Diethelm Reiner Kaminski

Ergänzungen



Der Zufall hatte Familie Sommer und Familie Winter als Nachbarn zusammengeführt. Beide hatten von einer betagten Tante ein Haus geerbt, womit sich für sie ein Lebenstraum erfüllte.

Herr Winter und Herr Sommer hätten gegensätzlicher nicht sein können. Herr Winter liebte die warme Jahreszeit, war begeisterter Hobbygärtner, verbrachte jede freie Minute von Mai bis Oktober im Garten und den Winterurlaub auf einer der Mittelmeerinseln.

Herr Sommer dagegen hasste die Sonne und liebte Schnee, Kälte und Skilaufen und half seinen Kindern, sobald es schneite, unermüdlich beim Bau von Schneehöhlen und Schneemännern. Er konnte sich keinen schöneren Urlaub vorstellen, als im Winter in Norwegen oder in der Schweiz Ski zu laufen.

Leider zogen die Frauen da nicht mit. Frau Winter liebte den Winter und Frau Sommer den Sommer, so wie ihre Namen es verhießen. Da blieb es nicht aus, dass sich nach anfänglich vorsichtigem nachbarlichem Beschnuppern Frau Sommer sich mehr zu Herrn Winter und Frau Winter sich mehr zu Herrn Sommer hingezogen fühlte als zum eigenen.

Die Kinder bereiteten in dieser Hinsicht weniger Probleme. Sie nahmen die Jahreszeiten, wie sie kamen, hatten Spaß im Sommer wie im Winter, vergnügten sich im Schnee nicht minder als am Strand.

Herr Winter und Herr Sommer hatten sich nichts zu sagen. Keiner interessierte sich für das, was dem anderen wichtig war. Sie grüßten sich flüchtig über den Zaun hinweg, gingen sich aber ansonsten aus dem Weg. Verborgen blieb ihnen lange das immer inniger werdende Verhältnis ihrer Frauen zu den Nachbarn. Frau Sommer half Herrn Winter bei der Gartenarbeit und schwelgte mit ihm in Mittelmeerinselträumen.

Frau Winter begleitete Herrn Sommer bei jeder Gelegenheit auf seinen ausgedehnten Skilanglauftouren. Die Frauen blühten auf, während die Männer einander mit immer offenerem Argwohn begegneten. Auch Neid war im Spiel, obgleich die Männer sich das nicht eingestanden. Wenn Herr Winter im Herbst seine gärtnerischen Zuchterfolge stolz zur Schau stellte und seine Riesenkürbisse auf Tischen im Garten neben Körben mit rotwangigen Äpfeln aufbahrte oder Zwiebeln und Knoblauchknollen zu langen Zöpfen flocht und in die Bäume zum Trocknen hing. Oder wenn Herr Sommer seine teure Markenskiausrüstung zum Lüften auf der Terrasse ausbreitete. Der wunde Punkt waren und blieben die Frauen, die ihren „lahmen“ Männern mit Schwärmereien von dem ach so agilen Nachbar die Laune verdarben.

Zum endgültigen Bruch zwischen Herrn Winter und Herrn Sommer kam es, als im zweiten Herbst ihrer Nachbarschaft verfrühte Nachtfröste Herrn Winters Tomaten, Feigen und Zucchini erfrieren ließen und Herr Sommer gegenüber Herrn Winter bemerkte: „Halb so schlimm. Gibt es alles viel billiger und von besserer Qualität im Supermarkt.“

Herr Winter rächte sich, indem er, nachdem Herr Sommer sich im Skiurlaub bei einem Sturz den Oberschenkel gebrochen hatte, diesem eine Ansichtskarte mit einer Strandansicht von Ibiza ins Krankenhaus schickte: „Halb so schlimm. Sie haben ja noch ein zweites Bein.“

Im folgenden Frühjahr errichtete Herr Winter anstelle des niedrigen Jägerzauns zwischen den Nachbargrundstücken einen zwei Meter hohen Sichtschutz, der von Herrn Sommer auf der anderen Seite massiv verstärkt wurde. Frauen und Kinder wurde ein striktes Besuchsverbot erteilt, was diese jedoch nur dazu anspornte, es bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu umgehen. Während die Ehepartner kaum noch miteinander sprachen und wenn, dann nur noch mit Gebrüll, Beschimpfungen und Beleidigungen, wurde das Verhältnis zwischen Herrn Winter und Frau Sommer und zwischen Frau Winter und Herrn Sommer immer intimer. Heimliche Zweitehen über den Gartenzaun hinweg.

Wenn Herr Sommer oder Herr Winter gefragt wurden, wie sie sich mit ihren neuen Nachbarn vertrügen, sagten sie „Wir ergänzen uns großartig“, schränkten dann aber doch gleich ein“ zumindest teilweise“, ohne weiter zu erläutern, wie sie das meinten.


11.01.2009

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