Ein Korridor trennt Zimmerfluchten von einander. Er ist ein Durchgang zwischen Räumen. Meistens wird er zum Abstellen oder zum Aufstellen einer Garderobe genutzt. Aber dass man in einem Korridor leben und wohnen kann, war mir vorher nicht bekannt, bis ich ihn traf unseren Amtsboten in Verwaltung, der die Akten auf seinem Wagen zum Bestimmungsort rollte und uns die Post in den Mappen brachte.
Zufällig traf ich ihn am frühen Abend nach seinem Feierabend in der Stadt. Er stand vor einer Zeitungsauslage und las die Tageszeitung. "Was Herr Plaschke, fragte ich, Sie sind noch nicht zu Hause?"
Er erklärte mir, dass er noch bis 19.00 Uhr in der Stadt herum laufen müsste, da er im Korridor leben würde. Seine Frau habe in der Wohnung in einem separaten Raum einen kleinen Friseursalon. Der Eingang von der Straße her führte durch den Korridor. Da kamen die Kundinnen seiner Frau durch, um in den Raum zu gelangen, wo sie ihrem Friseurgewerbe nachging. Er dürfe nicht in die Wohnung gehen, nur wenn die Kinder da wären, und er in die Wohnung gebeten würde. Nach Geschäftsschluss stehe ihm dann der Korridor zum Wohnen zur Verfügung. Es gäbe dort ein Klappbett, dass er für die Nacht benutzen könne. Der Korridor wäre auch spärlich mit einem kleinen Tisch und einem Stuhl sowie einem Radio eingerichtet.
Er war ein äußerst gutmütiger Mensch, der nicht aufbegehren konnte, weder im Dienst noch gegenüber seiner Frau. Im Verlaufe der dienstlichen Begegnungen fragte ich ihn weiter aus, weil es mich doch interessierte, wie jemand das alles mit sich machen ließ.
Sein Gehalt hielt seine Frau ihm direkt ein. Er bekam nur ein kleines Taschengeld, das er für sich zur Verfügung hatte. Seine Kleidung war ziemlich abgerissen. Als es Weihnachtsgeld gab, habe ich ihn dann überredet, sich dieses Geld einfach zu nehmen, um sich neu einzukleiden. Nachdem ich immer wieder auf ihn eingeredet hatte, machte er das auch schließlich. Stolz zeigte er mir seine neue Bekleidung. Erzählte mir aber auch von dem großen Krach, den seine Frau veranstaltet hatte, als sie es bemerkt hatte. Ich konnte ihn nicht überreden, seine Frau zu verlassen, um in menschenwürdigen Verhältnissen zu leben. Er war eben ein Mensch, der sich nicht durchsetzen konnte oder wollte.
Es gibt Menschen, die sich alles gefallen lassen nur um des Friedens Willen. Zu ihnen gehörte er. Seine Unterkunft war schlimmer als in einer Justizvollzugsanstalt. Ich glaube, ich hätte diese Frau an seiner Stelle verlassen oder sie umgebracht. In jedem Falle hätte er dabei gewonnen.
28.05.2011 Norbert Wittke
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.05.2011.
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