Hermann Weigl

Die Drachenreiter von Arctera (Teil 10)

Als ihn der Drache passierte, warf ihn der Luftdruck beinahe um. Der Wind zerrte an seinen Haaren und Mantel. Erneut wendete das Fabelwesen, kam zurück und ging mit ein paar Schlägen seiner ledernen Schwingen etwa ein Dutzend Schritte neben ihm nieder.
Etwas war anders an diesem Drachen. Er war nicht nach der gleitenden Art eines Vogels gelandet, sondern mit dem Flügelschlag einer Fledermaus, die ihn kurz bevor er den Boden berührte beinahe auf der Stelle verweilen ließ.
Der Prinz betrachtete voller Ehrfurcht das mächtige Fabelwesen, das ihn nun aus feuerroten Augen ansah. Die Schultern waren breiter als bei allen anderen Drachen, die Tarrabas gesehen hatte. Mächtige Muskeln schwollen unter dem tiefschwarzen Schuppenpanzer. Beine, Klauen und Krallen wirkten so kräftig, als könnten sie mit einem einzigen Hieb einen Baumstamm zertrümmern.
Ein Schauer lief über den Rücken des Prinzen, und seine Kopfhaut begann zu prickeln. Nie zuvor hatte er ein Lebewesen gesehen, das Kraft und Eleganz in so vollendeter Form in sich vereinte.
 „Ich bin Zarn“, sagte der Drache mit tiefer Stimme. „Prinz Tarrabas, ich habe meine Wahl getroffen. Nun will ich Eure Antwort hören. Willigt Ihr in das Bündnis ein?“
„Ja“, antwortete der Prinz mit lauter Stimme, aus der sein ganzer Stolz klang. „Ja. Ich willige ein.“
„Ehre, Mut und Vertrauen - bis in den Tod.“
„Ehre, Mut und Vertrauen - bis in den Tod“, wiederholte der Prinz.
Der schwarze Drache richtete sich nun auf die Hinterbeine auf, und breitete seine mächtigen Schwingen aus. Hoch wie ein Wehrturm ragte er vor Tarrabas auf, und seine Flügel füllten den ganzen Blickwinkel des Prinzen aus. Tarrabas sah, dass sich die ledernen Flügel über Knochen spannten, die so stark wie Baumstämme waren, und armdicke Adern, welche die Flughäute durchzogen. Das Fabelwesen reckte den Hals senkrecht nach oben, riss das Maul auf und gab ein markerschütterndes Gebrüll von sich, das dem Prinzen einen Schauder der Ehrfurcht über den Rücken trieb.
Der Widerhall des Gebrülls wurde von den fernen Bergen zurückgeworfen.
Der Drache verweilte eine Zeitlang in dieser Position, und nun fielen alle anderen mit ihren Stimmen ein. Als die Rufe der Fabelwesen verstummten, und das Echo zwischen den Bergen verhallte, ließ sich der Drache wieder auf alle Viere nieder.
Der Reigen um den nahe gelegenen Gipfel begann sich aufzulösen, und die Schar der Fabelwesen glitt herüber, und ließ sich rund um den Prinzen und den schwarzen Drachen nieder.
 „Der erste gemeinsame Flug besiegelt den Bund“, sagte Zarn.

Kurze Zeit später standen Tarrabas und Elisabietha erneut vor dem weißen Drachen.
Das Oberhaupt sah den Prinzen an und sagte: „Es erfüllt mein Herz mit Freude, wenn ich sehe, dass seit unermesslichen Zeiten nun zum zweiten Mal in so kurzer Zeit der Bund zwischen einem Menschen und einem Dachen geschlossen wurde. Möge dies ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Wege zur Erfüllung der Prophezeiung sein.“
„Es ist an mir, zu danken, Majestät“, sagte der Prinz mit feierlicher Stimme. „Ich betrachte es als außerordentliche Ehre und Auszeichnung zugleich, der Verbündete eines so majestätischen Wesens zu sein, eines Geschöpfes voller Schönheit und Kraft.“
„Ich bin mir nun sicher, dass wir die richtige Wahl getroffen haben. Kehrt jetzt zurück zu Euresgleichen, und tut alles was in Eurer Macht steht, um den Frieden unter die Menschen zu bringen. Wir wollen wieder in unsere ursprüngliche Heimat zurückkehren. All unsere Hoffnung liegt nun auf Euch. Unari und Zarn werden Euch beschützen und bei Euren Aufgaben helfen, wo immer dies möglich ist. Und Ihr seid beim Volk der Drachen immer willkommen.“
Und damit verabschiedeten sich die jungen Königskinder, um ihre lange Rückreise anzutreten.

Unari und Zarn wandten sich nach Südwesten, flogen das lange Tal entlang, durch das sie am Vortag hierher gelangt waren. Zu Elisabiethas Überraschung verlangsamten die Drachen aber ihren Flug und steuerten eine Stelle an einer steil abfallenden Felswand an, in der sich eine gewaltige Höhlenöffnung auftat.
„Unari, was hat das zu bedeuten?“
„Der König gab mir den Auftrag, dich zu einer bestimmten Stelle zu bringen.“
Die Drachen flogen in die Kaverne ein und landeten auf einer steinernen Plattform, die gegenüber dem Eingang in großer Höhe lag.
„Es muss hier eine Steinplatte mit einer Aufschrift geben“, erklärte Unari. „Wir können die Zeichen nicht deuten, aber sie hat dennoch für uns eine tiefe Bedeutung.“
„Unari, kannst du das nicht etwas näher erklären?“
„Es heißt, dass der letzte Mensch, der bei den Drachen gelebt hat, dort sein Erbe hinterlassen hat.“
Elisabietha sah Unari ungläubig an.
„Ein Mensch hat bei euch gelebt?“
„Ja. Aber das ist so lange her, dass die Überlieferung nur äußerst vage ist. Mein König befahl mir, dir diese Stelle zu zeigen. Womöglich ist das Erbe für euch beide von Interesse.“
Gemeinsam suchten sie das Plateau ab, räumten Schutt und Sand beiseite. Die Prinzessin wollte schon beinahe die Hoffnung aufgeben, als Tarrabas einen überraschten Ruf ausstieß.
„Hier! Eine rechteckige Steinplatte.“
Die Prinzessin eilte zu dem Prinzen hinüber, der sich über eine Stelle vor der Rückwand der Höhle beugte. Er wischte die Ablagerungen beiseite, die Jahrhunderte dort hinterlassen hatten.
„Drei Zeichen“, sagte er. „Es ist eine sehr alte Schrift. Wenn ich sie richtig deute, dann heißt das 381.“
„381?“
„Wenn das eine Jahreszahl ist, dann...“
„Prinz“, unterbrach Zarn. „Ihr solltet Euch beeilen. Ein Schneesturm kommt auf. Ich rieche es.“
„Wir werden uns beeilen“, sagte Tarrabas, und wischte den Schutt um die Steinplatte herum beiseite. Dann zog er sein Messer, und führte es in den Spalt zwischen Platte und Boden ein. „Darunter scheint ein Hohlraum zu sein.“ Aus Leibeskräften zerrte er an dem Stein, und es gelang ihm, diesen so weit zu verschieben, dass er mit einer Hand in die Höhlung greifen konnte.
„Majestät, es eilt nun wirklich“, drängte jetzt auch Unari.
Der Prinz zwängte seinen Arm in die Öffnung, und holte unter Mühen ein flaches Bündel hervor, das er Elisabietha reichte. Sie verstaute es sofort in ihrem Bündel, und beobachtete den Prinzen dabei, wie er erneut den Arm in die Öffnung steckte.
„Das war es. Dort ist nichts mehr.“
„Nun kommt. Wir müssen weg.“
Sie stiegen auf die Drachen, die sofort abhoben und aus der Höhle glitten.
Schneeflocken wurden den beiden Reitern entgegen getrieben, und stachen wie spitze Nadeln in ihre Haut.
Elisabietha glaubte, die Kälte nicht ertragen zu können. Trotz der dicken Handschuhe wurden ihre Finger klamm und gefühllos, so dass sie schon befürchtete, sie könne sich nicht mehr ab den Dornenfortsätzen festhalten. Sie presste die Lippen aufeinander, und neigte den Kopf, damit ihr der eisige Fahrtwind weniger anhaben konnte. Langsam kroch die Kälte von den Händen und Füßen weiter auf den Körper zu. Die Prinzessin spürte die Bewegungen der Drachin unter ihr, die sich gegen den immer stärker werdenden Wind anstemmte. Unermüdlich hob und senkte sie ihre Schwingen.
Endlos erschien ihr die Zeit, bis sich der Flügelschlag veränderte, und Unari in einen Kräfte schonenden Gleitflug überging. Die Prinzessin hob den Kopf und sah zu ihrer Überraschung die grünen Wipfel der Bäume unter sich.
Unaris Rücken war an einigen Stellen dick mit Eis und Schnee überzogen.
„Unari, ist alles in Ordnung?“, entfuhr es Elisabietha voller Fürsorge um ihre Freundin.
„Ja“, kam die Antwort. „Ich glaube, wir können Kälte besser ertragen als die Menschen. Aber ich weiß nicht, wo Zarn ist. Ich habe ihn im Sturm verloren.“
Ein eisiger Schrecken durchfuhr die Prinzessin, und sie schaute sich um, ob sie den Drachen irgendwo erkennen konnte.
Aber Zarn war nirgends zu sehen. Hinter sich sah sie nur die weißen Gipfel der Berge, und dahinter türmten sich schwarze Wolken.
„Unari, wir müssen sie suchen.“
„Elisabietha. Ich werde dich zum Tafelberg bringen. Und dann müssen wir abwarten, bis sich der Sturm gelegt hat.“
„Aber wir können sie doch nicht im Stich lassen.“
„Zarn kennt den Weg. Auch er wird den Gipfel aufsuchen.“
„Aber...“
Unari unterbrach sie. „Es hilft ihnen nicht, wenn auch wir uns im Schneesturm verirren.“
Elisabietha schwieg, während die Drachin immer weiter in tiefere Schichten hinab glitt. Die ersten wärmenden Strömungen ließen allmählich Schnee und Eis schmelzen.
Weit voraus hob sich ihr Ziel über das Dach des dampfenden Dschungels hervor, und bald darauf ließ sich Unari mitsamt ihre kostbaren Fracht dort nieder.
Die Prinzessin glitt vom Hals des Drachen, und stürzte auf den Boden. Ihre Beine gehorchten ihr noch nicht richtig.
Nach einer Weile gelang es ihr, wieder aufzustehen, und sie ging nach vorne, um Unari in die Augen sehen zu können.
Sie erschrak beim Anblick der Drachin. „Unari, ist mit dir alles in Ordnung?“
Ihre Augen wirkten trübe, als hätten sich dort Eis uns Schnee für immer festgesetzt.
„Es dauert eine Weile. Ich muss nur etwas ruhen“, sagte die Drachin und schloss die Augen.
„Kann ich irgendetwas für dich tun?“, fragte die Prinzessin, und legte beide Hände liebevoll auf die Augenwülste der Drachin.
„Wärme“, erwiderte Unari.
Die junge Frau nahm ihr Bündel vom Rücken, löste in fieberhafter Eile die Schnüre, und zog die warmen Decken hervor. Diese legte sie über Unaris Kopf und schmiegte sich gegen ihre Freundin.
„Ich bitte Euch, Ihr allmächtigen Götter. Nicht oft wende ich meine Stimme an Euch. Aber jetzt bitte ich Euch, helft diesem liebenswerten Geschöpf.“
Es tat Elisabietha weh, ihre Freundin leiden zu sehen, ohne ihr helfen zu können. Vor der mächtigen Drachin sank sie zu Boden und barg ihr Gesicht in ihren Händen. Tränen strömten darunter hervor.

(C) 2011 Hermann Weigl

Fortsetzung folgt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.03.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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