Sophie Bitzan

Befreiung

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah ich dich, irgendwie überrascht und irgendwie auch nicht. Irgendwann musste ja der Augenblick kommen, dass wir uns wieder begegneten. Mutig ging ich hinüber, sodass unsere Wege sich kreuzen mussten. In dem Moment, als du mich erkanntest, sah ich den Schrecken in deinem Gesicht. Diese Verunsicherung, was nun zu tun wäre. Diese Starre des Unwissens.
 
Ich nahm dir diese Starre großzügigerweise sehr schnell. Mit meinen Worten. „Wie schön, dass ich dich endlich treffe, darauf habe ich schon lange gewartet! Gerade heute ist ein sehr guter Zeitpunkt.“
 
Dein verdattertes Gesicht werde ich wohl lange nicht mehr vergessen, mit dem Abdruck meiner Hand der rot auf deiner rechten Wange prangte. Ich hatte es tatsächlich getan. Wochen und Monate geisterte mir diese Szene durch den Kopf, wenn ich darüber nachdachte, was ich tun würde, wenn wir uns wieder begegnen würden, seit ich dich vor über einem Jahr in unserer Wohnung das letzte Mal sah.
 
Meine Hand brannte und das tat so gut, wie ich es mir nie hätte träumen lassen. Ja, natürlich war das kein überlegenes, erwachsenes Verhalten. Aber wen kümmert das schon, wenn dieses Pochen in meiner Hand und mein Handabdruck in deinem verwirrten Gesicht mich nun endlich befreien konnten? Befreien von dem Gefühl vor einem Jahr. Diesem Unglauben, dass du das wirklich tun konntest. Du, der behauptete mich zu lieben. Alkohol hin oder her, das kann niemals eine Entschuldigung sein.
 
Nun bin ich frei, frei von dem stechenden Gefühl, daraufhin stumm geblieben zu sein. Die Scham, dass mir so etwas passierte. Zu denken, dass das Gefühl vergehen würde, Antworten zu wollen. Dich anschreien, zurückschlagen, mich rächen. Ich hielt diese Reaktionen für falsch. Dachte die Zeit würde es richten. Aber es verging nicht, das Gefühl dir solche Antworten geben zu wollen verging nicht und verfolgte mich in so mancher Nacht.
 
Und nun war es vorbei. Ich ließ dich stehen, prägte mir dein Gesicht ganz genau ein, deine Verwirrung, ja deine Reaktions- und Ratlosigkeit, um mich später gut daran erinnern zu können, wenn mich noch einmal der Wunsch nach einer Antwort überkam.
 
Aber er kam nicht mehr. Nie wieder und ich konnte dein Gesicht langsam vergessen.
Endlich war ich frei! Endlich konnte es weitergehen! Endlich!

Und dabei war alles nur ein Traum….

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