Andreas Dany

Geschichten aus der Besteckschublade

Geschichten aus der Besteckschublade

Nachts in der Küche

Hast du das eigentlich auch schon mal erlebt? Das du etwas hörst, das alle anderen Menschen nicht hören können? Also, ich meine nicht weil es zu leise ist, oder weil man es eigentlich gar nicht hören will ( wenn Mama ruft, weil man ins Bett gehen soll )Nein ich meine etwas, das eigentlich noch nie ein Mensch gehört hat. Etwas wie „ das Gras wachsen hören “ ( hab ich probiert, kann ich nicht ) oder Flöhe husten hören ( hab keine Flöhe gefunden ) oder so etwas wie – Oh ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt! Wie unhöflich von mir! (Knicks, lächeln, zweimal mit den Wimpern zwinkern und ganz leicht erröten -  das wirkt immer als Entschuldigung!) Also, ich bin Jule, oder richtiger: Julia, noch genauer: Julia Patrizia Gai. (deshalb nennen wir unseren Vater auch manchmal Papa -  Gai) Aber mich nennen eigentlich alle nur Jule (manchmal auch Sabbelinchen, Plappermäulchen, Prinzesschen  oder, ganz, ganz selten auch blöde Kuh). Ich bin schon fast zehn Jahre alt, gehe schon fast in die fünfte Klasse und lebe mit meinen Eltern und meinen beiden ( meist ziemlich blöden )älteren Brüdern in einem Einfamilienhaus in Buchholz in der Nordheide. Meine Lieblingstiere sind Delfine, ich mag aber auch Pferde, Hunde und Katzen gern. Eigentlich mag ich fast alle Tiere ( bis auf Spinnen, Bremsen und Mücken ).So, das sollte zum Anfang reichen. Wenn du mich noch besserkennenlernen möchtest, dann musst du schon weiterlesen
Die Geschichte, die ich heute erzählen möchte fing eigentlich ganz harmlos und normal an. Es begann in einer Vollmondnacht. ( keine Angst -  keine Vampire, keine Werwölfe und kein Blut -  bloß Tomatensuppe! )
Ich konnte nicht so recht schlafen und hatte mich in die Küche geschlichen, um meine Wasserflasche aufzufüllen. Da hörte ich es! Zuerst dachte ich, dass ich in der Dunkelheit irgendwo gegen gestoßen sei – es hatte deutlich geklirrt. Aber dann hörte ich dieses Flüstern – ganz leise zwar, aber ich konnte es deutlich verstehen. Geräuschlos und vorsichtig setzte ich mich auf die Eckbank und lauschte.(Schweigsamkeit zählt sonst eigentlich nicht zu meinen Tugenden)
„Diese Wasserflecke an meiner Klinge machen mich viel älter als ich in Wirklichkeit bin. Das macht die Spülmaschine extra - nur um mich zu ärgern!“ „Du hast sie doch neulich auch geärgert, hast ihr die ganze Zeit den Spülarm festgehalten, wir sind alle nicht sauber geworden – schau mal, ich habe hier sogar noch Essensreste zwischen meinen Zinken!“ „Die hat angefangen, spritzt mir immer genau auf den Griff!“ „Ich hab gar nichts gemacht und habe trotzdem noch Eigelb an meiner Rückseite.“ „Ach sei ruhig, kleine Löffel sollten um diese Zeit sowieso schon lange schlafen.“ „Und wie bitte soll ich bei dem Krach den ihr macht schlafen?“ „Ok, Ok, ist ja schon gut. Es ist mir nur total peinlich so gedeckt zu werden. Unsauber und mit Wasserflecken! Wenn uns doch nur mal wieder einer polieren würde – dann ginge es uns wieder glänzend! “
Die ganze Zeit war ich Mucksmäuschen still. Ich hatte fast den Atem angehalten. Wie konnte das möglich sein? Die Stimmen waren ganz deutlich aus der Besteckschublade gekommen! Also, ich hatte zwar schon mal etwas von Stimmgabeln gehört, aber die haben doch wohl keine richtigen Stimmen – oder?
„Ich bin noch nie poliert worden – noch nicht ein einziges mal“ hörte ich eine dünne, leicht piepsige Stimme sich beschweren. „Du kleiner frecher Teelöffel! Du bist ja wohl als letzter dran! Was machst du überhaupt hier in meinem Fach? Unverschämtheit!“ erwiderte eine tiefere Stimme, die offensichtlich einem Esslöffel gehörte. „Tschuldigung, ich bin falsch eingeräumt worden“ piepste es zurück. Da plötzlich musste ich niesen. Sofort kehrte Ruhe ein. Ich lauschte noch einen Augenblick, aber als sich nichts mehr tat hüpfte ich von der Eckbank und zog vorsichtig die Besteckschublade auf. Ich weiß nicht mehr was ich erwartete, vielleicht zwei Löffel in inniger Umarmung, aber die Schublade und das ganze Besteck lagen ruhig und völlig bewegungslos im hellen Mondlicht vor mir. Fast hätte ich geglaubt mir alles nur eingebildet zu haben,  da entdeckte ich einen einzelnen  Teelöffel zwischen den Esslöffeln. Vorsichtig nahm ich ihn heraus, besah ihn mir von allen Seiten (er glänzte wirklich nicht)und legte ihn ganz sanft in sein Fach. Dann nahm ich meine gefüllte Wasserflasche und schlich auf Zehenspitzen wieder in mein Bett. In dieser Nacht schlief ich sehr unruhig und träumte von riesigen Besteckteilen, die wild umher tanzten.
Jule greift ein
Am nächsten Morgen wurde ich schon sehr früh wach. Normalerweise lasse ich mir mit dem Aufstehen gerne noch etwas Zeit, aber so etwas Verrücktes wie gestern in der Küche, hatte ich noch nie erlebt. Blitzschnell hatte ich mich angezogen, mir die Zähne geputzt und war als erster auf dem Weg in die Küche. Noch nicht mal Mama war aufgestanden und die ist sonst immer die Erste. Erst wunderte ich mich das alle anderen Familienmitglieder noch im Bett waren, aber dann fiel es mir ein: Heute war Samstag! Na ja aber jetzt war ich aufgestanden. Mein erster Weg ging zur Besteckschublade. Was gestern Nacht im kalten, hellen Mondlicht noch möglich erschienen war, wollte mir heute im hellen Sonnenschein nicht mehr in den Kopf. Vielleicht hatte ich ja alles doch nur geträumt! Überaus vorsichtig und zaudernd öffnete ich Stück für Stück die Schublade und schaute mir die Gabeln an. Da, an einer Gabel waren tatsächlich noch Essensreste zwischen den Zinken! Ich spülte die Gabel kurz mit der Hand ab, trocknete sie ab (dabei war ich so vorsichtig wie noch nie) und legte sie zurück in ihr Fach. Dann schaute ich mir die Messer an. Nicht zu glauben – da waren tatsächlich Wasserflecken drauf! So geht das nicht! Das ist ein Fall für Superjule! Ich spurtete in den Keller und holte die Metallpolitur aus dem Putzmittelschrank. Dann fischte ich mir noch zwei weiche Tücher aus der Putzlappenkiste  meines Vaters, breitete ein Geschirrhandtuch auf dem Tisch aus (rot, weich, flauschig – sehr bequem!) und legte die Messer darauf. Fast zärtlich begann ich sie mit dem Putzlappen und der Politur abzureiben. Dabei sprach ich, wie ich es häufig mache, leise vor mich hin:„ So, jetzt blinkt ihr wieder, schöner als das tollste Tafelsilber. Das Messer funkelt,  blinkt und blitzt- wenn du nicht aufpasst wird`s stibitzt. Chromangan strahlt alle an! “( dass das Besteck daraus gefertigt war wusste ich aus der Werbung). Nach der Prozedur spülte ich die Messer noch mit Wasser ab, um Politurreste zu entfernen. Bevor ich die nun blitzenden Messer wieder in ihr Fach legte, wischte ich es noch sauber (es waren ein paar kleine Krümel darin) und legte eine gefaltete rote Servierte als Unterlage hinein. Sorgfältig legte ich die Messer ordentlich nebeneinander in ihr Fach. Das sah richtig edel aus! Oh, leider sahen jetzt die anderen Besteckteile aus als würden sie nicht dazugehören. „ Ihr sollt auch nicht leben wie die Hunde“ (Wieso sagt man das eigentlich? Die meisten Hunde haben doch ein tolles Leben! )Ich holte zuerst die Esslöffel heraus. „ Löffel, Löffel du sollst blinken, sonst muss ich die Suppe trinken… “ sang ich leise vor mich hin. Ich gab erst Ruhe als auch Teelöffel, Gabeln und Kuchengabeln in neuem Glanz erstrahlten. Jedes Teil bekam eine andersfarbige Servierte: Gabeln grün, Esslöffel dunkelblau, Teelöffel hellblau, Kuchengabeln hellgrün. Zufrieden betrachtete ich mein Werk. „So, jetzt kann der Staatsbesuch kommen“ sagte ich laut. „Woher weißt du, dass wir heute Besuch bekommen?“ ich hatte gar nicht bemerkt das mein Papa – Gai in die Küche gekommen war und zuckte etwas zusammen. „Guten Morgen Papa! “ ich gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange„Du kratzt! Wer kommt denn eigentlich?“ Insgeheim hoffte ich das Oma- Gai ihren Besuch angekündigt hatte, die konnte nämlich immer super tolle Geschichten erzählen. „ Tante Gisela und Onkel Fritz wollen sich den alten Rasenmäher abholen und bleiben zum Abendbrot. “ antwortete er. „ Oh toll, das ist ja noch besser als Zahnschmerzen.“ Ich konnte Tante Gisela nicht ausstehen und Onkel Fritz möchte ich lieber gar nicht erst erwähnen!
Hoher Besuch
„ Guten Morgen!“ mein Bruder Pascal stürmte in die Küche. „Frühstück schon fertig? Ich muss gleich zum Handball!“ Er holte fünf Teller aus dem Schrank stellte sie auf den Tisch, hatte ruck zuck drei Ikea – Becher und zwei Kaffetassen daneben gestellt und war nun an die Besteckschublade getreten.(manchmal beneide ich ihn für seine Schnelligkeit – ich würde wahrscheinlich noch überlegen welche Becherfarben ich heute auswählen soll, aber das muss du ihm ja nicht auf die Nase binden! ) „Oh Mann – wer dreht denn hier am Rad? “ „Hör auf, ich finde, das sieht sehr schön aus! “ verteidigte mich mein Vater. „Muss man das Besteck jetzt mit Samthandschuhen anfassen?“ erkundigte sich mein Bruder „ Was ist los, seid ihr festgewachsen oder seit ihr am Fussboden festgeklebt? Was ist, frühstückt ihr nun mit -  oder wollt ihr lieber gleich Mittagessen?“ Pascal wartete die Antwort gar nicht erst ab sondern begann sofort zu frühstücken. Ich hatte schon lange aufgegeben mit Pascal morgens mithalten zu wollen. Stattdessen überlegte ich krampfhaft, ob ich nicht irgendwo Asyl beantragen konnte. Leider war meine Freundin Gina an diesem Wochenende auf einem Reitturnier in Bremen und so kurzfristig fiel mir kein anderer ein. „ Nun kommt, “ sagte mein Vater versöhnlich „ so schlimm ist meine  Schwester doch gar nicht. “ Pascal schaute kurz hoch „ Tante Gisela? Nö, die ist auch nicht schlimmer als Kopfjucken oder Wadenkrämpfe!“ „ Nun hört aber auf! Die beiden freuen sich immer so auf euch – ihr wisst doch dass die beiden keine eigenen Kinder haben! “ „ Aber deshalb müssen sie doch nicht zwangsläufig uns auf den Wecker gehen.“, gab Pascal zu bedenken. „ Schluss jetzt!“ Mein Vater begann böse zu werden, und erfahrungsgemäß bricht man die Diskussion an dieser Stelle besser ab! „ Die beiden kommen heute zum Abendessen und ihr benehmt euch. Basta!“ Mein Bruder wollte etwas erwidern, nach einem Blick auf meinen Vater ließ er es dann aber lieber. Eltern sind ja soo berechenbar! Eigentlich war Tante Gisela auch gar nicht so schlimm, aber ihr Mann hatte es sich offenbar zur Lebensaufgabe gemacht mich zu ärgern. Die beiden waren Gymnasiallehrer in Hamburg (Morgens Recht haben – Nachmittags frei) und es gab eigentlich kein Thema, bei dem sie nicht besser Bescheid wussten als alle Anderen. „Ich mache Tomatensuppe, die mögt ihr doch so gerne! “meine Mutter und mein ältester Bruder Martin hatten sich zu uns gesetzt. Die Aussicht auf Tomatensuppe besserte meine Laune etwas, denn die macht meine Mutter fantastisch. Nach dem Frühstück schwang Pascal sich auf sein Rad und fuhr zum Handball. Martin und ich deckten den Tisch ab. „Was ist denn mit dem Besteck passiert? Will das jemand bei E-bay verkaufen?“„Quatsch, du wäscht dich doch auch, obwohl dich keiner verkauft – leider!“ im Moment verstand ich mich nicht so toll mit Martin. „ Wieso waschen? Ist schon wieder Weihnachten?“ „ Lass mal, das Besteck wasche ich mit der Hand ab“ ich nahm ihm das Besteck aus der Hand. „Sag mal, was hast du denn auf einmal mit den blöden Messern und Gabeln? Mann könnte ja meinen du machst bei einem Wettbewerb um den goldenen Kaffeelöffel mit!“, giftete Martin mich an. „Lass sie doch – jetzt wo die Messer so blinken, merkt man erst wie viele Flecken vorher darauf waren. Danke für die viele Arbeit, die du dir gemacht hast, Jule“ meine Mutter und sah sich die Messer genau an. „Mal sehen wie lange das hält!“
Der Samstag verging wie im Fluge und pünktlich um fünf Uhr kündigte der Tür - Gong unseren Besuch an. „Hallo ihr Lieben!“ Tante Gisela umarmte alle und verteilte ihre schrecklich feuchten Küsse. Auch Martin und Pascal wurden davon nicht verschont. Onkel Fritz hob mich hoch, lachte und sagte fröhlich: „ Julia bist …“ „…duu aber groß geworden! “ vollendeten wir drei den allseits bekannten Satz im Chor. „ Genau das wollte ich sagen! Wir sehen euch aber einfach zu selten – obwohl es ja nur ein Katzensprung zu euch ist!“ Oh nein wir schauten uns an und dachten dabei wohl alle das gleiche – jetzt bloß den Mund halten! „Vater überspielte das Schweigen „ Wollt ihr euch nicht erst mal den Rasenmäher anschauen, ich habe das Messer extra nochmal geschliffen.“ „ Oh, kann man das denn überhaupt selbst machen? Ich habe gelesen dass es nach dem Schleifen erst mal sorgfältig ausgewuchtet werden muss! “  Na also, die Schulstunde mit Oberschullehrer Fritz hatte soeben begonnen! Mein Vater ging auf den Einwand gar nicht erst ein. Wenn er wollte, konnte er wunderbar weghören! „Na, Julia was macht die Schule?“ „ Die steht noch!“ antwortete ich, so kurz wie möglich. Und überlegte krampfhaft, wie ich es vermeiden konnte weiter ausgequetscht zu werden. Vor meinem geistigen Auge sah ich Onkel Fritz, der mich genüsslich durch eine Wäschemangel drehte. „Du bist ja eine richtige junge Dame geworden, hast du denn auch schon einen kleinen Freund?“ Oh Mann, jetzt wurde es ja richtig peinlich, was glaubte er, „ Oh Ja, schau, ich habe ihn zufällig hier in meiner Hosentasche, ist er nicht süß?“ „ Julia! “ Mein Vater sagt selten Julia zu mir. „Wie unhöflich von mir! Habe ich das wirklich laut gesagt?“Alle vier Erwachsenen nickten  (Knicks, lächeln, zweimal mit den Wimpern zwinkern und ganz leicht erröten -  das wirkt immer als Entschuldigung!- Ach ich wiederhole mich!). Meine Brüder hatten die Chance genutzt um das Weite zu suchen. Tolle Wurst! Und ich saß jetzt hier fest! Entkommwahrscheinlichkeit bei null Prozent.
„Rasenmäher?“ mein Vater versuchte zu retten was zu retten war. „ Ja klar, Heinz, gerne. Du kannst ihn mir dann ja gleich erklären und wir stellen ihn dann in meinen Kofferraum. Willst du nicht mitkommen Julia? Julia – träumst du?“ Nein, ich träumte nicht. Ich stellte mir nur gerade bildlich vor, wie Onkel Fritz mit einem Kofferraum aussehen würde. „Ich helfe Mama beim Tisch decken!“ „Du meinst, du möchtest deiner Mutter helfen den Tisch einzudecken!“, korrigierte Onkel Fritz sofort, bei sich selbstnahm er es mit solchen Nachlässigkeiten nicht so genau.„Genau!“, antwortete ich sofort. Dieses Wort in Verbindung mit einem kurzen Lächeln ersparte uns einen mindestens 10minütigen Ausflug in die Feinheiten der deutschen Sprache! Onkel Fritz verschwand mit Papa in Richtung Garage und ich ging mit Mama und Tante Gisela in die Küche – es lebe die Rollenverteilung! „Reitest du eigentlich noch?“ „Ja, aber nur noch in den Ferien. Ich habe mit dem Fußballspielen begonnen - und an mehr als eine Sportart ist während der Schulzeit nicht zu denken“ „Das verstehe ich nur zu gut!  Abitur in 12 Jahren – das heißt Arbeit, Arbeit und noch mal Arbeit.“ Tante Gisela war bei ihrem Spezialthema und das wollte ich nun wirklich nicht vertiefen. „Wir durften neulich abstimmen, ob wir das Abitur nach acht oder neun Jahren machen wollen!“ Warf ich ein „Nein, das ist unmöglich! Bundesweit gelten hier die gleichen Grundsätze! Da hast du etwas falsch verstanden, Kindchen!“ „Nö, unser Klassenlehrer hat gesagt: Wer das Abitur nach acht Jahren machen möchte steht jetzt auf und diejenigen die es nach neun Jahren machen wollen bleiben am Ende des Schuljahres einfach sitzen!“ „Schlingel!“ Tante Gisela packte mich spielerisch und schüttelte mich lachend. „Immer wieder falle ich auf deine Späße rein, aber das hast du von deinem Vater, der hat mich früher auch ständig in den April geschickt!“ „Also von Heinz kann sie das nicht haben – der hat es immer noch“ Mischte sich meine Mutter ein. „ Nehmt doch die blaue Tischdecke und das Geschirr aus dem Wohnzimmer. Teller, Suppenteller, Gläser.“ Tante Gisela und ich deckten den Tisch für sieben Personen ein. „Ich hole das Besteck“ Sorgsam holte ich Messer, Gabeln, Suppenlöffel und Teelöffel aus der Schublade. „Habt ihr neues Besteck?“ Fragte Tante Gisela erstaunt. „Nein, dass hat Jule heute morgen nur auf Hochglanz poliert“ sagte Mama sichtlich stolz. „Na dann kannst du uns auch gerne mal besuchen kommen!“ „Gerne“( Ihr wisst schon, kurz lächeln, blinzeln …und so weiter!)
Ich suchte weinrote Papierservierten heraus, faltete sie zu Dreiecken und legte das auf Hochglanz polierte Besteck sorgsam darauf. Zufrieden betrachtete ich mein Werk. Ordentlich lagen die Besteckteile nebeneinander auf den dreieckigen, weinroten Servierteninseln,die sich farblich von der dunkelblauen Tischdecke abhob. „Ihr seht ja soo gut aus!“, flüsterte ich. Fast hatte ich den Eindruck das die Besteckteile noch strahlender und stolzer aussahen.
„ Stört es dich, wenn ich mir noch rasch die Nachrichten im Fernsehen anschaue?“, fragte Tante Gisela. „Nein, mach ruhig an. Die Männer sind ja auch noch nicht da und meine Suppe braucht noch eine viertel Stunde. -Julia, holst du bitte noch Getränke aus dem Keller? Gisela, trinkst du eigentlich Tee oder ein Bier?“ „Tee, ich trinke gerne eine Tasse!“ Ich stellte mir lächelnd vor wie Tante Gisela die Tasse trank, sagte dieses mal aber zum Glück nichts.
Tante Gisela schaltete den Fernseher ein und ich ging in den Keller um Getränke zu holen. Ich holte die Standartauswahl an Getränken aus unserem Kellerkühlschrank, dazu noch einen Becher mit Eiswürfeln (Ich liebe unseren eiswürfelspuckenden Kellerkühlschrank), legte alles in den Getränkekorb und schleppte ihn die Kellertreppe empor.
Im Fernseher lief noch die Werbung. Ich kam rechtzeitig zu einer Reklame für Tütensuppen und konnte noch sehen wie sich auf dem Bildschirm ein Löffel  verknotete (den Kommentar meines Bestecks konnte ich mir gut vorstellen: „…vor den Augen der kleinen Teelöffel, und das im Vorabendprogramm – wie grausam!!!“)
Während Tante Gisela konzentriert die Nachrichten aus aller Welt verfolgte, suchte ich die passenden Gläser und Tassen aus dem Schrank. Ich werde wohl nie verstehen warum sich Erwachsene jeden Tag die Nachrichten anschauen müssen. Was nutzt es einem, zu wissen das irgendwo auf einem fernen Kontinent eine Dürre die Ernte vernichtet hat^undnun eine Hungersnot ausgebrochen ist, wenn man nichts dagegen tut? Und wer sagt mir, dass die Meldungen in den Nachrichten auch wirklich stimmen?
„….Der Essstäbchenaufstand in Nordchina wurde von der westlich orientierten Chanju- Gruppe brutal niedergeschlagen. Der Sprecher der traditionellen  Haishi-Kuaizi- Gruppe sprach von unhaltbaren Zuständen und kündigte an den Sicherheitsrat der vereinten Nationen anzurufen.
Unbestätigten Meldungen zufolge ist im Golf von Aden ein deutsches Kreuzfahrtschiff in die Hände somalischer Piraten gefallen. Die Entführer drohen damit, sämtliche Besteckteile dem Salzwasser auszusetzen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden.“
„Julia… was machst du denn da die ganze Zeit, du sollst doch den Tisch decken!“, meine Mutter holte mich unsanft aus meinen Träumen. Ich stelle mir gerne die unmöglichsten Dinge vor, wie zum Beispiel diese internationalen Bestecknachrichten. Nur mache ich das leider auch zu den unmöglichsten Zeiten.
Es kann vorkommen, dass ich mir minutenlang die Haare kämme und mir dabei vorstelle was wohl passieren würde, wenn man dabei die Haare aus dem Kopf herauszieht oder sie dadurch immer länger und länger werden. Dabei kann man verständlicher Weise keine Geschwindigkeitsrekorde aufstellen.
„Bin gleich fertig !“, rief ich meiner Mutter zu. Schnell verteilte ich die Tassen, Teller und Gläser auf der blauen Tischdecke und und warf noch einen prüfenden Blick auf mein Werk. Tante Gisela hatte den Fernseher ausgeschaltet und trat nun von hinten an mich heran: „ Kann ich dir helfen?“, fragte sie. Noch während ich darüber nachdachte ob sie das wohl ernst meinte kam meine Mutter mit dem Brotkorb herein: Oh, das habt ihr aber schön gemacht“, lobte sie uns beide. „ Jule, gehst du bitte die Männer holen?“ Irgendwie fand ich die Aufgabenverteilung heute nicht sonderlich gerecht. „ MartinPascalPapa! Rief ich laut in den Hausflur hinnein, „Aaa-bendeee-ssen!“. Dann lief ich nochmal nach draußen um in der Garage bescheid zu sagen. Papa und Onkel Fritz waren aber gerade dabei den Rasenmäher zum Auto zu tragen. „ Ihr sollt essen kommen!“, richtete ich ihnen aus. „ Ja, mach doch bitte die Heckklappe vom Auto auf, dann brauchen wir nicht abzusetzen!“,bat Papa. „Mein Schlüssel ist hier in meiner rechten Jackentasche, hol ihn doch heraus.“,bat mich Onkel Fritz. Ich hoffteinständigdas der Schlüssel nicht zwischen klebrigen Bonbonresten und gebrauchten Taschentüchen lag und griff beherzt in die Tasche. Heute war mein Glückstag, der Schlüssel lag gleich oben und ich konnte ihn mit spitzen Fingern herausfischen. „ Auf dem schlüssel findest du drei Symbole…“, noch während Onkel Fritz mir umstandlich den Gebrauch eines Funkschlüssels erklärte entriegelte ich sein Auto und öffnete die Heckklappe. „Oh, du bist aber technisch sehr begabt“, lobte mich Onkel Fritz erstaunt, schob aber sofort „…für ein Mädchen“ hinterher.
Papa und er stellten den Rasenmäher in den sorgsam mit einer alten Decke ausgelegten Kofferraum. „Kann da Öl auslaufen?“, fragte Onkel Fritz ängstlich. „ Fitz, das ist ein Elektromäher, der hat gar keine Ölfüllung. “, sagte mein Vater in einem leicht genervten Tonfall „Und jetzt schließ den Wagen ab und komm zum Essen, sonst kriegen wir noch Ärger mit Elke.“ Sie wuschen sich die Hände im Gästebad, während ich rasch nach oben lief um meinen schwerhörigen Brüdern nochmal Bescheid zu sagen: „ Ich öffnete im vorbeigehen beide Türen und rief ohne auf ihren lauten Protest zu achten einfach laut : „Abendessen, letzter Aufruf für Flug Nummer 319- sonst kommt unser Sicherheitspersonal!“ Blitzschnell hatten beide ihre Musikanlagen ausgeschaltet und stürmten an mir vorbei, in Richtung Waschbecken. Nach einer homöopathischen Händewaschung waren sie schon auf dem Weg zum Esstisch, als ich noch die Seife von den Händen abspülte.
Natürlich erschien ich als letzte am Tisch. „ Wo kommst du denn jetzt her?“, fragte meine Mutter in einem vorwurfsvollen Ton. „Sie hat doch so schön beim Tischdecken geholfen‘“, verteidigte mich Tante gisela. Komisch ich dachte ich hätte den Tisch alleine gedeckt! Mutter hatte schon jedem Tomatensuppe auf den Teller gegeben. „Fritz, pass bitte mit deinem neuen Hemd auf“, ermahnte Tante Gisela ihren Mann. „Ja, ja, schon gut!“,winkte Onkel Fritz ab, dabei strich er sich nochmal seine neue hellblaue Seidenkravatte glatt, die er sich zur Feier des Tages zu dem hellen Hemd umgebunden hatte. „ Oh, habt ihr neues Besteck?“ fragte er und drehte den blinkenden Suppenlöffel im Licht der Tischlampe. „ Nein Jule hatte bloß ihren Putzfimmel.“, klärte Pascal auf, der seinen Suppenteller schon fast leer gegessen hatte. „ Ach, bist du auch schon eine kleine Hausfrau. Ich kann mir schon gut vorstellen wie du…“, begann Onkel Fritz wieder einen seiner blöden Versuche mich zu necken. Allerdings würden wir nie erfahren was sich Onkel Fritz gut vorstellen konnte, denn in diesem Augenblick sprang der Suppenlöffel förmlich aus seiner Hand, drehte sich im blinkend im Lampenlicht und landete nach einem perfekten Überschlag so in seiner Tomatesuppe, dass eine Riesenladung der tiefroten Flüssigkeit quer über Baumwollhemd und Seidenbinder geschleudert wurde. Die schöne blaue Tischdecke bekam natürlich auch einen Schwung Suppe mit. Es war augenblicklich totenstill am Tisch. „Fritz!“, Tante Giselas Ton war dabei so scharf wie die Schneide unseres Brotmessers. „Aber dieses Besteck ist jetzt auch soo rutschig, dass…“, begann Onkel Fritz einen schwachen Versuch sich zu entschuldigen. „Jetzt gib nicht auch noch anderen die Schuld an deiner Ungeschicklichkeit!“, ich hatte Tante Gisela noch nie so deutlich mit ihrem Mann reden gehört. Sie nahm ihrem Mann den halbvollen Suppenteller weg und brachte ihn in die Küche. Sehnsüchtig schaute Onkel Fritz der entschwindenden Tomatensuppe hinterher Mutter war ebenfalls aufgesprungen und wischte die Tomatensuppe notdürftig mit einem Lappen weg.
„ Lass mal Elke, Hemd und Kravatte sind hin, aber die Tischdecke bring doch bitte in die Reinigung und schick uns die Rechnung“, sagte Tante Gisela mit einem strafenden Blick auf ihren Mann. Wir anderen konnten uns nur mühsam ein Lachen verkneifen. Ich musste an einen Liedertext denken in dem es heißt „ Für den mit dem stolzesten Blick im Saale, liegt schon irgendwo eine Bananenschale.“
Onkel Fritz hatte sich erst mal einen großen Schluck Bier auf den Schreck gegönnt. Jetzt versuchte er gerade sein Brot mit Butter zu besteichen. Dabei rutschte das Messe aber von der Butter ab und die Butter landete auf Mutter armen Tischdecke. Schnell sammelte er die butter wieder auf und verstrich sie auf seinem Brot. Sein Gesicht nahm dabei die Farbe der Tomatensuppe an. Es hatte den Anschein, als ob mein Besteck sich weigerte ihm zu gehorchen. Obwohl er sonst sein Brot mit Messer und Gabel aß, nahm er es heute lieber in die Hand. Allerdings kam er mit dem Handrücken wohl an den Teelöffel, der auf der Untertasse von Tante Giselas Teetasse lag. Dieser erhob sich katapultgleich in die Luft und landete zielgenau im Löwensenfglas. Der dabei hochgeschleuderte Senf traf genau in den offenen Mund von Onkel Fritz.
In das betretene Schweigen hinein sagte mein Vater beschwichtigend: „Manchmal hat man solche Tage!“ „Ich weiß auch nicht was mit mir heute los ist, vielleicht mein Blutdruck.“, versuchte Onkel Fritz sich zu entschuldigen. Ich glaube Tante Gisela währe am liebsten im Erdboden versunken. Sofort nach dem Abendessen drängte sie zum Aufbruch. „Vielen Dank, ihr Lieben, wir müssen morgen wieder früh raus, Fritz, gib mir den Schlüssel, ich fahre!“ Nach ihren feuchten Abschiedsküssen, die heute aber auch sparsamer als sonst üblich ausfielen, steckte sie jedem von uns noch einen 20 € Schein zu und zog ihren Mann mit zum Auto. „Ja, Tschüß dann und vergesst nicht die Reinigungsrechnung, wir sind ja versichert.“ Ich hätte nie gedacht einen derartig verstümmelten Satz einmal aus seinem Munde zu hören. Wir winkten dem abfahrenden Auto noch und während wir wieder ins Haus gingen fragte meine Mutter meinen Vater: „Sag mal, habt ihr in der Garage etwa Schnaps getrunken?“ „ Nur einen ganz kleinen, ich wusste ja nicht was der anrichtet!“, gab mein Vater kleinlaut zu.Natürlich traf ihn sofort der strafend blitzende Blick meiner Mutter.
Ich half noch beim Abräumen des Tisches. Und während meine Mutter im Keller den Tomatensuppenfleck auf ihrer Lieblingstischdecke behandelte wusch ich mein Besteck liebevoll mit der Hand ab. Da es schon recht spät war, ging ich gleich in mein Zimmer
Mitten in der Nacht wachte ich auf. Schlaftrunken schaute ich auf meinen Wecker. Drei Minuten vor Mitternacht! Schnell schlüpfte ich in meine Hausschuhe und schlich durch das dunkle, stille Haus hinunter in die Küche. Leise setzte ich mich auf die Eckbank und lauschte. Da, ein leises Geklirre und Kichern war zu hören.
„Na dem haben wir es aber gezeigt!“ hörte ich eine tiefe Stimme, die wohl zu einem Esslöffel gehörte. Habt ihr meinen Senf–Salto gesehen?“, piepste ein Teelöffel. „Cool, der war ja Filmreif“, antwortete die schneidende Stimme eines Messers. „Du warst aber auch stark, das Ding mit der Butter…“ piepste der Teelöffel zurück. „ Das war ein richtiger Glanztag heute, ich habe selten so gelacht und wie edel wir aussahen auf dem Abendbrottisch, da würde ja jedes Silberbesteck vor Neid schwarz anlaufen!“,erwiderte die spitze Stimme einer Gabel.
-Pling-, plötzlich ging das Küchenlicht an und mein Vater stand in der Tür. „ Was machst du denn um diese Zeit in der Küche?“ fragte er. „Ich hatte Durst und wollte mir nur ein Glas Wasser holen“, antwortete ich und blinzelte ins helle Licht. „Ach so, ich dachte schon du wärest eine Schlafwandlerin geworden, dann trink was und ab ins Bett, Gute Nacht!“, er ging zurück in sein Schlafzimmer und auch ich huschte wieder unter meine Bettdecke. Glücklich schlief ich ein und träumte davon wie ich ganz allein mit meinen Besteckteilen eine Einbrecherbande verjagte. Die Geschichte muss ich euch unbedingt erzählen, aber nicht mehr heute, heute bin ich zu müde, Gute Nacht!“
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.09.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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