Helena Ugrenovic

Der General

Der General

Mütter haben die einmalige Begabung, ihre Kinder täglich zum Wahnsinn zu treiben. Mit der simplen Entschuldigung, dass eine Mutter schliesslich so tickt und ein Kind immer ein Kind bleiben wird. Egal, ob dieses selber schon am Stock geht. Seit der Geburt eines solchen Kindes fühlen sich Mütter dazu verpflichtet, ihren Kindern schonungslos die Meinung aufzudrücken. Handelt es sich dazu noch um serbische Mütter, kommt eine weitere Eigenschaft dazu. Als Kind gehört man zum persönlichen Eigentum der ewig regieren wollenden Elterneinheit. Auf Gedeih und Verderb. Platzt so einem Kind der Kragen und versucht dieses, die Ketten zu sprengen, wird es als egoistische und undankbare Zicke hingestellt. Schluckt so ein Kind alles widerspruchslos, erhält es den Stempel aufgedrückt, eine lebensunfähige Memme zu sein.

“Oma sagt, du schreibst hässlich und sie kann nie entziffern, was du in deine Hefte schreibst.“
“Oma sagt, du machst zuviel Solarium und siehst aus wie eine Kitschtusse.“
“Oma sagt, deine Haare sind zu rot und diese olle Strähne vorne ist zu blond. Du siehst aus wie ein Fuchs.“
“Oma sagt, diese Perlenketten am Fenster sehen doof aus. Du machst aus unserer Wohnung ein Zigeunerkabuff.“
“Oma sagt, ich muss abends früher schlafen gehen, du sollst nicht immer so lange telefonieren und dich um mich kümmern.“
„Oma findet es sehr unanständig von dir, dass du immer ins Schlafzimmer verschwindest,
wenn sie dich besuchen kommt und du am telefonieren bist.“
“Oma sagt, du musst endlich die Wäsche bügeln und versorgen. Gerade gewaschen, stinkt sie schon wieder nach Rauch, wenn sie so lange herumliegt.“
“Oma sagt, deine Blusen sind zu eng und du siehst aus wie Brigitte Nielsen. Wer ist Brigitte Nielsen?“
“Oma sagt, du sollst nicht mit den Schuhen durch die Wohnung laufen, unter uns wohnen Leute.“
„Oma sagt, deine Schuhe sind eh blöd und sie fragt sich, wie du überhaupt darauf laufen kannst.“
“Oma sagt, du sollst die Musik nicht so laut aufdrehen, du weckst Tote damit auf und ich werde bald taub.“
“Oma findet es unsinnig, dass du abends in diesem komischen Chor singst, du verdienst dort kein Geld.“
“Oma sagt, du rauchst zu viel, lüftest nie und ich bin ein Passivraucher neben Dir. Du solltest auch an mich denken.“
“Oma sagt, du musst mich heute endlich baden, ich stinke bestialisch und du bist parfümiert!“
“Oma hat dir eine neue Ablage für dein Besteck gekauft. Die alte hat sie weggeworfen weil sie diese hässlich findet. Den Wäschekorb hat sie übrigens auch ersetzt. Die Farbe des Alten passte nicht zum Duschvorhang.“
“Oma sagt, du musst endlich mein Zimmer richtig aufräumen, bald wachsen dort Tiere, die noch keiner kennt.“
“Oma sagt, du hast dich negativ verändert und bist richtig zickig.“
“Oma sagt, du musst deine Pflanzen einmal die Woche giessen, die gehen alle noch ein und sie muss dauernd die abgefallenen Blätter wegwerfen.“
“Oma sagt, du sollst nicht so viel Geld ausgeben, du hast genug Klamotten.“
“Oma findet deine Freundinnen bescheuert und sie mag sie nicht.“
“Oma sagt, dein alter Lippenstift war zu dunkel und der Neue ist zu hell. Du solltest mal zu einer Farbberatung gehen.“
„Oma sagt, du brauchst mich wegen der schlechten Mathenote gar nicht so anzumuffeln. Du warst selber eine Niete und hast es nicht mal dann kapiert, wenn Opa versucht hat, dir mit Streichhölzern und Tassen eine Rechnungen zu erklären.“

Kaum zu glauben, dass ich es ohne fremde Hilfe schaffe, den Fussgängerstreifen zu überqueren. Kaum zu glauben, dass ich die Dreissig schon überschritten habe. Kaum zu glauben, dass ich als alleinerziehende Mutter voll berufstätig bin, eine Wohnung mein Eigen nenne und mein Einkommen selber verdiene. Kaum zu glauben, dass mein Intelligenzquotient dem normalen Durchschnitt entspricht und nicht dem eines Einzellers.
Kaum zu glauben, dass ich schon geküsst worden bin und ein Kind geboren habe.
Kaum zu glauben, dass ich mich in westlichen Breitengraden befinde und nicht irgendwo in Kabul hocke.
„Oma sagt“, ist der General. Ihr Gatte die graue Eminenz, denn er sagt wenig und wenn, dann nur dem General. Zuckertaube agiert als Doppelagent, lebende Wanze, Petze, Kriegssprecher, ausführender Offizier, Spitzel oder je nach Krisenherd, als Überläufer. Mehrheitlich aber als verhätscheltes Enkelkind, was sie gnadenlos ausnutzt. Aber eigentlich ist sie mein Töchterchen.

Ich bin das Kind. Auch Soldat „Schweijk“ genannt. Oder das arme Schwein, welches für die nationale Sicherheit in den Krieg zieht, um Haus, Hof, Herd, Kind und Kegel zu verteidigen und vor den bösen Feinden zu beschützen. Weigere ich mich, die Befehle des Generals auszuführen, erwartet mich das Urteil des Kriegsgerichts. Lebenslange Vormundschaft in Form von „Oma sagt“. Motze ich über das listige Verhalten der grauen Eminenz, weil ich schon unter Migräneanfällen leide, schwebt ein Disziplinarverfahren ins Haus. Zeige ich der Petze den Vogel, weil sie für ihre Bäumlein-wechsel-dich-Spielchen noch Geld verlangt, werde ich erneut vor das Kriegstribunal geschleppt. Zum lebenslangen Freiheitsenzug gesellen sich noch lebenslange Nervtötdiskussionen des Generals und der grauen Eminenz hinzu, welche auf ihre Rechte als serbische Regierungseinheit pochen und nicht daran denken, abzudanken.

Während General, graue Eminenz und Petze unter ägäischer Sonne an ihren Cocktails saugen,
auf den Spuren von Aristoteles Onassis wandeln und sich über das schlechte Essen in einem Flugzeug beschweren, robbe ich als lehmverkrusteter Soldat durch Minenfelder, schlängle mich durch niederregnenden Granathagel, wate durch Schlamm und Moor, werde von Detonationen durch die Luft geschleudert und schlage jeden Abend ein Kreuz, dass ich noch am Leben bin.

Heute habe ich erneut ein Kreuz geschlagen, dem Allmächtigen dafür gedankt, dass ich mich mit Militärköpfen herumplagen muss und ihm eine Frage gestellt. Die Frage, ob ich nun ein armes Schwein, oder ganz einfach nur ein doofes Schwein bin?

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