Helmut Wurm

Sokrates unangenehme Empfehlungsliste für das Schulwesen

Kurze Zusammenfassung dessen, was für das deutsche Schulwesen nach Meinung des Sokrates nützlich ist und was es vermeiden sollte

 Wenn Sokrates zu den verschiedenen Problemfeldern des deutschen Schulwesens seine kritischen Gespräche führt, dann wird er oft gefragt, ob er einmal kurz zusammenfassen könne, was nach seiner Meinung im deutschen Schulwesen empfehlenswert wäre und was vermieden/geändert werden sollte. Denn seine ganzen Gespräche sich zu besorgen und zu lesen sei oftmals zu zeitaufwendig. Das kann man in bestimmten Fällen verstehen und deswegen hat Sokrates eine Liste mit seinen Empfehlungen zusammenstellen lassen. Sie lautet etwa so:

- Nötig ist, dass am Schulwesen planend und gestaltend nur diejenigen beteiligt sind, die in ihm engagiert sind. Die Gestaltung sollte nur nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und praktischen Erfahrungen erfolgen. Politik, Ideologie und Philosophie müssen gestalterisch weitgehend außen vor bleiben nach dem Leitmotiv: Hauptsächlich nur diejenigen sollten mitreden und mithandeln, die aus praktischen Erfahrungen heraus etwas davon verstehen.

 - Nötig ist, ein einheitliches Schulwesen in ganz Deutschland einzurichten, damit für Schüler  eventuelle Schulort-Wechsel und Ausbildungs- und Studienvoraussetzungen mit keinen unnötigen Umstellungsschwierigkeiten verbunden sind. Die einzelnen Bundesländer haben nur für die Umsetzung der übergeordneten Gesetze und Verordnungen für das Schulwesen zu sorgen.

 - Nötig ist ein pluralistisches Schulwesen einzurichten, das breit gestreut aus verschiedenen überschaubaren Schultypen besteht, so dass jeder Schülertyp in seiner Region den für ihn geeigneten Schultyp finden kann.

 - Nötig ist, die gymnasiale Oberstufe mit dem 12. Schuljahr zu beenden. Eine relativ breite Allgemeinbildung in der Schule genügt. Es ist unnötig, in möglichst vielen Fächern Schüler studierfähig zu machen. Denn nicht alle Schüler werden später studieren und die Schere zwischen Universitätsniveau und Gymnasialniveau wird in Zukunft immer größer werden. Es genügt, wenn die Universitäten für die Studienanfänger intensive Brückenkurse anbieten, die auf das Universitätsniveau anheben.

- Nötig ist, dass es in der gymnasialen Oberstufe der weiterführenden Schularten keine Reduktion der Bildung auf Wahlfächer/Leistungsfächer gibt, sondern dass alle Schüler eine breite Allgemein-bildung bekommen. Kein Schüler weiß sicher mit 16 Jahren, welche höhere Spezialbildung er später benötigt oder wünscht.  

 - Nötig ist, dass die Orientierungsstufe eine Beobachtungsstufe in jeder Beziehung für junge Schüler ist und nicht nur eine Sortierstufe nach Begabungsgraden. Das heißt, dass auch darauf geachtet wird, ob Schüler Merkmale von Entwicklungsverzögerungen aufweisen, die (in Abstimmung mit der Klassenkonferenz) eine freiwillige Rückversetzung in eine nächst-niedrigere Klassenstufe sinnvoll machen. Es darf nicht sein, dass Schüler nicht aus anderen Gründen als mangelnden Leistungen eine Klassenstufe wiederholen. Denn Kinder reifen nicht gleichmäßig. Ein freiwilliges Zurücktreten in berechtigten Gründen aus einer Klassenstufe soll bis zur Klassenstufe 12 noch ein weiteres Mal möglich sein.

 - Nötig ist, dass die Lehrplanvorgaben klar und präzise sind und die Themenfülle auf das Notwendige beschränkt wird. In den Lehrplänen müssen regelmäßige Wiederholungen von Stoff auch aus zurückliegenden Jahren gefordert werden.

 - Nötig ist, dass Schulbücher knapp und ohne unnötige Veranschaulichungen und Einschübe den Unterrichtsstoff darstellen. Die Vielfalt der Eindrücke, denen die Schüler in unserer Zeit ausgesetzt sind, engt deren Behaltensfähigkeit ein. Die Devise muss heißen: Weniger Stoff, den aber komprimiert dargestellt und regelmäßig wiederholt ist mehr.

- Nötig ist, dass ein pluralistisches System von Methoden jedem Schüler, jedem Thema, jedem Schultyp und jeder Unterrichtssituation gemäß eingesetzt wird, um das Lernen zu erleichtern. Ein Unterricht aus wenigen, fremd vorgefertigten Modulen ist möglichst zu vermeiden.

 -  Nötig ist, dass die Klassen kleiner werden, damit die einzelnen Schüler besser individuell betreut werden können. Die Mehrkosten für mehr Lehrer im Unterricht kann man teilweise dadurch einsparen, dass man die Gehälter in den Schulleitungsetagen reduziert und das eingesparte Geld für mehr Lehrer im Unterricht umschichtet. 

- Nötig ist in allen Schulen durchzusetzen, dass keine Unterrichtsstunde mehr für Nicht-Unterricht ausfällt. Schüler haben ein Anrecht darauf und es ist eine Notwendigkeit für sie, dass das volle Pensum an Unterricht erteilt wird. D.h. dass Konferenzen, Fortbildungen, Feiern, Lehrerausflüge und sonstige nicht-unterrichtliche Aktivitäten in der unterrichtsfreien Zeit, an Samstagen und in den Ferien stattfinden. Das ist den Lehrern bei ihren vielen freien Nachmittagen und Ferien zuzumuten.

 - Nötig ist, dass die Schulen sich nicht nur als Stoffvermittlungs-Stellen verstehen, sondern dass sie auch erzieherische Aufgaben übernehmen. Denn je weniger die modernen Familien die Kinder erziehen, desto mehr muss diese Aufgabe an die Schulen übertragen werden. Der Lehrer muss wieder zum Bildungsvermittler und Erzieher zugleich werden.

 - Nötig ist, die Ganztagesschulen so flexibel zu gestalten, dass die Beteiligung der Schüler an den schulischen Nachmittags-Angeboten fakultativ ist. Denn Ganztagesschulen sind sinnvoll für solche Familien, bei denen beide Elternteile berufstätig sind. Für Familien, in denen ein Elternteil nachmittags zu Hause bleibt und wo die Kinder intensiv betreut werden, ist eine verpflichtende Ganztagesschule ein Nachteil. Sie entzieht solchen verantwortungs-bewussten Familien nachmittags die Kinder.

 - Nötig ist, die Gehälter für die einzelnen Lehrer-Stufen anzugleichen. Es ist nicht gerecht, dass ein Hauptschullehrer, der es vor Ort sehr schwer hat, weniger verdient als ein Lehrer an einem Gymnasium in denselben Klassenstufen, der es mit interessierteren Schülern zu tun hat. Man sollte sich auf ein etwas gesenktes und annähernd mittleres Einkommen aller Lehrer-Stufen in den weiterführenden Schulen einigen.

- Nötig ist, das Studium für das Lehramt zu verkürzen, z.B. auf 6-7 Semester, und dafür die Lehrer zu verpflichten, alle 3 Jahre für 2 Wochen an einer stofflichen und pädagogischen Fortbildung/ Wissens-Aktualisierung während der Ferien mit einer kleinen  Abschlussprüfung teilzunehmen. Es ist nicht für ihren Beruf nützlich, wenn Lehrer das, was sie vor längerer Zeit an der Universität gelernt haben, immer wieder neu weitergeben oder sich weitgehend auf die Aktualität von Schulbüchern stützen. Lehrer müssen ihr Wissen regelmäßig durch Fortbildungen aktualisieren.

 - Nötig ist, dass sich Schulleiter aus Verantwortung um der Schüler willen für diesen Posten bewerben und nicht, um ihr Selbstgefühl und ihren Ehrgeiz zu befriedigen.

- Nötig ist, dass die Lehrer hauptsächlich nur Lehrer sind und nicht andere zeitaufwendige Nebenbeschäftigungen annehmen/ausüben, die mit Schule nichts zu tun haben, weil sie die Nachmittage (angeblich) zur freien Verfügung haben. Ein Lehrer, der sich zeitaufwendig in Politik und Vereinen engagiert, muss Gedanken, Kraft und Zeit von seiner eigentlichen Auf-gabe abziehen und wird dadurch in seiner Lehrer-Wirksamkeit eingeschränkt.

 - Nötig ist, die Arbeitsbelastungen von Hauptfach- und Nebenfachlehrern anzugleichen. Ein Hauptfachlehrer mit aufwendigen Korrekturen muss Entlastungen in der Pflichtstundenzahl und bei der Klassenführung erfahren. Nebenfachlehrer müssen halbjährlich schriftliche Tests schreiben und mehr Klassenführungen übernehmen. Es ist nicht richtig, dass bei gleichem Gehalt die Lehrer je nach ihren Fächern unterschiedliche Berufsbelastungen erfahren.

- Nötig ist sicher zu stellen, dass die Lehrer mit ihrem vergleichsweise überdurchschnittlichem Ferien-Deputat einen Teil dieser Zeit für ihren Beruf nutzen. Sie sollten einen Teil ihrer Ferien in der Schule für Vorbereitungen, Korrekturen, Fortbildungen, Gespräche usw. verbringen. Das schafft mehr Berufsgerechtigkeit und weniger sozialen Neid.

 - Nötig ist sicherzustellen, dass die Wandertage und Klassenfahrten intensiv vorbereitete und genutzte andere Formen von Unterricht sind. Spaziergänge, Kino-Tage und Schul-Tourismus sind letztlich Privatvergnügen und gehören nicht in das Schulleben.

 -  Nötig ist, dass die Lehrer den Kontakt zu ihrer aktuellen wirtschaftlich Umwelt behalten. Denn sie sollen die Schüler auf das spätere Leben vorbereiten. Deswegen sollten sie regelmäßige Praktika (in den Ferien, z.B. alle 2 Jahre für insgesamt 2 Wochen) in wechselnden Berufszweigen absolvieren.

 - Nötig ist, dass Pädagogik-Professoren das Schulwesen und die Probleme des Unterrichtens nicht nur aus Büchern und bei geschönten Hospitationsstunden erleben, sondern aus praktischen Erfahrungen. Sie sollten deswegen ebenfalls alle 2 Jahre für 2 Wochen an jeweils anderen Schulen normalen Unterricht halten und dabei die Erfüllung der Lehrplanvorgaben versuchen.

 - Nötig ist, regelmäßig externe Fachleute aus Wirtschaft und Verwaltung und auch private Fachleute in den Unterricht der Schulen einzuladen/einzubinden. Der normale Lehrer ist kein Alleskönner und Fachleute können oft nützlicher die Realität oder allgemein Interessantes vermitteln. Sie können oft gut den gegenseitigen Kontakt zwischen Schule und Wirtschaft herstellen.

 - Nötig ist, die Eltern/Erziehungsberechtigten in das schulische Leben mit einzubinden, auchwas die stoffliche Vermittlung betrifft. Wenn die Eltern wissen, was gelernt werden soll, kümmern sie sich oft mehr um das Lernen ihrer Kinder. Die jährlichen Stoffverteilungspläne sollten deswegen den Eltern bekannt gemacht werden. Die Elternbeteilung sollte aber nicht die Alltagsarbeit der Lehrer dadurch verunsichern, dass diese sich zu viel kontrolliert fühlen.

 - Nötig ist… Natürlich gibt es noch weitere Empfehlungen für das deutsche Schulwesen aus der unbequemen Sicht des Sokrates, aber die bisherigen sind schon notwendige Hinweise genug.

 Wenn Sokrates auf diese Auflistung seiner Empfehlungen hinweist, dann ist das Echo oft sehr unterschiedlich. Personen aus dem staatlichen Bildungssektor, Pädagogik-Professoren und Lehrer reagieren auf einige Empfehlungen häufig sehr ablehnend. Dann handelt es sich meistens um Empfehlungen, die einige Aspekte der Bildungspolitik und Bildungs-Ideologien kritisieren, die traditionelle berufliche Gewohnheiten in Frage stellen oder die geschätzte Lehrer-Bequemlichkeiten mindern wollen.

Eltern, Schüler und die Öffentlichkeit reagieren meistens positiver und befürworten viele Empfehlungen, weil sie merken, dass der Schüler der Bezugspunkt der Empfehlungen ist und der Lehrer verstärkt als Diener im Bildungswesen eingestuft wird und seine heimlich beneideten Privilegien etwas gekürzt werden.

 Sokrates ist über diese unterschiedlichen Reaktionen nicht verwundert. Denn stets, wenn traditionelle Privilegien gekürzt und die Einflüsse von Bildungspolitikern und -ideologen vermindert werden sollen, hat das heftige Reaktionen hervorgerufen. Er kennt das zur Genüge aus seinem eigenen Leben und aus den Erfahrungen mit der Schulgeschichte.

 

(Verfasst ist diese Liste nach den Vorgaben des Sokrates von discipulus socratis, der für die unbequeme inhaltliche Seite keine Verantwortung übernimmt, auch wenn er ebenfalls Vieles für richtig hält)

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.06.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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