Stephanie Huber

Wo sind all die Menschen hin

Als Kind war ich davon überzeugt die Welt ändern zu können. Und dann wurde ich erwachsen.

Es ist eine sehr seltsame Welt in die man geboren wird. Alles erscheint phantastisch. Doch schon sehr bald bekommt man das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Zunächst ist es nur eine Ahnung, wie eine einzige falsche Note in einer Symphonie mit hunderten Instrumenten. Oder die Abwesenheit eines bestimmtes Lautes, eines Geräusches, einer Farbe…
Als Kind nimmt man es wahr bereits wahr ohne Teil davon zu sein. Wie staunend steht man vor diesem riesigen Bild und versucht zu erkennen was es darstellen soll. Jeder Pinselstrich, jeder Farbverlauf ist außergewöhnlich.
Manchmal denke ich mir: „Ich will nach Hause.“ Aber es ist schwer dieses zuhause zu definieren. Es ist wie die Sehnsucht nach einem Ort, zu dem man schon lange keinen Zutritt mehr hat. So lange, dass man fast glaubt, der Ort wäre nur ein Traum gewesen. Oder hätte aufgehört zu existieren.

Diese Welt versucht alles logisch zu erklären und ist dabei der surrealste und irrationalste Raum in diesem großen Haus. Umgeben von festen Mauerwerk, dass einem die illusorische Hoffnung von Sicherheit und Dauer geben soll, mauern sie alle Ausgänge zu.
Der Raum ist leer und steril und entgegen aller Annahme gibt es gerade dort nicht einen Hauch von Leben, nicht einmal die kleinste Bewegung. Und es ist still. Eine laute Stille, die sich durch eine besondere Konsistenz auszeichnet, die absolute Abwesenheit von Geräuschen, das stumme Äquivalent eines ohrenbetäubenden Sturmes. Erstickend. Wie können sie sich dort einsperren, ihr Selbst so sehr komprimieren, dass es dort in diesem winzigen Ort Platz findet?
Man lernt in dieser Stille und Leere zu leben, wird wahnsinnig oder stirbt.
Worte und Lärm ohne Bedeutung. Alles wird zur Sinnlosigkeit, der Schein zur Wahrheit und nach einer Weile vergessen die meisten woher sie kommen, wohin sie wollten oder wer sie waren. Das eigene Ich wird täglich sediert und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, viele vergessen sogar dessen Existenz. Man lebt nicht täglich, man stirbt täglich. Es ist nur eine Frage der Perspektive, die Wahl des Wortes ist trivial. Es ist kein Ort an dem man verweilen kann. Dennoch ist man gebunden durch seine eigene Menschlichkeit.
Außerhalb dieses Zimmers ist schwarze Unendlichkeit. Man kann atmen, fliegen und ist frei. Und man ist einsam.

Wo ist die Farbe mit der man Träume real malte? Wo sind all die Menschen hin? Sie wurden durch statische Strukturen ersetzt und mit Scheinleben erfüllt, wie Automaten, passend um zweckdienliche Arbeiter einer Gesellschaftsform zu werden. Monoton produzieren sie Ersatzbefriedigungen zur Betäubung des inneren, unverstandenen, abgetöteten Ich-Instinkts und der Intuition unter dem Deckmantel der Notwendigkeit. Der Mensch hat sich selbst versklavt, in Ketten aus Talenten gelegt und verbraucht sich jeden Tag. Die Zeit ist nur Mittel zum Zweck, illusorisch, Bitterkeit und Angst sind ihre Herren.

Ich will frei sein und bin doch an dieses Leben gebunden, an diesen Körper und diese Welt. An ihre Formen und Gesetzmäßigkeiten, die keinen Sinn ergeben. Sie erschaffen nicht, sie vernichten. Es widerstrebt mir Worte zu benutzen und dennoch sind sie der einzige Ausdruck der mir bleibt. So vieles wurde bereits gesagt. Zwischen den Worten findet sich Wahrheit, sie zeigt mir, dass es noch Hoffnung gibt, noch Leben gibt, Menschen die brennen und dabei in der Dunkelheit strahlen. Menschen die über sich gewachsen sind und diesen Ort verlassen haben. Wesentlichkeit ist in allem verborgen, sichtbar nur für Augen, die nicht sehen, Ohren, die nicht hören und Zungen, die nicht sprechen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.05.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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