Klaus-D. Heid

Der schönste Tag

Was für ein herrlicher Sommertag!

Ich bin versucht, diesen 13. Juli zum schönsten aller jemals von mir erlebten Sommertage zu erklären, denn es sind nicht nur die Vögel, denen ich vergnügt lauschen kann, es sind auch die Grillen, die mich diesen traumhaften und langsam zur Neige gehenden Tag mit ihren vergnügten Zirpen genießen lassen und mir das Gefühl vermitteln, ein überaus glückliches Leben vor mir zu haben.

Hier in meinem kleinen aber feinen Garten, in dem ich mich nun auf den Sonnenuntergang freue, wo ich einen bequemen Liegestuhl aufgebaut habe und mit Ehrfurcht an die Wunder der Natur denke, scheint mir der richtige Ort zu sein, um einen arbeitsreichen Tag zu reflektieren, der wohl mein Leben für alle Zeiten verändert hat.

Irgendwo in einem der Nachbargärten spielen Kinder. Ich liebe es, Kinderlachen zu hören, denn das Lachen der Kinder ist für mich ein Beweis dafür, dass alles, was auf diesem Planeten geschieht, einen höheren Sinn hat. Eltern lieben sich, bekommen Kinder, erziehen sie nach bestem Wissen und Gewissen und kümmern sich um sie, bis die Kinder schließlich selbst eigene Wege gehen, die Liebe kennenlernen und mit ihrer Liebe für die dauerhafte Existenz der Menschheit sorgen. Dieser Kreislauf ist es, der mich lächeln lässt und mich immer daran erinnerte, niemals zu verzweifeln.

Zwar verhindert die mannshohe Hecke um mein Grundstück, dass irgendjemand sehen kann, wie ich hier liege und genieße, aber alleine der Gedanke daran, von Leben umgeben zu sein, auch Leben hören zu können und morgen für einen neuen, bestimmt ebenso schönen Tag bereit zu sein, erfüllt mich mit tiefer Befriedigung.

Alle Pflanzen sind beschnitten und gegossen und das exakt eineinhalb Meter tiefe Grab, in dem meine Frau nun ruht, ist jetzt wieder ordentlich mit Erde bedeckt und frisch gesäter Rasen wird dafür sorgen, dass Marianne sich, wenngleich sie es auch nicht verdient hat, recht wohl fühlen wird.

Fast drei Stunden habe ich für das Ausheben des Grabes benötigt.

Als Mann von knapp siebzig Jahren kann ich wohl mit Fug und Recht behaupten, mich ganz gut geschlagen zu haben, denn wenn ich auch kräftig geschwitzt habe, so konnte ich doch fröhlich vor mich hin pfeifend und ohne eine einzige Pause, meine Arbeit erledigen.

Jetzt, wo Marianne ihren letzten Ruheplatz gefunden hat und wo ich mich ein wenig auf dem Liegestuhl erhole, möchte ich lauthals den Grillen und Vögeln zurufen:

Sie ist endlich tot, Ihr lieben Tierchen! Ihr müsst keine Angst mehr haben!“

Doch niemand darf mich hören, denn der Umstand, dass ich Marianne umgebracht habe, wie auch die Tatsache, dass Grillen und Vögel wohl kaum verstehen würden, was ich ihnen zurufe, lässt mich schweigen und im Stillen genießen, was eigentlich die ganze Welt erfahren sollte.

Aber hätte die Welt denn Verständnis für das, was sich getan habe? Bin ich nicht in den Augen der Justiz nur ein Ehemann, der seine Ehefrau erschlagen hat? Interessierte es die Polizei, den Richter und auch die Medien, dass ich wirklich keine andere Wahl hatte? Konnte irgendjemand nachvollziehen, dass Marianne jedes Recht auf Leben verwirkt hatte, weil nach meinem Verständnis nun mal Rechte auch mit Pflichten verbunden sind und sich niemand, auch nicht Marianne, von diesen Pflichten freimachen durfte?

Wenn ich Glück habe, mich ein wenig schone, also nicht jeden Tag ein Grab aushebe, dann habe ich durchaus Chancen, vielleicht noch zwanzig Jahre leben zu können. Werde ich jedoch verhaftet und verurteilt, sterbe ich im Gefängnis und Mariannes Tod hat zwar den Vögeln und Grillen geholfen, aber mir jede Hoffnung auf ein paar schöne Jahre zum Ende meines Lebens genommen.

Vielleicht mache ich jetzt ein kleines Nickerchen. Die Wolldecke auf meinen Beinen wird verhindern, dass ich mich erkälte, wenn die Sonne sich in Bälde zur Ruhe begibt und dem Mond den Himmel überlässt, bis am Morgen wieder eine ausgeruhte Sonne für wohlige behaglich Wärme sorgt.

Meinen Nachbarn habe ich gesagt, dass Marianne für drei Jahre zu ihren Verwandten nach Australien gereist ist. Jeder, der Marianne kennt, weiß, dass Marianne an einer seltenen Krankheit leidet und mein Hinweis, dass es in Perth eine Klinik gibt, die auf diese Krankheit spezialisiert ist und auch sehr gute Erfolge bei der langwierigen Behandlung nachweisen kann, macht es nachvollziehbar, dass Marianne für lange Zeit nicht mehr gesehen wird.

Himmel, was hat Marianne für ein Gesicht gemacht, als sie begriff, was ich vorhatte! Für einen Augenblick hat sie mich angestarrt, dass ich fast dachte, sie versteht, was mich zu dieser Tat treibt. Aber dann, als sie, ihrem Naturell getreu, nach einem Stein griff und ihn mit aller ihr eigenen Bosheit nach mir warf, der Stein mich aber um Längen verfehlte, verstand sie, dass ihr Ende unausweichlich gekommen war.

Gnade Dir Gott, wenn Du das tust...!“ keifte sie mir entgegen und versuchte gleichzeitig, ihre Hände schützend vors Gesicht zu halten, wenngleich dies für den Hammer in meiner Hand kaum eine nennenswerte Barriere darstellte. Ein letztes Mal ertönte ihr schriller Schrei voller Zorn und Hass und dann schwieg Marianne für alle Zeiten.

Ausgerechnet Marianne sprach von der 'Gnade Gottes'! Ausgerechnet sie, die mit Gnade wirklich wenig am Hut hatte, wagte es, dieses kostbare Wort in den Mund zu nehmen. Und was war bitte mit den Vögeln in unserem Garten, die Marianne immer dann mit Steinen bewarf, wenn sie sich wieder einmal vom Zwitschern der kleinen Glücksbringer gestört fühlte? Was war mit den Grillen, die ständig in Angst leben mussten, weil Marianne jede Grille, die sie fand, mit den Füßen zerquetschte? Ließ Marianne auch nur ein einziges Mal Gnade vor Recht ergehen oder scherte sie sich einen Dreck um diese süßen Lebewesen, wenn sie deren fröhliche Musik nicht mehr ertrug?

Dreiundvierzig Jahre habe ich Marianne ertragen, Dreiundvierzig Jahre habe ich alles getan, sie zu einem besseren, tierliebenden und gerechten Menschen zu machen. Ich habe gebettelt, argumentiert, habe sie angefleht, daran zu denken, dass alle Tiere Geschöpfe Gottes sind, doch Marianne hat meine Versuche stets ignoriert und einfach so getan, als ginge sie das alles nichts an.

Das sind nur beschissene nervtötende Viecher und ich glaube, dass ich mir in meinem Alter etwas Ruhe verdient habe! Wenn Du also nicht dafür sorgst, dass diese Quälgeister verschwinden, werde ich das eben tun!“

So war Marianne. Eiskalt und rücksichtslos. Und diese brutale Einstellung zu Tieren lag ebenso wie die seltene Krankheit, an der Marianne litt, in ihrer Familie. Ihre Schwester Gerda war kein bisschen besser. Für das Ausheben von Gerdas Grab habe ich vor drei Jahren noch zwei Stunden länger benötigt. Mariannes zweite Schwester, Hildegard, lag zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem halben Jahr in unserem Garten und bei Hildegard konnte ich sehr gut üben für die Arbeit, die noch vor mir lag.

Es gibt noch einen Bruder Mariannes, der mich im nächsten Monat besuchen wird, um mehr über die Klinik in Perth zu erfahren. Ich werde sehen, wie er auf das Zwitschern der Vögel und das Zirpen der Grillen reagiert. Für ein Grab ist noch Platz in meinem Garten und glücklicherweise gibt es keine Nachkommen, die mich, im fortgeschrittenen Alter, nicht zur Ruhe kommen lassen würden, weil sie garantiert die Krankheiten und Bosheiten ihrer Mütter geerbt hätten.

Auf keinen Fall darf ich vergessen, noch einige Apfelstückchen auf dem Rasen zu verteilen und ein paar Schalen mit frischem Wasser aufzustellen. Meine Vögelchen lieben Äpfel und für die Grillen gibt es nichts schöneres, als im Wasser zu plantschen. Sie wissen ja, dass ich nicht nur heute, am wohl schönsten Tag in meinem Leben, für das Glück meiner Tiere wirklich alles tun würde, oder?

Jetzt bin ich müde und möchte ein wenig schlafen.

Sie entschuldigen mich bitte, ja?

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.06.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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