Christa Astl

KAPELLENGEDANKEN


 
Mit schwermütigen zwiespältigen Gedanken bin ich auf dem Weg. Lange Zeit wandere ich durch den Wald, auf einem schmalen, vom Regen ausgeschwemmten Steig. Eine Wegkapelle lädt mich zur Rast. Kann ich dort meine Seele zur Ruhe bringen? Bekomme ich Antwort auf meine brennenden Fragen, Sicherheit für eine Entscheidung, vor allem Geborgenheit und Ruhe?
 
Die Sonne erleuchtet den Kirchenraum. Auf einer schmalen Bank nehme ich Platz. Auf den ersten Blick fallen mir die vielen Sterbebildchen auf, die die Wände des Andachtsraumes bedecken. Dann ein großes Bild mit dem dornengekrönten Antlitz Jesu. Ein Bild des Leidens, des Schmerzes, der Verzweiflung in den ausdrucksvollen Augen. Kann ich mich beim Anblick eines solchen Jammerbildes unseres Glaubens noch erfreuen? Das Bild zeigt Verzweiflung, Schmerz, Hilflosigkeit,  Resignation, Hoffnungslosigkeit, - und gibt Zeugnis für unmenschliche Grausamkeit.
Ebenso wie das nächste Bild mit dem blutenden Herzen Jesu, das unmittelbar daneben hängt. Doch dieser Jesus hat ein anderes Gesicht. Ein mildes Lächeln, überirdisch schöne sanfte Züge, Augen, die wie aus einer anderen Welt herüberblicken.
 
An diesem Herzen bleibt mein Auge hängen: Es zeigt einen hoffnungsvollen Christus, den, der Tod und Leid überwunden hat, den, der in Ewigkeit von aller Erdenschwere erlöst ist.
Er ist durch den Tod ins Leben gegangen. – Alltagsschicksal, lebenslang. Im Leben wusste Jesus schon, dass er den Tod auf sich nehmen musste. Wir wissen nicht, was auf uns zukommt, wir wissen nur, dass auch wir einmal sterben müssen. Doch wir erleben bereits im Leben viele kleine Tode, von denen wir immer wieder auferstehen. Wenn wir unser Leid, unsere Enttäuschung, unsere Trauer überwunden haben, einen neuen Anfang wagen, uns wieder auf Neues einlassen können, - ist das nicht eine Rückkehr ins Leben?
Ich betrachte die Dornen, die wie sich wie ein Kranz um das Herz gelegt haben. Dornen, die stechen, die schmerzvoll drücken, sich entzünden, zu eitern beginnen, erleben wir die nicht auch oft genug? Stechende Blicke, böse Worte, Verletzungen, ausgesprochene Anschuldigungen, Verurteilungen, gegen die wir uns nicht wehren können, Enttäuschungen,  aber auch innere Ohnmacht, Wehrlosigkeit, sie drücken wie Stacheln ins Herz, vergiften es.

Nun beginne ich auch das Gesicht des Leidenden neu zu sehen. Die Dornenkrone um sein Haupt drückt, Blut rinnt hervor. Die Enttäuschung an der Welt, das Schweigen, das Hinnehmen müssen, das sich nicht Wehrenkönnen, ist in dieses Antlitz geschrieben.
Im Gesicht des Herz-Jesu-Bildes hingegen lassen sich Erlösung, Freude, Seligkeit erkennen.
Wenn ich diese beiden Bilder betrachte, erkenne ich einen Entwicklungsschritt, eine Veränderung, die sich im wechselnden Ausdruck zeigt. Wieder denke ich an meinen Lebensweg, an meine Entwicklung, dessen Spuren auch in mein Gesicht „geschrieben“ sind.
Leiden und Freude werden in jedem Gesicht ihre Spuren hinterlassen. Diese „Abdrücke“ sind „Ausdrücke“ des Lebens. Sie machen das Gesicht „lebendig“, geben ihm Ausdruck. Sie zeigen „den Menschen“, wie er wirklich ist.
 
Ende Juli 2010

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.09.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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