Wanderung zur Rudersburg
Nach zwei Regentagen kündigt sich ein freundlicher Sonnentag an. Um 9 Uhr stecken die Berggipfel noch in den Wolken, aber ich habe ja Zeit und kein bestimmtes Ziel – nur hinaus, hinauf. Anfahrtswege sind ohne Auto nicht möglich, aber die Berge beginnen gleich hinterm Haus. Fünf Minuten, und das letzte Haus bleibt zurück.
Das weiße, mäßig ansteigende Band einer Sandstraße, gesäumt von dürrem Vorjahrslaub, führt mich rasch aufwärts. Links und rechts begrüßen mich erste Frühjahrsblüher: Leberblümchen, Buschwindröschen, Huflattich, vereinzelte bereits verblühte Schneerosen, erste Himmelschlüssel und Lungenkraut. Geheimnisvolle Stille liegt über allem, erwartungsvolle Vorfrühlingsfreude. Nur das heisere Gekrächze eines Raben verrät Leben.
Auf einer Bank rastet ein Mann mit seinem Sohn, der Seifenblasen in die Luft schickt. – Schön wär’s, so mit zu fliegen, so leicht und bunt – und dann zu zerplatzen? – Lieber nicht.
Ich entscheide mich für den „schwierig begehbaren“ Weiterweg zur Burg, einem herrlichen Aussichtsfelsen. Vorher halte ich kurze Rast bei einem Wasserfall, das Rauschen und Sprudeln im Rücken und im Ohr. Kühler Wind treibt mich weiter. Gerade von der Grippe genesen, will ich eine neuerliche Erkältung nicht riskieren.
Der „schwierig begehbare Weg“ zeigt sich heuer von seiner guten Seite. Vor 30 Jahren von einigen Idealisten dem steilen Gelände abgerungen, holt ihn sich die Natur bald wieder zurück. Lawinen und Steinschlag zerstörten oft Teile davon. Jedes Jahr machten sich die Männer an die Wegreparatur, doch sie wurden alt, Nachfolger fanden sich keine. Wer hier herauf wollte, konnte die Forststraße benutzen, die Markierung am alten Weg verwitterte und wurde nicht mehr erneuert, so dass es nicht immer leicht ist, die Steigspuren auszumachen.
Der herrliche Aussichtsfelsen ist eine Wanderung wert. Für das eine steile Stück durch den Graben nehme ich die Stöcke zu Hilfe, bald bin ich am Sattel. Noch fünfzig Meter, das Gipfelkreuz mit der Bank ist erreicht. Kurze Jause, ein paar Stücke auf meiner Schwegel (eine einfache Querflöte, wird in der alpenländischen Volksmusik verwendet) – ein Vogel antwortet auf meine Melodie – Tierfreunde haben einen Futterplatz eingerichtet, die Vögel sind nicht scheu.
Vom Gipfel geht es senkrecht 200 – 300 Meter in die Tiefe. Wäre das tief genug für die letzte Reise? Für einen Sprung in die völlige Losgelöstheit, Freiheit, weg von allen Problemen, die manchmal so schwer am Herzen liegen? – Noch nicht, es wäre vielleicht der allerletzte Ausweg.
Um meinen traurigen Gedanken zu entfliehen, breche ich auf. Vorher noch ein kleines Lied, eine Melodie, die sich während des Spielens von selber bildet, die Töne perlend, schwingend, verhaltend, so vieles lässt sich in Klängen sagen, wo keine Worte möglich sind.
Steil geht es abwärts, die Stöcke helfen die Knie zu schonen. Kahler stiller Buchenwald, greifbare Einsamkeit und Freiheit. – Schön ist es hier.
Und irgendwo lädt wieder eine Bank zum Verweilen. Bald bin ich im nächsten Ort, von wo ich auf dem Waldweg zurück nach Hause wandere und dort noch die letzten Sonnenstrahlen des Tages auf der Hausbank genieße.
20.03.11
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.04.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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