Werner Wadepuhl

Die Polartaufe


Aus meinem Reisetagebuch
Die Polartaufe.


Als wir nach einem weiteren, morgendlichen Vortrag unserer Lektorin zum Thema „Im Reich der Trolle, Svartisen, Trollfjord und Stokmarknes“ aus der abgedunkelten Lounge hinauf auf das Pooldeck kommen, erwartet uns geschäftiges Treiben und eine merkwürdige Dekoration. Ein goldener Thron ist unterhalb des Flaggenmastes aufgebaut, dahinter ein grobmaschiges Netz gespannt, mit den Fahnen Norwegens und Deutschlands dekoriert und mit Trauben bunter Luftballons geschmückt. Ein Tisch mit einer großen Schüssel eines blauen Schaums, dahinter reichlich Obst, daneben Platten mit unzähligen kleinen Rollmöpsen sowie ein Krug mit undefinierbarem bräunlichem Inhalt und reichlich Becher dazu aufgestellt vervollständigen die Requisiten für die im Programm für Mittags angekündigte Polartaufe. Wir setzen uns in die Nähe des Pools und harren der Dinge, die da kommen sollen.

Irgendwann ertönt dann Musik aus dem Palmgarten und was für Musik. Katzenmusik nennt man es wohl, wenn mit Instrumenten aller Art eigentlich nur ein bestimmter Rhythmus, aber keine Melodie zu erkennen ist. Dann kommen sie, ein nicht enden wollender Zug aus skurrilen Masken, Nixen, Teufeln, Meerjungfrauen, Ärzte oder solche, die sie darstellen sollen, Krankenschwestern, Köchen, Clowns, eine honorige Gestalt in dunklem Ornat und blauer Perücke. Schließlich erscheint Neptun persönlich, in weitem Mantel, endlos langen weißen Haaren und einer Krone auf dem Haupt, begleitet von seiner Gemahlin Thetis in hellblauem Gewande, hinter dem sich unsere Kreuzfahrtdirektorin verbirgt.
Nachdem die ganze Heerschar einmal das Pooldeck umrundet hat, wird Aufstellung genommen und Neptuns Gemahlin lässt sich auf dem mit Goldfolie bedecktem Thron nieder, legt ihren Fuß huldvoll auf einem Schemel und bezieht ihn umständlich mit einem weißen Gummihandschuh. Dann öffnet Neptun, neben ihr stehend, ein großes Buch und beginnt, das versammelte Volk mit Schmähreden zu überschütten nach dem Tenor: Ihr stinkenden, mit Ungeziefer beladenen Erdenwürmer wagt es, in mein Reich, in das Reich des Herrschers über alle Meere, Flussläufe, Seen, Tümpel, Rinnsale und Pfützen einzudringen. In diesem unflätigen Stil geht es weiter, dann wird der Navigator befragt, ob er überhaupt wisse, wo sich das Schiff derzeit befinde. Der beantwortet die Frage mit dem bisherigen Verbrauch an Bier, Wein und Wodka. Als Neptun damit nicht zufrieden ist, wird auch noch der Verbrauch an Fisch, Fleisch, Kartoffeln und Gemüse aufgezählt und damit die Ahnungslosigkeit unterstrichen.
Daraufhin verlangt Neptun nach dem Kapitän dieses lausigen Kahnes und beschimpft ihn ebenfalls und fordert nach Gaben, um sich wohl stimmen zu lassen. Eine Flasche edlen Eismeerwodkas wird überreicht, aber das genügt ihm nicht. Als er noch eine zweite Flasche erhält und der Kapitän untertänigst um Erlaubnis bittet, das Polarmeer befahren zu dürfen, bekommt er nach weiteren Beschimpfungen, die dann doch schon etwas versöhnlicher klingen, schließlich den großen, silbernen Schlüssel für den Zugang überreicht und dann passiert etwas, was für alle Zukunft eine Art Parole, eine Art Losung für die Passagiere dieser Fahrt gelten wird: Neptun, hinter dem sich niemand anderes als die wohlklingende Stimme und stattliche Gestalt des Tenors Johannes Groß verbirgt, reißt die Arme hoch und ruft „Jubel“ und noch mehrmals im Verlauf der Dankesrede des Kapitäns „Jubel“ und dieses „Jubel“ hörten wir bei weiteren Galaveranstaltungen dann immer wieder und am letzten Galaabend meinten die Interpreten, wenn sie je bei irgend einer Veranstaltung aus dem Auditorium das Wort Jubel vernehmen würden, dann wüssten sie, das war ein Teilnehmer jener denkwürdigen Columbusreise zu Norwegens Wunderwelt der Berge und Fjorde.
Damit war das Spektakel aber noch lange nicht zu Ende, denn jetzt traten die Nixen und Meerjungfrauen in Aktion und griffen wahllos Menschen aus der Menge, um sie der Prozedur der Polartaufe zu unterziehen. Komischerweise war ich mal wieder einer der Ersten, die aufgegriffen wurden, wahrscheinlich leuchtet meine hohe Stirn immer aus der Menge, ich weiß es nicht, denn vorne dran habe ich nun wirklich nicht gesessen. Ich werde auf der Backbordseite einem Weißkittel vorgeführt, der mir gegen stinkenden Atem und Mundgeruch mit einer großen Spritze Wodka zwischen die Zähne spült. Dann werde ich weiter zur körperlichen Begutachtung geschoben, die schließlich mit einem großen, ovalen Stempel auf der Stirne akzeptiert wird. Die nächste Hürde bildet Thetis, Neptuns Gemahlin, die mir einen toten Fisch entgegen hält mit der mehr im Imperativ gestellten Frage: „Fisch oder Fuß“! Ich entscheide mich für Fleisch. Devot nehme ich ihre Ferse in die Hand und küsse diesen labbrigen Gummihandschuh, was, wie später auf einem Foto des Bordfotografen zu ersehen war, große Heiterkeit unter Besatzung und Passagieren auslöste. Dann bekomme ich von einem lustigen, weiblichen Matrosen reichlich von dem blauen, Meerschaum darstellendem Gemisch auf Wangen und Nase, außerdem noch einen Rollmops in den Mund geschoben und einen Becher mit einem Schluck dieses braunen Saftes überreicht, den ich dann für Lebertran halte, der aber einen Algentrunk darstellt. Das war´s dann und am Abend lag eine Polar-Taufurkunde auf meinem Bett, mit der mir der Name „Zander“ verliehen wurde.. Meinem lieben Weibe ging es nicht viel besser, sie war wenig später an der Reihe. Doch, es war ein echt lustiges Erlebnis und letzten Endes recht human, wenn man den Erzählungen von Passagieren der Hurtigruten Glauben schenken darf. Die bekamen nämlich eine Ladung Eiswürfel unters Hemd geschüttet und das ist für die davon Betroffenen weniger lustig.

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