Andreas Rüdig

Gulurismus

Spieletester unterstützen Computer- und Videospielentwickler mit umfangreichen Programmtests. Sie bewerten die Spiele für Fachzeitschriften. Sie überprüfen neue Spiele darauf, ob sie den Richtlinien des Jugendschutzgesetzes entsprechen. Die Tests beginnt oft schon in der Planungsphase, nämlich genau dann, wenn das Computerspiel programmiert wird. Die Spieletester testen dann die Navigation, beurteilen die Bildschirmgraphik und die Animation, suchen nach Programmier- und Systemfehlern. Insbesondere bei fremdsprachlichen Spielen kontrollieren sie auch die sprachliche Ausführung. Darüber hinaus befassen sich die Spieletester auch mit dem Spiel- bzw. Handlungskonzept. Die Spiele sollen schließlich Spaß machen, herausfordern und zum Weiterspielen anregen. Eine schlecht geschriebene Geschichte verhindert dies unter Umständen.

Die Spieletester kommen aber auch nach der Markteinführung zum Einsatz. Oft zeigen sich nämlich Fehler erst beim Dauereinsatz. Hier können die Spieletester dem Programmierer noch Tips geben.

Der virtuelle Puff- so soll das neue Videospiel heißen. Es richtet sich nicht etwa an sabbernde Opas, die keinen mehr hochkriegen. Das Video ist vielmehr für den Biologieunterricht an Schulen gedacht. Zusammen mit dem Lehrer können sich die Schüler darüber unterhalten, wie der Mensch sich fortpflanzt. Die Missionarsstellung wird genauso vorgestellt wie Oralverkehr, Analverkehr oder der flotte Dreier. Natürlich kann ich die Videospielnutzer nicht davon abhalten, die Sexualpraktiken auch in natura auszuprobieren.

Als ich meinem Freund Josip erzählte, daß ich Spieletester bin, war er anfangs sehr angetan. Er dachte wohl, es würde um Fußballspiele, Autorennen, Geschicklichkeits- und Strategiespiele gehen. Er fragte mich sofort, ob ich nicht ein paar Computerspiele besorgen können. „Und für welches Fach?“ - „Wie? Welches Fach?“ - „Natürlich Fach! Es sind Computerspiele für die Schule. Also: Was brauchst du? Deutsch? Englisch? Mathe?“ Gemeinsam schauten wir uns das Verlagsprogramm an. Ganz empört war Josip, als wir uns die Aufklärungsprogramme für den Biologieunterricht anschauen. „Das darf doch nicht wahr sein,“ empörte sich Josip. „So entwickelst du mit, Konstantin?“ Zuerst wußte ich nicht, was er meinte. „Das ist doch wohl klar. Ich bin Gulurist.“ Als ob damit alles gesagt wäre. Und was ist ein Gulurist, bitte schön? „Das ist eine uralte Religion aus Australien, die auch in Australien immer mehr Anhänger gewinnt. Wir lehnen alle natürliche Formen der Sexualität ab. Bei uns ist die Fortpflanzungsmedizin so weit fortgeschritten, daß wir uns nur noch mittels künstlicher Fortpflanzung vermehren. Bei uns gibt es nur noch Retortenbabys. So bleiben wir immer rein und moralisch und ethisch sauber.“

Der Gulurismus entstand in den frühen Tagen Australiens. Damals waren die Menschen (als Lebewesen) noch klein und die Kängurus (als Tiere, körpermäßig) groß. Mußten die Menschen fliehen, versteckten sie sich in den Beuteln der Kängurus. Dort war es nicht nur sicher und warm. Insbesondere jüngeren Menschen im geschlechtsfähigen Alter konnten so die Funktion der eigenen Fortpflanzungsorgane kennenlernen. Paarte man sich zu heftig, konnten so Kinder entstehen...

Gelegentlich sei es aber auch zu seltsamen Zwischenfällen gekommen. In einigen Fällen habe ein männliches Känguru ein Menschenweibchen befruchtet; die Kinder konnten dann nicht normal laufen, sondern sich nur springend fortbewegen. Einige Menschenkinder, die in Kängurubeuteln geboren wurden, wollten diese ihre Heimat nicht mehr verlassen. Insbesondere bei schnellen Fluchten blieben einige Menschen in den Kängurubeuteln hängen, so daß ihre Beine und Füße nach Außen ragten. Sie wären oft nur um Haaresbreite von den Angreifern ihrer Gehwerkzeuge beraubt worden.

All dieses sprach langfristig gegen die weitere Zusammenarbeit von Mensch und Känguru. Insbesondere die Kreuzung von Mensch und Tier sollte vermieden werden. „Wir Guluristen haben die hüpfenden Menschen als Zeichen des Himmels erkannt,“ berichtet Josip. „Die Biologen und Mediziner haben vor mehreren tausend Jahren erkannt, daß eine Kreuzung zwischen Mensch und Tier eigentlich nicht möglich ist. Und bei uns in Australien klappte es dann doch. Uns wurde klar, daß wir lange Zeit ein sündiges Leben geführt haben. Und die Abkehr von der fleischlichen Liebe, vom Sex, ist ein Weg der Buße. Unsere Naturkundler fingen schon früh an, Sexualkunde zu betreiben. Sie erforschten den menschlichen Körper und fanden heraus, wie Babys entstehen. Sie werden mitnichten von Kängurus gebracht. Der Mann mußte die Frau begatten, damit Kinder geboren werden können. Dann kam die Frage: Wie kann man problemlos den Freudensaft des Mannes anzapfen? Und, vor allem: Wie kann man ihn mit dem Freudensaft der Frau zusammenbringen? Auf diese Weise entdeckten unsere Heilkundigen Herdax. Das ist ein phantasieanregender Zaubertrank, der aus Wurzeln und Baumrinde gezapft wird. Unsere Frauen und Männer schlafen mit speziellen Lustwasserflaschen zwischen den Schenkeln. Sind sie gefüllt, kann man mit der gegenseitigen Befruchtung beginnen.“

Die Meuterei auf der Bounty ist ein berühmter Roman, der auch erfolgreich verfilmt wurde. Von einer Meuterei war auf unserer Reise nach Australien weit und breit nichts zu sehen. Dafür war das Ziel, der Zweck dafür auch zu delikat. Wir wollten herausfinden, ob in Terra incognita, dem unbekannten Land auf der Südhalbkugel der Erde, wirklich Mischformen von Mensch-Tier oder gar Mensch-Pflanze vorhanden ist. Gibt es sie wirklich? Wie sehen sie aus? Wie sind sie materiell-genetisch möglich? Ich wartete gebannt auf die Antworten.

Der Hafen von Australien ist gut ausgebaut. Daß es das gibt! „Natürlich gibt es so etwas bei uns,“ sagt Johnny, unser örtlicher Führer. „Wir sind doch kein Entwicklungsland, das noch in der Steinzeit lebt!“ Na hoffentlich. Auf jeden Fall müssen wir hinaus in den Busch. Dort soll es die meisten dieser Zwitterlebewesen geben.

Seht ihr das Sonnenblumenfeld da drüben? Die Stängel sind die üblichen Stängel, wie es sie üblicherweise bei Sonnenblumen gibt. Die Blüten sind aber anders. Es gibt die gelben Blütenblätter. Der braune Teil ist allerdings kein Blütenteil. Es ist ein menschliches Gesicht. Aus Angst vor Freßfeinden haben sich vor tausenden Jahren frühe Menschen stocksteif in Sonnenblumenfelder gestellt. Leider ist das genau in der pflanzlichen Fortpflanzungszeit geschehen. Viele Samenpollen flogen durch die Luft und landeten bei den unbeweglich stehenden Menschen. Einige Menschen tropften ungewollt. Pflanzlicher und weiblicher Samen vermengte sich auf mysteriöse und bis heute nicht geklärte Art und Weise. Das Ergebnis? Sie sehen die Sonnenmenschen hier. Das Gehirn ist übrigens ein Hochleistungsprodukt der Natur. Es hat Erbsengröße und funktioniert auf subatomarer Ebene.

Hüpfende Menschen haben wir nur aus der Ferne gesehen. Sie seien sehr scheu und würde gerne und rasch vor ihren Artgenossen, sowohl den Menschen wie auch den Kängurus, weglaufen. „Wenn ihr eine lange Reihe von einzelnen Staubwolken seht, dann wißt ihr, daß dort ein Kängurumensch in rasender Eile wegläuft,“ betont Johnny, unser Führer. „Zu Fuß haben wir noch keines eingeholt. Kennen Sie die Sprungschuhe mit den abrollbaren Federn unter den Sohlen? Nein? Sollten Sie aber. Sind sehr wendig, die Dinger. Und man erreicht schnell hohe Geschwindigkeiten damit. Auf diese Art und Weise haben wir schon einige Kängurumenschen fangen und nach Tasmanien bringen können. Dort gibt es Reservate für seltene Lebewesen. In diesen Reservaten können unsere Naturforscher ihre Untersuchungen an den Kängurumenschen anstellen.“

Die Heimreise traten wir sehr, sehr unzufrieden an. Wir hatten uns mehr von dieser Expedition versprochen. Wir hatten gehofft, wir könnten seltene und exotische Mensch-Tier/Mensch-Pflanzen-Kombinationen kennenlernen. Das war uns durch Reservate und Naturschutzgebiete verboten und untersagt worden.

„Heureka, ich hab`s,“ sagte Josip, als wir fast schon im Schiff saßen. „Wir besorgen uns einen Luftballon und eine Filmkamera. Dann können wir wenigstens ein paar Aufnahmen aus der Luft machen, wenn wir vor Tasmanien sind.“

Gesagt, getan. Das Lied „Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord,“ stimmte bei uns nicht so ganz. Wir ankerten vor Tasmanien und pusteten den Zeppelin auf. Mit diesem Luftschiff kreuzten durch die Lufthoheit dieser Insel, die zu Australien gehört. Wir entdeckten Hunde mit Flügeln auf dem Rücken, Pferde mit Elefantenbeinen, fleischfressende Pflanzen mit Fliegenfangarmen und andere Mischungen. Stimmt nicht, meinen Sie? Stimmt nur halb. Irgendwann ist die Phantasie mit mir durchgegangen. Ich habe ein neues Computerspiel entwickelt, in denen die Kinder neue Tiere schaffen können. Man nehmen einen Affenkopf und setze ihn auf einen Tulpenstängel – nach diesem Prinzip funktioniert das Programm.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.09.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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