Felix M. Hummel

Wie der Hase läuft - Klarstellungen eines Vampirs

Nein, nein! So ein Unsinn, ich erzähle ihnen einmal, wie der Hase läuft.

Also eines kann ich ihnen sagen, so lustig wie das immer dargestellt wird, ist es nicht. Man muss schon Dracula heißen, um davon was zu haben. Und kommen sie mir nicht mit Knoblauch! Der wirkt selbstverständlich, das erzählt man sich ja nicht von ungefähr, ganz egal, was heute alles geschrieben wird. Zitronen übrigens auch.

Fließendes Wasser? Ja, da mussten wir uns anpassen. Versuchen sie einmal durch eine Stadt mit Kanalisation zu gehen, wenn sie keine Fließgewässer überqueren können. Ich glaube, manche sagen das hat sich evolutionär zurückgebildet, aber ich fühle mich bei jedem Schritt unwohl. Ich habe mal mit einem Menschen gesprochen, der dauernd Angst hatte er könnte den Herd angelassen haben. Genauso ist das. Und das ständig! Darum bin ich auch die meiste Zeit auf dem Land, Wasseradern sind ja zum Glück Humbug.

Kruzifixe? Nein, das hat sich auch gelegt, genauso wie das Weihwasser. Vielleicht hilft es, wenn jemand wirklich daran glaubt, aber so etwas bekommt man schon lange nicht mehr. Ist wohl ein Zeichen der Zeit und mir ganz recht. Es gibt ja immer noch genug Probleme. Knoblauch habe ich ja erwähnt. Dazu kommen auch noch Zitronen, Lavendel, Weihrauch und Weidenruten, all solcher Kram. Heutzutage hat ja auch fast jeder Idiot einen verdammten Köter. Das ist nachts ein Gekläffe, wenn man versucht durch ein Wohngebiet zu gehen. An die Sache mit dem Sonnenlicht gewöhnt man sich ja schon in den ersten Jahren. Und es ist Sonnenlicht, nicht UV-Licht oder so etwas. Höhensonnen sind auch das Ende, aber das habe ich noch nicht selbst gesehen, es gibt ja nicht so viele. Ein Risiko ist es allerdings schon, wenn man mal unbedarft in eine Wohnung hinein geht.

Ob das mit den Spiegeln wahr ist. Ja, das kann ich ihnen gerne demonstrieren. Allerdings ist das ein wenig albern mit der Kleidung... Normalerweise rechnen alle damit, dass man wohl die gleiche Kleidung, wie am Tag seiner Beerdigung trägt, aber ich hatte da nie welche. Das Leichentuch habe ich jetzt auch nicht aufgehoben. Was glauben sie, wie die jetzt aussehen würde? Ja, ein bisschen schwierig ist das schon, aber die meisten Leute achten nicht darauf ob man sich irgendwo spiegelt. Es ist sowieso so, dass einem nach einiger Zeit nichts mehr bleibt, als man selbst.

In eine Fledermaus und Nebel kann ich mich auf verwandeln, aber das mache ich nicht gern. Ich glaube es geht auch noch anderes Ungeziefer, aber das interessiert mich gar nicht so. Der Nebel ist das einzige wirklich nützliche, denn dann funktioniert auch die ganze schöne-junge-Frau-im-Buodoir-aussaugen-Nummer. Theoretisch jedenfalls. Praktisch ist das allerdings...

Wie? Meine Vergangenheit? Ja, gut mir war klar, dass Sie das sicher wissen wollen, als ich zu diesem Gespräch zugesagt habe, aber ich muss Ihnen leider sagen, dass es da nicht so viel zu erzählen gibt. Ich habe keine so große Geschichte wie Graf Dracula oder der ganze Schund, der heute gedichtet wird. Ich war nur ein armer, geknechteter, misshandelter Tagelöhner aus Strungari in Transylvanien. Über solche Leute gibt es natürlich keine Geschichte. Aber ich sage ihnen verdammt nochmal, dass so gut wie alle Vampire, die noch unter der Sonne -- äh -- dem Mond herumwandern aus der gleichen Schicht stammen. Wie viele Grafen, englische Edelleute und amerikanische Baumwollbarone kann es denn schon geben? Bauern, Bauern, die hat es immer genug gegeben und gibt es immer noch. Fahren sie da nur mal runter. Es ist da in einigen Dörfern noch an der Tagesordnung, dass der ein oder andere einem Pflock durch den Wanst bekommt. Das macht man heute allerdings ganz unbürokratisch mit einer langen Eisenstange, die man von oben her durch die Erde treibt, ohne das Grab zu öffnen. Habe ich Mal im Fernsehen gesehen. Ich sage ihnen, dass ist ein nicht besonders bequemer Ort für Vampire.

Nein, ich war seitdem nicht mehr dar. Wahrscheinlich schon dreihundert Jahre her jetzt. Seltsam, jetzt wo sie es fragen, wo ich eigentlich doch immer viel Zeit auf dem Balkan verbracht habe und auch gerne immer noch hinfahre.

Warum? Naja, Kriege und instabile Länder sind recht gut für unsere Versorgung. Auch wenn uns manche Filme erzählen, dass ein toter, blutleerer Penner in New York City würde nicht auffallen würde, das stimmt nicht. Die meisten anderen die ich kenne, sind entweder Meister im entsorgen von Leichen, dass sogar die mexikanische Mafia Augen machen würde, oder nach Somalia abgehauen. Vor hundertfünfzig Jahren war das alles noch einfacher, aber heute. Ich selbst habe mich zur Zeit nur auf Tiere verlegt. Vorübergehend. Bis ich mich entschieden habe, wohin ich als nächstes gehen soll. Ich bin ganz gut in Osteuropäischen Sprachen, man hat ja einige Zeit zu Lernen, aber man vergiss auch wieder...

Ach ja, die Tiere. Ja, sogar das fällt auf. Sie kennen diese Fälle von Pferdeschlitzern. Genau. Nein, Beißen ist außer Mode. Sonst überschlagen sich die Medien ja. Sehen sie meine Zähne! Ja, keine spitzen Eckzähne mehr. Eigentlich sind es sogar Implantate, da ich mir die Spitzen selbst ausgeschlagen habe. Na, irgendwann muss man zwangsläufig zum Zahnarzt Die hätten Augen gemacht bei solchen Fängen. Da hatte ich keine andere Wahl mehr und musste handeln. Ja, gegen Karies sind wir immun, warum auch immer. Sogar Abrasion haben wir nicht -- wenn man sich in Rauch verwandeln kann, dann braucht man mit Physik gar nicht anzufangen. Aber damit musste ich dann doch zum Zahnarzt. Klar, mit spitzen Eckzähnen glaubt noch keiner, dass man ein Vampir wäre, aber trotzdem fällt man auf.

Ich benutze einen Knüppel und ein scharfes Messer. Das machen die meisten so, die keinen Zugriff auf feinere Mittel haben. Neben der Entdeckungsgefahr entstehen durch das Beißen ja auch nur neue Vampire. Zum Auffangen nimmt man dann einen Eimer oder so was, und tut Zitronensäure rein, damit es nicht gerinnt.

Ja, schon. Es gibt immer wieder neue. Wenn jemand das machen will, dann mischt er halt ein wenig Speichel mit Blut in eine Spritze oder so etwas. Aber gern gesehen wird es nicht. Warum, warum? Ja schauen sie denn kein Fernsehen? Es wimmelt ja heute nur von zwölfjährigen Gören, die unbedingt Vampir werden wollen. Und ich sage ihnen, ich habe ein, zwei von diesen blaublütigen alten Säcken kennen gelernt, denen geht das genau nach ihrem Geschmack. Nur, wenn sie diese Draken dann am Hals haben, dann merken sie schnell, dass die's gerne allen ihren Freundinnen erzählen würden. Tja, und dann muss man das Problem wieder endgültig lösen. So ist das eben. Das ist auch der Grund, warum wir keinen von dem wir trinken am Leben lassen. Es geht einfach nicht.

Einen Codex? Wo denken sie hin? Es gibt immer nur einen -- oder eine. Mit ein paar dienenden Vampiren vielleicht, sie kennen ja die Bräute Draculas, so könne sie sich das vorstelle. Funktioniert aber selten, da die bekanntlich Unsinn treiben können, auch wenn sie sonst keinen Willen haben. Und man braucht noch mehr Blut. Nein, wenn wir uns zu nahe kommen, dann geht das meistens nicht gut. Wie sollten wir uns organisieren, wenn wir durch unsere Ernährung keines Falls auffallen dürfen? Sicher gibt es ein paar, die sich organisiert haben, aber es ist schwierig, da man alle Beziehungen länger braucht, als sie halten können. Verstehen sie, als Mensch genügt es sich einmal richtig an die Zeit anzupassen, denn man kann sowieso, wenn man alt ist, nicht mehr mithalten. Wir haben da keine Chance, wir müssen uns ständig anpassen und auf dem laufenden bleiben. Wir können es nicht schleifen lassen uns immer wieder auf's neue mit Politik, Technik und der Gesellschaft auseinander zu setzen, denn sonst kommen wir irgendwann nicht mehr nach. Die meisten von uns sehen ja jung aus, da erwartet die Menschen eine gewisse Sprache und ein gewisses Wissen. Glauben sie mir, man kann sich gar nicht so dumm stellen, dass einem ein veraltete gesellschaftlicher Umgang abgekauft wird. Damit verbringen wir alle sehr viel Zeit.

Der Reichtum, ja. Das habe ich ja schon erwähnt: Irgendwann hat man plötzlich nur noch sich selbst. Ausweise laufen ab, Banken wundern sich, wenn man mit scheinbar einhundertdreißig noch ein Konto auf die gleichen Personendaten hat und die Steuerfahndung beginnt nachzubohren. Man kann in einem zivilisierten Land also kein Geld auf der Bank haben. Man kommt ja sowieso nur an die Nachtschalter, aber das war ja schon immer ein Problem, heute ist das schon ganz gut schaffbar. Alles was man tun kann, ist versuchen in die Unterwelt abzutauchen. Man lernt sich falsche Pässe machen zu lassen und die Identitäten wie seine Unterhosen zu wechseln. Aber es funktioniert trotzdem immer anders, wenn man Land und Zeit wechselt. Irgendwo habe ich noch einen kleinen Goldvorrat in Serbien versteckt, aber ehrlich gesagt weiß ich nicht mehr genau wo das war, denn die politische Geografie dort unten verwirrt mit seit 1918 eigentlich nur noch. Ach ja, das waren noch schöne Zeiten.

So, ich glaube, ich langweile sie nur noch. Außerdem habe ich Durst. Ich nehme an sie haben jemandem gesagt, wo sie hingehen? Ja, dachte ich mir. Gut, also ich gehe dann eben. Nein, machen sie sich keine Umstände, ich komme schon zurecht. Ich mache mich auf den Weg nach Afrika. Wenn man nur Nachts reisen kann ist das alles so kompliziert.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Felix M. Hummel).
Der Beitrag wurde von Felix M. Hummel auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.04.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Felix M. Hummel als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Gesichter in Stuttgart 2008 von Silvie Brucklacher



Gesichter in Stuttgart Das Gesicht einer Stadt wie Stuttgart prägen die Gesichter der in ihr wohnenden und wirkenden Menschen. Stuttgart selbst besitzt viele Gesichter und Facetten. So wie seine Einwohner: Junge und Alte, Männer und Frauen, Marktfrauen und Flaneure, Schauspieler, Politiker, Literaten und Kritiker, Menschen des Alltags und der Kunst, Prominente und ganz "normale" Persönlichkeiten, die in der Stille wirken. Sie alle hat Silvie Brucklacher vor ihrer mittlerweile legendär gewordenen roten Kulisse fotografisch eingefangen und in eindrücklicher Form portraitiert [...]

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Humor" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Felix M. Hummel

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Erinnerungen eines Attentäters von Felix M. Hummel (Science-Fiction)
Hunde denken anders. von Walburga Lindl (Humor)
Kolumbus Aufsatz vom Karli von Margit Kvarda (Humor)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen