Gottfried Ph. Heinrich

Ein Kater und ein Todesfall

Seit Stunden bereits lag Harry wach im Bett. Neben ihm atmete seine unruhig schlafende Frau. Sein Gehirn arbeitete pausenlos und sein Kopf dröhnte. Die Schmerzen kamen immer wieder in Wellen und ließen ihn auch dieses Mal keine Ruhe finden. 
Begonnen hatte das alles, als damals ihr Kater Moritz plötzlich verschwunden war. Drei Tage lang blieb er wie vom Erdboden verschluckt. Irgendjemand musste ihn eingesperrt oder ihm etwas noch viel Schlimmeres zugefügt haben. Bereits zu jener Zeit keimte in Harry langsam ein böser Verdacht. In sämtlichen Nachbarhäusern besaßen die Familien Katzen. Lediglich ein dubioser angrenzender Gewerbebetrieb war katzenlos. Dessen Betreiber, Friedrich H., ein gewissenloser Emporkömmling, stellte sich gern in der Öffentlichkeit als Vogelfreund dar. Auf seinem Gelände hielt er einige Kanarienvögel in einer Voliere gefangen. Er hasste Katzen.
Wer außer ihm konnte ein Motiv haben, ihrem Kater Böses zuzufügen? 
Dann war Moritz zurück gekommen, total verdreckt, aber körperlich unversehrt. Anfangs verhielt er sich noch auffällig verstört und zog sich sogleich in den Keller zurück. Dort blieb er mehrere Stunden und betrieb er eine lange, ausgiebige Fellpflege. Nach einem weiteren Tag hatte sich sein Verhalten wieder normalisiert. Alles schien in bester Ordnung bis, Jahre später, der Kater innerhalb weniger Stunden an einer Vergiftung starb. Damit stand es für Harry fest. Das konnte nur das Werk dieses sogenannten „Vogelliebhabers“ sein. Düstere Gedanken zermarterten sein Gehirn. Was konnte er gegen diesen Typen unternehmen? Eine Strafanzeige zu stellen wäre völlig sinnlos, solange er keine stichhaltigen Beweise vorlegen konnte. Und überhaupt, was würde sich dadurch ändern, solange das Gesetz Haustiere als eine Sache behandelte? Kein Richter würde ein Urteil fällen das er als angemessen empfände.
Nein, diese abscheuliche Tat schrie geradezu nach einer anderen Lösung - einer endgültigen. 
Dafür musste Harry selbst sorgen. Es durfte für Friedrich H. nie mehr die Gelegenheit geben, dieses niederträchtige Verbrechen an einer anderen Katze wiederholen zu können. 
Immer noch lag er wach neben seiner Frau. Harry wusste, dass sie seit Moritz’ Tod oft unter Schlafstörungen litt, aber ihm das nicht zeigen wollte. Sie trauerte sehr um den Kater. Allein schon deswegen musste der Schuldige hart bestraft werden. 
In den folgenden Tagen begann Harry heimlich damit, den Verdächtigen zu beschatten. Seine Frau durfte davon nichts erfahren. Sie hätte sein Vorhaben, trotz ihres Kummers, nicht gut geheißen.
Manchmal lief er nur abends durch die Hauptstraße und dabei sah er dann häufig, vor dem Jugoslawischen Restaurant, den neuen Geländewagen stehen, den der Typ seit einiger Zeit fuhr. Bezahlt von Harrys Steuern, die der Fiesling als Subventionen erhielt. Harrys Wut wuchs bei diesen Überlegungen ins Grenzenlose. 
Ab und zu strich er auch nachts um das Haus dieses Kerls. Protzig, wie der Geländewagen, stand es auf einem riesigen Grundstück, am Rande des Dorfes und natürlich in bester Wohnlage.
Nein, als Neid empfand Harry seine aufkommenden Gefühle nicht, aber sein extrem ausgeprägter Gerechtigkeitssinn ließ ihn nicht ruhen.
Er steigerte sich von Tag zu Tag mehr in seine Rachegedanken, und langsam nahm sein Urteil konkrete Formen an.
Ja, Auge um Auge - so sollte es sein. Nur der Tod konnte die gerechte Strafe für diesen Katzenmörder darstellen.
Einerseits musste Harry für dieses Vorhaben einen Weg finden, ohne selbst in Verdacht zu geraten, andererseits verspürte er aber deswegen nicht die geringsten Skrupel.
Wer einem Familienmitglied, und das war für ihn der Kater gewesen, ein Leid zufügt, verdient keine andere Behandlung.
Die üblichen Tatwerkzeuge, wie Pistole oder Messer schloss Harry für sein Vorhaben schnell aus. Alle hätten zu leicht auf ihn als Täter deuten können. Es musste eine elegantere Möglichkeit geben, den Fiesling zu richten.
Bei einer seiner nächsten Überwachungsaktionen, in der Nähe des Jugoslawen, sah er wie sein Feind angetrunken aus dem Lokal kam und mühsam in sein Fahrzeug stieg.
„Genau - das ist die Lösung“, brummte Harry freudig vor sich hin. Gerade eben hatte ihm sein Opfer selbst den einfachsten Weg zur eigenen Hinrichtung offenbart.
Harry beschloss eine günstige Gelegenheit abzuwarten, um dann Friedrich H., beim Verlassen der Gaststätte, mit dem Auto zu überfahren. Ja, er würde sogar anschließend die Polizei und den Notarzt verständigen. Schließlich könnte ihm niemand die Schuld dafür geben, wenn ihm plötzlich ein Betrunkener vor das Fahrzeug torkelt und dabei zu Tode kommt. Jeder müsste es für einen tragischen Unfall halten. Es gäbe auch bestimmt Zeugen in dem Lokal, die aussagten, dass sich Friedrich H. ein paar Biere zuviel genehmigt hätte.
Niemand würde auch nur einen Augenblick an einen Mord denken.
Die passende Gelegenheit für sein Vorhaben ergab sich bereits nach wenigen Tagen. Es war an einem Dienstag, kurz vor Mitternacht. Harry saß 50 Meter von der Gaststätte entfernt in seinem Fahrzeug und wartete beharrlich auf den Verhassten. Gleich würde er den Meuchelmord an ihrem Kater rächen. Diese Nacht war für seinen Plan wie geschaffen. Regen peitschte durch den Ort und es war viel zu kalt für diese Jahreszeit. Die Hauptstraße lag dunkel und verwaist.
Völlig menschenleer. Nur der Geländewagen stand noch vor dem Lokal.
Eben öffnete sich dort die Eingangstür und Friedrich H. trat auf den schmalen Bürgersteig. Er schwankte leicht.
„Jetzt oder nie“, dachte Harry und startete den Motor. Das Prasseln des Regens übertönte jedes andere Geräusch. H. konnte ihn nicht gehört haben.
Mit ausgeschalteten Scheinwerfern schob sich Harry mit seinem Fahrzeug langsam näher an den Widerling heran. Er wartete bis dieser auf die Straße trat, um in seinen Geländewagen einzusteigen.
Da, nun war es endlich soweit. Die Stunde der Abrechnung war gekommen. Harry drückte das Gaspedal nach unten. Der schwere Automatikwagen schoss fast geräuschlos nach vorne. Nur noch wenige Meter bis er das selbstgefällte Urteil vollstrecken würde. 
Doch plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchte eine große, schwarze Katze auf und sprang quer über die Fahrbahn direkt auf Friedrich H. zu.
Harry reagierte instinktiv, trat blitzschnell voll auf die Bremse und brachte sein Fahrzeug gerade noch zum Stehen.
Zum Glück hatte er die Katze nicht verletzt.
Auch Friedrich H. hatte diese mittlerweile bemerkt und machte einen weiten Schritt nach vorn, in der Absicht nach der Katze zu treten. Dabei rutschte er auf dem nassen, glitschigen Asphalt aus und kam ins Straucheln. Er versuchte verzweifelt, sich mit einer Hand an der halbgeöffneten Fahrertür festzuklammern. Friedrich H. verlor das Gleichgewicht, taumelte und riss noch im Fallen die Tür seines Geländewagens bis zum Anschlag auf. Er stürzte schwer zu Boden. Sein Hinterkopf schlug hart auf den Seitenschweller des Autos. Dort blieb der schlaffe Körper von Friedrich H. regungslos liegen.
Es dürften höchstens zwei oder drei Sekunden vergangen sein. Niemand konnte irgendetwas gehört oder gesehen haben. Das Heulen des Windes hatte das Geräusch des aufschlagenden Körpers geschluckt. Langsam stieg Harry aus seinem Fahrzeug. Er blickte mitleidslos in die weit aufgerissenen, starren Augen des Toten vor seinen Füßen.
Ein dünnes Blutrinnsal lief Friedrich H. aus dem noch zum Fluch geöffneten Mund und vermischte sich mit dem kalten Regen.
Der Katzenhasser hatte sich bei seinem Sturz das Genick gebrochen.
Harry grinste. Doch im selben Augenblick beschlich ihn ein beängstigendes Gefühl. Sein Instinkt verriet ihm, dass er nicht mehr allein auf der Straße stand. Irgendetwas beobachtete ihn.
Er drehte langsam seinen Kopf, schaute hoch und entdeckte zu seiner Erleichterung die große schwarze Katze. Sie saß regungslos und friedlich auf dem Fahrersitz des Geländewagens, direkt über dem Gerichteten.
 
Sie blickte Harry zufrieden aus zwei leuchtend grünen Augen an - und schien zu lächeln.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.07.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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