Helga Pütz

Überraschung am frühen Morgen

 
Es war ein ganz gewöhnlicher Morgen. Mein Mann hatte wie immer gegen 7.00 Uhr das Haus verlassen, um zu seiner Arbeitsstätte zu fahren. Ich habe die Tätigkeiten erledigt, die jeden Morgen getan werden müssen. Dazu gehört auch das Durchlüften des Schlafzimmers. Als ich das Fenster schließen wollte, traute ich meinen Augen nicht. Da stand, nicht einmal sechs Meter von mir entfernt, Schimanski. Seine schmuddelig graue Jacke war mir als Krimi-Liebhaberin bestens bekannt ist. Ich sagte laut „Guten Morgen“, doch Götz George drehte sich nicht um.
 
Seit Jahrzehnten habe ich die gleiche Adresse und nichts Aufregendes ist geschehen in dieser Zeit. Und nun wurde ich Zeuge, wie ein Film entsteht. Interessant, ja geradezu unglaublich, fand ich den Aufwand, der für Filmaufnahmen nötig ist. Tagelang waren zahlreiche junge Leute im und ums Haus beschäftigt. Die Pergola wurde verlängert und farblich angepasst. Möbel wurde ins Haus getragen, welches vorher von einer Firma leergeräumt worden war. Ein Lastwagen voller  Blumen wurde im Garten und auf der Pergola dekoriert. Selbst Gartenzwerge durften in der Idylle nicht fehlen. Als ein junger Mann mit einer Spritze durchs Gelände lief, war mein erster Gedanke, der spritzt Unkrautvernichtungsmittel. Ich öffnete ich das Fenster und frage ihn, was er da macht. „Der Regisseur mag kein weiß“, bekam ich zur Antwort. Folglich wurden die Hauswände recht kunstvoll einem Alterungsprozess unterzogen.
 
In den umliegenden Straßen standen schon seit Tagen Schilder, die auf ein Halteverbot an bestimmten Tagen hinwiesen. Am Drehtag standen dort zahlreiche Autos, Wohnmobile und natürlich ein großes Fahrzeug, welches Speisen und Getränke bereithielt – auf neudeutsch Catering.
 
Wie viele Leute für einen Drehtag benötigt wurden, habe ich nicht geahnt. Da waren die Beleuchter und Leute die mit riesigen weißen Flächen die die Gegend aufhellten. Für den Kameramann gab es ein Gefährt, mit dem er langsam um die Hausecke in den Garten rollte. Zwischendurch ertönte immer wieder der Ruf: „Ruhe, Aufnahmen!“ Unmengen Kaffee wurden getrunken und Berge von Brötchen vertilgt. Zwischendurch wurde Götz George ein wenig nachgeschminkt. Mein Ausblick beschränkte sich auf die Terrasse, so konnte ich nicht sehen, wie Götz George blutüberströmt aus dem Haus gerannt kam. Das  erzählte mir die Nachbarin.
 
Die Mannschaft war am Ende des ersten Drehtags, der wohl bis Mitternacht dauerte,  offensichtlich sehr müde. Sie ließ ihre technische Ausrüstung einfach stehen.
 
Götz George unterhielt sich in den Drehpausen mit seiner Filmpartnerin. Ansonsten schien er nicht der kumpelhafte Typ zu sein, den er im Krimi spielt.  Am nächsten Tag schrieb das Drehbuch wohl ein kleines Mädchen mit blonden Locken und einem Schulranzen vor. Als sie sich langweile angelte Götz George mit ihr in dem kleinen Fischteich. Das empfand ich als nette Geste von ihm.
 
So interessant die Dinge in Nachbarsgarten auch waren, ich musste einkaufen. Kaum war ich mit meinem Auto von der Garage auf der Straße angelangt, da stand eine junge Frau neben mir und bat mich den Motor abzuschalten. „Wir drehten“, war ihre Erklärung – da störte der satte Klang meines Uraltautos.
 
Als mein Mann abends Götz George sah, meinte er anerkennend: „Toller Typ, fast 70 Jahre alt und noch kein einziges graues Haar!“ Da zeigt sich, was ein guter Friseur alles zuwege bringt, dachte ich.
 
Völlig überrascht wurde  ich von den Filmaufnahmen nicht. Das Nachbarhaus war verkauft worden. Nach ein paar Tagen sickerte durch, dass ein Nachbar es gekauft hätte. Eines Tages lag dann eine Einladung zur (Vor-)Abriss-Party im Briefkasten. Bei dieser Gelegenheit kündigte der neue Besitzer an, das Haus würde abgerissen und stattdessen würde dort ein Doppelhaus gebaut. Seine Frau berichtete, dass sich Leute für das leerstehende Haus interessiert hätten und möglicherweise würde erst noch ein Schimanski-Film gedreht – wenn es terminlich zu machen wäre. Offenbar harmonierten die Termine.

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