Christa Astl

Der klare Bergsee

Weit oben in den Bergen gibt es einen wunderschönen, klaren, kleinen See. Ein traumhafter Platz, der alljährlich viele Wanderer anlockt. Manchmal ist er so klar, dass man in seine geheimnisvolle Tiefe blicken kann und dort Gestalten aus vergangenen Märchen und Sagen aufsteigen sieht.
Der See, hieß es, sei früher verwunschen gewesen, denn vor langer Zeit war hier ein Mord verübt worden. Gottfried, ein Senner, hatte hier auf der Almhütte seine Geliebte Elsa, die an einen Wirtssohn verheiratet worden wäre, versteckt, und der verschmähte Bräutigam erschoss sie daraufhin.
Der Senner verlor daraufhin den Verstand und ruderte tagaus, tagein auf dem See herum, und nur abends ging er für kurze Zeit an Land und ein Stück den Berg hinan.
Auch Hermann, der Mann, der das Mädchen erschossen hatte, fand keine Ruhe mehr. In manchen Sturmnächten glaubt er sie rufen zu hören und konnte nicht wieder einschlafen. Da riet ihm eine alte Frau, die ihr Häuschen am Waldesrand hatte und von der gesagt wurde, dass Elfen und Zwerge bei ein- und ausgingen, er soll doch einmal auf die Alm
steigen und fragen, wie er den Geist des Mädchens erlösen könnte. Das jedoch wollte der Wirtssohn auf keinen Fall, denn obwohl er sonst mutig und stark war und vor keiner Rauferei zurückschreckte, vor allem Unirdischen und Überirdischen fürchtete er sich maßlos. Noch dazu könnte sich Gottfried, der Hirte, an ihm rächen wollen!
Aber Hermann fand trotzdem keine Ruhe mehr. Oft zuckte er während einer Arbeit plötzlich zusammen, drehte sich erschrocken um weil er glaubte, Gottfried stünde schon mit einer Axt hinter ihm. und nachts ließ ihm die Stimme des Mädchens keine Ruhe. Immer drängender vernahm er ihren Ruf, immer lauter wurde ihr Klagen.
Endlich, an einem strahlenden Sonntag nahm er sich ein Herz und stieg allein zur Alm hinauf. Zuvor hatte er in der Dorfkirche die Hl. Messe besucht und dann noch den Segen des Pfarrers erhalten. Dieser hängte ihm zum Abschied ein geweihtes Kreuz um den Hals, das ihn vor allen bösen Mächten schützen solle. So machte sich der Wirtssohn auf den Weg und erreichte bald sein Ziel, denn der Weg war trocken und gut begehbar.
Wie immer irrte Gottfried auf dem See umher. Als Hermann ihn anrief, blickte er wohl kurz über die Schulter zurück, um dann nur noch fester in die Ruder zu greifen.
So saß der Wirtssohn den ganzen Nachmittag am Ufer und wartete. Als die Dämmerung aus dem Tale herauf kroch, stieg Gottfried an Land. Dort pflückte er ein paar Blumen und stieg mir diesen die Felsen hinauf zu einer Höhle. Davor war ein seltsam geformter Hügel aufgeschüttet. Da erschien plötzlich vor der Höhle eine hell leuchtende Frauengestalt. Gespannt beobachtete Hermann, was weiter geschah.
Die Frau ging geradenwegs auf Gottfried zu, nahm ihm die Blumen aus der Hand, dann setzte sie sich zu ihm auf einen Stein und blickte hinunter ins Tal, genau zu dem Wirtshaus, welches Hermann gehörte. Was die beiden sprachen, konnte er nicht verstehen. Aber da erkannte er sie: das war Elsa, seine Braut, die er erschossen hatte und die seither nach ihm rief. Entsetzen packte ihn, er konnte sich nicht rühren und musste zusehen, wie beide von ihrem Platz aufstanden und zu ihm hinunter kamen. Doch noch auf der anderen Seite des Sees verabschiedeten sie sich, Gottfried nahm seine Ruderfahrt wieder auf, das Mädchen schwebte den Weg zurück zur Höhle, legte die Blumen auf den Hügel und verschwand.
Still und dunkel war es nun geworden, der leise Ruderschlag versetzte Hermann bald in einen tiefen Schlummer. Als er erwachte, war die Sonne schon wieder am Untergehen. Von Gottfried war keine Spur zu sehen. Das Boot lag am Ufer, nicht weit vom Wirt entfernt. Und wie von einer inneren Macht getrieben, stand Hermann auf, stieg ins Boot, löste die Ruder und fuhr ans andere Ufer. Und weiter drängte es ihn, seine Füße folgten dem steilen Weg bis vor die Höhle. Vorsichtig spähte hinein - und da lag Gottfried, tot und starr, mit dem Blumenstrauß auf seiner Brust. Erschüttert fiel Hermann vor ihm in die Knie.
Da wurde es ganz licht in der Höhle und das weiße Mädchen stand vor ihm. Immer noch war sie wunderschön, ihr Gesicht war blass, und am Hals sah er die rote Stelle, wo sie sein Schuss getroffen hatte. Erschüttert warf er sich ihr zu Füßen und sprach: „Elsa, verzeih mir!“ Sie blickt ihn lächelnd an uns sprach: „Nun ist mein Geliebter endlich mit mir vereint. Ich bitte dich nun, mit ihm gemeinsam in geweihter Erde ruhen zu dürfen.“ Dann entfernte sie sich wieder und es wurde dunkel. Benommen stand Hermann auf und stieg noch in der Nacht langsam ins Tal ab. Sein erster Weg führte zum Pfarrer. Der versprach, gleich am nächsten Tag auf die Alm zu steigen.
Und er kam nicht allein. Eine große Menschenmenge war da, Männer, Frauen und Kinder begleiteten ihn. Am Ufer des Sees wurde eine kurze Andacht gehalten. Während der Pfarrer und die Menschen noch beteten, stiegen ein Dutzend Männer mit zwei leeren Särgen hinauf zur Höhle, Hermann mit ihnen. Gottfrieds Leichnam wurde sorgsam in einen Sarg gebettet, in den anderen kamen die sterblichen Überreste der schönen Elsa. Und als sie im Sarg lag, war sie so schön, als ob sie eben erst gestorben wäre.
In einer feierlichen Prozession wurden beide ins Tal geleitet und bekamen am Friedhof in geweihter Erde ihre letzte Ruhestätte.
Seither ist der See wieder klar und die umliegenden Berge spiegeln sich darin. Es ist friedlich und still hier und die Wanderer kommen gerne hierher und manche fahren ohne Angst mit dem Boot hinaus aufs Wasser.



Text und Bild: ChA 10.07.11

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.07.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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