Christiane Mielck-Retzdorff

Ein Fußballmärchen



 
 
 
Arnie hatte in seinem Leben zweimal Glück. Gerade 16 Jahre alt passierte er nachts um drei mit einem gestohlenen Sportwagen eine Bushaltestelle, wo ein äußerst hübsches Mädchen auf den Nachtbus wartete. Ungeduldig sah sie auf die Uhr, weil sie nicht wissen konnte, dass der Bus, in einen Unfall mit einem Betrunkenen verwickelt, nicht in der Lage war, den Fahrplan einzuhalten. In einer „die Nacht gehört mir“-Laune stoppte Arnie den Wagen neben dem Mädchen und fragte fröhlich, ob er sie nach Hause fahren dürfe.  Sie schaute durch das automatisch heruntergefahrene Fenster, und wenn es Liebe auf den ersten Blick tatsächlich gibt, war es genau diese, die sie ohne Zögern in das Auto einsteigen ließ. Und es trieb sie auch nicht zu ihren sorgenvollen Eltern nach Hause sondern direkt in ein Feuerwerk leidenschaftlicher Küsse.
 
Eigentlich stammte Arnie aus dem kleinen Dorf Heimfeld, doch als sein Vater mit  der Bedienung einer Imbissbude durchbrannte, siedelte seine Mutter ihn in die Großstadt um, wo sie Arbeit und reichlich neue Anwärter für die Vaterschaft fand. Arnie war anpassungsfähig und wenig anspruchsvoll, doch er vermißte in der neuen Umgebung seine Großmutter, die ihm immer eine heile, satte Welt vermitteln konnte und den Fußballverein von Heimfeld, in dem er einst von einer Karriere als Stürmerstar geträumt hatte.
 
Das Mädchen von der Bushaltestelle wurde seine Freundin, auch wenn ihre Eltern, gebildete Lehrer, ihn als Versager ablehnten. Sie schätzen es wenig, dass Arnie Gesetze für überflüssige Grenzen ohnehin reicher Leute hielt. Ebenso meinte er, jeder solle selbst sehen, wie er zurecht komme, zusammengefaßt in seiner Lebensphilosophie „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“. Allerdings versuchte Melanie, so hieß seine Freundin, ihm ständig den richtigen Weg zu zeigen. Dabei adelte es sie und ihre Liebe, dass sie es ihm nicht übel nahm, wenn er Wege wählte, die die Gesellschaft eher als kriminell bezeichnete. Dabei halfen ihm Freunde, die ihn immer wieder ermunterten, sich nehmen, was ihm zustand.
 
Zum zweiten Mal hatte Arnie Glück darin, dass seine Großmutter ihn als Alleinerbe ihrer Hauses eingesetzte hatte. Es war ein altes Anwesen mit 10 Zimmern und einem riesigen, verwilderten Grundstück, das Arnie, nun genauso wie Melanie volljährig, mit ihr bewohnte. Natürlich wäre es weit sinniger gewesen, das wertvolle Erbe zu verkaufen, aber davor hatte die Oma eine Riegel geschoben. Entweder ihr Enkel hauste dort oder das Grundstück fiel an die katholische Gemeinde. Arnies Diebstähle und Melanies Einkünfte aus der Ausbildung und einem Nebenjob deckten gerade so die laufenden Kosten.
 
Der Großzügigkeit von Melanies Eltern, die sich in Gleichgültigkeit dem Schicksal ihrer Tochter ergeben hatten, war es zu verdanken, dass die beiden jungen Leute einen billigen Urlaub in einer recht armseligen Ortschaft in Spanien verbringen konnten. Arnie fand dort schnell Kontakt zu einer Gruppe von gleichaltrigen Jungen, die ihren Lebensunterhalt auf recht zweifelhafte Weise bestritten. Doch das war an sich bedeutungslos, da sie zusammen nicht neue Einnahmequellen ausheckten sondern mit Begeisterung gemeinsam Fußball spielten.
 
Arnie war als Stürmer in dem unbekannten Fußballverein des unbedeutenden Dorfes Heimfeld nie bewußt gewesen, dass er ein Talent auf diesem Gebiet war. Die spanischen Jungs, die nie einem echten Fußballplatz gesehen hatten, waren zwar flink und konnten mit dem Ball umgehen, wie Arnie es selten in einem Profispiel gesehen hatte, doch sie hatten keinen wirklichen Plan von dem, was sie taten. Sie waren glücklich, wenn ihr Fuß den Ball umspielte und verspürten wenig Lust, diesen in Richtung eines Torwarts abzugeben. Trotzdem hatte Arnie Spaß wie selten in seinem Leben, und Melanie freute sich an seiner sprühenden Laune.
 
Doch da aller guten Dinge drei sind, schlug das Glück erneut bei Arnie zu. Wieder zurück in Deutschland füllte er, vielleicht beseelt von einer göttlichen Eingabe, einen Lottoschein aus. Sein Gewinn betrug 3.000.000,- Euro. Damit hätte er natürlich seine Melanie heiraten und ein zufriedenes Leben führen können, aber Arnie kam etwas ganz anderes in den Sinn, und  nur ihre Liebe konnte der Grund dafür gewesen sein, dass auch Melanie sich für diese Idee begeisterte.
 
Seit sie durch das Erbe wieder in dem Dorf wohnten, hatten sie kein Spiel der heimischen Fußballmannschaft versäumt. Natürlich war es eine Frage der Ehre, dass jedes Unternehmen im Ort den Verein finanziell unterstützte, doch war er in seiner Bedeutungslosigkeit weder ein effektiver Werbeträger, noch sah irgend jemand etwas anderes in den Unterligaspielen als die entschuldbare Gelegenheit in trauter Runde reichlich Bier und Korn in sich hinein zu schütten. Fette Unternehmer fanden so eine Entschuldigung vor ihren vornehm tuenden Frauen, einmal richtig männlich über die Strenge zu schlagen. Wer dabei das Spiel gewann oder verlor, war äußerst nebensächlich.
 
Es wäre für den nun vermögenden Arnie ein Leichtes gewesen, sich in die Riege dieser Gesellschaft einzuordnen. Aber er hatte auf den Straßen des spanischen Dorf etwas anderes erkannt. Das Fußballspiel beinhaltete einen Traum, es sprengte die Ketten der Herkunft und ließ aus den Sümpfen der Armut und Hoffnungslosigkeit auferstehen. Es gab so viele junge Menschen, die im Schatten der Elendstürme mit ihrem Fuß nach dem Ball traten, als wollten sie damit die ganze Erde bewegen, im Spiel, im Kampf und mit der Sehnsucht nach einem Sieg. So wie sich dort die trostlose Wirklichkeit im Tanz mit dem Ball zu froher Leichtigkeit wandelte, entdeckte Arnie eine magische Kraft, die ihm eine Vision schenkte. Zum ersten Mal in seinem Leben sah er einen Weg vor sich, den er jedoch nicht allein gehen konnte.
 
Doch niemand kann einen Berg von oben erklimmen, also war das Örtchen Heimfeld genau das richtige Tal, den Aufstieg zu beginnen. Melanie und Arnie machten sich also auf die Reise, um an den Orten, wo sich sonst niemand traute zu suchen, jene Ballkünstler zu finden, die nicht nur selbst getreten werden wollten, sondern mit ihren Beinen und Füßen der Welt zeigen konnten, welches Vermögen sich in der Verbindung von Spiel und Freude verbarg. Es kam Arnie zugute, dass er jene aus eigener Erfahrung verstand, die ohne Plan durch das Leben stolperten, die mit sich und ihrem Dasein spielten, weil kein Ziel ihre Kräfte leitete.
 
Mit den ersten Kandidaten kehrte Melanie in das große Haus zurück, wo der Garten zu einem kleinen Fußballfeld verunstaltet wurde, während Arnie, bemüht das Geld zusammenzuhalten, weiter durch die Welt reiste, um Juwelen des Fußballs aus dem Slums zu picken. Am Ende hatte er 22 junge Männer aus drei Kontinenten in seinem Haus versammelt, die sich kaum verständigen konnten. Aber sobald sie auf dem Rasen des Gartens um den Ball kämpften, waren sie eins. Allerdings waren sie dabei so sehr auf sich und den Ball bezogen, dass es kein gemeinsames Spiel gab sondern ein ewiges Gegeneinander. Jeder wollte nur den Ball besitzen und ihn nicht wieder hergeben.
 
Arnies wildes Geschrei und Gestikulieren erreichte die, nun in nie gekannten Wohlstand lebenden, jungen Männer nicht. Sie spielten sich selbst und wußten nicht einmal, warum. Es war Melanie, die ihnen langsam und zartfühlend die Idee von Miteinander und Füreinander einpflanzte. So erkannten sie die Stärke in der Gemeinsamkeit, die Kraft von Geben und Nehmen und dass ein Ziel oft nur erreicht werden kann, wenn jeder sich als Teil eines Ganzen empfindet.
 
Als nach einigen Jahren, zum Erstaunen, ja sogar Entsetzen, vieler Fußballfans der 1. FC Heimfeld deutscher Meister wurde, ohne einen einzigen deutschen Spieler im Kader und mit einem Trainer ohne offizielle Trainerlizenz, hatte es schon vorher viele lukrative Angebote zum Transfer der Spieler gegeben. Aber sie blieben aus Überzeugung bei ihrem Verein. Es waren Arnies Vision und Melanies Treue, die wie ein unsichtbares Band die Spieler festhielten. Aus ihnen war auch ein Team mit einer erfolgreichen Geschäftsidee geworden. Das neue Vereinslogo galt als Symbol für die Kraft des Gemeinsinns und die damit verzierten Artikel begeisterten gerade junge Leute. Doch vor allem waren sie Freunde, die alles teilten.               

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