Martina Bartels

Nachts

Unruhig wälzt sie sich im Bett hin und her. Sie ist noch im Halbschlaf und wehrt sich gegen das Wachwerden. Es ist stockdunkel im Zimmer. Keine Straßenlaterne spendet Licht und auch der Mond hat sich hinter den Wolken versteckt. Der Regen prasselt auf die schrägen Fenster und der Wind pfeift über das Dach. Krampfhaft hält sie die Augen geschlossen. Sie will nicht aufwachen, will in ihrer Traumwelt bleiben.

Aber es ist laut, die Stimmen sind so laut. Undeutlich, sie kann die Worte nicht verstehen. Sie hört nur, dass sie sich anschreien. Jetzt ist sie wach, kann es nicht mehr verdrängen.

Tränen laufen über ihre Wangen. Schnell zieht sie sich die Bettdecke über den Kopf. Sie fürchtet sich, hat schreckliche Angst. Gleich öffnet sich die Tür, und sie werden in ihr Zimmer kommen. Zitternd liegt das achtjährige Mädchen unter der Bettdecke. Ein paar blonde Haarsträhnen ringeln sich auf dem Kopfkissen und umrahmen ihr zartes Gesicht. Eingerollt liegt sie da, hält ihren Teddy fest im Arm, und wartet.

Angestrengt lauscht sie, obwohl sie lieber nichts hören möchte. Da, wieder lautes Schreien, die Türen werden geknallt. Es kann nicht mehr lange dauern, bis ihre Tür geöffnet wird. Meist kommt der Vater ins Zimmer, unverständliches Zeug lallend. Sucht nach Zigaretten, oder etwas Kleingeld aus ihrer Spardose, oder irgendetwas anderes.

Er reißt sie aus dem Schlaf, nimmt keine Rücksicht darauf, dass sie am nächsten Morgen ausgeschlafen in die Schule muss. Am nächsten Tag weiß er von nichts mehr. Wenn er wieder nüchtern ist, dann schämt er sich für sein Verhalten.

Oder ihre Mutter betritt das Zimmer, sieht sie mit verquollenen Augen an und schreit rum. Alles wäre ihre Schuld, nur wegen ihr würden sie immer streiten...Sie ist noch so klein und versteht es alles nicht. Sie ist froh, wenn es wieder Morgen wird und sie nach der Schule zu den Großeltern gehen kann.

Sie liebt ihre Oma und ihren Opa sehr. Aber sie schämte sich zu sehr, um ihren Großeltern zu erzählen was zu Hause passierte. Da sie nicht Bescheid wussten, konnten sie ihr auch nicht helfen.

Wieder knallen die Türen, doch jetzt wird es leiser, die Stimmen entfernen sich. Plötzlich ist es still, ganz still. Sie wartet ab, nichts passiert. Nach einer Zeit, die ihr unendlich lang vorkommt, steht sie leise auf und öffnet ihre Tür. Noch immer nichts zu hören. Leise schleicht sie ins Wohnzimmer. Überall brennt Licht und es stinkt nach Rauch. Die randvollen Aschenbecher stehen zwischen den leeren Flaschen auf dem Tisch. Umgefallene Flaschen liegen unter dem Tisch. Schnaps tropft aus umgeschütteten Gläsern von der Tischplatte. Einzelne Zigarettenkippen liegen auf dem Boden. Sie schluchzt auf und betrachtet das Chaos. Es ist niemand mehr da, sie sind weg. Wahrscheinlich sind sie in der Kneipe, wie so oft.

Sie dreht sich um, geht wieder zurück in ihr Zimmer. Fest schließt sie die Tür hinter sich und guckt nach, ob ihr Wecker richtig gestellt ist. Weinend legt sie sich in ihr Bett, ihren Teddy fest im Arm. Sie hat Angst, denn sie weiß, sie kommen wieder und es wird wieder Nacht.

© Martina Bartels

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.10.2001. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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