Sophie Albrecht

Von Drachenmilch und Menschenblut

In einem weit entfernten Land befand sich ein altes Königreich, in dem eine Gleichberechtigung zwischen Drachen und Menschen dem aberwitzigen Glauben an eine gewaltlose und friedliche Menschheit gleicht. Die Drachen werden gehalten wie einfaches Vieh. Sie werden gemolken, geschlachtet und gehäutet.

Das Fleisch wird gegessen, die Milch wird getrunken und die Haut wird getragen.
Es hieße, ein Bissen vom Drachenfleisch und man musste nie mehr hungern, ein Schluck von der Drachenmilch und man fühlte sich stärker und potenter, ein Kleidungsstück aus Drachenleder und man würde nie mehr frieren.

Es kam zu einer jahrelangen Rebellion gegen diese Ungerechtigkeit, welche schließlich zu einem Krieg führte. Doch Jahre später, nachdem der Krieg offiziell beendet war, hörte der Wahnsinn immer noch nicht auf. So schien es, als seien die Menschen süchtig nach diesem Genuss.
Aus deren Reihen wiederum hieß es, dass die Einzigen, die für die Drachen kämpften, Menschen seien, die noch nie zu diesem Genuss gekommen sind.

Ein Gegenbeispiel hierzu ist die Kriegerin Leanora. Diese, nachdem sie erfahren hatte, wessen Milch sie getrunken und wessen Kleider sie getragen hatte, entschied sich sofort den Widerstand bei zu treten. Der größte Wunsch der Befreiungs-

kämpferin wurde es, so viele Drachen wie möglich zu befreien, um später in Ruhe eine Familie gründen zu können.

 

Die Einzelgängerin ( andere Menschen würden nur ihre Konzentration stören, nicht das sie Probleme hätte Freunde zu finden) mit den goldenen schulterlangen Haaren kletterte in dieser Nacht einen nicht allzu kleinen Berg hinauf, um eine Höhle aufzufinden. Sichere Quellen hatten ihr verraten, dass dort ein alter Mann leben sollte, der einen Drachen halten und melken würde. Diese ging dann an ein Dorf am Rande des Berges, welche dann dort getrunken oder teuer verkauft würde.

Als der Sichelmond am Höchsten stand, erreichte Leanora die Höhle. Ein menschliches Schnarchen verriet ihr, dass der einzige Bewacher der Drachendame tief und fest schlief. Im fahlen herein scheinenden Licht schlich sie sich in die Höhle und entdeckte kaum ein paar Schritte vom Eingang entfernt einen Haufen Holzeimer. Ein Blick über den Rand der Eimer verriet, dass die Flüssigkeit, mit dem sie gefüllt waren, nur Drachenmilch sein konnte. Ohne zu Zögern schmiss sie die Milch aus dem Höhleneingang hinaus und innerhalb einer Minute waren alle Eimer ausgeleert und an ihrem altem Platz.

Leanora machte sich weiter auf den Weg ins Höhleninnere und schlich dabei an einen Schlafplatz, dem Zentrum des Schnarchens, vorbei. Wenige Schritte weiter lag der riesige Drache eingerollt da und schlief. Sie begann sofort nach Ketten oder der gleichen zu suchen. Allein, dass die Drachendame nicht in einem Metallkäfig gefangen war, fand sie schon merkwürdig. Doch dies war ihr sowieso Recht, das erleichterte ihr die Arbeit. Wenige Sekunden später fand sie ein einfaches Hanfseil, dass ganz locker um den Hals des Drachen lag. Kopfschüttelnd über diese Dummheit schnitt sie dies mit ihrem Schwert in einer fließenden Bewegung entzwei.

Du bist jetzt frei.“, flüsterte sie der Drachendame in das Ohr, „Flieg davon.“

Nicht auf eine Reaktion wartend schlich sie sich davon und war wenige Sekunden später in der Nacht verschwunden.

An dem darauf folgendem Abend beschloss Leanora ihren Sieg zu feiern und ging in einen Pub, der sich in dem angrenzenden Dorf befand.

Nach ein paar Drinks empfahl der Wirt ein Glas Drachenmilch.

Sekunden später war die Klinge von Leanoras Schwert an seiner Kehle.

Woher hast du diese Milch?“, fragte sie mit herrischen Ton.

Tut mir Leid, meine Dame, aber das darf ich Ihnen leider nicht sagen.“, ächzte dieser, „ Das ist streng geheim.“

Ich schwöre dir bei dem Herrn der Drachen, dass ich dich aufschlitzen, in kleine Stückchen schneiden und anschließend an die Drachen verfüttern werde, wenn du mir nicht verrätst, woher du diese Milch hast!“, zischte Leanora und drückte die Klinge noch fester an seine Kehle.

Ok, ok.“, stotterte der Wirt, „ Ein gewisser Geogious Fintch hält oben in dem Berg einen Drachen. Jeden Morgen hohlen zwei unserer Männer die Eimer voller Milch hinunter.“

Das kann nicht sein!“, sagte Leanora Zähne knirschend, „Ich hatte den Drachen heute Nacht befreit!“

Da müssen Sie sich wohl geirrt haben.“
Leanora funkelte ihn böse an. Er schluckte.
„Ich weiß auch nicht, was los ist. H-heute sind sie erst vor wenigen Stunden zurückgekehrt, mit nur halb so viel Milch.“, stammelte er.
Leanora begann zu grübeln.
„B-bitte verschont mich“
„Achja.“, murmelte sie und steckte ihr Schwert wieder in die Scheide.

Verstehe mich bitte nicht falsch, ich liebe Drachen.“

Er nickte zögernd und Leanora ging aus den Pub, ohne auf das Gemurmel der anderen Gäste zu achten.

 

In dieser Nacht suchte sie die Höhle erneut auf. Dort angekommen schmiss sie die Milch mitsamt der Eimer aus der Höhle hinaus. Bei dem Drachen angekommen, entfernte sie das Seil diesmal komplett. Zusätzlich suchte sie die Höhle nach weiteren Seilen ab, sie fand noch drei Stück. Mit allein vier Seilen verschwand Leanora geräuschlos aus der Höhle.

 

Am nächsten Abend, in der selben Bar, selber Grund. Als der Wirt diesmal zögerlich, aber dennoch mit einem kleinem süffisantem Lächeln Drachenmilch anbot, kippte Leanora lediglich die Milch über seinen Kopf aus, verschwand aus dem Pub und machte sich erneut an den Aufstieg.

 

Ein paar Stunden später erreichte sie wieder die Höhle.

Verwundert stellte sie fest, dass die Drachendame immer noch am gleichen Platz lag und schlief. Sie war nicht einmal gefesselt.

Du musst mit ihr reden.“

Vor Schreck zog Leanora ihr Schwert und wirbelte herum. Die Klinge machte an einem alten Mann halt. Die dürre Gestalt in Lumpen und mit weißen, zerzausten Haar und Bart grinste sie blöd an.

Was willst du, alter Mann?“

Du sollst mit ihr reden. Sie will überhaupt nicht befreit werden.“, sagte er und behielt sein Grinsen.

Wie kommst du auf diese absurde Idee, alter Sack?! Natürlich will sie befreit werden, wie jeder andere Drache auch!“, sagte Leanora gereizt.
„Dann schadet es doch nicht sie zu fragen.“
Leanora konnte den Mann immer weniger leiden. Sein Grinsen, das eines Irren, verleitete ihr zu den Gedanken eine Flasche Gift zu trinken, bevor sie Dieses wieder sehen musste.
Missmutig zog sie das Schwert zurück, steckte es wieder in die Scheide und drehte sich um.
Die Drachendame lag immer noch eingerollt da und sah sie mit einem vorwurfsvoll wirkenden Blick an.
„Hallo.“, sagte Leanora zaghaft.
„Hallo“
Eine tiefe doch weibliche Stimme hallte in Leanoras Kopf wieder.
„Wie geht es dir?“
„Gut, danke. Doch stelle ruhig die Frage, die dir auf dem Herzen liegt.“
„Okay.“, sagte Leanora, „Der alte Spinner lügt doch, oder?“

Nein, tut er nicht. Ich lasse mich freiwillig melken.“

Warum, zum Untergang des Königreichs, machst du das?! Hat man dir etwa eine Gehirnwäsche verpasst?! Genau! Das ist es!“

Mädchen, bitte höre mir zu! Wir Drachen sind viel stärker als die Menschen. Wenn wir wollten, könnten wir die ganzen Menschen zerfleischen und eure ganzen Städte zerstören, doch das tun wir nicht.“

Leanora vergaß für einen Moment ihren Hass auf die Menschen und grübelte.
„Aber warum lasst ihr euch denn von den Menschen quälen und essen?“

Weil wir uns für einen besseren Weg entschieden haben, den Menschen ein Ende zu bereiten.“

Wie?!“, fragte Leanora völlig verwirrt.

Lass es mich erklären. Es ist eigentlich ganz einfach. Unser Fleisch macht euch appetitlos, unsere Milch macht euch unfruchtbar und eure Haut macht euch gefühllos. Wir müssten im Grunde nichts tun. Ihr rennt schon selber in euer eigenes Verderben.“

Wie?! Was?!“
Entgeistert starrte Leanora sie an.

Kennst du die Geschichte von dem Mann, der als Erstes vom Drachenfleisch kostete und danach nie wieder Hunger verspürte?“

Leanora nickte langsam.

Nach zwölf Tagen war er tot.“

Aber ich dachte die Geschichte endet damit, dass er auf Reisen gegangen ist und bisher noch nicht zurückgekehrt ist.“, sagte Leanora entsetzt und perplex zugleich.

So kann man es auch formulieren.“

Dem Entsetzten nicht minder fragte sich Leanora aber noch etwas anderes.

Aber Moment mal, was meintest du nochmal über die Milch?“

Ein Schluck genügt und der Mensch ist sein ganzes Leben lang unfruchtbar.“

Wutentbrannt zückte Leanora ihr Schwert und richte es gegen den Drachen, genau zwischen ihren Augen.

Der Gesichtsausdruck der Drachendame änderte sich ins Erschrockene.

Mädchen, was hast du vor?“

Dank eines Drachen wie dir bin ich unfruchtbar! Dabei wollte ich noch eine Familie gründen!“

Junge Frau, was haben Sie vor? Macht nichts unüberlegtes!“

Eine raue Stimme hinter Leanora lies sie herumwirbeln. Ohne weiter nachzudenken stach sie dem Mann in seinen Bauch und trieb die Klinge soweit hinein, dass sie auf der anderen Seite wieder herauskam.

Du hast schon viel zu lange gelebt, alter Mann!“
Mit diesen Worten zog Leanora das Schwert aus seinem Körper und richtete es erneut gegen den Drachen. Nur aus den Augenwinkeln sah sie, wie er blutend zusammenbrach.

Mädchen, wenn du mich jetzt tötest, bringt dir das überhaupt nichts. Die Menschen werden mich finden, mein Fleisch verzehren und sterben.“
„Es geht mir nicht um die Menschen! Es geht mir um euch Drachen! Jahrelang habt ihr mich hintergangen und mich wie ein Volltrottel da stehen lassen!“, schrie Leanora wutentbrannt.

Mit meinem Tod wird sich aber nichts ändern.“
Die Stimme der Drachendame war noch erstaunlich ruhig.

Nein!“, Leanora schüttelte ihren Kopf, „Ich habe eine bessere Idee!“

Innerhalb weniger Augenblicke stach sie dem Drachen beide Augen aus. In der Sekunde des Schmerzes legte sich die Drachendame auf den Rücken und spreizte ihre Hinterbeine ein kleines Stück. Das reiche Leanora, um ihr blutiges Schwert dazwischen und somit in die Gebärmutter zu rammen.

Der Drache brüllte vor Schmerz.
„Ich hasse dich!“, schrie Leanora, „Ich hasse euch alle!“
Sie zog ihr Schwert wieder heraus und rannte davon. Bevor der blinde Drache irgendwie hätte reagieren können war sie aus der Höhle verschwunden.

 

Am Abend, gleiche Bar, gleicher Wirt.

Möchten Sie nicht doch zur Stärkung einen kleinen Schluck Drachenmilch, Madame?“

Das Zeug macht dich unfruchtbar, du Idiot!“
Leanora schlug ihm das Glas aus der Hand.

Gib mir Schnaps!“

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Sophie Albrecht).
Der Beitrag wurde von Sophie Albrecht auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.05.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Sophie Albrecht als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Gelebte Meeresträume von Gerhild Decker



Die Autorin versteht es, mit Worten Stimmungsbilder zu malen und den Leser an der eigenen Begeisterung am Land zwischen Meer und Bodden teilhaben zu lassen. In ihren mit liebevoller Hand niedergeschriebenen Gedichten und Geschichten kommen auch Ahrenshooper Impressionen nicht zu kurz. Bereits nach wenigen Seiten glaubt man, den kühlen Seewind selbst wahrzunehmen, das Rauschen der Wellen zu hören, Salzkristalle auf der Zunge zu schmecken und den feuchten Sand unter den Füßen zu spüren. Visuell laden auch die Fotografien der Autorin zu einer Fantasiereise ein, wecken Sehnsucht nach einem Urlaub am Meer oder lassen voller Wehmut an vergangene Urlaubstage zurückdenken.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Mystery" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Sophie Albrecht

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Irgendeine Geschichte von Sophie Albrecht (Humor)
Der arrogante Hund von Norbert Wittke (Tiergeschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen