Michael Reißig

Die zärtlichen Worte eines Streithahnes

Endlich! Die zwei schmucken Hähne Choleri und Sensibli haben ihren Streit – getreu dem Prinzip christlicher Nächstenliebe – offiziell für beendet erklärt Dabei war doch nur so ganz nebenbei ein kleiner unbedeutender Lapsus vorgefallen.
Choleri hatte Sensibli mit unüberhörbaren Worten klargemacht, dass er demnächst einen Rettungsschirm aufstellen möchte, einen Rettungsschirm, der es möglich machen würde, alle Eier, die dem Leib seiner liebeshungrigen Gattin entschlüpfen – die faulen natürlich ausgenommen – in der derzeit gültigen Währung auch künftig verkaufen zu können. Und außerdem wären diese Eier dann nicht mehr der Nässe und Kälte dieses geeinten europäischen Hauses schutzlos ausgeliefert.

Sein Gegenüber war überrascht von der genialen Idee seines manchmal ein wenig cholerisch sich gebärdenden Duzfreundes.

„Bist du denn total verrückt geworden! Wozu brauchen wir einen Rettungsschirm“ Mit der guten alten D-Mark in der Hand können wir doch noch viel mehr – vor allem aber noch viel bessere Eier verkaufen. Die Zeit der faulen Eier gehört dann endgültig der Vergangenheit an!“ gab Sensibli mit einem derart heuchlerischen Lächeln zu verstehen, damit Choleris Stimme um noch eine Nuance zärtlicher werden konnte.
„Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen!”
Der hauchzarte Klang seiner Stimme, die die Anlagen der benachbarten Legebatterie beinahe zum Einsturz gebracht hätte, konnte wahrlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Choleri nicht gerade die erlesensten Worte auserwählt hatte, abgesehen davon, dass ein Hahn keine Fresse, sondern nur einen Schnabel hat, der eben nun mal so quasselt, wie er eben gewachsen ist. Vermutlich hatte er versehentlich vergessen, einen Blick in das Buch eines Herrn Knigge zu werfen, der einst auf die famose Idee gekommen war, die Regeln guten Benehmens allen großen und kleinen Tieren unseres Planeten, zugänglich zu machen.

Leider hielt der unbelehrbare Sensibli unbeirrt an seinen hirnrissigen Gedanken fest.
Daraufhin säuselte Choleri in leisesten Tönen:
„Ich will deine Scheiße nicht mehr hören!”
Doch diesmal waren nicht nur die gewohnt hauchzarten Worte aus Choleris heißem Mund geflossen. Er hatte sich gründlichst geirrt.
Scheiße hört man nämlich nicht, die ist nur zu sehen und zu riechen!
Na wo denn?
In den Portmonees aller kleinen, aber auch aller großen Tiere.
Da tümpelt der Euro, der sich so weich wie Hühner- oder Hundekot anfühlt, stumm vor sich hin.

Angemerkt sei noch noch, dass Angeli – die goldigste Henne unseres Landes – es meisterhaft verstand, den Streit dieser beiden christlich geprägten Hähne mit dezenter Zurückhaltung zu würdigen, was auch der Grund war, weshalb diese zwei unzertrennlichen Hähne so schnell wieder zum Tagesgeschäft übergehen konnten. Diesen Gefallen wollte Angelie den beiden durchaus tun.
Ansonsten würde die hochbegehrte Henne ernsthaft Gefahr laufen, beim nächsten Wettkrähen beider Tiere, den ihr eigentlich zustehenden Platz auf der begehrten Vip lounge, doch nicht einnehmen zu dürfen.

Angeli könnte bei diesem Spektakel nur durch die Röhre gucken, obwohl Sensibli dieses uneigennützige Tierchen in diesen schwierigen Momenten liebend gern an seiner Seite hätte.
Warum wohl nur?!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.10.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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