Heidemarie Rottermanner

Elena

  
Elena
 
Der Frühling war ins Land gezogen, damals ihm Jahre 1520, in dem Land jenseits des grauen Gebirges. Grüne Wiesen, Wälder, Auen und fruchtbringende Äcker ernährten die Bürger, freie und unfreie Bauern, Edelleute und ihre Ritter und Knechte. Diese lebten in Wohlstand und Zufriedenheit, solange der alte König Eduard II mit seiner gütigen Hand regierte. Doch eine schwere Krankheit warf ihn aufs Lager und nun knechteten seine beiden Söhne Ulrich und Jörg mit Grausamkeit und Herrschsucht die Menschen.
 
Elena lebte alleine und verlassen in  ihrer armseligen Hütte am Waldesrand. Sie versuchte mit Korb flechten und Tonvasen töpfern ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Vater, Mutter und Geschwister hatten die Unterkunft gebaut und ihr den Wiesengrund geschenkt. Danach waren sie aus ihrem Leben verschwunden.
 
Auch an diesem Morgen saß Elena alleine auf der morschen Bank vor der Hütte.
Sie strich sich das lockig, braune Haar aus der Stirn und schloss die Augen. Die Sonnenstrahlen liebkosten ihr Gesicht. Sanft lag die Hand der Frau auf dem Kopf eines schwarzen, großen Hundes, der zu ihren Füßen saß. Nun öffnete sie die Augen. Ein Zitronenfalter wippte auf einer Margerite auf und ab. Da begann Elena zu sprechen: „Ach, was bist du für ein schönes Geschöpf. Könnte ich doch gleich dir, dieses einsame Fleckchen verlassen, mich in die Lüfte schwingen und von dannen fliegen.“
Bis du hier so unglücklich“, fragte plötzlich eine Stimme. Elena drehte sich erschrocken um. Neben ihr auf der Bank hatte ein junger Mann Platz genommen. Erstaunt blickte ihn die Frau an, sie hatte sein Kommen nicht gehört.„Wer seid ihr? Von wo kommt ihr“, fragte sie.
„Ich bin Lennart und wohne hinter dem Wäldchen am Rande des mächtigen, grauen Gebirges“, antwortete der Mann
 
Elena blickte den Fremden misstrauisch an. Er konnte unmöglich die Wahrheit sagen.
Weit und breit war weder Haus noch eine Hütte in dieser Einöde. Sie lebte Gott verlassen hier auf diesem Fleckchen Erde. „Nun ich merke, du bezweifelst meine Worte. Und doch spreche ich wahr. Wenn du durch diesen Wald gehst, kommst du an eine Lichtung, dort steht eine kleine Hütte, mein Zuhause.“ Wolf, so hieß der große, schwarze Hund, trottete zu dem Fremden und legte sich ihm zu Füßen. Zärtlich strich der Mann über sein Fell. Das lange dunkle Haar fiel dem Jüngling in die Stirn. Jetzt hob er die Hand und wischte sie fort. Elena erhaschte einen Blick in sein Gesicht, erschrak zutiefst und bog den Kopf zur Seite. Ein Seufzen entfloh ihrer Brust.
 
„Hab keine Angst. Ich bin blind. Doch ich spüre deine Nähe.“
„Verzeih“, antwortete die junge Frau, „dass ich über deine Blindheit erschrocken bin. Ich wollte es nicht.“
„Es braucht dir nicht leid tun. Meine Brüder hassten mich und meine Missbildung. Sie ließen mich durch ihre Häscher in diese Einöde verschleppen. Hier sollten sie mich ermorden und meine Leiche verscharren. Doch die Diener meines Vaters brachten es nicht übers Herz diese Grausamkeit zu begehen.
 Sie ließen mich in der Hütte und eilten zurück zur königlichen Burg. Sie hielten Stillschweigen darüber, den Befehlt nicht ausgeführt zu haben. Meine Brüder konnten mich nicht ertragen. Des Königs Söhne mussten stark, tapfer, ungestüm und gesund sein. Doch diese Eigenschaften besaß ich nicht, vielleicht wollte ich diese auch niemals besitzen. Musik war mein Leben, sie zerstörten zwar meine Laute, doch meine Stimme konnten sie nicht töten. Die Laute fehlt mir, meine Freunde versprachen eine neue zu besorgen. Doch bis jetzt konnten sie mir nicht helfen.“
 
„Warte einen Augenblick“, Elena drehte sich um, öffnete die Türe ihrer Hütte und verschwand. Als sie wieder auftauchte hielt sie eine Laute in der Hand und überreichte sie Lennart.
Dieser ergriff das Instrument. Zärtlich strich er über die Saiten, dann neigte er seinen Kopf und lauschte den Tönen. Es war als hielt er Zwiesprache mit der Laute. Endlich griff er in die Seiten und begann zu spielen. Beim Klang seiner Stimme hielt Elena den Atem an. Beglückt lauschte sie den wunderbaren Tönen. Zärtlich umspielten sie die Musik, ihre Seele begann zu tanzen und sie fühlte sich hochgehoben und fortgetragen. Unsagbare Freude erfüllte ihr Herz und sie spürte weder Schmerz noch das Eilen der Zeit. Der Lauf der Erde wurde angehalten und Friede machte sich breit.
 
Elena legte ihren Kopf an die Hüttenwand und schloss die Augen. Sie hörte auf die Töne und den Klang seiner Stimme. Dann stimmte sie ein, zuerst leise und schüchtern. Fast erschrocken stellte sie fest, sie wurde eins mit Melodie und seiner Stimme. Sie öffnete die Augen und sah das Glück in seinem Gesicht. Wie konnte es sein, dass ein Ausgestoßener, der  einsam und alleine im Wald wohnt, so strahlen konnte. Es war unmöglich!
 
Lennart schien ihre Gedanken zu erraten. Er sagte leise: „Ich bin nicht alleine. Viele meiner Gefährten und Freunde versorgen mich mit dem Allernötigsten, sie tun dies heimlich und riskieren ihr Leben. Die schweigenden Bäume, Hase, Rehe, Fuchs und Eichhörnchen sind meine Freunde. Der Mond und die Sterne begleiten mich in die Nacht, bewacht vom Engel des Lichts. Natürlich erschrecken mich die Geschichten die meine Freunde erzählen. Das Land wird von meinen Brüdern ausgebeutet, die Menschen leiden Hunger und Not und mein Vater liegt todkrank auf seinem Lager. Ich muss ihm zu Hilfe eilen, ich weiß noch nicht wie dies all geschehen soll.“
 
Elena richtete sich auf, ihre Augen funkelten. „So ganz alleine bin ich doch nicht. Meine Freunde, die Gaukler und Lautenspieler werden uns bestimmt helfen. Ich will morgen auf den Markt um meine Tonvasen und Weidenkörbe zu verkaufen.  Hilf mir bitte beim Verladen der Waren. Ich möchte diese noch heute auf dem Leiterwagen verstauen. Meine treue Stute Mona wird morgen früh davor gespannt und dann gehen wir gemeinsam auf den Weg zum Markt. Kommst du mit?“
„Ich bin dabei“, antwortete der junge Mann. Sogleich beluden sie den Wagen mit Weidenkörben, Vasen, Krügen und Bechern aus Ton.
Mittags bereitete Elena flink ein schlichtes und doch schmackhaftes Mahl für sie beide. Sie wunderte sich über die Hilfsbereitschaft des jungen Mannes. Er schürte das Feuer im Ofen und holte Holz. Er schnitt die Möhren und zerteilte das Kraut und wusch es im Wasser der nahen Quelle. Trotz seiner Behinderung ging ihm die Arbeit  leicht von der Hand. Verstohlen blickte Elena ihn an. Diese dunklen, großen Augen faszinierten sie zutiefst, obwohl kein Glanz darin lag. Aus dem Gesicht des jungen Mannes leuchtete die Liebe und doch hatte er keinen Grund gut über seine Mitmenschen zu denken.
 
Nachmittags saß Lennart im Sonnenschein vor der Hütte. Leise Töne erklangen von Elenas Laute. Die junge Frau stand im Dunkel des Zimmers und lauschte seiner Stimme. Plötzlich ahnte sie, warum ihn seine Brüder fürchteten.
 Er verzaubert, berührte die Herzen, legt sie offen. Doch diese Verletzbarkeit war eine Gefahr und sie hatten Angst vor ihm. Warum musste man immer die Menschen verbannen, die ehrlich und offen waren.
 
Leichten Schrittes setzte sich Elena zu ihm. Aufmerksam lauschte sie dem Text und der Melodie seiner Lieder. Vorsichtig suchte sie die passenden Töne, wurde immer mutiger, bis sie sich in der Musik wiederfand und mitsang.
 
Die Sonne näherte sich dem Horizont und die Abenddämmerung brach herein. Elena und Lennart hatten im Wald Holz gesammelt und dieses an die Hüttenwand geschlichtet. Nun wollte der junge Mann nach Hause eilen. Elena und der schwarze Wolfshund begleiteten ihn durch den dunklen Wald. Die Bäume lichteten sich und vor ihnen lag eine saftig, grüne Wiese. Eine winzige Hütte stand mittendrin. Dahinter erhob sich die steile Felswand. Ganz in der Nähe plätscherte ein munteres Bächlein. Die junge Frau spürte den Frieden und die Stille und sie ahnte, dass Lennart hier glücklich und geborgen lebte.
 
Der Morgen graute. Rosa Farben malten sich in den Himmel und Nebelfetzen schlichen durchs Tal. Ein kühler Wind bewegte die Zweige der Tannen und Fichten.
Elena öffnete die Tür ihrer Hütte und ging zum Stall, um den treue Stute vor den Wagen zu spannen. Wolf wartete geduldig bis die Reise in die nahe Stadt beginnen konnte. Freudig wedelte er mit dem Schwanz als Lennart auftauchte.
Der Prinz setzte sich zwischen die Tonkrüge. Elena schritt neben dem Pferd einher und die Fahrt begann.
Auf dem holprigen Weg, gesäumt mit vielen Schlaglöchern kamen sie nur langsam vorwärts.
 Bauersfrauen schleppten ihre Körbe, ochsenbespannte Fuhrwerke, beladen mit Obst, Gemüse, Brennholz und vielem mehr, alle waren unterwegs Richtung Markt.
 
Die Sonne strahlte mild wärmend vom Himmel als Lennart und Elena das Stadttor passierten.
Vorbei an den schmucken Bürgerhäusern erreichten sie den Stadtplatz.Die Pferdehufe klapperten über das steinerne Pflaster. In der Nähe des Stadtbrunnes hielten sie an. Lennart begann den Wagen abzuladen. Er hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen um unerkannt zu bleiben. Rundherum erwachte das Leben. Bauersfrauen schichten Gemüse, Obst, getrocknetes oder frisches Fleisch und Getreide auf. An einigen anderen Ständen lagerten die Stoffballen und Handwerkszeug. Gaukler, Lautenschläger und Stelzengeher liefen auf und ab, ebenso die Kesselflicker boten ihre Dienste feil. Die Bewohner der Stadt kamen in Scharen um sich die Waren anzusehen und darum zu feilschen.
 
Elena blickte unruhig in die Menge, wo waren ihre Freunde unter den Possentreibern und Gauklern geblieben? Da tauchte endlich Bertram, der Lautenschläger auf, zielstrebig lief er in ihre Richtung. Gerade in diesem Augenblick wich die Menge erschrocken zurück, die Zolleintreiber schritten einher. Rohe und ungehobelte Gesellen, unter deren Füßen manch kostbares Gut aus Ton zerbrach. Zum Glück drehten die Kerle um und marschierten zu den Ständen am unteren Stadttor. Elena atmete erleichtert auf.  Auch Colin und Diethart gesellten sich nun zu Bertram.
 Raschen Schrittes eilten sie zum Marktstand der jungen Frau und begrüßten sie überschwänglich. „Bitte kümmert euch um meinen Begleiter“, bat Elena inständig. „ Er darf nicht erkannt werden, und er ist von Geburt her blind.
 „Keine Sorge, Mädchen, wir helfen dir gerne.“ Rasch winkten sich noch einige Gaukler herbei, diese blieben ständig in ihrer Nähe und bildeten eine schützenden Wall.
 
Städterrinnen und Bauersfrauen drängten sich um Elenas Stand, die Tonvasen, Krüge und Weidenkörbe fanden schnell ihre neuen Besitzer und der Beutel der Frau füllte sich mit Silbermünzen.
 
Plötzlich stoben die Menschen auseinander. Die Zolleintreiber forderten die Marktgebühr. Schon stiefelte einer dieser groben Männer auf ihren Stand zu. Elena behielt ihre Krüge im Auge und versuchte ruhig und unbeteiligt zu wirken. Sie grüßte höflich und
holte einen Taler aus der Tasche. Zuvor hatte sie vorsorglich den prall gefüllten Beutel in der Satteltasche ihres Pferdes versteckt. Man konnte nie wissen, was diese Unholde im Schilde führten. Der Kerl musterte sie von oben bis unten und schlug mit seinen hackenbesetzten Stiefeln aus und streifte einen Krug. Elena fing diesen geschickt auf und stelle ihn außer Reichweite. Ein höhnisches Grinsen erschien im rotbäckigen Gesicht, dann machte der Unhold kehrt und ging zum nächsten Stand.
 
Elena begann mit zitternden Händen, den Wagen zu beladen. Sie war  von dem Gedanken beseelt: Nur schnell weg von hier. Lennart zog die Kapuze noch tiefer ins Gesicht, stellte sich zum Pferd und sprach beruhigend auf das Tier ein. Diethart und Colin halfen der jungen Frau beim Aufladen. „Ich brauche eure Hilfe“, flüsterte Elena, „kommt  mit zu meiner Hütte, dort werde ich euch mehr erzählen.“
Als sie den fragenden Blick der beiden spürte, schüttelte sie den Kopf und legte den Finger an den Mund. Sie würde keine weiteren Fragen dulden.
Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Die Gaukler sprangen auf ihre Pferde und begleiteten die beiden. Sie führten einen jungen Wallach mit sich.
 
Am späten Nachmittag erreichten sie die Hütte der Frau.
Die Männer spannten das Pferd aus dem Wagen. Elena eilte in die Hütte, sie füllte die Krüge mit Wasser, schnitt Brot auf und eilte ins Freie.
Lennart hatte die Kapuze zurückgeschlagen und holte den Tisch, der hinter der Hütte stand und stellte ihn zur Bank.
Diethart zuckte erschrocken zusammen und ging vor ihm auf die Knie und stammelte: „Herr, ich dachte ihr wärt längst tot.“
Lennart sprang auf und sagte ruhig: „Wie du siehst, bin ich quicklebendig. Die Häscher meiner Brüder wollten mich nicht töten. Sie führten mich zur versteckten Behausung am Rande des grauen Gebirges, dort lebe ich nun schon seit geraumer Zeit. Steht nun endlich wieder auf.“
Colin und Bertram warfen sich ebenfalls zu Boden und schüttelten die Köpfe. „Wie könnten wir es wagen, so vor Euch zu treten.“
„Na gut, wenn ihr dies wollt, dann …!“ Der Prinz ließ sich ebenfalls zur Erde fallen.
Das verunsicherte die  jungen Männer vollends, lachend erhoben sie sich und umarmten Lennart.
Elena sagte: „Kommt lasst diesen Unfug und setzt euch an den Tisch.“
Schweigend folgten die Männer ihrer Einladung. Lennart begann schließlich zu sprechen.
„Mein Land leidet unter der grausamen Herrschaft meiner Brüder.
Vater liegt schwerkrank auf seinem Lager. Ich muss in die Burg zurück und brauche eure Hilfe.“
 
„Das trifft sich gut“, antwortete Colin. „Jörg und Ulrich, haben heute Morgen die königliche Burg verlassen. Die beiden reiten mit großem Gefolge jenseits der grauen Felsen um in den Nachbarländern nach ebenbürtigen Frauen zu suchen. Des Königs Söhne wollen Hochzeit halten.“
„Gleich morgen will ich aufbrechen und zu meinem Vater reiten. Werdet ihr mich begleiten?“fragte  Lennart.
„Natürlich sind wir dabei“, die Männer nickten. „Den braunen Wallach kannst du reiten. Hinter der Hütte ist er an einem Baum angebunden. Unsere Freunde werden wir ebenfalls bitten uns zu begleiten.“
 
Schon senkte sich die Dunkelheit übers Land. Die Menschen lagerten auf Wiesen- und Waldboden. Die Nacht war lau, und in warmen Tierfellen eingehüllt, konnte man die Dunkelheit gut überstehen.
Lennart und Elena saßen schweigend auf der Bank vor der Hütte. Die Frau hätte schon längst den Strohsack als Ruhekissen verwenden sollen, doch stattdessen saß sie bei dem jungen Mann und blickte in den Sternenhimmel. Vor Müdigkeit fielen ihr die Augen zu. Lennart hob sie hoch und trug sie vorsichtig ins Innere, mit dem Fuß öffnete er die Tür zur Schlafkammer und legte die Frau auf ihr Lager.
 Mühsam öffnete Elena die Augen, legte die Hand aufs Kissen und meinte leise: „Bleib hier, ich vertraue dir, du wirst mir nichts zu leide tun.“
Lennart schlüpfte unter die Decke und schlief sofort ein.
 
Früh morgens, als das Licht noch blass am Firmament hing, schälte sich  Elena geräuschlos aus ihren Kissen. Sie eilte in die Küche und schürte das Feuer, dann hängte sie den verbeulten Kupferkessel in das offene Feuer und kochte Tee.
Nebenbei öffnete sie ihren Proviantsack, gab Brot, Kräuter und den Wasserbeutel hinein.
Dann eilte sie in den Stall, fütterte die Hühner und die Ziege, auch das Pferd bekam noch ein wenig Hafer.
Mengelin, ein Mädchen, das im nächsten Dorf wohnte, würde die Tiere weiterhin versorgen, da Elena nicht wusste, wann sie wiederkehren würde.

Nun kam auch Bewegung in die Leute. Die Pferde wurden gesattelt, die Beutel mit frischem Wasser gefüllt und Brot kam in die Taschen.
Dann sprangen die Männer und die Frau auf ihre Pferde. Auch Lennart saß bereits auf seinem Wallach, der artig am Grasbüschel zupfte.
Die Reise konnte beginnen. Lennart ritt vorsichtshalber zwischen Elena und Diethart, Vorbei ging es an Wiesen, Felder, durch verschlafene Dörfer und Rotten. Nur vereinzelt begegnete ihnen ein schweres Fuhrwerk, das von Ochsen gezogen wurde.
Sie kamen rasch voran. Schon sahen sie die Zinnen der hohen und mächtigen Burg, die auf dem trotzigen Berg stand.
 
Ungehindert kamen sie bis zum Burgtor. Diethart sprang vom Pferd und sprach einige Worte mit dem Pförtner. Geräuschvoll öffnete sich die Zugbrücke. Lennart hatte sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Der Zug ritt langsam ins Innere der Burg.
Elena und der Prinz sprangen vom Pferd. Sofort eilten Knappen herbei und kümmerten sich um die Tiere.
Der junge Mann eilte über die Stufen  zur Eingangshalle. Rasch öffnete er das Tor und schritt ins Innere. Elena konnte ihm kaum folgen. Wie schlafwandlerisch fand der Mann den Weg zum Schlafgemach seines Vaters. Elena merkte die Unordnung und den Schmutz der in den langen Gängen lag. Die Luft war stickig und es roch nach Moder und Fäulnis.
Lennart stand einen Moment still, hörbar sog er die Luft ein. Was mochte ihn wohl hier erwarten. Lebte sein Vater noch … oder war er schon …?

Entschlossen drückte er die Klinke, die Tür öffnete sich knarrend und die beiden traten leise ein. Tief versunken in hohen, schmutzigen Kissen lag ein alter Mann, hohl und bleich waren seine Wangen, die Augen hatte der Greis geschlossen. Jetzt bewegten sich zuckend die weißen Hände. Der Gestank war nicht zu ertragen. Elena stürzte zum Fenster, mit einem Ruck öffnete sie die Flügel. Klare und warme Luft strömte in den Raum. Man konnte wieder durchatmen.
„Du lebst doch noch“, mit geschlossenen Augen und leiser Stimme redete der Todkranke. Elena öffnete ihren Beutel holte einen Becher hervor und goss Wasser hinein und vermischte Kräuter darin.
Sie kniete sich an die Liegestatt des Alten und flößte ihm vorsichtig die Flüssigkeit ein. Sehr matt begann der Mann zu trinken. Elena gab höllisch acht, damit sich der Kranke nicht verschluckte. Ermattet ließ sich der König wieder in seine Kissen fallen. „Bitte spiel mir auf, geliebter Sohn, lass mich deiner Musik lauschen.“
 
„Wartet einen Augenblick“, flüsterte Elena. „ Komm Lennart hilf mir bitte.“ Der Prinz verstand sofort. Das Mädchen holte frisches Wasser und ein Tuch zum Abtrocknen. Schnell und mit geschickten Händen wuschen sie den Alten und zogen ihm ein frisches Nachtgewand über. Lennart hatte zuvor die Kissen gewechselt und durchgeschüttelt. Nun lag der Kranke auf seinem duftenden Lager.
Lennart stürmte aus dem Zimmer und prallte beinahe mit Diethart zusammen, der ihm ruhig die Laute überreichte.
 
Der Prinz zog einen Stuhl heran und setzte sich darauf. Dann nahm er die Laute, zupfte und lauschte gespannt den Tönen. Leise begann er nun zu spielen. Er neigte den Kopf, schloss die Augen und begann zu singen. Das Lied handelte von der Quelle, die hoch in den Bergen entsprang, über Felsen, Stock und Stein stürzte, um sich ins Tal zu ergießen als quirliger munterer Bach. Dieser schlängelte sich nun durch Wiesen und Felder. Mensch und Tier tranken das reine und klare Wasser und neue Lebensfreude strömte durch die Adern und erquickte das Herz und die Seele. Kraft erfüllte die Körper und die Bauern konnten frohgemut ihrer Arbeit nachgehen.

Elena wurde von den zärtlichen Melodien erfasst, auch sie erhob ihre Stimme und sang leise, oft flüsternd mit. Manchmal erstickten die Töne und Tränen rannen ihr übers Gesicht.
Der alte Mann lauschte mit offenem Mund, ab und zu lächelte er wie ein Kind und dann erfüllte ein Schluchzen seine Brust.
Die junge Frau, ergriff seine Hände, strich besänftigend und mitfühlend über seine bleichen Finger. Da schlief er beruhigend ein.
Doch die Töne der Laute und die Stimme des begabten Sängers flogen hinaus ins weite Land und fanden sich in den Ohren der Zuhörer wieder.
 
Die Zugbrücke war nicht wieder hochgezogen worden, Bauersleute strömten ins Innere der Burg. Am Vorplatz versammelten sich Frauen, Kinder, Männer, alte und ausgemergelte Menschen. Sie hatten sich einfach auf den staubigen Boden fallen gelassen und dort harrten sie der Dinge die nun kommen mussten. Auf den Zinnen der Burg schritten noch immer die Wachmänner auf und ab und blickten angestrengt ins weite Land.
Einige der Männer eilten die Treppen hinab und mischten sich unter das Volk. Verunsichert hielten sie ihre Lanzen und Sperre um diese dann in die Waffenkammer zu tragen. Sie wagten nicht die Mordwerkzeuge gegen das eigene Volk zu richten. Mochten die bösartigen Brüder und Herren des Landes dies selbst tun, sie würden keinen Finger rühren.
 
 Von alledem ahnten Elena und Lennart nichts. Mit Genugtuung sahen sie, wie sich die Wangen des Königs langsam färbten und Leben in seinen schwachen Körper zurückkehrte.
Plötzlich öffnete er die Augen und setzte sich auf. Bevor er den Mund öffnete, griff Elena in ihren Beutel und holte ein frisches Brötchen hervor. Sie zerteilte es in kleine Stücke tauchte es in Wein und gab dem Kranken zu essen. Genüsslich kaute dieser und  nippte  zwischendurch an seinem Becher.

„Wie bin ich meinem Gott und Schöpfer dankbar, dass ihr beide noch zur rechten Zeiten aufgetaucht seid. Wie hätte ich schmählich sterben müssen, vergessen von meinen Söhnen und meinem Volk. Ihr seid meine rettenden Engel. Ich danke euch von Herzen dafür.“
Lennart stürzte auf den staubigen Boden und küsste die Hände des Alten. „Ach Vater wie froh und glücklich bin ich, dass es euch ein wenig besser geht. Mein Herz jubelt voll Freude.“

„Und wer ist diese?“ Fragend zeigte der König auf Elena.

„Eine bezaubernde junge Frau, ebenso ausgestoßen wie ich, fristet sie im Häuschen am Waldesrand ihr Leben. Tapfer und unerschrocken verrichtet sie dort ihre Arbeit und kämpft für ihr Dasein. Elena ist ihr Name. Sie hat mein Herz berührt und fand meine überaus große Zuneigung. Ja ich habe sie in dieser kurzen Zeit richtig lieb gewonnen.“

Lennart legte die Laute zur Seite und streckte die Hände aus und Elena lehnte sich an seine Schulter und fühlte seine Wärme.
„Sie erinnert mich an deine liebreizende Mutter, sie hatte ein wunderbar frohes Herz. Ich vermisse sie noch immer“, antwortete der König sichtlich gerührt. „Doch sie starb bei deiner Geburt. Zurück blieb ich mit dir, meinem geliebten erstgeborenen Sohn, dessen Augen nicht sehen konnten. Meinen Schmerz erstickte ich, indem ich mich auf die Suche nach einer liebenden Gemahlin machte. Doch  meine zweite Frau war hart und grausam. Viel zu spät fühlte ich diese Herzenskälte, oh wie blind war ich doch gewesen, sah nur die schöne Gestalt und nicht die Grausamkeit ihrer Seele.“

Lennart strich tröstend über die Hände seines Vaters. „Wir werden einen Ausweg finden. Mit List muss ich meine Brüder überrumpeln. Ich möchte kein Blutvergießen, schon zu viel Grausamkeit hat meine geliebtes Land und ihre Bewohner ertragen müssen.“
„Ich werde dich dabei unterstützen, wenn es meine Kräfte erlauben“, der König erhob sich und vorsichtig bewegte er sich aus seinem Ruhelager. Elena half ihm beim Anziehen seines langen und warmen Schlafrocks. Gemeinsam gingen sie zum großen, geöffneten Fenster und blickten in den Hof.

Lennart  folgte den beiden. Elena beugte sich aus dem Fenster und sah die wartende Menge und erschrak sichtlich.
„Wir müssen nach unten in den Burghof, dort stehen die Menschen Schlange, sie wollen bestimmt mit dir reden und dich sehen.“
„Ja geht nur“, antwortete der Vater, „ich fühle mich besser, ihr könnt mich alleine lassen. Mein Sohn du musst mit deinen Untertanen reden.“
 
Der Prinz eilte mit der jungen Frau zurück zum Eingangsbereich. Als er das Tor öffnete und auf den Stufen zum Burgplatz erschien, brandete Jubel auf. Die Menschen erhoben sich und schrieen: „Heil unserem König, der unsere Bürden erleichtern und uns  die Freiheit schenken wird.“
Lennart stand still, er horchte auf die ihn umgebenden Geräusche. Sogleich eilten Diethart, Bertram und Colin herbei und stellten sich an seine Seite.
Der Prinz sprach mit lauter, ruhiger Stimme: „Mein Volk, ich freue mich, dass ihr so zahlreich hier eingetroffen seid um mich zu sehen. Wählt Vertreter aus eurer Mitte, mit diesen will ich sprechen und Pläne für die Zukunft erstellen. Geht wieder zurück zu euren Behausungen und Feldern. Nichts darf das Misstrauen meiner Brüder erregen, wenn sie aus fernen Landen wieder hierher zurück kehren. Die Köche aus der Burgküche werden auch zur Stärkung Brot und Wasser geben. Doch nun muss ich in Ruhe einen Plan für unser aller Errettung finden, Gott möge mir dabei zur Seite stehen, damit er gelingt.“
Ohne zu Murren stellten sich die Leute an, die Kinder erhielten noch ein Stück Honigkuchen.
 
Nur noch die engsten Vertrauten waren nun im Rittersaal versammelt. Die Türen wurden wieder verschlossen und die Menschen sprachen im gedämpften Ton weiter. Nichts durfte nach außen dringen, sonst würde das Vorgehen zum Scheitern verurteilt sein. Die Zeit drängte, sie mussten rasch handeln.

„Elena und ich, wir werden uns in einer geheimen Kammer verstecken. Nun lastet die schwere Verantwortung auf Diethart, Bertram, Colin und all euren Freunden.
Bevor meine Brüder die Burg erreichen, müssen die Krüge mit schwerem Wein gefüllt werden.
Ihr müsst dafür sorgen, dass die Königssöhne und ihr Gefolge mit reichlich fetten Essen und Vergnügen gefügig gemacht werden. Dann können wir sie in Ruhe überwältigen und fesseln. Mein Befehl lautet, all dies muss in Ruhe und ohne Tumult geschehen. Die Männer und Frauen werden keine Gewalt erleiden. So wahr ich hier stehe, ihr schwört mir auf euer Leben, dass dies geschieht. Gott möge uns beschützen.“

Colin erhob sich, sein Gesicht war wutverzehrt und seine Stimme klang heiser. „Herr, ihr werdet doch diese Bösewichte nicht ungestraft von dannen ziehen lassen. Dies kann und will ich nicht mittragen.“
Der junge Mann versuchte sich zu beherrschen, doch seine Stimme zitterte und er schüttelte immer wieder den Kopf. Dann fügte er leise hinzu: „Sie haben meinen Vater grausamst gefoltert, aufs Rad gebunden und anschließend …“ abrupt brach er ab und ging unruhig hin und her. „Sie haben meinen Vater gevierteilt.“

Colin eilte zu Elena, blieb dicht vor ihr stehen, sein Atem ging stoßweise. „Es war auch dein Vater. Deine Mutter war seine Geliebte, sie wollten zusammenbleiben, doch ihre Eltern waren dagegen. Mein Vater war ein Kleinbauer und nicht gut genug. Deine Mutter wurde schließlich mit einem Edelmann verheiratet. Mein Vater erzählte mir oft von dieser schönen Frau, auch vom Abschied der beiden. Es brach ihr das Herz. Mein Vater war von dieser Stunde an nicht mehr glücklich, sein Leben war zerstört. Und dann die Schergen der Königssöhne. Unerbittlich legten sie den Zehent für die Bauern fest, auch wenn es diesen oft nicht möglich war, das gefordert Getreide zu liefen. Mein Vater konnte den Zehent nicht leisten. Die Ernte war schlecht ausgefallen und wir mussten hungern. Doch des Königs Häscher kannten keine Gnade und schleiften ihn zur Hinrichtungsstätte. Ich werde diese Mörder nicht ungestraft von dannen ziehen lassen, so wahr ich hier stehe. Ich werde diese Bluthunde mit eigener Hand erschlagen.“
Elena wankte, sie hob ihr bleiches Gesicht Colin entgegen und sagte: „Du wirst tun, was Prinz Lennart befohlen hat. Unser Leben und das Wohl unseres Volkes hängen von dieser Entscheidung ab. Wir dürfen jetzt nicht nach unserem eigenen Empfinden handeln, sondern nur an die anderen denken. Ich bitte dich Bruder, versuche es zu begreifen.“
Ruhig und gefasst blickte sie den jungen Mann an. Die anderen standen mit hängenden Schultern daneben und warteten auf seine Antwort.
„Ich werde mich deiner Bitte fügen und anschließend das Land für immer verlassen, hier ist für mich keine Bleibe mehr.“ Elena reichte ihm ihre Hand: „Danke Bruder, in meiner bescheidenen Hütte bist du immer willkommen.“
Auch Prinz Lennart wirkte blass und müde. „Kommt gehen wir an die Arbeit, uns bleibt nicht viel Zeit. Die Kundschafter haben  mir soeben mitgeteilt, dass sich meine Brüder mit ihrem Tross der Burg nähern.“
 
In der Burgküche wurden gebraten und gekocht. Die Krüge füllten die Männer mit Wasser und Wein. Die Spaßmacher und Stelzengeher auch die Lautenspieler stimmten sich auf ihre Aufgabe ein. Die Kostüme wurden geputzt und alle versuchten lustige Mienen einzuüben. Doch die Nerven waren bis aufs Äußerste gespannt. Der Plan musste gelingen, sie würden alles daran setzen.
Auf der Burgmauer gingen die Wachen ruhig auf und ab. Plötzlich erscholl der Ruf am Turm: „Sie kommen!“

Elena und Lennart eilten in ihr Versteck. Es war eine schmale Tür, die ins Innere der Burgmauer führte, dort gab es einen winzigen Raum. Lennart kannte ihn von Kindestagen an. Er hatte dieses Versteck als kleiner Bub entdeckt, doch niemanden davon erzählt. Es ahnte keiner von der geheimen Kammer vielleicht war er von den Vorfahren als Fluchtweg angelegt worden. Man konnte von dem Raum in einen unterirdischen Gang klettern, dieser führte unter der Burgmauer ins Freie. Colin wusste darüber Bescheid und würde die beiden holen, wenn die Gefahr gebannt war. Die junge Frau breitete die groben Decken aus und die beiden ließen sich darauf nieder.  Elena zitterte innerlich.Wie würde dieses Abendteuer ausgehen. Was geschah, wenn sich Colin nicht an die Abmachung halten würde?
Der Prinz hatte sich an die Mauer gelehnt, er schien ruhig und gefasst. Es war als würde er leise eine Melodie summen, obwohl kein Ton zu hören war. Er strahlte diese Sicherheit aus, so als könnte nichts geschehen, alles würde gut werden. Leicht legte er nun den Arm um Elena und sie sank an seine Schulter und versuchte ihre Gedanken in ruhige Bahn zu ordnen. Kaum hörbar flüsterte ihr der Prinz ins Ohr: „Schau nur wie das Wasser fließt, es entspringt hoch in den Bergen, steil fällt es in die Tiefe und doch ist seine Bahn voller Ruhe und Bestimmung. Du stehst in seiner Nähe und spürst die Wassertropfen, sie benetzen dein Gesicht, deine Haut und du spürst die Kühle. Wir sind doch geborgen, werden getragen von einer Allmacht die alles weiß, die all unsere Ängste und Sorgen kennt. Und doch wird alles gut, ich verlasse mich auf ihn meinen Gott, er wird auch diesen Weg ins Licht führen. Wenn ich fest darauf vertraue, dann gelingt es.“
„Und doch ist diese unaussprechliche Grausamkeit in uns Menschen. Ich ahne und weiß  zu welch bösen Dingen wir fähig sind. Es macht mir Angst wenn ich daran denke.“
Lennart legte den Arm um ihre Schulter und flüsterte: „Du musst nicht daran denken. Es ändert nichts an dem wie es gerade ist. Alle Macht liegt in meinen Gedanken. Ich bestimme ob das Böse über mich die Hand hält, oder die Kraft des Guten. Löse dich  und lass dich fallen und vertrau darauf, dass alles seinen guten Weg geht.“
 
Das Burgtor wurde geöffnet und die Königssöhne galoppierten mit ihrem Gefolge in den Hof. Die Männer und Frauen waren über und über mit Staub bedeckt. Die müden Pferde wurden sogleich von den Knappen versorgt und in den Stall geführt.
Im Rittersaal wurden deftige Speisen  serviert, dazu kam schwerer Wein und Branntwein. Nur wenige der Krieger stürzten sich auf den Krug Wasser, nicht ahnend, das in allen Getränken ein sehr starkes Schlafmittel angerührt war.
Lautenschläger und Spaßmacher unterhielten die Menschen köstlich. Bertram, Colin und Diethart ließen die Augen immer über die Männer schweifen. Sie waren darauf bedacht, dass niemand auch nur das Geringste ahnte, was in den nächsten Stunden geschehen würde.
Langsam verstummte das laute Stimmengewirr und einer nach dem anderen legte den Kopf auf den Tisch. Die Lider wurden schwer und lautes Schnarchen untermalte die Müdigkeit der Männer.
Bertram hielt seine Männer zurück, es mussten ausnahmslos alle in das Reich der Träume entschwunden sein, dann konnten sie die Horde überwältigen.
Als dies der Fall war, begannen die Männer die Gefangenen mit Ketten und Stricken zu fesseln. Colin schickten sie indessen zu Elena und Lennart.

Die junge Frau wachte auf, sie lag am Boden, ihre Hände und Füße waren eiskalt. Sie bewegte sie vorsichtig um wieder auf die Beine zu kommen.
Schritte eilten über die Stufen und kamen näher. Elena zuckte zusammen.Wer war es? Freund oder Feind? Leicht rüttelte sie Lennart wach. Schon öffnete sich die schmale Tür und Colin stand vor ihnen. Er nickte mit dem Kopf. Sogleich sprangen Elena und Lennart hinterher.
Die junge Frau konnte ihrem Halbruder kaum folgen, er flog förmlich durch Gänge und über Stufen. Eine unerklärliche Hast hatte den jungen Mann erfasst. Was führte er im Schilde?
Ängstlich drehte sich Elena in Richtung Lennarts. Konnte er mit ihnen Schritt halten. Er schaffte es trotz seiner Blindheit zu folgen.
Colin stand vor der Tür zum Rittersaal. Er riss sie auf und stürmte hinein, geradewegs eilte er zum älteren der schnarchenden Königssöhne. Im Laufen griff er nach seinem Schwert. Elena ahnte Böses. Laut rief sie Diethart zu Hilfe. Der schien endlich zu begreifen und warf sich Colin in den Weg. Lautlos rangen die Männer miteinander. Diethart war stärker und zwang den Jüngern zu Boden.
Elena beugte sich über den jungen Mann und legte beruhigend die Hände auf seine Schultern. Lautlos schluchzte er und wand sich im Schmerz. Leicht strich die Frau über sein Haar und versuchte mit ihrer ruhigen Gegenwart dem Jüngling zu helfen. Wie lange wird es dauern, damit er die schrecklichen Bilder aus seinem Gedächtnis vertreiben konnte.
Lennart ging zu den Beiden. Colin flüsterte: „Verzeiht mir Herr.“ Der Prinz legte seine Hand an seine Wange und sagte: „Die Zeit wird die Wunden heilen.“
Die Männer blickten auf die schlafenden Gefangenen. Es würde noch eine ganze Weile dauern, bis diese erwachten.
Lennart und Elena schickten indessen Boten aufs Land. Sie sollten junge Menschen in die Burg schicken, ihre Hilfe war dringend nötig.
Dann begann das große Aufräumen und sauber machen. Das Schlafgemach des alten Königs wurde nun in Angriff genommen. Elena hatte zuvor den alten Mann in ein anders Zimmer geleitet. Dort war die Schlafstelle neu überzogen, es roch nach Kräutern und frischen Linnen. Die junge Frau reichte ihm warmen Kräutertee und knusprige Butterbrote.
Als der König in seine Kissen sank und sogleich einschlief, lief die junge Frau in den angrenzenden Raum. Mädchen eilten geschäftig hin und her. Es wurden Krüge mit heißem Wasser gebracht und die Böden geschrubbt.. Es herrschte eine fröhliche und ausgelassene Stimmung.
 
Lennart saß in der Schreibstube, die Vertreter des Volkes berichten von der Anzahl der benötigten Feldfrüchte die zum Anbauen benötigt wurden. Ruhig hörte der Prinz zu und gab Anweisungen damit den Menschen geholfen werden konnte.
Gegen Mittag eilte Diethart zum Prinz und berichtete ihm, dass die Gefangenen erwachten. Lennart schritt mit Elena in den Rittersaal.
Die Männer lagen dort gefesselt am Boden. Ulrich der älteste der beiden Brüder öffnete die Augen und wollte sich erheben. Mit großer Bestürzung merkte er, dass ihm dies unmöglich war. Voll Hass blickte er Lennart an und schrie zornig: „Du Bastard des Teufels, solltest doch in der Hölle schmorren. Wer hat meinen Befehl missachtet und dich nicht zu den Pforten des ewigen Feuers geschickt. Wenn ich diesen Kerl erwische, werde ich ihn zermahlen und zwar sofort auf der Stelle.“
Ruhig stand der Prinz vor ihm: „Es liegt in deinen Händen Bruder, wie deine Zukunft sein wird. Sieh dich um, es gibt wohl kaum jemand in diesem Raum, der an deiner Seite kämpfen wollte.“
„Sie warten wie die Geier mich mit bloßen Händen in die äußerste Unterwelt zu schicken.“ Gehetzt blickte Ulrich zu den Männern, die ihn mit versteinerten Gesichtern ansahen.
„Wie willst du deine Schuld begleichen“, fragte der Prinz. Plötzlich öffnete sich die Tür und der alte König schritt langsam zu seinen Söhnen. Elena erhob sich und eilte herbei und stütze den alten Mann.
„Auch vom Tod auferstanden?“ Ulrich grinste spöttisch.
 
„Mein Sohn“, antwortete der Alte mit zitternder Stimme, „dir wird das Lachen noch vergehen, deine Missetaten folgen dir nach und bringen dich zu Fall.“
Langsam erwachten alle Gefangenen, die beiden Königstöchter und ihre Begleiterinnen begannen zu jammern. Elena löste ihre Fesseln und reichte ihnen einen Becher mit kühlem Wasser. Erschrocken blickten sich die Frauen um und erkannten die bedrohliche Lage.
 
Jörg, der jüngste Bruder öffnete den Mund, doch sogleich schloss er ihn wieder. An Kampf war nicht zu denken, die Übermacht  war zu groß und keiner der Ritter würde einen Finger krumm machen und sie aus der misslichen Lage befreien. Zu lang war die Liste der Übeltaten, keinen Fuß konnten sie vor die Burgtore setzen. Bauern, Bürger und der ganze Mob würden sie durch das Land hetzen und wehe sie fielen in ihre Hände, der Tod würde ein schrecklicher sein. Blieb wohl nur das schmachvolle Übel um Gnade zu wimmern und zu flehen.
„Das  Weiterleben liegt in eurer Hand“, Lennart stand hochaufgerichtet, sein Gesicht war blass und doch war er ruhig und besonnen und wartete auf die Antwort seiner Brüder.
„Lass die Frauen frei, sie haben nichts Böses getan. Sorge dafür, dass sie in ihre Heimatländer reisen dürfen.“ Ulrich blickte seinem Bruder gefasst ins Gesicht. „Am Ende der Stadt ist eine halbverfallene Ruine. Es war in früheren Zeiten ein Bürgerspital. Ich möchte es gemeinsam mit meinem Bruder Jörg wieder aufbauen. Einige meiner Vertrauten werden mir bei dieser Aufgabe helfen. Ich schwöre dir bei der Königswürde meines Vaters, dass weder mein Bruder noch ich und unsere Mitstreiter einen Aufstand oder Flucht planen werden. Diesmal gilt mein Wort und es ist mir zutiefst ernst mit meiner Aussage.“
Lennart drehte sich langsam zu den Königssöhnen und antwortete ruhig: „Ulrich ich schenke dir Glauben und vertraue auf dein Wort. Das Volk zürnt euch beiden, ihr wisst dass euer Leben keinen Pfennig wert ist.“
„Dies wissen wir“, antwortete Jörg. „Jetzt erst ahne ich wie schändlich und unverzeihbar unsere Taten waren. Wir verdienen dafür den Tod. Wir werden das Bürgerspital zu neuem Leben erwecken, darin werden wir den Menschen Heilung und Pflege angedeihen.“
 
Der Prinz gab den Befehl, die Ketten und Fesseln der Gefangenen zu entfernen. Bertram, Diethart und Colin befolgten dies, doch ihre Gesichter spiegelten das Misstrauen ihrer Herzen. Viele Männer aus dem Gefolge der Königssöhne baten darum mit den Verbannten gehen zu dürfen.
Hanna eine der Königstöchter  ergriff das Wort und sagte: „Ich bitte um Erlaubnis, hier auf eurer Burg bleiben zu dürfen. Lydia, meine Schwester hat mich ebenfalls begleitet.  In der Heimat erwartet uns Unheil. Von unserem Vater würden wir an vermögende Männer verkauft.“
Prinz Lennart  antwortete: „Eure Bitte sei euch gewährt und ihr könnt bleiben. Die anderen Frauen dürfen unser Land verlassen, meine Ritter begleiten sie in die Heimat bürgen für ihre Sicherheit.“
Jörg und Ulrich und ihre Männer rüsteten sich zur Abreise. Sie wurden von der Küche mit Proviant  versorgt. Warme Decken und Felle, Werkzeug und Baumaterial wurden auf die Wagen verladen.
Der Prinz wunderte sich über den Eifer seiner Brüder. Nur Colin, Diethard und Bertram blickten dem Zug mit Missbehagen nach. Sie trauten dem  plötzlichen Frieden nicht.
Die beiden Brüder spornten die Pferde an. Es war ihnen bewusst, dass dies ihre einzige Chance war um ihr Leben zu retten. Sie wurden von ihren Untertanen zutiefst gehasst und wenn ihr Plan nicht aufging, würde sie ihre gerechten Strafen ereilen, sie durften auf keine Gnade hoffen.
 
Die Dämmerung brach herein und der Tag neigte sich dem Ende zu. Im großen Rittersaal brannte Feuer im Kamin. Lennart setzte sich auf die Bank wärmte sich.
Er hielt die Laute in der Hand und begann über die Seiten zu streichen und Müdigkeit schlich in sein Herz. Der vergangene Tag hatte ihm viel Kraft gekostet. Er lehnte sich an die Mauer, schloss die Augen und begann nach Tönen zu suchen. Leise formte sich die Melodie. Der Kummer, die Sorgen und die aufgestauten Ängste flossen in die Musik. Die Töne fanden ihren Weg und enteilten in die Freiheit. All die Müdigkeit entschwand dem Herzen und Lennart schöpfte Kraft aus seiner Musik. Der Raum füllte sich mit Menschen, sie traten leise ein, setzten sich auf den Boden und lauschten. Gebannt hingen ihre Augen an seinen Lippen und die Sehnsucht begann zu wachsen, sie flogen mit ihm über Berge und Täler und suchten die Weite der Unendlichkeit.
Elena setzte sich in seine Nähe, doch Lennart hörte nichts. Er lauschte nur auf die Töne seiner Laute und seine Stimme verschmolz mit dem Instrument. Die junge Frau spürte, dass er in der Musik die Kraft fand um die Geschicke seines Volkes in eine bessere Richtung zu leiten.
Wie wird die Zukunft werden?Bange Gedanken erfühlten ihr Herz. Plötzlich legte Lennart die Laute zur Seite und flüsterte: „Elena warum weinst du. Vertrau mir, es wird alles gut, wir schaffen es.“
Dann wandte er sich mit lauter Stimme an seine Untertanen und sprach: „Nur wenn wir einander tatkräftig unterstützen und zusammenhalten, können wir die Zukunft unseres Landes zum Guten wenden. Ich brauche dazu kluge und tatkräftige Mitstreiter.
Elena erhob sich ebenfalls und antwortete ihm: „Auch ich möchte dir dabei helfen, ich könnte hier in der Burg Frauen und Kinder ausbilden. Da ich des Lesens und Schreibens kundig bin, auch mit der Heilkraft der Pflanzen vertraut bin, kann ich diese Fähigkeiten den Menschen weitergeben.“
Prinz Lennart nickte zustimmend.
„In den kommenden Tagen werde ich mich aufmachen um Menschen meines Königreiches zu besuchen. Wir werden uns in Gruppen aufteilen, damit wir soviele Menschen wie möglich erreichen können.“
Nach diesen Worten erhob er sich, er nickte nach allen Seiten und wünschte den Menschen eine Gute Nacht. Elena tat es ihm gleich und begleitete ihn hinaus. Sorgenvoll betrachtete sie sein Gesicht. Er sah so unendlich müde aus. Wie konnte es ihm gelingen, in seiner Blindheit ein ganzes Land und sein Volk durch die Zeiten zu führen. Innerlich erschauerte sie.
 
In den nächsten Tagen versammelten sich Freunde, Getreue und Ordensleute. Prinz Lennart hatte um diese Zusammenkunft gebeten. Bei dieser Unterredung unterbreitete er den Frauen und Männern seinen Wunsch, die Bevölkerung in die Kunst des Lesens und Schreibens zu unterweisen. Auch bat er sie, die Leute mit den Regeln der Sauberkeit und der Heilkraft der Kräuter vertraut zu machen.
Elena überwachte indessen die Vorbereitungen für den Ritt übers Land. Samen von Feldfrüchten und Getreide wurden in Säckchen gefüllt, damit sie von den Pferden mitgenommen werden konnten.
Die Wächter an der Burgmauer meldeten einen Boten, der sich im schnellen Galopp der Burg näherte. Das schwere Tor öffnete sich und der Reiter stürmte in den Innenhof, er war über und über mit Staub bedeckt. Kaum war er vom Pferd gesprungen eilte er zu Prinz Lennart. Dieser befand sich noch in der Schreibstube. Dort angekommen erzählte er aufgeregt von dem Unglück, dass sich am Ende der Stadt in dem verfallenen Bürgerspital zugetragen hatte. Ein Teil der Decke war eingestürzt und hatte Prinz Ulrich unter sich begraben.
 
Prinz Lennart rief Diethart, Colin, Bertram und Elena herbei. Auch Hanna und Lydia wollten den Zug begleiten. Ritter Bernhard wurde beauftragt in der Burg zu bleiben und für Ordnung und Ruhe zu sorgen.
Elena packte frisches Linnen und Verbandsmaterial, Heilkräuter, Wasser, Wein und Branntwein in die Taschen. Die Männer und Frauen stiegen auf ihre Pferde, das Burgtor wurde geöffnet und eilends ritten sie zum Unglücksort. Kriegsknechte begleiteten den Zug.
 
Unheilvolle Stille lag über dem halbverfallenen Bürgerspital. Elena merkte, dass die Männer in den letzten Wochen großartige Arbeit geleistet hatten. Die Mauern an der Nordseite waren fertiggestellt, ein Teil des Daches bereits intakt. Prinz Lennart und sie sprangen beinahe gleichzeitig von ihren Pferden und eilten ins Innere des Gebäudes. Auf übereinander geschichteten Decken lag der verletzte Prinz. Schweigend umringten die Männer den stöhnenden jungen Mann. Die  Frau kniete sich zu ihm. Vorsichtig entfernte sie das blutdurchtränkte Hemd von seinem Oberkörper. Hanna war ebenfalls an ihrer Seite. Sie öffnete den Beutel und holte Wein und Wasser hervor. Vorsichtig wuschen sie die Wunden und verbanden sie. Dann untersuchte Elena Ulrichs rechtes Bein. Es war am Knöchel stark geschwollen und der Prinz schrie vor Schmerzen. Sein Bruder Lennart flößte im vorsichtig einen Becher Branntwein ein, Elena hatte zuvor ein weißes Pulver darin aufgelöst. Die junge Frau schickte Bittgebete zum Himmel, es möge nichts gebrochen und keine innere Verletzung entstanden sein, denn dies würde unweigerlich zum Tod des Patienten führen.
Hanna holte Streifen von Linnen aus der Tasche. Elena strich geronnene Milch sprich Topfen darauf und umwickelte damit den geschwollenen Knöchel. Dann wusch sie vorsichtig das Bein mit einem Gemisch aus Branntwein, Wasser und Heilkräutern. Dann schob sie dem Verletzten ein Kissen unter den Kopf und reinigte sein Gesicht mit warmem Wasser.
Der Prinz schloss die Augen und warf sich unruhig hin und her. Hanna und Elena hielten Wache bei ihm. Als das Fieber stieg, legte ihm Hanna  kalte Tücher auf die Stirn und Elena flößte ihm Wasser mit Heilkräutern ein.
Plötzlich öffnete sich die Tür und  Prinz Lennart setzte sich zu den Frauen, er hatte seine Laute dabei. Leise begann er zu spielen. Harmonie und Geborgenheit machte sich breit. Die Melodie schlich sich in die Herzen der Zuhörer und verzauberte sie. Die sichtbare und unsichtbare Welt wurde eines, der Schleier lüftete sich und gab Einblick in das Wesen der Seele. Alles Trennende schien sich im Nichts aufzulösen.

Der Patient entspannte sich und fiel in tiefen Schlaf. Angst und Schmerz waren beinahe verschwunden.
Gebannt hingen Elena und Hanna an den Lippen des Sängers und Musikers. Leise öffnete sich die Tür und Colin kam herein, auch er hielt seine Laute im Arm. Er lauschte kurz und dann begann er gemeinsam mit Lennart zu spielen. Nach und nach füllte sich der Raum und die Menschen drängten näher. Und keiner konnte sich aus der Verzauberung lösen. All die Sorgen und Nöte des Alltags verloren sich in der hereinbrechenden Dunkelheit.
Plötzlich öffnete Ulrich die Augen und blickte sich um. Sein Blick blieb an Lennart hängen und leise flüsterte er: „Wie ein Wesen aus einer anderen Welt erscheinst du mir. Mich werden die Pforten der Hölle verschlingen, dort werde ich büßen für all das Böse dass durch meine Hände geschah.“
Elena wischte mit einem nassen Tuch über seine Stirn und fragte: „ Warum sollte dich unser himmlischer Vater im ewigen Feuer brennen lassen. Warum nur soll dies geschehen. Wie würdest du deinen Sohn bestrafen wenn er unrecht gehandelt hätte.“
Ulrich kniff die Augen zusammen und blickte die junge Frau nachdenklich an: „Wäre ich Vater meiner Kinder, ich würde sie ermahnen und ihnen vergeben, denn mein Blut würde von mir geliebt, was auch immer geschah.“
„ Wenn wir Menschen, die doch Gutes und Böses tun unsere Kinder über alles lieben, was wird dann erst unser Vater im Himmel für uns seine Schützlinge tun.“
 
„Du meinst, er würde mir verzeihen, so wie Jesus Christus damals, als er am Kreuz hing, diesem Mörder und Verbrecher versprach, dass er mit ihm im Himmel sein würde.“
Elena nickte und sagte: „Ulrich ich verzeih dir.“
Lennart legte seine Laute zur Seite und kam näher. Er setzte sich ans Lagers und meinte: „Auch ich vergebe dir Bruder.“
„Ich zerschlug die Laute deiner Mutter und trachtete dir nach dem Leben. Meine Häscher sollten dich im dunklen Wald erschlagen … und du … du vergibst mir …“
Colin legte die Finger auf seinen Arm. „Auch ich versuche dir zu vergeben, wenn der Schmerz vergeht, wird es mir gewiss gelingen.“
Hanna näherte sich nun der Gruppe. „Jetzt fehlt nur noch meine Antwort. Ich war zutiefst erschrocken als ich von deinen Taten hörte. Ich ahnte nicht im Geringsten, welcher Mensch sich hinter der freundlichen Fassade verbarg. Doch ich möchte dir vertrauen, dass dein Weg sich von nun an ändert und alles zum guten Ende führt. Ich werde mit dir gehen, durch Dunkel und Nacht ins Lichte und Helle.“
Ulrich wischte die Tränen fort, er richtete sich auf. „Von nun an wird sich mein Leben ändern, jetzt weiß ich die Richtung. Ich bin über euer Wohlwollen zutiefst erschüttert und mir fehlen die Worte dazu.“

Jörg war unbemerkt in den Raum geschlichen, er ließ sich in der Nähe des Lagers nieder. In seinem Gesicht war der Widerstreit der Gefühle, die in seinem Innersten tobten, zu sehen.
Was sind das doch für törichte Weiber. Wie sie sich in Gefühlsduselei wälzen, lauter Weicheier. Und jetzt wird unser Land von dieser Memme regiert. Nur eine starke Hand kann die Leute zähmen. Diesen Tölpeln von Bauern darf man keine Schwäche spüren lassen, die verstehen nur die harte Sprache. Und pariert einer nicht, dann soll er hängen. Diese Menschen verdienen nichts anderes. Wäre ich an der Macht, ich würde es ihnen zeigen. Doch nein, nun singt dieser blinde Krüppel und mein Bruder kriecht ihm zu Füßen. Wie widerlich.
 
Lennart spielte wieder seine Laute und dazu sang er ein Lied von der Liebe zu den Menschen.
Jörg stützte den Kopf in seine Hände und versuchte seine Ohren zu verschließen. Doch die Töne drangen unaufhörlich in sein Herz und weckten sein Gewissen.Vielleicht solltest du mal vom hohen Ross runter steigen. Wer gibt dir das Recht, dich über andere zu erheben. Gott kann dich fällen wie einen Baum und deine Kraft und Macht wird zerfallen und zerfressen. Übrig bleibt nur der Staub, den treibt der Wind in alle Richtungen. Und es bleibt nichts von dir …Und Reue erfüllte das Herz des sturen Königsohns und er gelobte Besserung.
 
Prinz Lennart legte seine Laute beiseite und sagte: „Ulrich du musst schnell wieder auf die Beine kommen. Elena und ich heiraten am nächsten Vollmond. Ihr beide seid eingeladen mit uns zu lachen zu tanzen und dieses Fest gebührlich zu feiern.“
Ulrich nickte und lächelte: „Das nenne ich einen Grund um schnell wieder gesund zu werden.“
 
Elena und Hanna kümmerten sich die nächsten Tage um ihren Patienten. Der machte große Fortschritte und seine Wunden heilten. Auch die Schwellung des Knöchels war beinahe verschwunden. Am dritten Tag ging Ulrich schon in seiner Behausung auf und ab. Er überwachte den Bau des Bürgerspitals. Das Gefolge von Prinz Lennart legte ebenfalls Hand an und die Mauern wuchsen beständig. Schon in den nächsten Tagen würde der Dachstuhl auf den Mauern errichtet werden.
Jörg löste sich aus seiner Anspannung und suchte Lennarts Nähe um sich mit ihm auszutauschen. Die Feindseligkeit verschwand aus seinen Augen.
Beruhigt konnten Prinz Lennart und ihr Gefolge wieder zur Burg zurück reiten.
 
Schon in den nächsten Tagen wurde begonnen für das Fest der Hochzeit zu rüsten. Hanna beriet Elena beim Kauf des Stoffes für das Festkleid. Eine geschickte Schneiderin wurde mit der Herstellung beauftragt. Und nun steckten sie beinahe Tag und Nacht beisammen um über die Einzelheiten zu beraten.
Im Park, in den Innenhöfen und den Räumen der Burg wurde geputzt und geschrubbt. Die Köche in der Burgküche berieten sich in der Zubereitung des Festmahles. Bauersfrauen wurden beauftragt für Torten und Kuchen zu sorgen. Es herrschte eitles Lachen und Frohsinn. Selbst der König wurde auf seine alten Tage noch jung und lebendig. Seine Krankheit verschwand, er erholte sich und wirkte stark und glücklich.
 
Elena und Lennart schlichen sich ab und zu aus den geschäftigen Räumen. Sie schwangen sich auf die Rücken ihrer Pferde, begleitet von treuen Gefolgsleuten, entflohen sie in die Einsamkeit der Hütte am Wasserfall. Wolf, der große, schwarze Hund der jungen Frau, begleitete sie wie immer auf diesen Ausflüchten.
Dort im Schatten der hohen Bäume saß der Prinz und in seinen Armen lag Elena. Gemeinsam sagen sie Lieder von der Macht der Liebe. Hier in der Stille fühlten sich beide geborgen und schöpften Kraft für ihren weiteren gemeinsamen Weg. Beide spürten sie, dass Musik ihre Herzen mit Freude und Zuversicht füllte.
 
Elenas schlichte Hütte erhielt das Mädchen Mengeln, diese hatte treu für das Wohl der Tiere gesorgt und auf Ordnung und Sauberkeit geachtet.
 
Ein einem Morgen, an dem ein stürmische Wind die Regenwolken übers Land trieb, meldeten die Wächter auf der Burgmauer den Besuch von Elenas Mutter und ihrem Ehemann.
Elena sah dieser Ankunft mit bangem Herzen entgegen, wusste sie doch, dass der Stiefvater, der Graf von Burg Schwarzenfels, ihr nicht wohl gesonnen war.
Das schwere Burgtor öffnete sich mit Knarren. Herein galoppierten die braunen Stuten, die eine schwarze Kutsche zogen. Die schmale Tür öffnete sich und eine dunkel gekleidete Dame setzte ihre Füße über das kleine Treppchen, das der Kutscher aufgestellt hatte. Elena schritt langsam die Stufen in den Hof hinunter. Die beiden Frauen sahen sich lange an. Sie muss um die fünfunddreißig Jahre sein, Schön sind ihre ausdrucksvollen blauen Augen. Schwermut liegt darin und das noch junge Gesicht, ist von vielen Kummerfalten durchzogen.
„Ach Elena, mein Kind.“ Sprach die Dame, streckte die Arme aus und zog die junge Frau an sich, dabei weinte sie bitterlich und immer wieder stammelte sie. „Verzeih mir mein Kind, ich hätte mehr um dich kämpfen sollen.“
Die junge Frau legte tröstend den Arm um die Schulter ihrer Mutter. Der Stiefvater begrüßte Elena freundlich doch zurückhaltend. Gemeinsam schritten sie in das Innere der Burg. Auch Prinz Lennart freute sich über den Besuch und begleitete die Gäste ins Burgzimmer mit Ausblick auf die weiten grünen und gelben Felder.
 
Am späten Nachmittag trafen sich Katharina, Gräfin von Schwarzenfels, Lennart, Elena und Colin im Rosengarten. Dort saßen sie auf einer Bank und lauschten Katharinas unglaublicher Geschichte.
„Damals, ich war 15 Jahre alt, begegnete ich Bernhard, der Liebe meines Lebens, deinem Vater.  Ich war auf dem Gut meiner Tante Hildegund eingeladen und verbrachte wunderschöne Monate.  Es war wohl die wunderbarste Zeit meines Lebens. Vielleicht bekam ich damals die Kraft um dann den Albtraum meines Lebens auszuhalten. Der schwarz gelockte, hochgewachsene und unfreie Bauersohn Bernhard war ein sehr lebensfroher und liebenswerter Mann. Oft lauschte ich seinen Liebesgedichten, die er in den Monaten unserer Begegnung schrieb.
Es war wohl Liebe auf den ersten Blick. Heimlich trafen wir uns und die Welt ringsum war ohne Bedeutung. Wir liebten uns und überlegten wie wir meinen Eltern eine Hochzeit erklären konnten. Ich kam aus einem bedeutenden Kaufmannsgeschlecht, meine Eltern waren in meiner Heimatstadt Waels hoch angesehen. Meine Eltern holten mich mit ihrer Kutsche vom Gut meiner Tante ab. Knapp vor meiner Abreise, erschien Bernhard und wir beide versuchten meinen Eltern unsere Pläne zu erklären. Doch mein Vater reagierte zornig und bedrohte meinen Geliebten mit seiner Pistole und warf ihn aus dem Haus.
Wieder in unserer Stadt angelangt, begann für mich die Hölle. Ich durfte das Haus ohne Begleitung nicht verlassen. Als sich mein Bauch wölbte und die Schwangerschaft unübersehbar war, begann mein Vater mit der Suche nach einem passenden Mann. Nach der Geburt meiner Tochter Elena, wurde das Kind sofort bei Pflegeeltern untergebracht.
Bernhard versuchte inzwischen durch Boten mich zur Flucht zu überreden Ich war viel zu feige um diesen entscheidenden Schritt zu wagen. Immer auf der Flucht vor den zürnenden Eltern und ein Leben in Armut, dazu war ich wohl doch nicht geeignet.
So kam es wie es kommen musste. Ich heiratete Graf von Schwarzenfels und mein Mann hasste dich mein Kind zutiefst. Er meinte, du stündest zwischen ihm und mir.
All die Jahre litt ich Höllenqualen beim Gedanken daran, dass du dort in Einöde in deiner Hütter einsam und verlassen hausen musstest. Schon in jungen Jahren warst du auf dich alleine gestellt, und doch hast du es geschafft, dein Leben zu meistern.“
Katharine senkte den Kopf und begann leise zu weinen. „Ach Mutter gräme dich doch nicht. Alles wird gut. Dort in der Einöde fand ich meine Freunde unter den Spaßmachern und Lautenspielern. Und dann begegnete ich der Liebe meines Lebens … Prinz Lennart.“
Elena legte tröstend den Arm um ihre Schultern, leicht streichelte sie die Wangen ihrer Mutter. Langsam beruhigte sich die Frau. Sie hob den Kopf und blickte Colin an: „Erzähle mir von deinem Vater, ich wüsste so gerne, wie sein Leben war.“
„Er war, so wie ihr ihn geschildert hattet. Mein Vater war ein liebenswerter, kluger und sehr einfühlsamer Mensch. Er lehrte mich lesen und schreiben und erzählte mir seine Gedanken. Auch seine Gedichte durfte ich lesen und ich war über die Tiefe seiner Worte sehr erstaunt. Vielleicht war gerade dies der Grund, warum ich das Lautenspiel so liebte und mit meinen Freunden übers Land zog. Auch ich begann meine Texte zur Musik zu schreiben, es war wohl ein Teil von ihm.“
 
„Und wie war sein Ende, warum musste er sterben?“
 
„Der Zehent war zu hoch, Vater konnte das doppelte Maß Getreide nicht abliefern. Die Ernte war durch die Dürre mager ausgefallen und wir mussten hungern. Mutter starb, als ich 10 Jahre alt war. Eine Lungenentzündung kostete ihr das Leben. Vater verkraftete ihren Tod nicht, meinte er doch jetzt endlich Ruhe finden zu können. Er begann Streit mit den Schergen der Königsöhne, diese nahmen ihn fest, folterten und töteten ihn.“
Colin senkte den Kopf und schwieg.
„Dort im Land des Lichtes ist er nun glücklich, mein Vater. Kein Schmerz betrübt ihn. Auch er wünscht, dass wir hier froh unser Leben führen und nicht mehr am Schmerz seines Todes leiden. Dort jenseits des Regenbogens gibt es keine Trauer und keinen Schmerz, das will er uns sagen. Und doch ist und bleibt er uns nahe, auch wenn er unseren Augen verborgen bleibt. Wenn wir achtgeben und hinhören, dann sehen wir die kleinen Zeichen und Wunder, die er uns schickt.“ Elena blickte ihre Mutter und Colin hoffnungsvoll an.
 
Katharina schaute in das Gesicht ihrer Tochter und nickte. „Mein kluges und weises Kind hat Recht. Von nun an werde ich dich immer wieder besuchen. Auch ihr seid herzlich auf unserer Burg willkommen. Mein Mann wird seinen Fehler einsehen und dich mein Kind lieb gewinnen. Er ist ein herzensguter Mensch und ich wurde immer gut von ihm behandelt.“ Katharina wandte sich nun an Prinz Lennart und sagte: „Ich danke dir, dass du Frieden und Gerechtigkeit in dein Land gebracht hast. Auch dafür, dass du dich bemühst, für das Wohl deiner anvertrauten Untertanen zu sorgen. Ich danke dir dafür, dass meine Tochter Elena mit dir das Glück gefunden hat. Der Kreis schließt sich zum Guten.“
 
Dann blickte sie Colin liebevoll an und meinte: „Du bist ein kluger und tüchtiger junger Mann. Dein Vater hat dich sehr geliebt und er ist dir gewiss immer nahe. Du wurdest hier in der Burg freundschaftlich von Prinz Lennart aufgenommen, auch dein Weg wird sich zum Besseren wenden.“
Mit diesen Worten erhoben sich alle und schritten ins Innere der Burg.
 
Am nächsten Morgen tummelten sich viele Gäste im Burghof.
Hanna und Katharina halfen Elena beim Ankleiden ihres hellblauen, schlichten Brautkleides. Die dunklen Locken der jungen Frau waren mit Margeriten geschmückt. „Du siehst einfach hinreißend aus“, sagte Hanna und flüsterte: „Schade, dass er dich ….“ Da stockte ihre Stimme und sie schlug die Hand auf den Mund.
„Er spürt alles, viel besser als wir sehenden Menschen es vermögen. Er wird erahnen, wie ich aussehe.“

Colin holte die Braut ab. Die Gäste warteten im Burghof und von dort ging der Zug zur Kapelle. Diese war hell erleuchtet. Endlich schritt Prinz Lennart zu ihr und fasste nach Elenas Hand. Er zitterte leise, doch sie strich beruhigend über seine Finger. Dann sah sie ihn staunend an. Ihr Bräutigam trug eine saphirblaue Jacke, eine halblange Samthose und weiße Strümpfe, seine langen, dunkelbraunen Locken umrahmten das schmale Gesicht. Er sah blendend aus.
Der Burgkaplan in seinem schwarzen Talar und weißer Stola schritt ihnen mit ernsten Gesicht entgegen, doch als er das schöne Paar erblickte, glitt ein feines  Lächeln über seine Lippen.

Nach der Trauung waren die Gäste an der langen Tafel auf der Wiese vor der Burg geladen. Viele Untertanen strömten herbei um das junge Paar zu bejubeln und hoch leben zu lassen. In ihren Körben trugen sie Eier, Speck, Gemüse, Getreide und geräuchertes Fleisch herbei. Es herrschte Frohsinn und Freude.
Die Musiker stimmten ihre Flöten, Harfen, Trommeln, Lauten, Schalmei und Dudelsack. Dann begann das Singen und Musizieren. Kaum hatten Prinz Lennart und seine junge Frau ihr Hähnchen aufgegessen wurden sie schon zum mitspielen eingeladen. Als sich Prinz Lennart erhob, eilten ihm seine Brüder Jörg und Ulrich entgegen und überreichten ein Geschenk in edle Felle gewickelt. Der Prinz öffnete vorsichtig die Verschnürung und schälte eine Laute aus den Tierfellen. Zärtlich befühlte er das Holz und die Saiten. In seinem Gesicht stand tiefes Erstaunen. „Es ist, als ob ich die geliebte Laute meiner Mutter in Händen halten würde:“
„Sie ist auch aus der Hand des Lautenbauers. Ich suchte ihn und fand seinen Sohn, dieser stellt nach Anleitung seines Vaters die Instrumente her. Diese Laute ist gewiss so wie die deiner Mutter.“
Prinz Lennart umarmte zutiefst gerührt seine Halbrüder. „Welch herrliches Geschenk an diesem Freudentag. Ich danke euch beiden von Herzen.“
Dann legte der Prinz den Arm um Elena und zog sie mit nach vorne. Vorsichtig strich er dann über die Saiten der Laute. Liebevoll horchte er auf die Töne und dann endlich begann er zu spielen.
Die vielen Menschen ließen sich ins Gras fallen und fast unheimliche Stille senkte sich übers Land. Selbst die Vögel hörten zu zwitschern auf und der Wind legte sich in den Zweigen der Bäume zur Ruhe.
Die Töne entflohen in den Himmel und betörten die Herzen der Menschen …
 
Selbst die Kinder vergaßen ihr Spiel und lauschten der Musik, die mal laut, wild und ungestüm, dann wieder sanft und leise vom Leben der Menschen erzählte.
Prinz Lennart versank in die Welt der Töne, alles rund herum war unwichtig, Musik war seine erste Liebe, jetzt hatte er Erfüllung darin gefunden und das Mädchen dazu, sie kam seinem Herzen am nächsten und erfreute ihn mit ihrer tiefen und ehrlichen Liebe. Er spürte mit großer Gewissheit, dass es ihnen beiden gelingen würde das Land in eine frohe und glückliche Zukunft zu führen. Frieden mit den Nachbarländern, Wohlstand, Bildung, Zufriedenheit für seine Untertanen. Der Traum musste wahr werden.

Langsam erwachte er aus der Musik, er ließ die Laute sinken und blickte zu den Menschen  Elena sah viele lachen und anderen liefen die Tränen übers Gesicht. Müde wischte sich Lennart eine Locke aus der Stirn und stand auf. Er bat Elena mit ihm zu gehen. Ruhig schritt er durch die Reihen, winkte und lächelte den Menschen zu und begab sich in Richtung der Burg.
„Komm, ich möchte mich ein wenig im Rosengarten ausruhen, nur ein kleines Weilchen.“ Elena nickte, auch ihr war aufgefallen, wie erschöpft ihr Liebster aussah.
Leise flüsterte sie Colin zu: „Wir sind im Rosengärtlein, in einer halben Stunde, holst du uns bitte wieder von dort ab.“ Der junge Mann nickte verstehend.
 
Die beiden schwangen sich auf den Rücken ihrer Pferde und im langsamen Trab ritten sie zurück zur Burg. Im Hof kümmerten sich die Knechte um die Pferde. Elena und Lennart öffneten die Tür zum Rosengärtlein, dort  ließen sich die beiden auf der Bank nieder. Der junge Mann sank in Elenas Schoß und schloss die Augen. Plötzlich hörte die Frau ein Geräusch. Der Kies knirschte unter fremden Füßen. Eine alte Frau stand nun vor Elena und blickte sie freundlich an.

Lennart richtete sich auf: „Liebes Mütterlein, ich bitte dich um deinen Segen“, sagte er auf einmal.
„Gerne will ich dir diese Bitte erfüllen“, erwiderte die Alte. Sie legte ihre Hände auf die Häupter der beiden und sprach leise: „Der allmächtige und gütige Gott möge dich König Lennart beschützen. Er wird dich mit seiner Liebe reich beschenken, dir die Kraft geben, dein Volk und dein Land gütig, gerecht und mit Klugheit zu regieren, zum Wohle aller Menschen, die dir anvertraut sind. Dein Herz bleibe immerdar in Gottes geliebter Hand.
Auch dich Elena möge der liebevolle Gott und unser aller Vater beschützen, er gebe dir die Kraft, deinem Mann treu zur Seite zu stehen, dass du ihn liebst in guten wie auch bösen Tagen. Dein reines und liebes Herz wird dir dabei helfen. Auch Klugheit und Weisheit seien deine Begleiter alle Tage deines Lebens, bleibe dir selbst treu und vertraue auf dein mutiges Herz. Gottes Segen fließe auf euch beide hernieder und er möge dort bleiben bis ans Ende eurer Tage.
Nun, liebe Elena, lege deine beiden Hände leicht auf die Augen deines Liebsten.“
Die junge Ehefrau, tat wie geheißen. Sie spürte plötzlich viel Wärme in ihren Fingern …. „Und nun schicke einen heißen Wunsch an unseren himmlischen Vater …“
Auch dies befolgte Elena. Heiß und kalt lief es ihren Rücken hinunter und ihr wurde so leicht, als wäre dies alles ein Traum. …. Ich wünsche mir …. ja ich wünsche mir von Herzen, dass du ….“
Dann löste sie ihre Hände, ihre Körper begann heftig zu zittern und ein Schluchzen erfüllte ihre Brust, Tränen rannen ihr unaufhörlich über die Wangen. Wie durch einen Schleier sah sie die alte Frau fortgehen, und dann hörte sie seine Stimme: „Hab Dank geliebtes Mütterchen.“
Lennart blickte sie an und sprach. „Geliebte Frau, komm wisch die Tränen fort, heute ist ein Tag zum Feiern und nicht des Weinens.
Blutrot geht die Sonne unter und die Bäume stehen schweigend und still. Die roten Rosen heben ihre Blüten, so als würden sie der Sonne hinter her sehen. Wie schwarz sind doch deine Locken und dein Mund so wunderbar geschwungen.“
Elena wischte die Tränen fort und blickte in seine Augen. Der leere und tote Ausdruck war verschwunden, stattdessen lag darin ein Glanz und ein Leuchten, er konnte doch nicht etwa ..!
 
„Liebling ich kann dich sehen.“ Die junge Frau schwankte und wäre zu Boden gefallen, hätten sie nicht starke Arme aufgehoben und auf die Bank gelegt. Von ferne hörte sie noch.
„Schnell Colin beeile dich, gib mir einen Becher Branntwein.“Der junge Mann eilte herbei und goss das Gebräu in den Becher.
 
Die junge Frau öffnete erschrocken die Augen, was war das für eine grauenhafte Flüssigkeit, die man ihr einflößen wollte.
„Gott sei Dank, sie schlägt die Augen wieder auf. Liebling bleibe hier, es wird alles wieder gut. Bitte erschrick doch nicht mehr.“
Colin wankte und sah den Prinz erbleichend an. „Lennart, nein es ist unmöglich, es kann nicht sein …!“, stammelte der junge Mann.
 
„Kommt, wir müssen zu meinem Vater, wir dürfen keine Zeit verlieren.“ Eilends liefen sie zu den Gemächern des Königs. Leise öffnete Lennart die Tür, spähte hinein und fragte leise: „Vater, seid ihr noch wach?“

„Komm mein lieber Sohn“, antwortete eine fröhliche Stimme. Der König stand am Fenster und drehte sich langsam um.
Elena sah das Lächeln in seinem Gesicht und zugleich bemerkte sie, wie gut erholt der alte Mann aussah. Von Krankheit und Gebrechlichkeit war keine Spur mehr zu sehen. Der König schritt ruhig auf und ab und sagte dann: „Kinder mir geht es wieder gut, so wie in alten Tagen, vorbei sind meine Schmerzen und die Angst vor den Tod. Doch ich muss mich jetzt ausruhen, der Trubel der letzten Stunden hat ein wenig an mir gezehrt.“ Dann eilte er auf seinen Sohn zu und blickte ihm lange ins Gesicht. Der König atmete heftig aus und ein und setzte sich schließlich auf einen Stuhl. Lennart kniete sich vor seinen Vater und dieser legte die Arme um ihn und begann zu lachen und zu weinen. „Vater ich kann dich und alle anderen sehen, es ist ein Wunder, ich kann es gar nicht fassen.“
Dann erhob sich der junge Mann und legte den Arm um seine Frau, zärtlich küsste er sie auf den Mund und sagte dankbar: „Elena, neben meiner Musik bist du das größte Wunder. Ich danke Gott und dir dafür.“

„Ich liebe dich Lennart, was auch immer sein mag, ich liebe dich bis an das Ende meiner Tage und die Melodie wird niemals verstummen.“
 
  Elena und Lennart regierten gemeinsam mit ihren Freunden und Beratern das Land. Die Menschen lebten in Frieden und Wohlstand. Musik kehrte in die Burg des Königs ein, an vielen Abenden der Woche wurde gesungen, gespielt, getanzt und gelacht.

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