Gabriele Dirks

Die Geschichte von der jungen Frau und dem Bären



Es war einmal eine junge Frau, die lebte in einem kleinen Haus im Wald. Um das Haus war ein großer Garten, in dem allerlei Obst und Gemüse wuchs, das sie gut ernährte. Eines Tages überkam sie die Langeweile, und sie beschloss, auf die Wanderschaft zu gehen. Sie packte ein paar Sachen zusammen, schloss die Tür ab und machte sich auf den Weg. Nach einer Weile kamen sie an eine Stelle des Waldes, die sie vorher noch nie betreten hatte. Der Wald wirkte hier sehr düster, und es war Totenstill. Weder raschelten Mäuse in den Blättern, noch sangen Vögel. Als sie weiter ging, gelangte sie zu einer baumhohen Mauer, die von blühenden Rosen umrankt wurde.
Schließlich kam sie an eine geschlossene Gittertür .Da sie vom langen Weg Müde und Hungrig geworden war, setzte sie sich unter einen Baum und aß von den mitgebrachten Sachen.


Dann bereitete sie sich ein Nachtlager, legte sich hin und Schlief sofort ein. In der Nacht wurde sie durch lautes Brummen geweckt.
Als sie die Augen aufschlug, sah sie im Mondlicht, wie ein großer dunkelbrauner Bär an den Gittern der Tür mit aller Kraft rüttelte. Nach kurzer Zeit gab das Gitter nach und der Bäer kam frei.. Er ging direkt auf sie zu, wobei sie seltsamerweise keine Angst verspürte. Der Bär begann sogleich zu sprechen.

Er war ein Königssohn, der von seinen Eltern sehr geliebt worden war. Als jedoch seine Mutter starb und sein Vater sich neu vermählte, fing für ihn ein schreckliches Leben an. Seine Stiefmutter missgönnte ihm die Liebe seines Vaters. Sie erzählte Lügen über ihn und brachte seinen Vater schließlich dazu, dass er ihn aus dem königlichen Palast verstieß.  Auf seiner langen Wanderung war er dann auf das Schloss gestoßen. Die Herrin, eine alte Frau, hatte ihn aufgenommen, ihm Speis und Trank gebeten und gefragt, ob er in ihre Dienste treten wollte. Seine Aufgabe war es gewesen, alle Tiere aus dem Umkreis des Schlosses zu vertreiben, da die Herrin sich durch sie gestört fühlte. Der Prinz hatte diese Aufgabe ein paar Jahre recht ordentlich ausgeführt. Jeder Vogel, jede Maus, ja, jede Spinne, die sich in die Nähe des Schlosses wagte, wurde vertrieben. Schließlich war es soweit, dass sich kein Tier mehr in die Nähe des Schlosses wagte und Totenstille herrschte.


Schließlich blühten auch die Blumen nicht mehr, und auch die Bäume fingen an zu sterben. Darüber wurde er sehr traurig. Als er es nicht mehr aushalten konnte, verließ er das Schloss und begab sich an eine Stelle des Waldes, an der die Welt noch in Ordnung war. Dort grub er einen Rosenstock aus, den er direkt an der SChlossmauer einpflanzte. Als die Herrin das sah, war sie darüber so erbost, dass sie die Tür abschloss und ihn in einen Bären verwandelte, der nach ihrer Pfeiffe zu tanzen hatte. Das alles war vor vielen Jahren geschehen. Die Herrin hatte anfangs noch versucht, mit Zauberkraft den Rosenstock zu töten. Er hatte sich jedoch sofort so fest mit der Erde verwurzelt, dass ihm ihre bösen Zaubersprüche nichts mehr anhaben konnten. Im Gegenteil, der Rosenstock gedieh prächtig und erfasste mit der Zeit beide Seiten der Mauer und blühte Regelmäßig einmal im Jahr.


Immer, wenn der Rosenstock in voller Blüten war, meinte der Bär zu spüren, dass die Zauberkraft der Herrin an Stärke verlor und sie über ihn weniger Gewalt hatte als sonst. So hatte er in dieser Nacht fliehen können. Die junge Frau und der Prinz überlegten, was sie tun sollten. Schließlich schlug die Frau vor, dass sie die Herrin fragten sollten, ob sie bereit sei, den Bann des Prinzen aufzuheben, da er für sein Vergehen schon sehr lange gelitten hatte. Als der Tag anbrach betraten die beiden das Schloss. Sie betraten den düsteren Bau und kamen in das Zimmer der Herrin, die auf ihrem Thron saß und düster dreinschaute. "Du hast es Gewagt ohne meine Erlaubnis, das Schloss zu verlassen," sagte sie zu dem Prinzen. "Ich werde dich in Ketten legen, damit du nie mehr auf dumme Gedanken kommst." Als sie das sagte, kamen Ketten aus der Wand und legten sich um die Beine des Prinzens. Zur Frau sagte sie: "Schau, das du wegkommst. Deinen Prinzen wirst du nie wieder sehen, es sei denn, du bereit mir einen großen Gefallen zu tun. Es gibt ein Elexier, das den Rosenstock töten kann. Ich selbst komme an dieses Elixier nicht heran, aber du wirst es erhalten, wenn du willst. Beschaffe es mir!"


Die Frau ging Traurig von da weg. Wo sollte sie dieses Elexier finden? Und sie wollte diesen Rosenstock, der so schön blühte und dem Zauber der Herrin trotzte, nicht töten.
Sie verließ das Schloss und ging zum Rosenstock. Sie erfreute sich an dem Anblick des schönen Rosenstock und sagte: "Ich werde nicht das Elixier bringen, das dich tötet. Ich werde das Elixier bringen, das die Herrin tötet." Als sie das gesagt hatte, neigten sich die Rosenblüten und flüsterten ihr zu: "Wir wissen, was du tun kannst, um die Zauberkraft der Herrin zu brechen. Gieße uns mit dem Wasser der Liebe, und wir werden einen Duft ausströmen, der die Zauberkraft und das steinerne Herz der Herrin bricht."  "Wo finde ich das Wasser der Liebe?" "Gehe zur weisen Frau am Rande des Waldes, sie weist den Weg." Die Frau bedankte sich für den Rat und machte sich auf den Weg zum Haus der weisen Frau, der ihre Eltern sie einst vorgestellt hatten. Das Haus der weisen Frau lag am Ende des Waldes. Dort wo das weite Land begann. Es war ein weiter Weg dorthin. Sie war froh, als sie den toten Wald, der das Schloss umgab, in dem es keine Tier mehr gab und keine Bäume mehr blühten, verlassen hatte und wieder dort war, wo es Leben gab.

Sie kam einen kleinen Bach und trank. Das Wasser schmeckte erfrischend. Wie würde wohl das Wasser der Liebe schmecken. Als sie weiterging, sah sie einen Hirsch, der auf dem Boden lag. Als sie näher herangekommen war, sah sie, dass sein Bein verletzt war. Sie beugte sich zu ihm herunter und betrachtete die Wunde. Es war keine ernste Verletzung. Sie wusch die Wunde, tat heilende Kräuter und verband die Wunde. Dann half sie dem Hirsch, sich aufzurichten. Es gelang. Der Hirsch bedankte sich und humpelte davon. Da es langsam zu Dunkeln begann, suchte sie sich zum Nachtmahl Nüsse und bereitete unter einem Baum ein Nachtlager. Als der Tag anbrach, machte sie sich wieder auf den Weg, um weiter am Bach entlang zum Haus der weisen Frau zu gelangen. An einer Stromschnelle hatte ein Fisch den Sprung nicht richtig geschafft und lag auf dem Trockenen. Sie hob ihn vorsichtig auf und setzte ihn zurück in den Bach. Der Fisch bedankte sich und schwamm fort.

Sie ging weiter und bemerkte, dass der Bach immer breiter wurde und langsam zum Fluss wurde. Der Wald wurde lichter und sie spürte, dass das Haus der weisen Frau, und damit das Ende des Waldes, nahe waren. Sie wurde hungrig und suchte wieder nach Nüssen. Als sie so suchte, entdeckte sie einen Vogel, der sich in einem Gebüsch verfangen hatte. Sie befreite ihn aus seiner misslichen Lage, er bedankte sich und flog davon. Wie sie dem Vogel nachschaute, wurde sie gewahr, dass sie bereits das Ende des Waldes erreicht hatte. Hier war das Haus der weisen Frau gewesen. Wo war es nur? Der Vogel, den sie befreit hatte, kam zu ihr geflogen und fragte, ob sie Hilfe brauchte. Sie fragte ihn, wo das Haus der weisen Frau sei. "Oh“, antwortete der Vogel, "du stehst genau davor. Es hat die Farbe des Waldes. Man muss sehr genau hinsehen, um es zu erkennen." Tatsächlich, als die Frau genauer hinschaute, konnte sie das Haus erkennen. Es hatte die Farbe des Waldes. Sie klopfte an die Tür und wartete. Nach einer kleinen weile öffnete die weise Frau und bat die junge Frau herein. Sie bot Speis und Trank an und fragte nach dem Grund des Kommens.

Die junge Frau erzählte von dem Prinzen, der Herrin, dem Rosenstock und ihrer Suche nach dem Wasser der Liebe. Die weise Frau schaute die junge Frau nachdenklich an und sagte nach einer Weile: "Das Wasser der Liebe findest du nicht hier im Wald, sondern auf dem Grund eines tiefen Sees, der sich im weiten Land liegt. Um es zu bekommen, musst du den dir so vertrauten Wald verlassen." Die junge Frau antwortete, ohne nachzudenken, dass sie es wagen wollte. "Nun, liebe Frau“, sagte die weise Frau, "dann bette dich zur Nacht. Denn morgen wirst du einen anstrengenden Weg vor dir haben. Ich werde dir morgen sagen, wo du das Wasser der Liebe finden kannst." Die junge Frau legte sich zu Bett und schlief tief und fest. Sie träumte, sie hätte den Wald verlassen und über ihr wäre nur noch blauer Himmel. Ihr Blick schien bis an das Ende der Welt zu reichen und sie sah vor sich eine Treppe, die ins Wasser führte. Eine Stimme sagte ihr, dass dies der Weg zum Brunnen wäre, der das Wasser der Liebe führt. So ging sie die lange Treppe hinunter. Die Treppe führte bis auf den Grund des Sees. Dort stand tatsächlich ein Brunnen. Sie ging zum Brunnenrand und schaute hinunter.

Sie sah nur Dunkelheit. Sie kletterte in den Brunnen hinein und stieg die Leiter hinunter, immer tiefer, bis sie den schließ auf dem Grund des Sees stand. Als die Frau erwachte, wusste sie noch von dem Traum. Beim Frühstück fragte die weise Frau sie, ob sie nun wüsste, wo das Wasser der Liebe zu finden ist. Daraufhin erzählte die Frau von ihrem Traum . Die weise Frau sagte ihr noch, dass das Wasser der Liebe vom Grund des Brunnen des Vertrauens geschöpft werden kann, gab ihr eine kleine Flasche und wies ihr den Weg weiter am Fluss entlang. Es war für sie Gewohnheit, den freien Himmel über sich zu haben und eine Aussicht, die kein Ende zu haben schien. Da gab es Berge, Felder, Dörfer, kurz, die weite Welt. Sie war Neugierig und würde hierher zurückkommen, wenn sie den Prinzen befreit hatte. Nach einer Weile verbreiterte sich der Fluss zu einem See. Sie kam an einen Strand, von dem eine Treppe ins Wasser führte. Das musste die Treppe aus dem Traum sein.

Sie schöpfte noch einmal tief Luft, sammelte ihren ganzen Mut und ging die Treppe hinunter. Als sie auf dem Boden angekommen war, sah sie den Fisch, dem sie das Leben gerettet hatte. Er fragte sie, ob er ihr helfen könnte. Sie sagte, dass sie auf der Suche nach dem Wasser der Liebe sei. "Oh“, sagte der Fisch, "das ist leicht. Du stehst direkt vor dem Brunnen des Vertrauens. Er ist nicht einfach zu erkennen, weil er die Farbe des Wassers angenommen hat. Wenn du genau hinschaust, kannst du ihn aber erkennen." Tatsächlich, sie stand unmittelbar vor einem Brunnen. Der Fisch sagte, dass er ihr gerne das Wasser der Liebe aus der Tiefe holen würde. Aber da das Wasser nur dann wirkt, wenn man es der Liebende selbst geholt hat, müsste sie selbst in die Tiefe steigen. Sie fasste nochmals Mut, kletterte in den Brunnen und stieg die Leiter hinunter bis es nicht mehr weiterging. Unten angekommen beugte sie sich zum Boden und füllte die Flasche mit dem Wasser der Liebe. Sie verschloss die Flasche wieder und stieg hinauf. "War es schlimm?" Fragte der Fisch. "Nein!" Erwiderte die Frau.

Sie stieg die Treppe hinauf zum Strand und machte sich auf den Rückweg. Schon bald erreichte sie das Haus der weisen Frau, das sie dieses Mal auf Anhieb erkannte. Sie klopfte an, die weise Frau öffnete und bot ihr Abendmahl und Nachtlager an. Am nächsten Morgen führte sie ihr Weg weiter am Bach entlang in den toten Wald zum Schloss. Als sie die Lichtung erreichte, war sie zuerst verwirrt. Es sah alles verändert aus. Erst langsam wurde ihr klar, was sich verändert hatte. Die Herrin hatte vor der Mauer einen tiefen, breiten Graben ziehen lassen, der unüberwindbar schien. Die Frau sah in den Graben und überlegte, wie sie ihn wohl überwinden könnte. Da kam der Hirsch, dem die Frau geholfen hatte. Er fragte, ob er helfen könnte. Sie fragte ihn, ob er sie über den Graben tragen könnte. "Das ist leicht," antwortete der Hirsch. "Setze dich auf meinen Rücken und schon sind wir drüben."

Es gelang. Als die junge Frau drüben war und zum Rosenstock gehen wollte, trat ihr die Herrin in den Weg. "Geh weg, du hast hier nichts zu suchen. Das ist mein Reich. Ich töte dich, wenn du nur einen Schritt weiter gehst." Schrie die Herrin der jungen Frau entgegen. Die junge Frau ließ davon nicht beeindrucken. Sie hatte keine Angst vor der Herrin. Sie schob sie zur Seite, trat an den Rosenstock und begoss ihn mit dem Wasser der Liebe.
Augenblicklich begann alle Rosen einen lieblichen Duft auszuströmen. Die Herrin schrie auf und begann sich in Luft aufzulösen, die Mauer begann zu zerfallen. Die Frau ging auf das Schloss zu, das sich ebenfalls langsam in Luft auflöste. Als sie den Eingang erreicht hatte und nach den Bären suchte, kam ihr ein junger, schöner Prinz entgegen. Er nahm die Frau in die Arme und bedankte sich für seine Erlösung. Und wenn die beiden nicht gestorben sind, leben sie noch heute glücklich und zufrieden.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.07.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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