Helena Ugrenovic

Auf, auf ihr Hasen, hört ihr nicht den Jäger blasen...?

Spielt der General mit ihren Balkan-Freundinnen das “meines-war-das-Beste-Baby-Poker-Spiel“, ist sie die offizielle Siegerin, zumal ich das pflegeleichteste aller Babys oder Kleinkinder des anwesenden Frauenclubs war. Ich war, was man so nennt, ein überaus liebenswürdiges, ruhiges, immerzu schlafendes, essendes und munteres Baby, welches auch die hässlichsten Menschen angrinste und das weder seinen Eltern noch Babysittern, Sorgen oder grosse Arbeit bereitete. Sprich, ich war langweilig wie eine alte Socke. Die Bisswütigkeit, einziger Actionpunkt meiner Babyblütezeit, die sich mit dem Wachstum der ersten Zähnen entwickelt hatte, wurde soweit belächelt, bis ich einer Cousine ein Stück Fleisch aus ihrem linken Unterarm herausgebissen hatte. Die brüllende Cousine wurde von der grauen Eminenz dazu autorisiert, mich zurück zu beissen, damit ich spürte, wie grausam so was weh tat. Bis heute habe ich weder der Cousine noch der grauen Eminenz diese Gemeinheit verziehen.

Eine weiterer Pluspunkt, der dem General den Sieg des Spiels garantierte, ist der, dass, unabhängig der Uhrzeit, wann ich Abends ins Bett gefallen war, beim ersten Hahnenschrei des Generals, wenn sie mein Zimmer stürmte, ich aus dem Bett sprang und salutierte. Keine ihrer Balkan-Freundinnen war mit so einem wunderbaren Kind gesegnet, wie es der General mit mir war. Folgendermassen verhielten sich auch ihre Prophezeiungen, während meiner Schwangerschaft und ich eine randalierende Zuckertaube in meinem Ballon-Bauch mit mir herumschleppte.

“Du wirst sehen, sie wird genau so ruhig und lieb sein wie Du, warts nur ab!“ “Und warum prügelt sie sich dann mit der Nabelschnur?“ ächzte ich und versuchte vergebens, ein Babyknie, welches als Beule aus meiner Bauchdecke herausragte, wieder weg zu drücken. “Du hast genau so gestrampelt und warst richtig wild. Im Tram haben mir unbekannte Menschen auf meinen Bauch gestarrt, weil der auf und ab gehüpft ist. Warst aber trotzdem ein liebes und ruhiges Baby! Wirst schon sehen...sie wird so wie Du!“, waren die lapidaren Abfertigungssätze eines stolzen, zukünftigen Oma-Generals. Es war so etwas wie das Amen in der Kirche, an welchem sie eisern festhielt.

Auch dann als......ein Zuckerbaby elf Monate lang neun Mal in der Nacht wie am Spiess brüllte, weil es vor Hunger immer gereizter, vor Futter immer runder wurde und ich nach diesen neun Monaten wie “Alice Cooper“ aussah...sie keine Sekunde stillsitzen konnte, sondern sämtliche Gegenstände die sie, mit jedem weiteren Zentimeter an Grüsse, greifen und auf dem Boden verstreuen konnte...ich sie im Boogie durch Basels Boutiquen kutschierte und sie einen Arm frech von sich streckte um damit alle Klamotten noch frecher von den Stangen zu rupfen...sie einen Schneemann geformt und diesen klammheimlich in den Kühlschrank gestellt hatte, weil er sich sonst draussen in dunkler Nacht jämmerlich gefürchtet hätte -die Überschwemmung im Kühlschrank nutzte sie dafür, ihre Plastikenten darin zu schaukeln...sie ihr Zimmerfenster mit milchigem Kleber vollgeschmiert hatte, damit dieses so aussah wie in Grimm´s Wintermärchen, obwohl es Juli war und die Sonne vom Himmel lachte...ich sie am Morgen nicht wachrütteln konnte und ihren Körper nach einem schlagenden Puls abtaste, um herauszufinden, ob sie noch atmete.

Nichts, keine Bosheit und keine Gemeinheit eines Babys, konnten den General von ihrer Theorie abbringen, mein Baby sei so wie ich und wenn es das jetzt nicht wäre, würde es das bestimmt noch werden, da es jetzt noch ein Liliputaner sei und später, mit zunehmendem Alter und grösserem Verständnis, alles besser werden würde. Ich würde schon sehen.

Es wurde nicht besser, es wurde nur anders. Ich sah es nicht nur, ich erlebte es.

“Warum schläft dieses Kind nicht spätestens um 21.00 Uhr wie alle anderen Kinder? Dann würde sie auch am Morgen besser aufstehen“, giftete der General bei einem ihrer Kontrollbesuche.
“Weil dieses Kind womöglich nicht so ist, wie alle anderen Kinder. Sie ist eine andere Spezies; das habe ich immer schon gesagt. Aber mir glaubt ja keiner!“, giftete ich zurück. Ich hätte Zuckertaube egal um welche Uhrzeit ins Bett legen, in den Schlaf singen oder mit einem Hammer niederhauen können - geändert hätte es nichts. Ihrem Biorhythmus war es schnuppe, wann er sich schlafen legte. Morgens vor 10 Uhr konnten sie weder ein Kriegstrupp noch Paukengehaue aus dem Bett jagen. Und falls es “Principessa“ doch genehm war, sich aus dem Daunenberg zu pellen, dann nur unter Höchstaufbietung psychischer und geistiger Kräfte des Weckdienstes.

“Aufstehen Zuckertaube.“
Grunzen.
“Zuckertaube...Klingeling...Du musst aufstehen...“
Weiteres Grunzen.
“Heij, Zuckermieze...es ist Zeit aufzustehen...ein neuer Tag, ein neues Glück! Juhui!“
Ein verächtliches Grunzen, ein Auge 50 Prozent geöffnet.
“Geh´ weg!“
“Geht nicht. Ich wohne hier.“
“Oh Mann! Lass mich!“ Sie wird langsam wütend. Ich liebe es, sie zu nerven.
Zwei Mal Grunzen, eine Drehung, Decke über den Kopf gezogen.
“Zuckertaube, Allerliebste, Herzkäfer, Schmusekätzchen....es ist Zeit für den morgendlichen Drill. Steh´ auf.....bitteeeee!!!“ Ignoration. Schlimmer als Grunzen und Flüche.
10 Minuten später, nach zwei Tassen Kaffe, einer Zigarette und der morgendlichen Lektüre meines Tageshoroskops.
“Zuckerschnecke....aufstehen, Du kommst sonst zu spät.“
Wütendes Schnaufen.
“Ich sage es nur noch einmal. Steh´ auf. Jetzt. Sofort, ist das klar?“ Der Moment, wenn sie anfängt, mich zu nerven.
“Jo Mann!“
Wütendes Getrampel, Blick auf die Uhr.
“Die Uhr geht sowieso vor! Ich habe eh noch Zeit! Warum laufen bei uns zu Hause alle Uhren falsch? Andere Mütter machen so was nicht!“
Zwei Überlegungen: Soll ich beleidigt sein? Oder reicht eine schnippische Antwort? Ich entscheide mich für die schnippische Antwort.
“Andere Mütter wecken ihre Kinder mit einer Ohrfeige, falls sie überhaupt aufstehen, um ihre Kinder zu wecken und diese nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.“
Ihre Aussage ist falsch. Es gibt doch eine Uhr, die richtig läuft. Die am Videogerät. Doch diese zu sehen, bedurfte der Tatsache, aufzustehen und ins Wohnzimmer zu laufen.
“Wo sind meine Hosen?“ Brüllen aus dem Kinderzimmer.
“Dort, wo Du sie gestern Abend hingelegt hast.“ Ich versuche mich unter Kontrolle zu halten.
“Meinst Du, ich weiss, wo ich sie hingelegt habe?“ Gepolter aus dem Kinderzimmer.
“Solltest Du.“ Mit Atemübungen hauche ich meinem Geist Ruhe ein.
“Wo ist der blaue Pulli??“ Verzweiflung aus dem Kinderzimmer.
“Dort, wo Du ihn gestern Abend hingelegt hast.“ Die Atemübungen helfen wenig.
“Warum gibst Du mir immer die gleichen doofen Antworten?“ Schranktüren werden laut zugeschlagen.
“Weil Du immer die gleichen doofen Fragen stellst.“
“Willst Du mich beleidigen?“ Schnauben aus dem Kinderzimmer.
“Willst Du meine Nerven gänzlich ruinieren?“ Ich atme ein. Ich atme aus.
“Oh Scheisse, wo ist mein Rucksack?“ Im Kinderzimmer wird Mobiliar verschoben.
“Vielleicht im Wäschekorb? Auf dem Balkon? Im Schuhschrank? Vielleicht ist er abgehauen?“ Man konnte nie wissen.
“Ha, ha, ha...sauwitzig Mama echt!“ Eine Wolke beleidigter Luft verteilt sich über alle Zimmer unseres bescheidenen Heims.
Ein Schrei, Wolfsgeheul.
“Oh Maaaaaannnn! Ich komme zu spät! Warum sagst du nichts? Immer komme ich zu spät! Und diese Hose ist saublöd! Was mach´ ich jetzt? Hä?“ Jammern aus dem Kinderzimmer.
“Zieh´ eine andere an.“ Ich forme Rauchkringel und beobachte, wie diese langsam in der Luft verpuffen. Ist eine weitere Entspannungsmethode.
“Ich habe keine! Ich habe nichts! Ich habe keine Pullis, nichts! Ich habe keine Kleider! Mann, was mache ich jetzt??“ Heulen aus dem Kinderzimmer. Die Zeit läuft. Die Rauchkringel schweben über meinem Kopf. Ich verkneife mir eine Antwort. Einem Kind den Kopf in den Kleiderschrank zu halten und es zu zwingen, dem Berg Klamotten, der sich dank Grosseltern und weiterer Familienmitglieder angehäuft hatte, ins Auge zu sehen, würde nichts nützen. Stampfen. Angezogen steht Zuckertaube neben mir. Wahrscheinlich hat sie irgendwo in ihrem Zimmer eine Eule versteckt, wie Aschenbrödel eine Nuss geknackt und -schwupps- war sie neu eingekleidet. Ich liebe Märchen.
“Du hast ja Klamotten. Wo liegt das Problem?“ Friedlich hänge ich zwischen zwei Stühlen und rauche eine weitere Zigarette. Alles wird Gut. In wenigen Minuten ist sie weg.
“Ha! Ich habe saublöde Klamotten! Wenigstens habe ich den Rucksack gefunden.“ Hastiges Wühlen im Rucksack.
“Und wo war der gute alte Rucksack?“ Ich bin neugierig.
“Unter meinem Bett.“ Sie würdigt mich keines Blickes. Ich kann damit leben.
“Aha. Und was sucht Madam jetzt?“
“Mein Heft! Wo ist mein Heft? Wer hat mein Heft gestohlen? Immer werft ihr meine Hefte weg! Das war sicher Oma! Oder Du! Warst Du es?“ Die tränenverschleierten Augen stehen ihr sehr gut, meiner kleinen, süssen Zuckertaube.
“Ich?“, ich forme weitere Kringel:“ ich habe weder etwas weggeworfen, noch angefasst. Ich sehe Deine Hefte.“ Sie platzt vor Wut. Ich geniesse die Situation, die Stärkere von uns zu sein.
“Wo sind sie? Wo sind sie?! Sag, sag, sag! Oh Mann! Ich komme zu spät! Schon wieder! Wo sind sie? Sind sie auf dem Tisch?“ Ungeduldig hastet ihr Blick über den Tisch.
“Kalt.“ Hauche ich.
“Hä?“
“Kalt, Baby. Auf dem Tisch sind sie nicht.“
“Wo dann, Mann! Hör auf damit! Wo dann? Auf dem Boden? Hast Du sie auf den Boden geworfen?“
“Zwei Mal Kalt.“ Ich schlürfe an meiner Chicco D´Oro Auslese. Sie schmeckt wunderbar und passt perfekt zu meiner Zigarette.
“Uuuuhhhhh!!!! Du näääääärrrrvvvvvsch!!! Was meinst Du damit? Ich komme zu spät!“ Ich ignoriere die Tatsache, dass sie mir am liebsten an die Kehle springen würde.
“Einmal Kalt für: Auf dem Boden sind sie nicht. Ein weiteres Mal Kalt für: Ich habe sie nicht auf den Boden geworfen, würden sie dort liegen. Was sie aber nicht tun.“ Ich blühe auf.
“Wo sind sie dann?“ Ihr Kopf dreht sich wie ein Kreisel. Beim 45 Grad Winkel nach links, von mir aus gesehen, werfe ich: “warm,“ ein.
“Warm? Oh Mann, du nervst wirklich! Was meinst Du mit warm??!“ Sie tobt.
“Na ja, du hast nach links geblickt. Von mir aus gesehen. Und irgendwo in dieser Gegend, könnten Deine Hefte liegen.“ Ich gebe ihr zu viele Anhaltspunkte. Sie hat eine Strafe verdient, für ihren morgendlichen Sadismus an meiner Person.
Sie findet die Hefte und greift gierig danach.
“Yeah Baby, yeah! Gaaaanz heiss! Du hast es geschafft! Ist das nicht cool?“ Noch eine Minute, höchstens, und ich konnte meine Ruhe geniessen. Himmlische, wundervolle Ruhe.
Die Türe knallt an die Wand und Zuckertaube hastet die Treppe hinunter, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her. Ihr Gezische kann ich nicht einordnen. Hat sie “Ciao Mam“ gesagt oder hat sie “Scheiss Mam“ gemeint?

Egal. Sie war weg. Mit ihr der Stress.

Seit Zuckertaube dem Job einer Schülerin nachgeht, also seit acht Jahren, rechne ich den Kindergarten mit ein, spielt sich jeden Morgen das gleiche Drama ab, treibt sie meinen Blutdruck in die Höhe und balanciert haarscharf an der Grenze vorbei, von mir so richtig und mit Wonne verprügelt zu werden.

Seit acht Jahren strapaziert sie meine Nerven. Seit acht Jahren nervt der General mich mit ihrer Suggestion “Sie wird so wie Du, warts nur ab! Ist sie grösser, wird sie besser! Warts nur ab! Du wirst Dich noch an meine Worte erinnern“.

Ja. Sie hat Recht. Jeden Tag aufs Neue erinnere ich mich an die Sätze des Generals und frage mich ernsthaft, ob sie mich damit wohl verflucht hat, als sie diese zum ersten Mal ausgesprochen hat. Denn in nichts, was schlafen gehen oder aufstehen betrifft, ist meine Zuckertaube mir ähnlich. Sie boykottiert munter Schlafenszeiten, ignoriert frech Aufstehzeiten und quält mich tagein, tagaus mit ihrem morgendlichen Stressritual. Kein Morgen, an welchem wir nicht Hosen, Pullis, Schlüssel, Kulis, Socken oder vom Erdboden verschluckte Unterwäsche suchen.

Kein Morgen, an dem ich mir nicht überlege, eine Wachspuppe zu kneten, dieser das Antlitz des Generals zu verpassen, mit zwei Schachteln Nadeln zu verpieksen und nebenbei über einem dampfendem Kochtopf einen Hahn zu köpfen. Vielleicht würde Voodoo helfen.

Vielleicht.

Vielleicht sollte ich mich einfach mit der Tatsache abfinden, dass Zuckertaube nicht so ist wie ich und das Gerede des Generals lediglich dazu diente und dient, etwas zu projizieren, dessen Chancen gleich Null stehen, immer schon standen.

Vielleicht sollte ich einen Cannabis-Strauch züchten, eine halbe Stunde früher als Zuckertaube aufstehen, ein paar Blätter davon abrupfen, einen Joint drehen und diesen in zwei Zügen bis zum Filter wegsaugen.

Das würde wahrscheinlich eher dabei helfen, die noch folgenden Schuljahre einer Zuckertaube, ohne grossen Schaden zu überstehen.

Vielleicht.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.02.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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