Lisa Moser

Einmal Zirkus immer Zirkus?


„Ich würde ja so gerne zaubern können! Dann könnte ich uns alles herzaubern, was wir brauchen!“, „Bist du dir sicher, meine Kleine?“ , „Und wie ich das bin!“
Mit großen Augen schaut Kate ihrem Vater beim Jonglieren zu. Er muss sich immer wieder neue Tricks einfallen lassen um seine Kleine bei Laune zu halten, denn Brot und Wasser sind knapp und so will er seinem Kind den Hunger vergessen lassen. Schon seit Tagen, Wochen, nein, Monaten bemüht er sich nach einer Arbeit zu suchen, doch leider ist dies nicht so leicht. Besonders dann nicht, wenn man das eigene Kind Huckepack zu einem Vorstellungsgespräch tragen muss. Und so etwas kommt bei einem Arbeitgeber nun wirklich nicht gut an.
Er hatte sich schon überlegt mit fahrenden Leuten herumzuziehen, denn so hätte er sicher immer ein Dach oder wenigstens ein Zelt über dem Kopf, aber was sollte er dort nur mit seiner Tochter tun? Er wollte für sie immer ein gutes Leben, wollte nie, dass sie auf der Straße wie ein streunender Köter aufwächst. Doch genau das tat sie jetzt. Wie sollte es auch anders kommen, wenn jemand wie er, der wirklich im Zirkus aufgewachsen ist und das raue Leben dort kennt, eine Frau heiratet, die als leichtes Mädchen an Straßenecken ihr Glück versuchte. Nun ja, eigentlich hatte sie mit ihm ja auch ein glückliches Jahr durchlebt, aber als sie bemerkte, dass der Kerl, den sie sich in der Hoffnung auf ein weiteres Leben angelte, doch nur ein armer Schlucker war, war sie drei Monate nach der Geburt der Kleinen auch schon verschwunden. Wenigstens hatte sie ihm etwas Vernünftiges hinterlassen. John kann sich keinen größeren Schatz vorstellen als seine Kate. Allein sie lachen zu sehen, mit den vielen Zahnlücken, die sie immer stolz zu Schau stellt, ist für ihn mehr Wert als eine Brille für eine besonders schlecht sehende Leseratte.
„Papa, erzählst du mir noch einmal die Geschichte, wie ein armes Mädchen durch hartes Arbeiten eine Prinzessin wurde?“, „Aber Kate, die hab ich dir doch gerade erst erzählt!“ Langsam wird es Zeit, dass er die Kleine in das Bett alias Pappkarton legt. „Komm schon, Liebes. Du musst jetzt schlafen gehen, morgen wird ein harter Tag.“ Wie wahr doch seine Worte waren! Es ist wirklich kein Zuckerschlecken immer wieder die gleichen gnausrigen Leute um Geld oder etwas zu essen zu bitten, bis sich einer von diesen erbarmt und sie dann mit den Worten: „Ich gebe euch nur was, damit ihr dann endlich verschwindet. Schließlich sind wir hier ja alle kein Armenverein! Und such dir gefälligst eine Arbeit! Lange werden wir euch Gesindel sicher nicht mehr durchfüttern!“
John denkt sich dann immer: „Feine Gesellschaft! Ist sich leider auch zu fein mit das Brot zu geben, das ohnehin im Mülleimer gelandet wäre!“ Und dort geht die Suche nach Essbarem auch gleich weiter. Man sieht also, dass John wirklich den gesamten Tag mit betteln und im „Dreck der Oberschicht“ wühlen ausgelastet ist!
„Gute Nacht, Papa!“ Erleichtert gibt John seiner Kleinen einen Kuss auf die Stirn. Normalerweise bekommt er sie nie so schnell zum Schlafen.
Obwohl er selbst erschöpft ist, kann er nicht einschlafen. Zu viele Gedanken schwirren ihm im Kopf herum, sodass er sie nicht richtig ordnen kann. Immer wieder fällt ihm irgendetwas Neues ein, womit er sich Sorgen machen kann. Wie sollte er den Winter überstehen? Sie hatten kaum warme Kleidung. Nächstes Jahr sollte Kate in eine Schule gehen, wie jedes andere normale Kind, aber John konnte sich diese unmöglich leisten! Er musste ihr also selbst, das wenige, was er wusste, beibringen.
Vielleicht wäre es doch besser, sich irgendeiner Gruppe anzuschließen. Heute hatte er Zirkusplakate, die überall in der Stadt verteilt waren, gesehen. Auf diesen war ein großer Zauberer abgebildet, der aus seinem Zylinder ein weißes Kaninchen herauszog. Deshalb will Kate auch zaubern können, denn als John ihr erklärte, was ein Zauberer alles machte, fingen ihre Augen an zu glänzen.
Doch will er denn wirklich mit ihr dorthin? Der Zirkus ist gefährlich, er hatte es ja selbst oft genug erlebt, besonders als Kind. Er war schon oft Zeuge von tragischen Unfällen geworden. Die Trapezkünstlerin konnte sich mit ihren Händen nicht mehr halten und fiel in die Tiefe. Es gab keine Absicherung, kein Netz, das sie hätte auffangen können. Ihren Schrei wird John nie vergessen können. Oder die Messerwerfer, die sich gegenseitig Messer an die Köpfe geworfen hatten, auch ihnen wurde die Waffe zum Verhängnis. Doch nichts war so schlimm und grausam, wie mit ansehen zu müssen, wie der beste Freund von einem Tiger gefressen wird. Er konnte nichts tun! Der Käfig ging nicht auf und der Freund war darin. Aus Jux wollten sich die beiden gegenseitig beweisen, wer mutiger war. Ihre Dummheit kostete einem von ihnen das Leben. Oft hatte sich John gewünscht, an seines Freundes Stelle zu sein, dann wäre dieser noch am Leben. Immer hatte er sich selbst für dessen Tod verantwortlich gemacht. Zum Glück kam dann Kate, die ihn aus seiner Trauer und Selbsthass ins Leben zurückrief.
Je länger er über diese Plakate nachdenkt, desto besser findet er die Idee wieder in den Zirkus zu gehen. Immerhin ist es dort sicher nicht gefährlicher als auf der Straße, wo es nur so von Straßendieben, die auch schnell zur Waffe greifen, wimmelt.
Am nächsten Morgen weckt John seine Kleine. Sie machen sich sofort auf den Weg, denn ihre wenigen Habseligkeiten tragen sie schon am Leib.
„Ist es noch weit, Papa?“, „Aber nein. Nur noch diese Gasse und dann durchs Feld.“
Huckepacktragend schlendert John den Weg entlang.
„Wie weit ist es denn noch, Papa?“, „Das sagte ich dir doch schon.“, „Aber ist es denn jetzt noch so weit wie zuvor?“, „Aber nein, mein Schatz! Es ist nicht mehr ganz so weit.“
Nach ungefähr drei Schritten fragt Kate wieder dieselbe Frage und wieder antwortet John dasselbe. So geht es immer weiter, bis sie über das Feld gehen, wo man schon das rot-weiße Zelt sehen konnte. Bei dem Anblick steigen wieder Erinnerungen in John auf. Wie lange hatte er so ein Zelt nicht mehr gesehen?
Endlich betreten die beiden dieses. Sie beobachten Seiltänzer beim Üben. Natürlich sagt Kate sogleich: „Papa, das will ich auch können!“
Vor ihnen spielt ein Clown mit einer Trompete ganz lustige Töne und eine schöne Frau tanzt mit einem Affen, der ein rot-gelbes Hemdchen trägt.
„Stopp, stopp, STOPP! Das gefällt mir gar nicht!“ Ein kleiner dicklicher Mann mit schwarzem Haar und Schnauzer fuchtelt wild mit seinen Armen. „Du musst etwas anderes spielen, Edi, sonst passt das alles nicht zusammen.“ Edi der Clown fängt sofort an ein schnelles Tanzlied zu spielen, sodass es eine Freude ist, dem Affen und der schönen Frau zuzusehen.
Zufrieden wendet dich der kleine Mann von dem Trio ab und macht erschrocken einen Satz zurück, als er John und Kate bemerkt. „HU! Wer seid denn ihr?“
„Mein Name ist John Parker und das ist meine Tochter Kate. Wir sind hier, weil wir uns dachten, ihr könntet hier noch ein paar Arbeitskräfte brauchen.“ Bei den letzen Worten ist John immer leiser geworden.
Nachdenklich schaut der Zirkusdirektor immer wieder zwischen den beiden hin und her. Er fragt sich, wie diese Leute wohl gelebt haben, wenn sie so aussehen. Der Mann wirkt ganz schmuddelig mit seinem abgetragenen Jackette und seinem verfilzten Bart. Ein Bad hatte dieser Kerl anscheinend schon lange nicht mehr gesehen haben, genauso wie seine Tochter. Wie Räuber sehen die beiden aus, nur … harmloser.
Nach schier endlos qualvollen Minuten setzt der Direktor endlich zum Sprechen an: „Leute für die Aufführungen habe ich genug.“
John will etwas sagen, doch als er den Mund aufmacht, kommt doch kein Ton heraus. Hat er nun wieder umsonst nach Arbeit geworben?
„Aber“ , bei diesem aber keimt sich in John wieder die Hoffnung und er sieht den kleinen Mann gebannt an, „ich bräuchte zufällig noch einen Stallburschen. Pferde machen unglaublich viel Dreck! Und meine Tochter Isabell würde sich sicher auf eine Spielkameradin in ihrem Alter freuen.“
Ein großes Lächeln breitet sich auf Johns Gesicht aus. „Wann kann ich anfangen?“
„Natürlich gleich, aber bitte, tun Sie mir einen Gefallen?“, „Ja, sicher doch!“, „Nehmen Sie sich ein Bad und eine Rasur wäre auch von Vorteil! Und nun kommen Sie. Ich zeige Ihnen wo Sie…“
Der Zirkusdirektor und John reden so viel miteinander, dass es Kate langweilig wird, doch als sie bei den Pferden ankommen, hat sie sofort eine neue Liebe entdeckt!
Kann es für die beiden doch wieder aufwärts gehen? Ist das Leben wie ein Spiel? Wenn man gewinnt ist man oben und wenn man verliert fällt man tief?
So viel sei gesagt: John und Kate haben mit dieser Chance sicher keinen Verlust erlebt.  

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.09.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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