Klaus Eulitz

Ein zweifelnder Blick auf einen Dienstag meiner Wahl

 

EIN ZWEIFELNDER BLICK AUF EINEN DIENSTAG MEINER WAHL

 
 
Der Krach der Müllabfuhr lässt mich im Bett hochfahren. Es hört sich an, als würden die Männer mit den Mülltonnen laut schimpfen. Ich bleibe noch im Bett und sage mir, das ich aufstehen müsste, rede mir ein das ich energiegeladen bin und schlafe im nächsten Moment wieder ein.
Etliche Stunden später schrecke ich hoch, bin todmüde, schleppe mich aber zur Küche, wo ich das Wasser für Kaffee aufsetze stelle fest das ich kein Brot habe, schnappe mir die Schlüssel und gehe runter auf die Straße.  
An der Ecke bemerke ich das ich noch den Bademantel anhabe und überlege, ob ich zurückgehen sollte, aber dann erinnere ich mich das ich vor kurzem im Fernsehen gesehen habe, das dies jetzt schick ist. Entschlossen gehe ich weiter. Der Wind bläst durch meinen Bademantel und öffnet ihn, so dass ich selbst und auch Andere sehen können, das ich darunter nichts anhabe. Eine ältere Frau winkt mir von der anderen Straßenseite zu.  
Ich zweifle an mir selbst, halte aber durch und gehe energisch in den Bäckerladen, wo die geilen Blicke von dem Verkäufer, der Lippenstift aufgetragen hat, was ich einigermaßen toll finde, mir verraten das er mir eigentlich etwas anderes geben will als Brötchen, aber ich bleibe hartnäckig und will Brötchen.   
Wieder oben in meiner Wohnung finde ich drei Brötchen, obwohl ich kein Geld bei mir hatte und einen Lippenstiftabdruck auf meiner Wange, auf dem Hals und an meinen Nippeln. Habe Angst mir die Stelle unter meinem Bauchnabel anzusehen. Ich muss mich übergeben und gehe dann dem Geruch nach, der aus der Küche zu mir wabert. 
Der Topf zum Wasserkochen ist total verbrannt. Deprimiert schaue ich in den Topf. Eine bleierne Müdigkeit will die Führung übernehmen, aber ich bin standhaft und denke dass ich ja wohl wenigstens frühstücken könnte, ohne einzuschlafen. Ich bin total fertig, aber nicht vom gestrigen Tag oder sonst was in dieser Richtung, sondern einfach nur müde. Ich überlege wie lange ich geschlafen habe und finde dort die Antwort. 14 Stunden sind auch nicht wirklich viel, versuche ich mich vor mir selbst zu entschuldigen  und wenn ich an die ganzen Termine denke, knicken mir beim Gedanken daran gleich die Beine ein; Milch holen, Tabak besorgen, irgendwo ne gebrauchte Zeitung finden und wer weiß wen man noch so alles trifft, mit dem man sich dann auch noch unterhalten soll.  
Entkräftet frage ich mich wie ich das alles schaffen soll, schneide das Brötchen auf und stelle fest das ich einen Löffel in der Hand halte, komme dann aber auf die Idee, das ich den Löffel nutzen könnte, um mir Senf auf das Brötchen zu schmieren und streiche mit einem mir ungewohnten Tatendrang das Glas Senf auf mein halbes Brötchen. Auf dem Glas steht „scharf“, was ich wohlwollend auf mich übertrage. 
Willig und hoch motiviert sitze ich zusammengesunken am Tisch. Das Telefon klingelt. Mein Stressfaktor klettert auf das höchste Level. Ich trau mich nicht das Telefon auch nur anzusehen, dann fällt mir ein das ich das Küchenfenster öffnen könnte, damit die Nachbarn denken ich wäre wichtig, oder wenigstens toll. Aber noch während ich aufstehe, hört das Klingeln auf. Was nun? Tatenlos wieder hinsetzen? Aber jetzt stehe ich wenigstens schon mal und nicht zuletzt könnte ich das auch auf die Liste der Aktivitäten setzen. Ich finde mich ganz schön arbeitsam, kann mich aber in letzter Sekunde wieder bremsen, weil ich nicht will, dass ich von mir denke ich wäre ein Streber. Streber sind pfui, schlimmer als schlimme Krankheit!
Während ich die andere Hälfte vom Brötchen ansehe, überlege ich was ich dort raufschmieren könnte und plötzlich überfällt mich ein gnadenloser Gedanke, der mich wie eine Eishand berührt;  Was mach ich nach dem Frühstück? Das Wirrwarr an Möglichkeiten raubt mir fast die Luft zum atmen.   Ich könnte den Tisch abwischen, oder aber auch mal die Glühbirne im Korridor auswechseln, aber dazu müsste ich die Leiter vom Balkon holen. Dafür ist es jetzt wirklich schon zu spät! Es wird ja sicher gleich dunkel und ich finde, an so einem Tag ist nun wirklich nicht viel dran. Der Gedanke gefällt mir und ich ernenne ihn zum „Freundsatz“ für mich.
 Plötzlich klopft es an der Tür und ich stoße einen spitzen Schrei aus. Nur mit Mühe kann ich dem Drang nachgeben, mich unter dem Tisch zu verstecken.  Nervös und Schweißnass unter meinem Arm schleiche ich zur Tür. Nichts zu hören, außer meiner stoßweisen Schnappatmung. Es klopft noch einmal, diesmal fester, irgendwie bedrohlicher. Empört frage ich mich wer denn zweimal klopft und wieder klopft es. Ich habe das Gefühl in der Falle zu sitzen. Ich ergebe mich. Zaghaft öffne ich die Tür, eine alte Frau steht vor mir, grinst und mustert mich argwöhnisch. Als sie mich sieht erschrickt sie. Ich erschrecke mich gleich mit.   Eigentlich will ich nur noch wegrennen. Irgendwas ist hinter ihren Kühlschrank gefallen und weil ich ein großer starker Mann wäre, so die Frau, dachte sie ich könne ihr helfen. Ich frage lieber noch mal nach und sie: -„Meine Geldtasche ist hinter....“- Ich unterbreche sie. –„Nein das Andere.“ -   „Was jetzt?“ - fragt sie unsicher.  – „Helfen?“ -  „Nein, das mit dem Mann und groß und stark.“ -  Sie grinst und während sie das wiederholt, finde ich mich toll, schleudere ihr ein „Nein!“  entgegen und knalle die Tür zu.
Groß und stark gehe ich wieder zurück und falle wie ein nasser Sack auf den Stuhl. Ein Schläfchen wäre jetzt schön, aber wie um mich selbst zu bestrafen stehe ich wieder auf und ziehe mir die Schuhe an.  
Draußen knallt mir die Sonne erbarmungslos ins Gesicht. Ich wusste; Das ist keine gute Idee. Was mache ich hier eigentlich? Die Frage liegt wie ein Ziegelstein in meinem Kopf. Ein Gesicht verdunkelt den Himmel und ich sehe, das das Gesicht  etwas sagt.  Ich kann nicht folgen. Das Gesicht rückt näher und verschwommen meine ich, jemanden zu erkennen, wo ich meine ihn zu kennen oder zumindest mal gesehen zu haben, aber ich kann mich nicht an den Namen erinnern. Er redet immer noch. Hilflos schaue ich in die andere Richtung, überlege ob ich einfach gehen soll, aber die Kette aus Worten will nicht abreißen. Ich will nicht unhöflich sein, sage ihm mitten in seinem Satz, der für mich war, dass ich jetzt weiter muss. Dringendst! Im weitergehen verfolgen mich immer noch seine Worte, die ich nicht verstehe. Er winkt mir zu, ich renne weg, woanders hin, wo ich erstmal überlege, was ich jetzt tun soll,
Milch, Tabak und Kaffee fallen mir ein und die Gedanken stehen da, wie ein paar Gerichtsvollzieher die fordern und keine Ruhe geben.  
Den Plan fest im Kopf steuere ich den Laden an, wo die mich schon kennen und wo mir auch geholfen wird.  Ich hab meine Brille nicht dabei, das kann heikel werden. Festen Schrittes betrete ich den Laden und stolpere erstmal über eine Bierkiste, die ich beim Gruß an den Verkäufer nicht gesehen habe. Vermerk im Kopf: Grüssen ist nicht gut!  
Unwirsch rappele ich mich wieder auf und beschimpfe den Verkäufer, bis ich bemerke, das der Verkäufer woanders steht und ich ein Regal mit Tütensuppen aufs übelste beschimpft habe. Ganz kurz kommt mir wieder der Gedanke, dass ich mich doch hätte hinlegen sollen, denke dann aber an Chuck Norris und überlege ob er auch Mittagsschlaf gehalten hat. Mein Schienbein tut höllisch weh. Ich humple zum Verkaufstisch und sehe verschwommen, dass mich jemand anstarrt. Jetzt nur keinen Fehler machen! Dreh mich lieber noch mal um, um sicher zu sein das der Verkäufer wirklich da steht und bin kurz davor ihm zu sagen was ich haben will. Eine kichernde Leere erstreckt sich in meinem Kopf, von Ohr zu Ohr. Mein Mund öffnet sich und schließt sich wieder. – „Ich weiß.“ - sagt der Verkäufer, packt alles ein was er denkt, das ich brauche und geleitet mich wieder hinaus. Hoffe dass er mich nach Hause bringt und überlege, ob ich ihn an der Haustür küssen soll. Mach schon mal meine Lippen nass und geschmeidig. Will nicht, das er denkt ich sei trocken! 
Offenbar bin ich doch allein nach Hause gegangen. Ein bisschen traurig  packe alle Sachen aus, die er für mich  eingepackt hat; Ein Deo- Roller,  eine Flasche Wodka,  eine offene Packung Kaugummi, Zigaretten  und eine leere Schachtel Fischstäbchen. Ich denke, dass ich nun alles habe was ich brauche und sogar noch mehr. Fühle wie eine kleine Portion Stolz in mir hochklettert und sage anerkennend zu mir: - „War doch gar nicht so schwer!“ -  blicke verliebt auf mein Bett, fühle mich aber gleichzeitig Energiegeladen. Verspreche mir heute früher ins Bett zu gehen und morgen endlich mal richtig auszuschlafen. 
Mein Telefon klingelt. Unbeholfen schalte ich das Ding aus. Jetzt nicht übermütig werden, mahne ich mich,   fasse den Entschluss die Wohnung mal durchzufegen. Aber das ganze kommt mir dann doch zu übertrieben vor und fege ein bisschen um den Herd herum. Habe immer noch keine Müllschippe und kehre die aufstobenden Staubflocken entschlossen unter den Herd, huste schwer, meine Augen tränen und fühle mich auf einmal unendlich schlapp.  – „Jetzt nur nicht schlappmachen! Halt durch!“ -  motiviere ich mich  und kann förmlich spüren, was für ein Kerl in mir steckt.  
Habe mir beim Fegen den Nagel eingerissen. Vermerk im Kopf:  Niemals ohne Handschuhe arbeiten! Besonders schwere Arbeiten erfordern immer feste Handschuhe! 
Bin plötzlich sexgeladen und sitze mit meinem Slip auf dem Kopf, auf  der Toilette und versuche das Brötchen wieder aus meinen Leib zu pressen. Nach einigen schweren Drückversuchen fühle ich, das es auf dem Weg ist. Ein gutes Gefühl und ich freue mich richtig darauf es mir anzusehen. Fühle mich wie eine Mutti. Überlege mir wie ich es nennen werde und ob ich es auch stillen könnte. Kann mich nicht entscheiden ob ich ihm sagen soll das ich Mutti oder Vati. bin und spüle. Habe Gewissensbisse. So ein junges Leben im Klo. Weine heftig. Überlege ob ich zur Paartherapie gehen sollte.
Habe das Gefühl etwas vergessen zu haben. Vielleicht wichtig. Weiß aber nicht was. Spüre das ich Hunger habe. Überlege ob ich die Fischstäbchen, die ich nicht habe, machen soll.
Auf der Straße weiß ich nicht weiter. Heule auch ein bisschen. Eine Frau mit Hund an der Leine bleibt stehen, sieht mich entgeistert an. Finde den kleinen Hund irgendwie niedlich. Will der Frau einen Gefallen tun, beuge mich zum kleinen Racker, wie ich ihn schon heimlich nenne und höre mich sagen: -  „Na so ein Süßer!“ -  Bin bereit zu streicheln, strecke meine Hand aus, plötzlich wird der Kleine zur Bestie, springt ein Stück auf mich zu und knurrt Angst einflössend. Versucht mich zu beißen.  Springe entsetzt zurück, heule ein bisschen vor Schreck und Angst. Der Hund reicht mir bis zu meinen Knöcheln. Finde das reicht an Größe. Will ein bisschen nach ihm treten. Aber heimlich! Lenke die Frau ab, dass sie woanders hinsieht, damit ich treten kann. Hab Angst, dass ich vorbei trete. Ist ja auch nicht viel Platz zum treten. Die Frau sieht mich an und schüttelt den Kopf. Ich muss ihr Recht geben.
Es wird schon dunkel. Jetzt aber ab, nach Hause.
Fühle mich mutig. Zuhause brate ich mir eine Kaugummi-Zigarette. Schmeckt komisch, aber ich brat mir noch eine. Gutgelaunt esse ich das total verbrannte schwarze Etwas. Überlege, ob ich mich mal zu einer Kochshow anmelden sollte. Telefoniere mit meiner Freundin, die ich nicht habe, eine halbe Stunde, auf meinen Balkon. Sage ihr ganz laut, dass sie ein "geiles Stück" ist, lache hysterisch und finde mich einfach nur super.    
Wasche meine Socken im Spülbecken und danach, im selben Wasser mein Geschirr. Nach einigem hin - und her überlegen wasche ich mich auch noch. Überlege wo ich trocknen soll. Zähneputzen nicht vergessen! 
Im Bett bemerke ich, das ich immer noch meine Stiefel trage und meinen Pyjama über meinen Kampfanzug angezogen habe. Überlege ob ich daran etwas ändern sollte. Mir fällt nichts ein. Nehme mir vor, mal endlich richtig auszuschlafen und im nächsten Moment schlafe ich ein. 
Vermerk im Kopf: Wer sündigt, der schläft nicht! 
So geht das nicht weiter. 


by Klaus Eulitz 
 
    

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.05.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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