichen Fall wie der mit der jungen hübschen Lehrerin, die damals übrigens tatsächlich versetzt wurde)

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.03.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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