Christiane Mielck-Retzdorff

Osterspaziergang


 
 
Heute wollte Lars einen weiteren Versuch starten, seine geliebte Iris  für immer an sich zu binden. Schon früh erwachte er voller ungeduldiger Vorfreude, gespannt auf die Wirkung seiner außergewöhnlichen Überraschung. Iris ruhte noch neben ihm, und allein ihr Anblick ließ seine Seele jubilieren. Die langen, schwarzen Wimpern ruhten wie Federn auf den Wangen ihres harmonisch geschwungenen Gesichts. Kein Makel störte ihre bronzefarbene Haut. Die vollen, leicht geöffneten Lippen sprachen wortlos von den Wonnen, die ihr, unter der seidenen Decke versteckter, Körper Lars in der vergangenen Nacht geschenkt hatte.
 
Den schwellenden Wunsch nach weiteren Zärtlichkeiten legte das Wissen in Ketten, dass Iris mehr als ungehalten reagierte, wenn sie in ihren Träumen gestört wurde. Doch zu spät riß sich Lars von ihrem Anblick los. Iris schlug die Augen auf, und als sie direkt in das lächelnde Miene ihres Geliebten schaute, entflammte Zorn in ihrem Gesicht. Lars wußte, dass es zwecklos war, seine Unschuld zu beteuern oder sie mit Worten der Bewunderung zu besänftigen. Hilflos ergab er sich ihrer Schimpftirade.
 
Lars hatte sich einen angenehmeren Start in den Ostersonntag gewünscht, doch sein geheimes Vorhaben machte seine frohe Laune unangreifbar. Unter den Mißfallensäußerungen von Iris bereitete er ein Frühstück, dem es an nichts fehlte, außer nach der Meinung von Iris. Die Eier waren ihr zu hart, der Käse zu fad, die Wurst zu gewürzt und der Kaffee zu geschmacklos.
 
Er kannte die Gemütsschwankungen von Iris nur zu gut, war ihnen doch nun schon seit mehr als zwei Jahre ausgesetzt. Von einer Sekunde auf die andere verwandelte sich das sanfte Kätzchen ohne für Lars erkennbaren Grund in eine reißende Tigerin. Das brachte ihn oft an den Rand der Verzweiflung, doch jedesmal, wenn er dieser unberechenbaren Situation entkommen wollte, gelang es Iris, Lars erneut in ihren Bann zu ziehen. Mit weiblicher Finesse und Einsatz ihrer Reize wußte sie seine schwachen Punkte zu nutzen. Stets ging sie als Siegerin aus den Auseinandersetzungen hervor, wobei sich Lars aber nicht als Unterlegener fühlte. Iris verstand es meisterhaft, in ihm, noch gefesselt von ihren Angriffen und anschließenden Liebkosungen, die Überzeugung des Gewinners zu wecken.
 
In stillen Stunden des Alleinseins fragte sich Lars manchmal, ob er die Verbindung, die von einer so unberechenbaren Frau getragen wurde, auf die Dauer durchhalten konnte. Er sehnte sich mit Anfang dreißig, beruflich in einer sicheren Position und mit angenehmem finanziellen Hintergrund, nach einer Familie und Kindern. Aber schon der Beginn dieses Planes mit dem Kauf eines Hauses regte Iris Widerspruchsgeist zu Höchstleistungen an. Er entschuldigte dieses mit ihrer Jugend und ihrem unbändigen Lebenshunger, der ja auch sein Leben bereicherte und vor der trägen Spur der Alltäglichkeit bewahrte. Dazu kam die unverhohlene Bewunderung anderer Männer für seine Begleiterin, die seiner Eitelkeit immer wieder schmeichelte.
 
Es würde nicht ganz leicht werden, Iris zu einem österlichen Waldspaziergang zu überreden ohne etwas von seinem Geheimnis preiszugeben. Sie konnte der Natur wenig abgewinnen, empfand sie eher als langweilig. Doch sie liebte Überraschungen. Und eine solche hatte er für Iris erdacht, um sie anschließend erneut zu fragen, ob sie seine Frau werden wolle. Er hatte  etwas ganz Ungewöhnliches für sie ausgewählt und war sich ihrer Begeisterung beinahe sicher. Aber zuerst mußte er sie dazu bringen, sich mit ihm dorthin zu begeben, wo er beabsichtigte, gleich einem Osterhasen, das Kleinod zu verstecken.
 
Es kostete Lars einige Mühe Iris an diesem sonnigen Tag aus der Stadt zu locken, um in der frischen Waldluft einen der ersten angenehmen Frühlingstage zu genießen. Und es wäre ihm auch nicht gelungen, ohne das Versprechen abzugeben, anschließend einige Bekannte bei Champagner in einem angesagten Cafe zu treffen. Und für diesen Anlaß hatte Iris bereits ihre Kleidung ausgewählt, deren Schuhwerk wenig geeignet war für den weichen Waldboden. Doch Lars war fest entschlossen seinen Plan umzusetzen, da störte ihn auch nicht das permanente Fluchen seiner über den Sandweg stöckelnden Freundin.
 
***
 
Es war erst kurz nach Mittag, weswegen kaum Menschen unter den Bäumen des Waldes flanierten. Emma erfreute sich der Stille, dem Gezwitscher der Vögel, dem Summen erster Insekten und hing ihren Gedanken nach. Es waren die Feiertage, an denen ihre Einsamkeit besonders deutlich wurde. Diese Tage, die ihre Freunde mit der Familie verbrachten und deren Harmonie Emma nicht durch ihre Anwesenheit stören wollte. So entzog sie sich auch dem Mitleid, das die Menschen, angesichts des Todes ihrer Eltern und ihrer Schwester bei einem Bahnunglück, ihr geradezu zwanghaft entgegenbrachten. Vielleicht wäre es einfacher für Emma, den Verlust zu ertragen, wenn man nicht ständig von ihr erwarten würde, dem Vergangenen in Leid zu gedenken.
 
Der tragische Unfall war vor über 8 Jahren geschehen, als sie gerade volljährig ihren ersten Urlaub in Spanien allein mit einer Freundin verbrachte. Emma hatte trotzdem ihr Studium aufgenommen und danach sogar eine Festanstellung als Cellistin bei den Philharmonikern erreicht. Doch es fiel ihr schwer, eine Beziehung zu einem Mann aufzubauen. Irgendwie wartete sie auf jemanden Besonderen, ohne zu wissen, was sie sich darunter vorstellte. Sie hatte keine außergewöhnlichen Ansprüche, außer dass die Basis für ein gemeinsames Leben Liebe sein sollte, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, das schon beim ersten Anblick erwachte. Aber bei den vielen Kandidaten, die sich um sie bemühten, stellte sich dieses nie ein.
 
Leichte Schwermut erfüllte sie, als Emma von ferne das Gezeter einer Frau vernahm. Sie vermutete, dass auch Streit Ausdruck einer lebendigen Beziehung sei. Jedenfalls war diese andere Frau nicht allein. Da sie nicht den Wunsch verspürte, einer glücklichen Versöhnung, an der ihr optimistisches Gemüt nicht zweifelte, beizuwohnen, schlug sie einen anderen Weg ein, bis die Geräusche des Waldes wieder das Einzige waren, was sie in ihrer Ostereinsamkeit begleitete.
 
***
 
Endlich war Lars an der kleinen Lichtung angekommen, die er für seine Überraschung vorgesehen hatte. Unbemerkt ließ er etwas Rundes auf das Moos unter einem Strauch fallen und erwartete in freudiger Erregung Iris, die mühsam und schimpfend auf ihren Stöckelschuhen folgte. Strahlend breitete Lars die Arme aus. Iris verharrte, sah vor sich auf den Boden. Ihr teuerer Schuh steckte mitten in der Hinterlassenschaft eines offensichtlich sehr großen Hundes. Lars hatte nichts bemerkt und glaubte, seine Freundin wolle nur einen Moment verschnaufen. Iris beugte sich langsam hinunter und zog ihren Fuß aus dem Schuh. Mit Ekel griff sie danach, richtete sich auf und warf mit aller Kraft den verschmutzten Schuh an Lars Kopf. Ein furchterregender Schrei entrann ihrer Kehle. Dann entledigte sie sich auch des zweiten Schuhs und rannte, immer noch schreiend, davon.
 
Lars, erschrocken über Iris Tat und von dem Schlag benommen, brauchte eine Zeit, um zu begreifen, was geschehen war. In ehrlichem Bedauern über das Mißgeschick und in Sorge um die wütende Iris lief er eilig hinterher.
 
***
 
Trotz der Entfernung hatte Emma den entsetzlichen Schrei gehört und meinte nun, zur Hilfe eilen zu müssen. Sie hatte eine ungefähre Ahnung von der Richtung und kannte sich gut in dem Wald aus. So führte sie ihr Weg tatsächlich bis auf die kleine Lichtung. Kein menschlicher Laut war mehr zu hören. Auch die beiden Schuhe lagen, für das Auge gut versteckt in verschiedenen Gebüschen. Ein Specht hämmerte, am Himmel kreiste ein Bussard, ein Rotkehlchen trällerte und nichts deutete auf die Anwesenheit weiterer Menschen.
 
Emma war geeilt, und so setzte sie sich zum Ausruhen auf einen Baumstumpf. Sie genoß die warmen Sonnenstrahlen, die auch einen Ameisenhaufen zum Leben erweckt hatten. Ein erster Zitronenfalter tanzte in der Luft. Emmas Melancholie war einem frohen Frühlingshoffen gewichen. Träumerisch wanderte ihr Blick über den Waldboden und blieb plötzlich an etwas Buntem, Schillernden hängen. ‚Eine erste Blume sprießt im Schutze des Busches’, dachte Emma und kroch auf allen Vieren hin, um die Botin des erwachenden Lebens willkommen zu heißen. Doch dann stutzte sie. Das war keine Blume. Es war ein Ei. Wahrhaftig ein buntes Osterei. Verschämt sah Emma sich um. Sie konnte niemanden entdecken.
 
***
 
Lars gelang es erst am Parkplatz die von Raserei beflügelte Iris einzuholen. Sie schnaubte wie ein wilder Stier, und kaum hatte sie ihren Atem wieder ein wenig unter Kontrolle, schlug Lars eine Welle von Zorn entgegen, die jedes Wort niederwalzte, dass  sich ihr entgegenstellte. Sein Schweigen als Beleidigung empfindend schlug Iris ihrem Freund mit der flachen Hand ins Gesicht, der nur verharrte und den Ausbruch ohne innere Regung betrachtete. Unvermittelt griff Iris aus seiner Jackentasche den Autoschlüssel. Mit stolz erhobenem Haupt schritt sie, soweit das mit ihren wunden, nackten Füßen möglich war zum Wagen. Als sie vom Parkplatz brauste, erfüllte Lars ein erhebendes Gefühl von Freiheit.
 
Es war ihm unerklärlich, warum er nichts mehr für seine Freundin empfand, nicht einmal Bedauern über ihr Mißgeschick oder ihren Zorn oder ihren Verlust. Statt dessen durchströmte ihn das Glück des Neuanfangs, so als wäre die Sonne nach schwerem Unwetter wieder zurückgekehrt.
 
Noch immer beherrschten die Laute der Natur den Wald. Die lichten Birken riefen das Erwachen mit ihren hellen Trieben, zwischen denen Frühlingshauch und neu entflammte Wärme das Leben forderten. Lars sog den frischen Duft des samtigen Mooses verbunden mit dem erdigen Geruch fliehender Feuchtigkeit in sich auf. Die weißen Sterne der Buschwindröschen lachten ihn an. So wanderte er in seliger Leichtigkeit zurück zu der Lichtung.
 
***
 
Emma hielt voller Ehrfurcht das Ei in ihrer Hand, das beinahe die gesamte Innenfläche bedeckte. Es schimmerte golden und silbern und in den Farben bunter Edelsteine. Sie wußte sofort, welch wertvolles Kleinod ihre Augen entzückte. Es war ein Faberge-Ei. Die meisten von ihnen trugen noch eine Überraschung in ihrem Inneren, doch Emma traute sich nicht, es zu öffnen. Es konnte kein Zufall sein, dass diese Kostbarkeit hier im Wald lag. Sie war für jemand anderen bestimmt. So genoß Emma nur den Augenblick des kurzen Besitzes, und die Freude darüber leuchtete in ihrem Antlitz.
 
Lars beobachtete die zarte, junge Frau, die auf der Lichtung kniete und war unfähig den Zauber der Idylle durch sein Erscheinen zu stören. Auch der Wald schien andächtig zu schweigen. Ein kurzes Rascheln im Unterholz weckte die Aufmerksamkeit und ein vorwitziges Häschen steckte sein Köpfchen hervor, um sogleich wieder in der Unsichtbarkeit der Schatten zu entschwinden. Emma entdeckt Lars, und der Frühling feierte seinen Neubeginn. 
 
 
     

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.04.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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