Sophia Bergann

Der stille Mann

Wieder einmal saß Peter in seinem Sessel und wünschte sich, er wäre irgendwo anders, in einer anderen Stadt, einer anderen Zeit, einfach nicht hier. Wieder einmal schaute er auf seine Hände, während unablässig die lauten Worte seiner Frau an sein Ohr drangen. „Wie kannst du mir das nur antun? Wo ich so lange davon gesprochen habe. Ich kann es einfach nicht fassen, wie unsensibel du bist…“ Er versuchte, ihr in die Augen zu schauen, senkte jedoch sofort wieder den Kopf als er den Hass und die Tränen in ihrem Gesicht sah. Er wusste nicht, was er falsch gemacht hatte. Wieder mal. Und nun verlangte sie von ihm, dass er Rede und Antwort stand. Dass er sich äußerte zu  ihren Vorwürfen, dass er sich entschuldigte. Für was auch immer. Am liebsten wäre er aufgesprungen und gegangen. Aber das konnte er nicht. Es würde sie noch mehr verletzen, ihr das Gefühl geben, dass er sie nicht achtete, nicht liebte. Aber das tat er. Das hatte er immer getan. Also blieb er sitzen, starrte auf seine Hände und ließ den Worthagel über sich ergehen. Ihre Wut war inzwischen etwas abgeschwächt, sie wurde vielmehr ruhig und begann irgendwann zu schluchzen. „Was ist denn nur los mit dir? Warum sprichst du nicht mir? Was hab ich dir getan? Ich wollte doch nur, dass wir zusammen auf dieses blöde Fest gehen. Das hab ich dir doch sooft erzählt. Ich kann es nicht fassen, dass du es wieder vergessen hast… sag doch was… verdammt“ Er hatte das Fest vergessen, das stimmte. Sie hatte vor einigen Wochen erwähnt, dass ihr Chef eine Grillparty geben würde. Er hatte sich zwar nicht sonderlich darauf gefreut, wieder einen Abend mit diesem arroganten Kerl und Annas kichernden Arbeitskolleginnen zu verbringen, aber er hatte natürlich zugesagt. Schließlich waren sie verheiratet und da ging man gemeinsam zu solchen Veranstaltungen. Und wenn er sie bat, begleitete Anna ihn auch auf seine langweiligen Vorträge, die er in regelmäßigen Abständen auf ebenso langweiligen Kongressen halten musste. Aber irgendwann hatte er nicht mehr an diesen Grillabend gedacht, ihn vergessen. Und Anna hatte den Termin auch nicht mehr erwähnt, zumindest konnte er sich nicht daran erinnern. Und als der Abend kam, hatte er länger im Büro bleiben müssen und war erst eine Stunde, nachdem Anna hatte aufbrechen müssen, um nicht total zu spät zu kommen, zu Hause angekommen. „Ich hab einfach nicht mehr dran gedacht… „ sagte Peter „Du hättest mich erinnern sollen heute morgen als ich aus dem Haus bin.. Ich..“ Er stockte, denn Anna schnaufte nur verächtlich, drehte sich ruckartig um und genauso ruckartig wandte sie sich wieder in seine Richtung, sah ihn mit ihren tränenverwischten Augen an, die nur noch Wut ausstrahlten. „Ich hätte es dir sagen sollen? Bin ich deine Mutter, dass ich immer alles drei mal sagen muss? Du bist doch kein Kleinkind“ Diese Anspielung kannte er gut. Anna warf ihm immer wieder vor, dass er sich infantil verhalte. Sie war wütend, weil sie glaubte, dass er teilnahmslos sei, sich nicht aussprechen wollte und sich in ihren Augen wie ein bockiges Kind benahm. „Ich verstehe nicht, warum du dir das nicht einfach aufgeschrieben hast wie jeder normale Mensch. Ach, es ist zwecklos.. Immer siehst du die Schuld nur bei mir..“ `Das musst du gerade sagen` dachte er, biss sich aber auf die Lippen. Es war zwecklos, sich mit Anna zu streiten. Was sollte er auch sagen? Sie hatte recht, er hätte es notieren können. Aber er fand ihre Reaktion auch nicht okay. Was hatte er schon getan? Er hatte einen Grillabend vergessen. So wie er manchmal vergass, den Müll runter zu bringen oder ihren Eltern zum Hochzeitstag zu gratulieren. Er sah wieder auf seine Hände. Sie waren weiß und breit, die Finger aber eher schmal und relativ kurz. Sie waren alt geworden, die Haut war mit kleinen Rillen durchzogen und die blauen Adern zeichneten sich deutlich ab. Er überlegte, was er wohl tun konnte, um Anna zu besänftigen. Er fühlte sich alt und aufgebraucht, wie ein nasses Handtuch, dass seinen Zweck nicht mehr erfüllte weil es dem Zweck zu lange gedient hatte. Morgen musste er also Blumen kaufen und am besten wäre es, wenn er sie auch noch zum Essen einladen würde. Gerade als er darüber nachdachte, welches Restaurant wohl das Beste wäre, um seine Liebe und das Wissen um seine Schuld  zu beweisen, erschreckte ihn die Heftigkeit, mit der Anna ihn anschrie. „Was glotzt du denn so auf deine Hände? Schlimm genug, dass du nicht mit mir sprichst, aber jetzt siehst du mich nicht mal mehr an“ schrie sie ihm fast ins Gesicht. „Ich habs so satt… Wie du da sitzt und nichts sagst… NICHTS.. absolut nichts“ Sie schlug ihm leicht mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Was ist da drin? Nichts, oder?“ Er war verblüfft über ihre Wut und die Körperlichkeit, mit der sie ihre Wut ausdrückte. An das Schreien hatte er sich gewöhnt. Er hatte sich auch daran gewöhnt, nichts zu sagen. Denn das war das Vernünftigste was er tun konnte. Zumindest seiner Erfahrung nach. Am Anfang der Ehe hatte er sich noch lautstark gewehrt, mit ihr gestritten und diskutiert. Aber am Ende war immer er es, der sich entschuldigte, der ihre Tränen trocknete und stundenlang ihren Gedanken zuhörte. Es war egal gewesen, was er gesagt hatte. Am Ende waren immer beide ihrer Meinung gewesen. Und irgendwann hatte er aufgehört zu sprechen. Auch aus dem Gefühl heraus, dass sie tatsächlich meistens recht hatte. Vielleicht war er einfach nicht der Mann, den sie sich immer gewünscht hatte. Vielleicht waren seine Gedanken einfach nicht reif genug, um mit ihr mitzuhalten. Und so sagte er lieber nichts. Hörte ihr zu und versuchte heraus zu hören, wie er ihr seine Liebe wohl am besten zeigen konnte. Peter sah nach oben, in ihre Augen und auf ihren Mund, der verbissen und schmal aussah. "Ich … es tut mir leid, Anna. Ich wollte dich nicht verletzen“ „Aber das hast du, verstanden? Das hast du! Warum hast du es nicht aufgeschrieben?“ Was sollte er dazu sagen? Dass ihm der Termin wahrscheinlich nicht wichtig genug gewesen war, um ihn in seinen Arbeitskalender einzutragen? Dass er gehofft hatte, dass sie ihn rechtzeitig daran erinnern würde? Dass er damals dachte, dass sie in der Zeit bis zum Grillabend sicher noch oft darüber sprechen würden? Es war unmöglich, ein gutes Argument zu finden, dass sie in diesem Moment befriedigt hätte. Unmöglich, eine Entschuldigung für sein Verhalten zu finden. Er hatte es einfach vermasselt. Wie immer. Er schaffte es nicht, ihr zu zeigen, dass sie wichtig für ihn war, er ihr Leben teilen wollte, sich für sie interessierte. Also schwieg er. Anna starrte ihn immer noch an. Er spürte, wie sich ihre Augen in seinen gesenkten Kopf bohrten. Fast war ihm, als schmerzte ihn sein Hinterkopf von ihren durchdringenden Blicken. „Oh mein Gott!“ Sie schlug die Hände vors Gesicht. „Es tut mir leid“ äffte sie ihn nach. „Dir tut nichts leid! Nichts! Sonst würdest du mit mir sprechen, wie jeder normale Mensch. Weißt du was ich glaube? Ich glaube, du hasst mich. Du willst mich in den Wahnsinn treiben. Was ist nur in deinem verdammten Kopf los? Hä?“ Peters Hände wurden schwitzig. Sie klebten. Am liebsten wäre er sie waschen gegangen. „Peter… ich halt das nicht mehr aus… Ich möchte dass du deine Sachen packst und bis zum Wochenende ausziehst…“

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.06.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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