Katja Wefelmeier

Ein einsamer Tag

Es war Dienstag morgen, leis drang das klingeln meines Weckers an mein Ohr, ich öffnete behutsam meine Augen und versuchte durch den dunklen Vorhang meines Fensters zu erahnen, welche Wetterlage draussen herrschte. Der Vorhang gab ein seltsam leuchtendes schwarz wieder und bedeckte mein Schlafzimmer mit Dunkelheit. Ich stand also auf und schob den Vorhang etwas zur Seite, grau-schwarze Wolken bedeckten den farblosen Himmel und aus ihnen heraus fielen Regentropfen, wie Tränen auf die Erde. Ich nahm meine Bettdecke, öffnete den Vorhang und schaute zu, wie immer mehr Tropfen gegen das Fenster knallten, hinter dem ich, eingemummelt in die wärmende Decke auf der Nachtspeicherheizung saß. "Ich mag Regen", dachte ich und noch ehe ich mich versah, breitete sich in mir ein Gefühl von Einsamkeit aus. Ich versuchte mich auf den Regen zu konzentrieren, auf die Fäden, die die Tropfen auf der Fensterscheibe bildeten, doch je mehr ich meine Gedanken darauf legen wollte, um so mehr fühlte ich den Schmerz, der in mir aufstieg. Mir fiel, wie von einem Blitz getroffen alles schmerzliche ein, welches ich in den letzten Monaten erlebt hatte. Ich warf die Decke von mir, ging ins Bad, duschte, trocknete mich ab und zog mich an. Der Schmerz in mir war bis auf ein unerträgliches herangewachsen und bevor ich endgültig den Boden unter den Füssen verlieren sollte, wollte ich raus. Ich griff nach meiner Jacke, schloss meine Wohnungstür hinter mir zu und rauschte aus dem Haus. Ich nahm den Buss und fuhr in die Stadt. Als ich aus dem Buss stieg, prasselte der Regen auf mich herab, die Menschen, die mir heute eher eine Bedrohung zu sein schienen, hielten abwechselnd sperrige Regenschirme in der Hand, drängten sich unter überdachte Eingänge oder murmelten vor sich hin, weil sie nass wurden. Ich schlich in das Cafè, dass direkt am Marktplatz vor Monaten eröffnet hatte, nahm mir den Tisch an dem großen Fenster, streifte meine Jacke über die Lehne des Stuhls links neben mir und setzte mich. Ich nahm die Karte, öffnete sie und schloss sie wieder, ohne einen Blick in sie geworfen zu haben, der Ober kam einen meinen Tisch, fragte mich freundlich, was ich bestellen wolle, "ich hätte gern einen Espresso", antwortete ich und bekam diesen kurz danach vor mich auf den Tisch gestellt. Ich nahm mir eine Zigarette, entzündete diese und atmete den ersten zug tief ein. Ich schaute mich im Cafè um und entdeckte, was ich vorher übersehen hatte, dass es fast voll war und ich mit diesem Platz Glück gehabt hatte. Nun saß ich unter Menschen, schaute wieder aus einem Fenster, trank einen Schluck Espresso und noch immer gab meine Seele keine ruh. Der Regen hatte sich in ein erträgliches Unwetter verwandelt und mein Schmerz mich in jemanden, der es vermied, sich in die Augen sehen zu lassen. Es ist ein grausames Gefühl, sich unter Artgenossen zu befinden und doch von allem entfernt, wie auf einer weit entfernten Menschenleeren Insel zu sein. Ich schaute mich erneut im Cafè um, an einem Tisch unterhielten sich einige, an einem anderen versteckte sich jemand hinter einer Zeitung und am nächsten saß ein Kind mit seiner Mutter. Das Kind sagte etwas, weinte auch vielleicht, ich sah es und bekam es dennoch nicht mit. Ich entdeckte zum ersten mal die unsichtbare Wand, die mich umgab. "Es ist ein einsamer Tag.", dachte ich, als ich meinen Blick wieder dem Leben vor dem Fenster zu wendete.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.02.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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