Isabel Groll

Das Zimmer der Zeit



 
Sonnenlicht durchflutete den kleinen Raum und drang bis in die hintersten Ecken, was die Kargheit und Schmutzigkeit des Raums noch mehr hervorhob. Staubflocken tanzten im Licht und funkelten, als die Sonnenstrahlen sie einfingen. Ich sah mich in dem Zimmer um, was acht Jahre lang mein Zuhause gewesen war und was ich jetzt für immer verlassen sollte. Die rau verputzten Wände, der Fleck hinten an der echten Wand, die Stelle links unten, wo der Putz schon gänzlich abgebröckelt war und Mauerwerk darunter hervorkam. Alles vertraute Dinge, die ich hundertmal gesehen hatte. Während ich so ins helle Licht starrte, schien es mir, als würde sich der Raum wieder einrichte, so wie er war, bevor wir ihn ausgeräumt hatten.
Da, in der rechten Ecke stand die alte weiße Kommode, die schon zu Zeiten meiner Mutter mit bald abblätternder Farbe bemalt war. Auf ihr standen immer drei Fotos mit Familienfotos und eine Vase mit blauen winzigen Vergiss-mein-nicht. Ein großer Spiegel mit Eisenrand hing immer über der Kommode. Blind fast und nur an einer Stelle noch wirklich spiegelnd. An der rechten Wand hatte mein Bett gestanden. Mit einer harten Rosshaar-Matratze. Und einer dünnen Decke, die meine Mutter aus Flicken zusammengenäht hatte. Fast wahnsinnig war sie dabei geworden, denn sie konnte kaum nähen und als sie es endlich fertiggebracht hatte, waren an manchen Stellen gar keine Flicken.
Dann davor mein Schrank aus dunklem Eichenholz, der das hässlichste Möbelstück gewesen war, wuchtig, klobig, alt. Und dann der winzige Schreibtisch- immer überladen mit Zeichnungen von Küsten und Stiften. Die Wäscheleine, die quer durch das Zimmer gespannt war, daran dutzende von Zeichnungen, die Besten, die ich gemalt hatte. Immer Küsten mit Bergen am Rand und dann das Meer dunkelgrün mit Gewitterwolken zwischen Sonnenschein…
Ich seufzte einmal laut und als hätte ich jemanden verjagt verschwanden alle Möbelstücke und der Raum war so leer wie zuvor. Ich trat ans Fenster und sah auf die Straße. Die zerstörten Gebäude, erstarrt wie aus Eis. Unten ein paar Soldaten, die kleine Kinder verscheuchten. In der Ferne konnte ich den zerstörten Reichstag sehen, alles in helles Sonnenlicht getaucht. Ich starrte auf die Zerstörung und auf den Sonnenschein, bis ich hörte, dass Mama hinter mir stand. „Kommst du, Liebes?“ Ich nickte und riss mich los von dem Blick, der mir so vertraut war- und denn ich nie wieder sehen würde.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.05.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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