Helge Goldhahn

... Haschen nach Staub ...

 

„Papa, wo kommt der Staub her?“
Nun ja, ich hatte natürlich auch das allwissende Buch gelesen, das jeder Vater zur Geburt seines Sohnes erhält, in dem die Antworten auf all die wichtigen Fragen stehen, mit denen man konfrontiert wird und ich hätte auch mühelos erklären können, warum ein Reh ein Reh ist und warum Magdeburg genau 278 km von Hamburg entfernt liegt. Ja, sogar warum Mama und Papa sich lieb haben, auch wenn sie sich streiten, konnte ich im Bedarfsfall erklären; aber wo der Staub herkommt? Diese Frage brachte mich doch ins Straucheln. Den Woher-Fragenblock hatten sie in meinem Buch ausgelassen.
 
Evolution als Standardantwort auf Woher-Fragen fiel in diesem Fall wohl eher aus. Dann schon eher Umwandlung, so chemisch-physikalisch. Vielleicht war unser grauer Staub hier nur verrotteter Feenstaub, mit dem diese anmutigen Wesen unermüdlich und überall um sich warfen. So eine Art Märchenrestmüll zum Anfassen. Das würde ihn etwas erträglicher machen.
 
„Mama meint ja, dass er zumindest immer dann am dicksten liegt, wenn man ihn am wenigstens braucht, wie zum Beispiel, wenn Tante Erna überraschend zu einem ihrer Blitz-Besuche kommt“, sage ich laut, um mir eine Denkpause zu verschaffen.
Was ich nicht sagte war, dass meine Frau auch meint, dass er einfach aus dem Teppich kommt, gleichsam als Produkt der fortwährenden Reibung der einzelnen Fasern aneinander. Er würde sich dann aus diesen Staubfabriken still und doch unaufhaltsam in die restliche Wohnung ergießen. Ich weiß nicht warum, aber irgendetwas in mir konnte das nicht glauben. Vielleicht, weil ich die größten Staubflocken immer auf glatten Fußböden finde, wo es weit und breit keinen Teppich gibt oder einfach - weil meine Frau das gesagt hat.
 
Angestrengt suchte ich weiter nach einer Antwort. Vielleicht fällt er, von den gewaltigen Masse unserer Erdkugel aus den näheren Untiefen des uns umgebenden Weltalls angezogen, auf uns. Das würde zwar erklären, wie er zu uns gelangt, aber seine Herkunft bliebe weiterhin im galaktischen Dunkel.
 
Vielleicht ist seine Herkunft auch nicht zu erklären und er kommt nirgendwoher. Er war schon immer da. Eines der Urelemente. Er entsteht nicht, er sammelt sich nur, um dann in einem Anfall von Aktionismus - oder systematisch jeden Freitag - aus dem Fenster geschüttelt zu werden und erneut in die Wohnung zu flattern und sich anzusammeln: Ein geheimnisvoller, ewiger Kreislauf, dem wir nicht entkommen können bis unser endloses Haschen nach Staub ein Ende gefunden haben wird und wir zu dem zurückkehren, von dem wir genommen sind: STAUB!
Bei diesem Gedanken sehe ich, wie ein besonders großer Staub-Elefant sich majestätisch unter dem Schrank hervorwalzt. Ich bin ich sonderbar berührt und muss unweigerlich an Tante Erna denken.
 
Ich fühle, wie sich der fordernde wissensdurstige Blick meines Sohnes in mein Gesicht brennt. Es gibt kein Entrinnen mehr, eine Antwort muss her. Jetzt und hier. Nun, denn: „Weißt du mein Junge, der Staub kommt – na ja – einfach unterm Schrank vor, wo er sich versteckt hält, um dann in unpassenden Momenten aufzutauchen. – So wie Tante Erna.“

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Helge Goldhahn).
Der Beitrag wurde von Helge Goldhahn auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.03.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Helge Goldhahn als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Frauen prägen. Lyrische Reflexionen von Rainer Tiemann



In seinem Buch "Frauen prägen" beschreibt Rainer Tiemann in nachdenkenswerten Gedichten und Kurzgeschichten Schritte durch eine Welt, die immer stärker von Frauen geprägt wird. Es zeigt seine starke Verbundenheit zur Institution Familie und zu Menschen. Das Buch regt dazu an, über uns, unsere Welt und unsere Mitmenschen, über Umwelt und Natur zu reflektieren. Viele positive, persönliche Erinnerungen möchte der Autor mit "Frauen prägen" als Appell für mehr Menschlichkeit in diesem Buch umsetzen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Leben mit Kindern" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Helge Goldhahn

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Tod einer Null von Helge Goldhahn (Skurriles)
Klein Martin möcht Sankt Martin sein von Christa Astl (Leben mit Kindern)
A Tear von Sara Puorger (English Stories)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen