Meike Schrut

Ein ungewöhnlicher Weihnachtsmann

Warum er plötzlich neben seinem Körper stand,woher sollte er das wissen?! Bis er wahrnahm,daß er nur noch aus Seele bestand.Und eben diese Erscheinung verharrte minutenlang neben der Leiche eines jungen Mannes,welche ER gewesen war! Undeutlich erkannte er im kalten Raum seine Mutter,die ihn noch betrachtete.Sie hatte jede Träne schon geweint und ging nach einer Weile hinaus zu ihrem wartenden Mann..

Nun drängte aber sein Schutzengel, mahnte zum Aufbruch. Die Seele zögerte, konnte sich ewig nicht entscheiden, dorthin zu streben,wo sie nun hin gehörte. "Was wird denn nun?" Der Engel schwieg,ergriff die Hand des Wesens und beide fanden sich kurz danach in jener anderen Welt wieder,die nur den Seelen vorbehalten bleiben wird.

Wenn es dort - nennen wir sie ruhig "andere Seite des Lichtes" - ein weiteres Leben geben sollte, so verging etwa ein Jahr, nach der Zeitrechnung lebender Menschen wohlgemerkt. Auf Erden fiel Schnee, die Weihnacht kam heran und noch immer hatte sich die Seele des einst stattlichen,evtl.sogar etwas zur Fülle neigenden Mannes nicht recht an das neue Dasein gewöhnt. Das fiel selbst dem obersten Hüter über alle weiblichen und männlichen Engel und über alle Seelen unangenehm auf.

"Du willst dorthin zurück?" "Natürlich,welche Seele möchte das wohl nicht..." "Bis du ein anderer Mensch sein kannst, wird noch viel Zeit vergehen müssen,erst mußt du alle Erinnerungen gelöscht haben. Aber wir wagen ein Experiment: nimm diese Kostümierung, darunter ein Pseudokörper,der zerfallen wird,sobald du diese Kleidung abstreifst,also tu das dort auf keinen Fall!"

Und der eigenartige Weihnachtsmann stapfte durch den Schnee in jenem Dorf, wo er einst aufgewachsen war. Gefühl? Davon war noch zuviel geblieben,aber keine Träne,keine Wehmut,keine Müdigkeit. Eher nur so eine Ahnung davon,wie sein Leben als Mann einst verlaufen war..

Gar manch andere Weihnachtsmänner verschenkten schon ihre Gaben,als er sich dem Haus seiner Eltern näherte. Der Hofhund schlug nicht an, da war nur so ein erstauntes Winseln, er legte den Finger auf den Mund und mahnte das Tier zusätzlich zur Stille. Nicht,weil es ihn gestört hätte,sondern weil er etwas in sich aufsteigen fühlte..ERINNERUNG an das letzte Weihnachten! Der Sohn seines Bruders hatte ihn natürlich erkannt,nicht nur am Ärmel,auch an der Stimme. Er liebte den Burschen wie sein eigenes Kind, aber davon hatte das Kind nie etwas gespürt,denn auch dieser Onkel wußte all seine positiven Gefühle sehr gut für sich zu behalten..

Zögernd betätigte er die Klingel,ruckte den gewaltigen roten Geschenkesack auf seinem Rücken zurecht. Erstaunt öffnete seine Mutter. Er wich ihrem verwirrten Blick aus,murmelte,er könne für eine Stunde hier bleiben und alle beschenken. "Aber wir haben gar keinen Weihnachtsmann bestellt...,doch kommen Sie nur herein..!" Etwas in ihr sagte ihr,gerade diese Gestalt durfte sie jetzt nicht abweisen, etwas Bekanntes strahlte sie aus, nicht einzuordnen..!

"Jemand hat uns sicher überraschen wollen. Wißt Ihr, es gibt die Möglichkeit,für andere Leute einen Weihnachtsmann zu bestellen und man wußte also,daß die Kinder hier sehnlichst warten." Und zum 1.Mal holte der Weihnachtsmann aus dem Sack Päckchen heraus, auf denen sogar die Namen der Schenkenden standen. Könnte das nicht auch bei dem richtigen Weihnachtsmann einst so gewesen sein?
Das Schweigen der Familie wurde zunehmend unangenehm, nur das Ticken der Wanduhr störte.Im Fernsehen plötzlich ein Sender ausschließlich mit feierlicher Weihnachtsmusik, die niemand angestellt hatte. Einer Frau unter ihnen fiel ein ,daß es sehr wohl Zeichen aus einer anderen Welt gibt, von Wesen, die ihren Weg noch suchen. Untote, die wieder leben wollen, aber noch nicht wieder können und auch nicht dürfen!
"Das ist doch Onkel..." Der kleine 9 Jahre alte Martin wies auf den braunen Streifen am Kostüm des Weihnachtsmannes. Der Streifen verschwand aber augenblicklich. "Du mußt dich irren, Onkel lebt doch nicht mehr." "Ich darf nicht lange bleiben, darf auch nicht ablegen, aber vermutet ruhig, daß das Kind so Unrecht nicht hat, es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als man es sich vorzustellen vermag!" Und er bemerkte noch Folgendes: "Ich darf jedes Jahr an diesem einen Tage kommen und immer eine Stunde länger bleiben, solange benötigt mein neuer Körper und solange müßt Ihr warten, aber ich kehre zurück.."
Als er sah, daß seine Mutter zu weinen begann, griff er schnell nach einem Stück Papier und kritzelte Zeilen darauf, die ihm gerade so einfielen. Da war die Rede von der Hoffnung, die man hat, wenn jemand vorausgegangen ist: "Er ist vorausgegangen, um uns zu bereiten einen angenehmen Weg.." und dergleichen beruhigende Sätze mehr. Jemand setzte sich gar beschämt in eine dunkle Ecke, als er Sätze aus der Bibel wiederererkannte, eine Bibel, die er gar nicht kannte und die er auch gar nicht für voll genommen hätte..

Niemand wagte,den Weihnachtsmann aufzuhalten, als er nach einer Stunde fortging. Aus der Runde drückte ihm ein Bruder ein Geschenk in die Hand, welches aber sogleich verbrannte. "Ich darf auch noch keine Geschenke annehmen, tut mir sehr leid."

Er war noch kein richtiger Mann, aber auch keine richtige Seele mehr. Und er hatte gelogen,was die eine Stunde mehr pro Jahr betraf und hoffte, er würde OBEN deshalb keinen Ärger bekommen. Der oberste Hüter hatte sehr wohl die Lüge übel genommen und der Hoffende mußte deshalb so lange in eine Art Zwischenreich warten, bis eben wieder eine neue Weihnacht vor der Tür stand. In den Spiegel mochte die halbe Seele auch nicht blicken, da war nämlich zu erblicken: glanzlose Augen ohne Farbe, nur die Andeutung von Haut über Knochen, die gelb hervostanden, Haare, an denen Spinnengewebe hing. Und selbst im Zwischenreich umgaben ihn Nebelschwaden, damit andere wartende Seelen nicht erschraken! Nebel, Kälte, die ihm nichts anhaben konnte. Die Erinnerung allein wärmte ihn und noch zehrte er von den wenigen Momenten, die er wieder auf der Erde erleben konnte.

Und manchmal verirrte sich eine zu einsame Seele zu ihm, berichtete, was  in den wärmeren Zeiten auf Erden und woanders geschah. Irgendwann gelang es ihm, darüber zu weinen. Es deuchte ihm gar zu lang, bis auch er den warmen oder heißen Sommer begrüßen dürfte. Seine leblosen Augen füllten sich aber nur selten mit blutroten Tränen, sie tropften auf geheimen Wegen auf die Erde. Wo sie niederfielen, entwickelten sich seltsame Pflanzen, die untereinander tuschelten und wisperten und ihre Wurzeln sehr oft um die Füße und Beine der Menschen schlangen. Pflanzen,die das ganze Jahr über wuchsen und selbst in Schnee und Eis zu finden waren. Unheimliche Gewächse, die andere Pflanzen zerstören konnten, wenn sie wollten....

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.07.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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