Kalina Gesell

Bescherung



 
Die Kaffeemaschine gluckerte leise. Im Kaminofen brannte das Feuer, der Teekessel mit frischem Pfefferminztee stand auf dem Herd, die Katze hatte ihren Napf leer gefressen und lag auf der Sitzbank, zusammengerollt zwischen Kissen. Bald würden die Kinder aufwachen und das Haus würde sich mit den vertrauten Stimmen erfüllen.
Am Fenster gelehnt, schaute ich zu, wie es draußen langsam heller wurde und verfolgte mit Sorge das dichte Schneetreiben. Es war mein zweiter Winter im alten Bauernhaus, gekauft in der Hoffnung, hier ungestört alt werden zu können. Der erste war so hart gewesen, dass ich bei der Erinnerung daran jedes Mal zusammenzuckte. Diesmal hoffte ich, es besser machen zu können. Im Schuppen gab es ausrechend Brennholz, die Vorratskammer war gut gefüllt und im Tiefkühlschrank warteten ganze Berge von Fleisch auf die Gäste, die seit zwei Tagen einer nach dem anderen am Bahnhof in der nahen Stadt ankamen und von dort mit dem Auto abgeholt werden mussten.
Weihnachten stand vor der Tür. Mit diesem christlichen Festtag hatte ich, erklärte Heidin, mein Lebtag lang nichts anzufangen gewusst. Ich wäre in der Lage gewesen, Weihnachten wann auch immer zu feiern, wenn nur meine Kinder alle gleichzeitig bei mir wären. Doch die Jungs waren erwachsen geworden und hatten unterschiedliche Wege eingeschlagen. Wir sahen und hörten uns eher selten. Nun aber waren sie da, hatten auch Freunde eingeladen, um gemeinsam einpaar Tage fern der Stadt zu verbringen. Meine Einsiedelei belebte sich. Allein dieser Schnee… Frau Holle schüttelte unermüdlich ihre Federbetten. Sie könnte sich von mir aus ruhig ab und zu mal eine Pause gönnen. Das Dorf würde auch so pünktlich zu den Feiertagen mustergültig aussehen – makellos weiß und sauber, mit dünnen, aufsteigenden Rauchfäden über den Häusern und dem Geruch nach Holzfeuer - zur Freude der Kinder und sehr zum Ärger der Alten, die nun richtig zu tun bekamen, denn ab sofort hieß es: Schneeräumen, was das Zeug hielt, auf den Höfen wie auch auf der Straße.
Alles schlief noch, nur der Hahn meldete sich aus der Dunkelheit des Hühnerhauses heraus. Der Wind schien sich ausgetobt zu haben. Na dann, dachte ich, auf in den Kampf! Mit leisem Seufzen riss ich mich von meinem Platz am Fenster, schlüpfte in die gefütterten Gummistiefel, zog die wattierte Arbeitsjacke an und trat hinaus, um einen Weg bis zum Zwinger frei zu schaufeln und den Hund laufen zu lassen. Später, nach dem Frühstück, würde ich nach und nach den Weg breiter machen, bis schließlich der ganze Hof so weit frei von Schnee war, dass das Auto hinaus gefahren werden konnte.
Ich tat einpaar Schritte und blieb verdutzt stehen. Es hatte in der Nacht so gestürmt, dass sich unter dem ausgedehnten Vordach tiefe Schneewehen gebildet hatten. Die Kellertreppe war zugeschüttet und gänzlich verschwunden. Es waren mindestens vierzig Zentimeter Neuschnee, der gefallen war. Und es wurde immer mehr. Oh, mein Gott, krampfte sich mein Herz bei diesem Anblick zusammen, wo war ich am Ende meines Lebens gelandet? Wie nur konnte ich, Kind des Meeres, in der salzigen Luft der flachen Sandküste geboren und aufgewachsen, wo sich kein Schnee länger als einen Tag hielt, freiwillig in diese fremden Berge kommen?
Ich biss die Zähne zusammen, ergriff den Schneeschieber und begann Zentimeter für Zentimeter einen schmalen Pfad bis zum Zwinger frei zu legen. Der große weiße Hund beobachtete mich von dort aus, stieß kurze Laute aus und wedelte ungeduldig mit dem Schwanz. Er freute sich, der Dumme. Endlich bei ihm angekommen, konnte er es kaum erwarten, dass die schwere Gittertür aufging, preschte mit einem Satz hinaus und wurde sofort eins mit der pulverigen Schneemasse. Nur Nase und die Augen waren noch zu sehen, die wie toll gewordene schwarze Riesenkäfer rauf und runter hüpften und versuchten, mich zum Mitspielen zu animieren. Nein, mein Lieber, jetzt nicht. Noch nicht. Mir tat der Rücken weh, und an den Händen hatte ich bereits Schwielen, aber was soll`s. Schweißgebadet, zog ich mühsam den Pfad weitere zwei-drei Meter bis zum Hühnerstall hin. Die Hühner, die aufgeplustert noch auf ihrer Stange hockten, zeigten wie ich wenig Begeisterung für die dicke weiße Decke ringsum.
So, das reicht fürs Erste. Ich lehnte den Schneeschieber gegen die Wand, um kurz zu verschnaufen und den Rücken gerade zu machen, und stellte im gleichen Augenblick fest, dass von meiner bisherigen Arbeit nicht mehr viel zu sehen war. Der  Pfad war hinter mir wieder zugeschneit, als wollte sich jemand über mich lustig machen. Was sollte ich nur machen? Mir hatten Kälte und Schnee immer schon Angst  gemacht, doch hier, auf dem Lande, war ich ihnen rettungslos ausgeliefert. Wie sollte ich es schaffen, den Hof so weit frei zu legen, dass das Auto aus der Garage gefahren werden konnte? Wenn es nicht aufhörte zu schneien, war es aussichtslos. Ich würde zusammenbrechen, der Schnee würde mich lebendig unter sich begraben. Und gegen Mittag sollte noch jemand vom Bahnhof abgeholt werden...
Verzweifelt betrachtete ich die Bescherung und spürte, wie mir dicke heiße Tränen über das Gesicht liefen.
„Morgen, Mama! Was hast du denn? Weinst du etwa?“
In der Haustür stand mein jüngster Sohn mit zerwühlten Haaren, noch in Schlafsachen. Ich schluckte, zeigte stumm mit dem Kopf ringsum.
„Aber das ist doch wunderschön, da musst du nicht weinen“, sagte er. „Komm, na, komm schon her, schau, was hier ist, da, in der Ecke. Es ist zwar noch nicht Weihnachten, aber mach den Karton schon mal auf.“
Bei ihrer Ankunft hatten die Kinder eine ganze Batterie von Kartons, großen und kleinen, in der Diele abgestellt, um die Geschenke zum richtigen Zeitpunkt gleich bei der Hand zu haben. Auf einen davon zeigte mein Sohn nun.
„Diesen da in der Ecke, den großen, mach ihn jetzt auf“, wiederholte er, nickte und trat zur Seite, um mir Platz zu machen.
Ich begann langsam die Klebebänder aufzureißen. Sicher was Technisches, dachte ich. Was wäre schon angebrachter, wenn man dabei war, ein altes Haus umzubauen. Sägespäne und zerknülltes Zeitungspapier. Noch mehr Sägespäne. Hier und da blitzten rot lackierte Einzelteile. Hm, so viele Teile... Als auch der letzte Fleck Dielenboden mit Sägespänen und Papierknäueln bedeckt war, kam schließlich ein Etikett zum Vorschein: „Schneefräse“.
„Ja-a-a“, stieß ich die Hände hoch, „eine Schneefräse! Oh, mein Gott, ich fasse es nicht! Eine Schneefräse! Danke, danke, Schatz!“
Ich warf mich auf meinen Sohn und umarmte ihn.
„Na, na, ich bin aber auch noch hier und habe auch was damit zu tun, ja.“
Mein älterer Sohn, geweckt vom lauten Geschrei, trat in die Küche. Ich lief zu ihm, umarmte und küsste ihn, brabbelte immerzu:
„Danke, oh, danke, Kinder!“
Ha, nun aber soll der Teufel die Rückenschmerzen holen! Zum Teufel auch mit Frau Holle! Mir wird nichts und niemand mehr Angst machen, kein Schnee und keine Kälte!
Es blieb nur noch das Finanzamt. Wenn sich gegen diesen Floh im Pelz auch ein Mittelchen fände, wäre ich wahrhaftig wunschlos glücklich…

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.05.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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