Verena Aeschbacher-Pieren

Der Postillon von Ledenoun

Ja, ja, Originale gibt es zwar immer seltener, aber zumindest überall.
Unseren Briefträger würde ich nämlich auch dazu zählen. Wir lachen insgeheim immer etwas über ihn, doch sind wir überglücklich, wenn er überhaupt kommt. Die französische Post hat die unangenehme Angewohnheit ab und zu zu streiken und die lieben daheim gebliebenen Schweizer die ebenfalls schlechte Angewohnheit an kleinen Dingen am meisten zu sparen.
Mir bleibt dann das zweifelhafte Vergnügen allfällige Behörden, Banken und andere mehr darüber aufzuklären, dass es die französische Post nicht überaus eilig hat, oder sind es eventuell doch die Schweizer?
Ich konnte bis heute nicht feststellen, wer Schuld hat und wer nicht, denn ein Land schiebt alles Unangenehme aufs andere ab. Mir ist es schlussendlich wurst, wer nun Fehler macht und wer nicht, aber ich möchte allzu gerne, dass man mir wenigstens glaubt, wenn ich etwas sage. Aber nein, ich werde des Öfteren mitleidig angeschaut und die Gedanken der verschiedenen Gegenüber stehen allzu offensichtlich auf deren Stirn und es ist deutlich lesbar: "Märchenerzählerin."
Bei allen umliegenden Ländern der Schweiz wird die Post automatisch schnell versandt, "prioritaire" und wenn man zum Spartarif senden will, muss man dies ausdrücklich wünschen. In der Schweiz ist das Ganze gerade umgekehrt.
Fazit dieser andersartigen Lösung ist, dass wir die Sparpost so nach ca. 25 Tagen erhalten und die Schnellpost in zwei bis 10 Tagen. Auch erfahren die Aussenstehenden von einem Streik nur, wenn es sich um einen landesweiten Streik handelt, aber es gibt auch die regionalen und örtlichen Streiks, die mir eben keiner gerne glauben will. Wegen solcher Dinge müssen wir nun nicht gerade lachen, aber eben unser Postmann ist schon eine spezielle Nummer. Jeden Morgen stellt er sein gelbes Auto mitten auf der Strasse in der Nähe des Dorfplatzes ab und versperrt somit jeglichen Durchgang zum alten Dorfteil. Dann macht er sich hinternschwingend, - er mahnt mich immer an einen Hund den’s schier zerreisst vor Freude, wenn er sein Herrchen wiedersieht - auf in Richtung Bäckerei.
Klar macht er sich erst auf den Arbeitsweg, wenn er gut gestärkt ist. Er holt sich dort sein obligates "Fougasse", eine Blätterteigbretzel mit Speckkrümeln und Kümmel drin. Die schmecken hervorragend, aber sie sind ein bisschen nahrhaft, schwer und fetthaltig. Unser Postmann beisst allerdings mit viel Genuss hinein und stellt sich unweit seines Autos vor ein altes hölzernes Eingangstor, denn dort hängen allerlei Neuigkeiten aus dem Dorfleben aus. Wenn’s dann nichts mehr zu lesen, zu futtern und zu klatschen gibt, macht er sich schlussendlich wackelnd auf, um in sein Fahrzeug zu steigen und endlich die Post auszutragen. Es macht fast den Anschein, dass er einer Lesebrille bedürfte, denn sehr oft vertauscht er seine ganze Post und gibt hier mal was ab und dort auch.
Ruedi machte des öfteren die ‚Feinverteilung’, wenn wir wieder mal Briefe vom halben Quartier erhielten. Wenn Ruedi und ich beide draussen sind, geht er zu Ruedi und drückt ihm die Hand zum Grusse und übergibt ihm auch unsere Postsendungen, mich beachtet er nur im absoluten Notfall, und Händedruck erhielt ich noch keinen. Letzthin kam er nicht darum herum, mir die Briefe zu übergeben, denn zufälligerweise kümmerte ich mich gerade draussen vor dem Tor um die Blumen. Ich überflog schnell die Adressen um sicherzugehen, dass ich nicht Nachbars Briefe öffnete. Unser Briefträger kam wieder retour um sich zu seinem Auto zu begeben und sagte im Vorbeigehen:
"Ach, übrigens, es war ein Einschreiben dabei, aber ich habe für Sie unterschrieben, denn das geht schneller und einfacher."
Vor diesen erklärenden Worten hatte ich mich des öfteren gewundert, warum ich Scheckbüchlein, Bankkarten und sonstige Einschreiben stets nur wie Normalpost im Briefkasten vorfand. Ich führte diese Vorgehensweise auf die Computeraufdrucke mit unscheinbaren Nummern zurück. Heute allerdings weiss ich, dass wir einen Vormund haben, der für uns unterschreibt. Seither haben wir eben etwas mehr zum Lachen. Solange nichts passiert, lasse ich dem eifrigen Briefträger seine übereifrige Schreiberei durchgehen, und falls mal was ist, müssen wir halt dann kurz zusammen reden. Wenn er Geld auszahlen muss, tut er dies auch auf eigenwillige Art. Es kann also gut vorkommen, dass er nur die Francs auszahlt und bei den Centimes die Schultern zuckt und meint: "Ich habe kein Kleingeld dabei."
Gut, akzeptiert! Allerdings machte ich es beim nächsten Mal auch so: Als er wieder einmal nur die Francs auszahlte, allerdings dieses Mal noch etwas in Centimes zurückerhalten sollte, passte ich mich an seinem Prinzip an und meinte: Tut mir leid, ich habe kein Kleingeld dabei." Er akzeptierte diesen Spruch ohne aufzumucken.
Als wir gerade eben von der Schweiz nach Frankreich gezogen waren, erhielten wir ab und an noch nachgesandte Postsendungen aus der Schweiz. Die emsigen Beamten dort drückten jeweils den Taxstempel drauf und notierten den fehlenden Betrag. Ich habe keine Ahnung, ob unser Briefträger jemals von solchem Vorgehen Kenntnis hatte, denn er traf kein einziges Mal Anstalten den ausstehenden Betrag auch einzufordern. Von dieser Schlampigkeit machen wir nun ab und zu Gebrauch, denn schliesslich muss unsere Feinverteilung für die französische Post auch irgendwie ein bisschen honoriert werden. Ich sagte des Öfteren zu Leuten, die uns grössere Kuverts, dickere Briefsendungen schicken wollen: "Nehmt es mit dem Frankieren nicht allzu genau, denn auf unseren Postboten ist Verlass"
Das heisst: Frankiert nur ein bisschen und vergesst den Absender! Die Schweizer Post macht in gelernter Manier den Taxstempel drauf und unser Briefträger wedelt in gekonnter Manier zum Briefkasten und wirft die unterfrankierte Sendung in den Kasten, denn schliesslich geht das schneller und einfacher, wie er bei den Einschreiben bemerkte.
Fairerweise muss ich noch beifügen, dass der Postbote nicht der einzige war, der den "schnelleren Weg" wählte. Nein, auch bei einem Besuch in der Apotheke funktionierte das Unterschreiben so. Bei den ersten Besuchen in der "Pharmacie" achtete ich nicht so auf das bürokratische Geschehen. Aber nachdem ich mehrmals hatte meine Arztrechnungen an die Krankenversicherung einsenden müssen, wusste ich, dass ich ein Formular auszufüllen hatte und dieses auch unterschreiben musste. Natürlich verhielt es sich mit den Apothekenscheinen genauso. Als ich wieder einmal ein Schmerzmittel aus der Apotheke holen musste und die Bedienung mich fragte, ob sie den Schein selber an die Krankenkassen schicken sollte, sagte ich "ja". Der Schein wurde zu den anderen Akten gelegt und ich mit freundlichem Lächeln verabschiedet. Ich war etwas erstaunt und fragte, ob ich den Schein denn nicht unterschreiben müsste.
"Ah, non, non, das habe ich bereits für Sie getan."
"Mit meinem Namen?"
"Bien sûr." Man war erstaunt, dass ich so etwas Dummes fragen konnte.
"Ja aber das können Sie doch nicht machen, denn Sie heissen ja nicht wie ich."
"Aha, dann gebe ich Ihnen den Schein natürlich zurück und Sie unterschreiben selber."
Ich schüttelte etwas verblüfft den Kopf, denn bevor ich nach Frankreich kam, wusste ich gar nicht, dass ich einen Vormund hatte.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.03.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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