Hans Witteborg

Die Sonnenblume





Es war einer jener Wintertage an denen selbst Schneewolken es vorzogen sich mit dem kalten Ostwind treiben zu lassen an Stelle ihre weiße Last über den hart gefrorenen Boden abzurieseln. Mit anderen Worten, es war so bitterkalt, daß auf der Landstraße, die auf ein Dorf mit einem fernen Kirchturm wies, sich weder Hund noch Katz, geschweige denn eine Menschenseele blicken ließen.
Dennoch, ein guter Beobachter hätte sehen können, wie sich am Horizont ein Mensch mit schweren Schritten näherte. Er war in einen dünnen Parka gehüllt, der wohl kaum die schneidende Kälte von seinem Körper abhalten konnte. Auch die verschlissene Jaens war nicht die geeignete Bekleidung einen genügenden Schutz gegen den Verlust der Körperwärme zu gewährleisten. Die Füße steckten in einer Art Sportschuhe, die vor Jahren schon bessere Zeiten gesehen hatten. Der magere Körper ging gebeugt und das hatte sicherlich nichts damit zu tun, daß ein schlaffer Rucksack auf dem Rücken des Mannes baumelte. Jedem mitfühlenden Herz hätte die Jammergestalt einen tiefen Seufzer entlockt. Der Mann war offenbar ein Obdachloser, der in der Provinzstadt sicherlich das ganze Jahr über „Platte gemacht“ hatte und nun aus Gründen, die sich unserer Neugier entziehen, den beschwerlichen Wintertrip unternahm.
Während er nur langsam vorwärts kam suchten seine Augen unruhig die Felder und die Gegend ab, als erwarte er irgendeine Besonderheit zu entdecken, der er seine Aufmerksamkeit widmen konnte. Außer einem kleinen Bruch – ein Wäldchen mit gespenstig kahlen Hecken – konnte man in der Landschaft keine Unterbrechung der eintönigen grau/braunen Felder entdecken. Aber auch mit langsamen und schweren Schritten kommt man voran. Und so sehen wir, wie der Einsame hinter dem Windbruch ein altes, heruntergekommenes Haus entdeckt, dessen Dach gerade noch die Hälfte des Hauses bedeckte. Die wenigen heilen Fenster waren vom Schmutz derartig blind, daß man nicht durch sie hindurch gucken konnte, selbst das Tageslicht mußte seine liebe Not haben bis zu den Innenräumen durchzudringen sofern es bei dem Verfall überhaupt noch dazu irgendeine Lust verspürte. Dem Tippelbruder aber erschien dies eine hervorragende Unterkunft zu sein, die zumindest vor dem schneidenden Wind schützte und durch seine Verlassenheit offenbar ein ähnliches Schicksal ertrug wie die menschliche Ruine, die sich ihm freudig näherte. Ja , freudig, denn das verhärmte jedoch gar nicht so alte Gesicht, hellte sich bei der Entdeckung der Unterkunft sichtlich auf und die Schritte des Wanderers schienen leichter und nahezu beschwingt zu werden. Mit einen erleichterten Seufzer trat der Obdachlose durch den Eingang des Hauses, dessen Tür schon vor Jahrzehnten offenbar einer anderen Nutzung zugeführt worden war.
Seine Augen mußten sich an das Dämmerlicht erst gewöhnen bevor er die weitren Umrisse der Zimmer und die am Boden liegenden Schutthaufen unterscheiden konnte. Es gab nichts an Gegenständen, die daran erinnerten, daß hier einmal Menschen ihr zu Hause gehabt hatten. Selbst uralte Tapetenreste hingen lustlos feucht von den Wänden und hatten eine undefinierbare Farbe angenommen, geschweige denn, daß noch ein Muster erkennbar gewesen wäre. Dennoch erschien dem Tippelbruder die Unterkunft wie ein Hort der Gemütlichkeit, der ihm andere Menschen und vor allem diesen verdammten Ostwind fernhielt. Nach einer kurzen Inspektion der Örtlichkeit ließ sich der Fremde in einem kleinen Raum in einer Ecke nieder wo er erschöpft zunächst vor sich hindöste, dann kurz in seinem Rucksack
kramte und eine flache Flasche mit einem Seelentröster hervor holte, aus der er einen mehr als kräftigen Schluck zu sich nahm. Für den Augenblick schien das seine Lebensgeister zu wecken, denn er begann einen alten Schlager vor sich hinzusummen. Dann nahm er noch einen Schluck aus der Pulle, schraubte sorgfältig den Verschluß zu, stellte die Flasche sanft ein paar Zentimeter nehmen sich und schlief mit einem Seufzer ein.
Eine Hand, die sich sanft auf seine Schulter legte, weckte ihn auf. Vor ihm stand eine etwa 25jährige Dame in einem dünnen Sommerkleidchen. Ihr langes rotes Haar trug sie offen keck über ihre linke Schulter geschlagen. Die wohlgeformten Beine steckten in hochhackigen Pumps. Ihre Erscheinung paßte weder in dieses Haus noch in die kalte Winterzeit. Dennoch gab es keinerlei Anzeichen dafür, daß sie fror,
im Gegenteil sie schien fröhlicher Dinge so als hätte weder die Umgebung noch die Kälte irgendeinen negativen Einfluß auf ihre Laune als sie ihn mit seinem Namen ansprach:
David, ich habe dich gesucht, hier bist du also! Sagte sie mit einem leichten Ton des Vorwurfs in der Stimme.
Der so Angesprochene war verblüfft und verwirrt. „Woher_ haben Sie_ meinen Namen und_ und wer sind Sie,“ seine Stimme klang heiser und etwas abgehackt.
„Aber David,“ kam es vorwurfsvoll ohne jede weitere Erklärung zurück. „Komm, ich möchte dir etwas Wundervolles zeigen!“
Sie half ihm mit leichten Nachdruck auf die Beine. Er wollte seinen Rucksack ergreifen, sie aber faßte seinen Arm und ergänzte: „den wirst du nicht brauchen. Jetzt noch nicht.“ Willenlos ließ er sich von ihr führen. Sie traten durch die Hintertüre – jedenfalls das, was sie mal gewesen war. Seine Verblüffung war grenzenlos. Vor ihm lag ein Garten mit einer Vielzahl blühender Blumen. Die Sonne schien auf einen herrlich grünen Rasen auf dem eitle Pfauen ihre wunderbaren Räder entfachten.
Das Schönste von allem war jedoch die herrliche Wärme, die seinen durchgefrorenen Körper erwärmte. Er erstarrte wie zu einer Salzsäule, kein Ton kam aus seinem Mund, der vor Staunen offen stand wie ein vergessenes Scheunentor.
Nach einer kleinen aber verständlichen Pause äußerte er sich schüchtern:
„Wo bin ich... ist dies nur ein schöner Traum...was ist passiert, wer in aller Welt sind Sie,“ er verhaspelte sich fast, denn die Eindrücke waren nicht nur überwältigend sondern für ihn auch unerklärbar.
„So viele Fragen auf einmal“, sagte die schöne Frau und ihr Lächeln ließ sie noch schöner erscheinen. “Wie Dornröschen“, schoß es ihn durch den Kopf.
„Du bist hier an einem Ort, der für dich bestimmt ist. Ich kenne dich schon seit vielen Jahren, David, bis du mir verloren gingst, war ich in deiner Nähe. Ich suchte dich und bin nun froh dich endlich gefunden zu haben. Es ist soviel passiert, daß ich dir nicht alles erklären kann in so kurzer Zeit...auch würdest du mir wahrscheinlich nicht glauben. Vertrau mir also und begleite mich ein Stück.“ David trottete folgsam neben ihr her, gehorsam, weil er sich in der Gegenwart der fremden Dame einfach nur wohl fühlte. Sie gingen eine Weile stumm weiter, bis sie an ein Feld mit Sonnenblumen kamen. Hier blieb die Dame stehen, knickte eine schöne, große Sonnenblume ab und gab sie ihm mit den Worten: Vielleicht erinnert dich das an deine Jugend als du mit mir und deinen Geschwistern durch die Felder gestreift ist und mir vor vielen Jahren ebenfalls eine Sonnenblume gepflückt hast?“
Er erinnerte sich an die schönste Zeit seines Lebens... eine unbeschwerte Jugend mit den heiteren und fröhlichen Stunden, die er nie mehr in seinem späteren Leben erfahren durfte. „Ach, ja, ich war damals ganz vernarrt in dich Sabine, durchlebte er noch einmal das süße Gefühl einer ersten Liebe. Sie faßte ihn bei der Hand. Da waren die schweren Schritte vergessen...wie auf Wolken schritten sie dahin einer strahlenden Sonne entgegen. Die Sonnenblume hielt er wie eine Standarte krampfhaft in der Hand nicht für alles Geld in der Welt würde er die wieder hergeben.....
Schnee war gefallen. Die Kinder des nahen Dorfes nutzten die Gelegenheit sich gegenseitig mit den Schlitten über die Felder zu ziehen. Hügel oder Berge für eine Abfahrt gab es in dem Flachland nicht. Die Treue Alissa, ein Münsterländer Jagdhund, wälzte sich im Schnee und rannte übermütig bellend voraus. Der Hund lief auf ein altes, verfallendes Gebäude zu und verschwand im Innern. Die Kinder folgten ihr und riefen unablässig ihren Namen: Alissa, Alissa!
Alissa aber stand in einem Eck eines kleinen Zimmers und bellte unentwegt.
Die Kinder kamen näher und entdeckten einen Landstreicher, dessen Gesicht mit einem Hauch von Reif überzogen war. Der Mann schien erfroren zu sein. Was aber verwunderte: er hielt eine Sonnenblume in seiner linken Hand, die wie eine Standarte ihren Blütenstand in den Himmel streckte. Die Blume war nicht verwelkt sie hatte das Aussehen als hätte man sie soeben gepflückt....

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.05.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Die Gedichte begleiten durch die vier Jahreszeiten und erzählen wie die Natur erwacht, blüht und welkt, wissen von reicher Ernte zu berichten. Der Spätsommer im Park, winterliche Gefilde oder Mailandschaften scheinen auf. Der Autor verwendet meist gereimte Zeilen, zeigt sich als Suchender, der neues Terrain entdecken möchte. Der Band spricht von den Zeiten der Liebe, zeigt enttäuschte Hoffnungen und die Spur der Einsamkeit. Wut und Trauer werden nicht ausgespart. Es dreht sich das Kaleidoskop der Emotionen. Der kritische Blick auf die Gesellschaft und sich selbst kommt zum Zuge. Kassandras Rufe sind zu hören. Zu guter Letzt würzt ein Kapitel Humor und Satire. So nimmt der Autor seine Zettelwirtschaft aufs Korn, ein hoffnungsloser Fall.

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