Helmut Wurm

Die modernen Fest-Essen vieler Wandervögel

Der alte bündische Führer, Sokrates und einige alte bündische Freunde aus der weiter zurück liegenden Wandervogelzeit sitzen an einem schönen Frühlingsabend vor einem Haus unter einer alten Linde. Auf dem einfachen Holztisch stehen vielerlei natürliche, einfache, aber leckere Speisen. Gitarren lehnen am Stamm und gerade erheben alle die Gläser und der alte Führer stößt auf das schöne, schmackhafte, vielseitige, gesunde und gleichzeitig einfache Essen an, das vor ihnen steht. Es handelt sich um…

 Allmählich kommt das Gespräch auf die früheren und die ganz frühen Feste, wie schön, wie relativ einfach und verdient sie damals waren. Und man beginnt zu erzählen… Der alte Führer macht den Anfang.

Der alte Führer: Ich erinnere mich gerne an eine schöne, ungeplante, aber verdiente Feier über fast 2 Tage hin aus der Zeit, als ich noch junger Gruppenführer war. Wir waren wieder einmal auf Fahrt, einer von uns hatte Geburtstag, aber wir hatten damals für eine Feier abends am Zeltplatz keine entsprechenden Köstlichkeiten. Wir hatten jedoch vor, unserem Geburtskind wenigstens einen schönen Liedervortrag zu gestalten. Es war später Vormittag und während wir durch ein Dorf marschierten, sahen wir aus der Kirche einen Hochzeitszug kommen und einem reichen Bauernhof zustreben… Das war unsere Chance:

 Wir griffen unsere Gitarren, schlossen uns einfach dem Hochzeitszug an und begannen so laut wir konnten Volks- und Wanderlieder zu singen. Zuerst stutzten die Leute und drehten sich nach uns um, dann aber lachten sie und so marschierten wir einfach weiter zu dem Bauernhof und in die festlich hergerichtete Scheunentenne hinein, so als wären wir offiziell eingeladene Gäste. Dabei sangen wir kräftig weiter, was uns gerade passend schien. Zuerst schaute das Brautpaar auch etwas verdutzt zu uns herüber, dann lachten beide und winkten uns grüßend zu. Da war der Bann gebrochen… Uns wurde aufgetafelt wie allen anderen Gästen und schließlich tanzten die Leute sogar zu unseren Gitarren und Liedern. Das ging bis in die späte Nacht, denn Lieder gehen einem Wandervogel ja nicht aus. Am nächsten Tag, wir schliefen vorzüglich im Heu, gab uns die junge Frau von dem übrig geblieben Braten und Kuchen noch so viel mit, wie wir tragen konnten. Und damit hatten wir für eine zweite, private Geburtstagsfeier die besten Grundlagen… Aber wir hatten uns diese 2 kulinarischen Tage auch ehrlich mit Singen und Spielen verdient.

Ein anderer älterer Wandervogel: Wir hatten in meiner bündischen Jugendzeit einmal ein ähnliches Erlebnis. Wir wanderten damals durch Franken mit seinen vielen kleinen romantischen Städtchen und kamen nachmittags auf den Marktplatz eines solchen historischen Kleinods. Es war ein schöner Sommertag und vor den Gasthäusern und Cafes saßen die Leute zahlreich im Freien. Wir setzten uns einfach auf den Brunnenrand, betrachteten die vielen Leute um uns herum und begannen die Gitarren zu stimmen und zu singen. Sobald wir ein bekannteres Wanderlied anstimmten, begannen zu unserem Erstaunen viele der Leute mitzusingen und schließlich sangen wir gemeinsam mit diesen Gästen auf dem alten, kleinen Marktplatz über dreii Stunden schöne deutsche Volkslieder und andere Lieder, die sie noch aus der Schulzeit her kannten. Wir waren voller Freude in unser Singen vertieft und bemerkten erst nach einer Weile, dass sich regelmäßig Leute uns näherten und am Brunnen etwas abstellten. Als wir dann hinschauten, standen dort Tassen mit Kaffee, Kakao, Weingläser und Kuchenplatten – ein ziemliches Gemisch aus den verschiedensten kulinarischen Kostbarkeiten und ständig kamen neue Tassen und Teller hinzu. Da mussten wir unser Singen regelmäßig unterbrechen und uns mit diesen Geschenken, die wir uns ehrlich verdient hatten, stärken. Als wir endlich wieder unsere Rucksäcke schulterten und abmarschieren wollten, kam noch ein älterer Mann hinzu und sagte, so etwas habe er lange nicht mehr erlebt. Es sei schön, dass es noch eine solche heimatverbundene und singende Jugend gäbe.  

 Ein weiterer älterer Wandervogel: Solches Glück hatten wir nicht. Wir haben uns früher auf unseren Fahrten bewusst mit einfachen Speisen und  Getränken begnügt. Das war bei uns eine bewusste Haltung gegen unsere Eltern, die damals nach dem zweiten Weltkrieg in der so genannten „Fresswelle“ die Schrecken der Nazizeit und der Bomben zu vergessen suchten. Normalerweise bestand unser Fahrten-Küchenzettel aus Eintopf, geschmierten Broten und Kräutertee. Aber einmal wollten wir auch etwas besser essen, als wir nämlich in einer lauen Sommernacht im Juni auf einem Gipfel im X-Gebirge den Sonnenuntergang und Aufgang erleben wollten. Unsere Mütter hatten jedem von uns für diese Nacht  etwas Besonderes mitgegeben und als wir am Abend vor unserer Kothe unsere Kostbarkeiten ausbreiteten, kam doch Gute zusammen: Wir hatte einige Würste, einige Frikadellen, verschiedene Käse, Kräuterquark in einem Glas, Griebenschmalz und sogar 2 Kuchen. Dazu hatte ein Vater 2 Flaschen Wein, allerdings mit einer strengen Ermahnung zur Mäßigung, beigesteuert. Das gab eine schöne Nacht, sowohl von der Stimmung, der lauen Luft, als auch vom Essen her. So gut haben wir selten auf Fahrt gegessen. Denn wenn man gewohnt ist, sich einfach zu ernähren, dann sind solche Speisen und Getränke, wie wir sie damals zusammen legen konnten, schon etwas Besonderes.

 Ein dritter älterer Wandervogel:  Wir haben wiederholt auf Fahrt Herrn Schmalhans als Küchenmeister gehabt, weil wir damals wenig Geld hatten und viele Nahrungsmittel nicht schleppen wollten. Zelteten wir in der Nähe eines Dorfes, dann sind wir manchmal singend durch das Dorf gezogen und haben etwas bei den Bauern gebettelt. Da kam manchmal Einiges zusammen: Brot, Eier, Würste, Kraut, Zwiebeln Butter, Honig… Und daraus haben wir dann ein kräftiges Abendessen und ein reichliches Frühstück gestalten können. Zugegeben, man musste sich erst an das Betteln gewöhnen, aber dann hat uns das Essen doch sehr gut gemundet.

 Ein weiterer älterer Wandervogel: In meiner Gruppe hatten wir bewusst als Maxime, nur einfach auf Fahrt zu essen und zu trinken. Wir wollten uns und anderen Vorbilder darin sein, dass Jugendliche in reichen Industriestaaten sich bescheiden lernen, beim Essen angefangen. Wir wollten bewusst gegen den Ess-Strom unserer Zeit schwimmen. Wir haben uns zwar nicht den altgriechischen Philosophen Diogenes als Vorbild gewählt, aber wir wollten zeigen, dass auch oder gerade bei einfachem Essen und Trinken eine gesunde und leistungsfähige Jugend heran wächst. Natürlich haben wir uns auch nach Kuchen und Gebäck gesehnt, aber wir haben uns dann folgenden Kompromiss gewählt: Wenn wir an einem Nachmittag oder Abend dieser Schwäche nachgeben wollten, haben wir bei kleinen Bäckern auf dem Land, die noch nach alten Rezepten buken, nach altem Kuchen und Gebäck gefragt und dann in der Regel für wenig Geld oder umsonst solche alten Kuchen bekommen, die der Bäcker an die modernen Wohlstandsmenschen nicht mehr verkaufen konnte. Und wir haben jedes Mal festgestellt, dass solche, nur mit natürlichen Zutaten gebackene alte Kuchen und altes Gebäck immer noch gut schmecken und für die Verdauung gesünder waren als die modernen frischen, durch Aromastoffe und moderne Treibmittel geschönten Kuchen, die es damals auch schon gab. Das waren dann jeweils schöne und innerhalb unserer Ernährungs-Maxime vertretbare kleine Feste. 

 Noch ein anderer älterer Wandervogel: Wenn ihr damals als eine Art Ideologie gewählt hattet, einfach zu leben und zu essen, dann passt dazu unsere frühere Gruppen-Maxime bezüglich unserer Fahrten-Ernährung. Wir hatten uns vorgenommen, die alten Volksgerichte zu pflegen, damit sie nicht verloren gehen. So wie Hans Breuer die alten Volkslieder gesammelt hat, haben wir unterwegs lokale und regionale Küchen-Rezepte gesammelt, möglichst von Speisen und Getränken, die nur noch die alten Leute wussten. Besonders interessante alte Gerichte fanden wir in Ober- und Nordhessen, in der Region, wo die Gebrüder Grimm ihre Märchen gesammelt haben. Wir haben dazu ein kleines Büchlein mit solchen alten hessischen Küchenrezepten verfasst. Natürlich hatten wir auch Prioritäten. Zu unseren Lieblingsessen gehörten hessische „Aale Worscht“ und hessischer „Brotkuchen, auch Schwälmer Pizza“ genannt. Habt ihr davon schon mal gehört?

 Die Runde (rückt näher zusammen): Nein… Erzähl mal genauer… Aaale Worscht klingt so nach „Alter Wurst“ und damit nicht gerade kulinarisch… Ich kenne italienische Pizza, aber keine Schwälmer Pizza… Und für mich gibt es entweder Brot oder Kuchen, aber keinen Brotkuchen…

 Der ältere Wandervogel:  Also „Aale Worscht“ ist wirklich alte Wurst, aber eine ganz besonders gute alte Wurst. Echter Darm wird mit Fleisch, Speck, Knoblauch, Thymian, Pfeffer und Salz gefüllt und dann geräuchert. Anschließen müssen diese ca. 25 -40 cm langen Würste noch einige Monate an der Luft trocknen. Dann erst sind sie fest und jetzt erst sollte man sie essen. Sie schmeckten zu rundem dunklem Bauernbrot sehr herzhaft. Man kann diese Würste und das alte runde Bauernbrot heute noch in einigen mittel- und nordhessischen Dorfmetzgereien und Dorfbäckereien bekommen.

 Und Brotkuchen sind eine interessante Mischung aus Pizza und Brot. Vermutlich haben dieses Gericht Hugenotten aus Südfrankreich mitgebracht, denn in Mittel- und Nord-hessen haben sich viele Hugenotten-Flüchtlinge angesiedelt, als sie um 1700 Frankreich wegen ihres Glaubens verlassen mussten. Der Teig besteht aus möglichst natursauerem Roggenmehl und dieser Teigboden sollte ca. 1-2 cm dick sein. Darauf werden kräftige Zutaten aus dem Bauerngarten und der Bauernküche gelegt, z.B. Zwiebeln, Lauch, Kohl, durchwachsener Speck, Wurstscheiben, Hackfleisch, Tomaten, Käse, Schlotten, Spinat, Eier usw. und das Ganze dann im Backofen gebacken. Bei der Schwälmer Pizza ist der Hackfleischanteil etwas höher. Es können aber auch nur Griebenschmalz und ein paar Lauchscheiben auf dem Brotteig sein. Dieser Brotkuchen ist eine kräftige Mahlzeit, zu der Bier gut schmeckt. Es gab ihn in Hessen schon seit 3 Jahrhunderten, also lange bevor die italienische Pizza ihren Siegeszug durch Deutschland begann. Und die heutige Pizza mit ihrem Weich- und Weißmehlboden und dem oft durch Aromen und Geschmacksverstärker aufgemotztem Geschmack kann nach meiner Meinung dem alt-hessischen Brotkuchen das Wasser nicht reichen.

 Einer aus der Runde: Das klingt in der Tat herzhaft, aber „Aale Worscht“ habt ihr auf Fahrt bestimmt nicht selber hergestellt. Und kann man solchen hessischen Brotkuchen auf Fahrt zubereiten?

 Der vorige Sprecher (lachend):  Die Aale Worscht und das alte runde Bauernbrot haben wir uns natürlich gekauft, wenn wir durch Mittel- und Nordhessen und Westthüringen (da gibt es die auch) zogen. Aber solchen Brotkuchen kann man ganz gut abends auf Fahrt zubereiten. Man knetet einen Teig aus Roggenmehl, versetzt ihn mit Trockenhefe, lässt ihn in Feuernähe „gehen“ und belegt dann die dicken runden Teigfladen mit dem, was man besorgen konnte, also z.B. mit Wirsing, Lauch, Wurstresten (die kann man in vielen  Dorfmetzgereien billig kaufen), Ei, Käse… und backt das Ganze mit Fett im Bratpfannen-Deckel des Hordentopfes. Solch 1 dicker Brotkuchen in Größe 1 Deckels ist ein herzhaftes und stärkendes Gericht für 3 hungrige Wanderer.

 Der alte Wandervogel:  Das ist interessant und vergleichbar mit der Wiederentdeckung und Bewahrung alter Märchen und Volkslieder durch die Gebrüder Grimm und durch Hans Breuer. Das bringt mich auf eine Idee. Wäre es möglich, bei den heutigen Wandervögeln Interesse an alten volkskundlichen Gerichten zu wecken, die dann von ihnen erprobt und als kleine Büchlein veröffentlich würden? Ich kann mir denken, dass sich so manches alte Gericht als Fahrtengericht gut eignen würde, z.B. der norddeutsche Labskaus, der west-fälische Gemüseeintopf…

Nach einigen weiteren Erzählungen aus der bündischen Jugendzeit kommt am späten Abend innerhalb der Runde die Neugierde auf, ob solche kulinarischen Erlebnisse die heutigen jungen Wandervögel auch erleben und ob bei bündischen Gruppen Interesse an volkskundlicher einfacher Ernährung besteht. Der alte Führer schlägt schließlich vor, auf einem nächsten Treffen im Herbst sich gegenseitig zu berichten, was heutige Wander-vögel auf Fahrt essen und wie sie ihre Feiern kulinarisch gestalten.

 Der alte bündische Führer: Jeder von uns sollte diesen Sommer so viele bündische Feiern wie möglich besuchen und sich merken, wie die Essenstafel gestaltet ist. Ich hoffe, dass die frühen Wandervogeltugenden eines einfachen Lebens auch heute noch gepflegt werden. Schließlich haben die Wandervögel auch den heutigen Trend zur Reformkost und zur biologischen Landwirtschaft mit gefördert. Die Wandervögel haben früher ihrer Zeit einen Stempel aufgedrückt und sich nicht von ihrer Zeit beeinflussen lassen.

 Damit verabschiedet man sich…

 Während dieses Abschiedes schaut hinter einem Felsblock in der weiteren Umgebung ein spöttisch grinsendes Gesicht hervor, das durch rote Haare, einen roten Bart und eine Hakennase gekennzeichnet ist. Wer näher heran gegangen wäre, der hätte noch einen roten Mantel zwischen den Büschen leuchten sehen. Man wird unschwer erraten, dass sich hinter dieser Person Mephisto verbarg, der zugehört hatte.  

 Mephisto (grinsend): Da wird euere Illusion wie eine Seifenblase zerplatzen. Die frühen Wandervögel haben tatsächlich ihre Zeit bezüglich Schulmusik, natürlicher Kleidung und einfacher Ernährung mit beeinflusst, die modernen Wandervögel werden dagegen von der heutigen Zeit  beeinflusst… Sie wandern immer weniger und fahren immer mehr und ihre Feste orientieren sich nach den modernen Schlemmer-Partys. Diesbezüglich werdet ihre eine Enttäuschung nach der anderen erleben… ha, ha, ha.

 Der Herbst ist gekommen und die bündische Runde trifft sich wieder am gleichen Ort. Und man berichtet sich von den Beobachtungen, die man auf bündischen Feiern und bei wandernden bündischen Gruppen gemacht hat. Das Ergebnis ist enttäuschend, teilweise niederschmetternd. Die meisten berichten von Feiern, die tatsächlich den modernen Partys mit möglichst vielfältigen kulinarischen Angeboten gleichen, mit Gerichten und Kuchen aus Supermärkten und Großbäckereien, mit Nahrungsmitteln voller Aromen, Farbstoffen und Geschmacksverstärkern und mit Bier und Wein im Überfluss. Das ist nicht mehr die Welt der frühen Wandervögel, das ist die moderne Welt bei den heutigen modernen Wandervögeln. Man lässt die Köpfe hängen. Einer bringt viele Beobachtungen auf den Punkt.

 Einer aus der Runde: Im Grunde verlaufen viele bündische Feiern immer nach dem üblichen kleinbürgerlichen Party-Schema: Man trifft sich gegen Nachmittag und eröffnet das Fest/Festchen mit einem Kaffee-Kuchenbuffet. Das ist zwar nicht negativ und tut, ehrlich gesagt, auch gut. Aber die Kuchen sind die üblichen Industrie-Großbächereien-Kuchen aus hellen Mehlen, mit viel Treibmittel und dementsprechend mit vielen kleinen und größeren Luftlöchern, mit intensivem künstlichem Zuckergeschmack und Aromen… Dann schiebt man eine Pause ein für eine erste Singerunde. Während einige Gastgeber und Gäste dann das üppige Abendessen vorbereiten, singt der Rest der Gruppe weiter…

 Dann wird ausgiebig zu Abend getafelt. Gute deutsche Gerichte sind unüblich, es müssen ausländische Gerichte, Zutaten und Zubereitungsformen sein mit viel Paprika, Knoblauch, Curry, Lauchzwiebeln, Pfeffer usw. Dazu gibt es die ersten Runden Bier, denn diese Gerichte machen Durst. Und dann beginnt das eigentliche offene Singen mit weiteren Bierrunden und in der Regel Rotwein. Pimpfe sitzen dabei, sehen die Auslandsessen-Phobie und Trinkgelage der Älteren, gewöhnen sich daran, dass man als bündischer Erwachsener so feiert, und nehmen sich vor, es später genau so zu machen. Dass man heute dem Rauchen gegenüber zurückhaltend geworden ist, passt eigentlich nicht recht zu dem Alkoholkonsum an solchen Abenden. Und dass die Bündischen, wie die übrige  Bevölkerung Deutschlands, immer dicker werden, kann nicht wundern

 Nur einige haben mehr oder minder andere positive Erfahrungen gemacht. Einer hat ein Sommerfest besucht, wo die Essens-Theke kurz war und überwiegend nur aus einfachen Gerichten bestand. Aber Bier und Wein waren dafür überreichlich vorhanden. Ein anderer hat ein Sommerfest besucht, wo als Getränke überwiegend nur Tee verschiedener Sorte,Mineralwasser Kakao und Kaffee angeboten wurden, dazu aber die modernen weichen Fertigkuchen mit Vanillegeschmack und anderen Aromen, mit Farbstoffen und mit Fertig-Sahne.

 Nur einer hat eine wirklich erfreuliche Erfahrung vorzutragen. Er hatte ein Sommerfest eines kleinen hessischen Wandervogelbundes mitgemacht und berichtet:

 Der Berichterstatter: Dort auf diesem Sommerfest gab es als Hauptgetränke von der Gruppe selbst gekelterten Apfelsaft und Apfelwein, dazu Mineralwasser und Kaffee. Bier und Wein in größeren Mengen zu kaufen war „leider bewusst vergessen worden“. An Essen wurden eine südhessische Spezialität, nämlich „Handkäse mit Musik“ und dunkles Brot, weiter Bratkartoffeln, hausgemachte Salate, Schmalzbrote, beim Metzger gekaufte Würste und Spießbraten angeboten. Die Kuchen (feste Hefekuchen und Rührkuchen) waren von Müttern selbst gemacht worden. Auf diesem Sommerfest gab es keine Pizzen, keine modernen Fertiggerichte, keine Gerichte mit Geschmacksverstärkern und keine Betrunkene, die nicht mehr richtig singen, sondern nur noch lallen konnten.

 Trotzdem, die Bilanz war enttäuschen. Alle dachten enttäuscht darüber nach. Schließlich machte der alte Führer einen Vorschlag:

 Der alte Führer: Die heutigen Wandervögel beeinflussen tatsächlich nicht mehr ihre Zeit, sondern werden in der Mehrzahl von der modernen Zeit beeinflusst. Aber das  einfach so hinzunehmen, wäre ein Zeichen von Mutlosigkeit, von Resignation. Lasst uns  doch als Multiplikatoren versuchen, in den Gruppen die Freude am einfachen Leben und das Interesse an volkstümlichen, an bodenständigen, einfachen Gerichten wieder zu wecken. Das müssen nicht nur deutsche volkstümliche Gerichte sein, solche einfachen bodenständigen Gerichte kann man auch von Auslandsfahrten mitbringen. Wenn man dann diese Gerichte in einer „Bündischen bodenständigen Fahrtenküche mit einfachen Gerichten aus ganz Europa“ zusammenstellte, dürfte an diesem Buch sicher Interesse innerhalb und außerhalb der bündischen Bewegung entstehen. Und darüber könnte man  vielleicht (oder hoffentlich) in der Bevölkerung eine Abkehr von den Luxuskochbüchern, den ständigen Fernsehkochsendungen, von den Schlemmerpartys und der Ernährung mit Fertiggerichten in den Familien fördern. Dann würden die Wandervögel wieder ihre Zeit beeinflussen und nicht umgekehrt.  

Der Vorschlag findet zurückhaltende Anerkennung, obwohl man nicht sehr optimistisch ist. Aber man könnte es ja versuchen.

 Während sich die Runde langsam auflöst, lugt hinter dem entfernten Felsblock wieder das grinsende Gesicht mit dem roten Bart hervor. Mephisto hat natürlich wieder zugehört und murmelt:

 Mephisto: Geht mal ruhig zu den heutigen bündischen Gruppen und versucht ruhig als Multiplikatoren die bündische Welt zu verbessern. Euere naiven Illusionen werden wie Seifenblasen  zerplatzen. Ich kenne die Welt und die Bündischen besser. Sie sind nicht mehr die früheren Wandervögel mit deren Aufbruchsstimmung… Die Bündischen sind heute nur noch moderne Trendsetter mit bunten Halstüchern und bunten Mützen und mit romantisierenden Liedern… Sie sind heute Kinder ihrer Zeit geworden, die ihre Zeit nicht mehr zu beeinflussen versuchen, sondern die von ihrer Zeit beeinflusst werden… ha, ha, ha. 

 Aber übertreibt es nicht mit euerer Multiplikator-Bemühung. Sonst schafft ihr euch nur  Ärger. Denn moderne Trendsetter mögen es nicht, wenn man an ihnen herumkritisiert… Und solche flachen modernen Trends fördere ich, wo ich kann, auch bezüglich bündischer Festtafeln… Sitzen, singen, saufen und moderne Party-Kost, das ist der bündische Feier-Trend der Gegenwart und den werdet ihr nicht mehr umkehren… ha, ha, ha.

 Mephisto hat am Schluss wohl zu laut gelacht, zwar nicht für menschliche Ohren, aber für die Ohren des Sokrates, der feiner hören kann. Der dreht sich rasch um und sieht gerade noch das grinsende Gesicht hinter dem Felsen verschwinden. Er begreift sofort die Situation, steht auf und ruft laut in Richtung Felsen:

 Sokrates:  Ah, du… Das hätte ich mir denken können, dass du hier herumhorchst… Aber ich kann dir nur zurufen: Abwarten, mal sehen, sei nicht zu teuflisch-sicher… Es gibt noch viele kritische Bündische, die nicht gedankenlos der modernen Zeit nachlaufen und sich von ihr beeinflussen lassen, sondern die den Verflachungen der modernen Zeit entgegen-steuern wollen… An denen wirst du dir noch die Zähne ausbeißen… Und denen werden wir Mut machen…

 Die anderen schauen Sokrates verwundert an, blicken auch in Richtung des Felsens und sehen dort gerade noch eine kleine gelbe Rauchwolke aufsteigen. Dann blicken sie wieder auf Sokrates, der sich ruhig hinsetzt und nur sagt:

 Sokrates:  Das mit den Multiplikatoren ist eine gute Idee. Es gibt noch bündische Führer und bündische Gruppen mit Standfestigkeit und kritischem Denken den modernen Trends gegenüber… Denen muss man Mut machen!

 

(Verfasst von discipulus socratis, der auch dabei saß und das Gesicht hinter dem Felsen sich in Rauch auflösen sah) 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.06.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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