Elisa Eyle

Das Mondmädchen

Es war einmal ein wunderschönes Mädchen. Niemand wusste wie sie hieß, denn sie wurde von allen nur "das Mondmädchen" genannt. Sie musste einst etwas schreckliches erlebt haben, denn seit sie 14 Monde alt war, ging sie nur noch Nachts hinaus. Ihre Haut wurde immer heller und heller und schließlich schneeweiß, weil das Licht sie nie berührte. Ihre Haare, welche die Sonne einst ausgeblichen hatte, wurden immer dunkler und dunkler und schließlich pechschwarz, weil nie ein Sonnenstrahl auf sie fiel. Ihre großen, blauen Augen verloren den fröhlichen Glanz und starrten nur noch gebrochen ins Leere. Das Mädchen magerte erstaunlich schnell ab und alle lebendigen, rundlichen Formen verschwanden. Wie ein Skelett huschte sie durch die Nacht. Wenn man ihr Köstlichkeiten verschiedenster Art anbot, schüttelte sie nur ihr schönes Köpfchen und sagte leise: " Ich ernähre mich vom Licht der Sterne."
Am Tag lag sie nur tieftraurig in ihrem Bett. Aber in den Nächten machte sie lange Spaziergänge über die Ländereien. Wenn man sie nach dem Grund fragte flüsterte sie: " Nur wenn Sternenglanz in mein Seelendunkel strahlt kann ich leben."
Ihre Eltern, welche sich stolz König und Königin des Morgens nannten, waren verzweifelt.
"Welche Schande für den Morgenkönig ein Kind der Nacht im Haus zu haben!", brüllte eines Tages der stattliche König. Seine liebe Frau dagegen, war sehr besorgt um die Prinzessin. Die Morgensonne spiegelte sich in ihren Augen als sie kopfschüttelnd sagte: "Sie ist so mager und bleich und so schrecklich traurig. Wenn ich doch nur wüsste warum."
Da kam der Morgenkönig auf eine Idee. Er rief seine hundertzwei Botschafter und ließ im ganzen Land verkünden: " Wer meine Tochter heilt und sie dazu bringt am Tag das Schloß zu verlassen, kriegt sie zur Frau und außerdem zwei Truhen gefüllt mit Gold!"
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer und schon am nächsten Tag standen hunderte von Soldaten und Rittern im Schloßhof und waren voller Tatendrang das Mondmädchen zu retten. Doch fast keiner von ihnen war wirklich an dem kranken Mädchen interressiert , sondern nur auf das Gold erpicht. Da der Morgenkönig das schon ahnte, wollte er die Männer auf die Probe stellen und diejenigen aussortieren, die ihm zu goldgierig erschienen.
Und so kam es,dass er laut in den Hof hinaus rief: " Meine Tochter ist verrückt geworden und weggelaufen. Bringt sie mir wieder, tot oder lebendig, bevor sie in ihrem Wahn Schaden anrichtet und Schande über mein Haus bringt. Wer benötigt ein Gewehr?"
Fast alle Soldaten und Ritter nahmen das Gewehr entgegen, ohne mit der Wimper zu zucken. Nur drei Männer, allesamt etwas heruntergekommen, sahen den König verwirrt an und fragten erschrocken: "Ihr wollt Eure eigene Tocher töten lassen Majestät? Entschuldigt, aber das ist ja ganz fürchterlich!"
Und genau diese drei Herren durften sich nun ins Schloss begeben. Die anderen wurden unter Murren und Knurren nach Hause geschickt. Die drei eher arm wirkenden Männer bekamen neue Kleider und durften sich an ihren Lieblingsspeisen satt essen. Danach führte der Känig einen nach dem anderen zu dem Gemach in dem schlafend seine Tochter lag.
Der erste und kleinste von allen blieb zögernd an der Tür stehen und sagte: " Das arme Mädchen, sie sieht ja ganz fürchterlich aus. Gleich morgen Nacht will ich mit ihr ins Gespräch kommen um sie behutsam ins Leben zurück zu führen."
Der zweite und ärmste von allen blieb ebenfalls erschrocken in der Tür stehen und sagte: " Wie muss dieses arme Mädchen nur leiden, sie sieht ja aus wie ein Gespenst. Gleich heute Nacht will ich sie besuchen und mit ihr sprechen, damit ich sie dann einst am Tag hinausführen kann."
Der dritte und stillste von allen blieb nicht in der Tür stehen. Er ging schnurstracks auf das Mondmädchen zu, sah es fasziniert an, streichelte ihr zärtlich über den Kopf und sagte ihr ganz leise ins Ohr: " Du bist so wunderschön!".
Da schlug das Mondmädchen die Augen auf. Sie lächelte ihn verzückt an. " Ich bin der König des dunklen Landes, auch Nachtkönig genannt," sagte der fremde Mann stolz, "Willst du mich dorthin begleiten, mein Mondmädchen?"
Überglücklich nickte die blasse Prinzessin und der starre Ausdruck ihrer Augen wich einem fröhlichen Schimmer, in dem Sterne blitzten. Noch bevor der Morgenkönig seinen Mund aufmachen konnte, rannten die zwei bleichen Gestalten durch den Garten, durch das Licht , direkt auf die Dunkelheit zu.
Im Land der Nacht angekommen, sahen sie in die glitzernde Sternenpracht über sich und waren beide überglücklich.
Und so kam es, dass das Mondmädchen, einst Kind des Morgenkönigs, zur Königin der Nacht erklärt wurde. Und jeden Abend besucht sie das Schloss ihrer Eltern. Dann wird es dämmrig und Tag und Nacht vermischen sich in den wundervollsten Farben.
Und wenn sie nicht gestorben sind, geschieht das auch noch heute.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.07.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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