Erich Born

Sokrates und Archimedes

Versetzen Sie sich in folgende Situation: entstanden 9'99

Irgendwann, lange vor Christi Geburt, auf den Tempelstufen der Akropolis. Die untergehende Sonne verfärbt sich gerade von orange nach rot. Archimedes sitzt, ein Glas roten Weines in der einen, eine Rebe in der anderen sinnierend auf den oberen Stufen. Er war ein paar Tage von Syrakus herübergekommen. Die Sonne wirft durch den Wein einen roten laserstrahlartigen Lichtpunkt hinter Archimedes auf die nächste Stufe. Plötzlich, ganz langsam verdunkelt ein Schatten den Lichtpunkt. Sokrates hatte sich herangeschlichen, wie immer einen üblen Scherz im Sinne. "Hallo Archimedes!" brüllte er.

Das war natürlich wieder einmal überhaupt nicht lustig. Archimedes prustete den Wein in die Sonne und ließ die Rebe fallen. Sein verärgertes Gesicht hellte sich jedoch sofort auf, als er sich umdrehte. "Archimedes, Freund! Du?" Die Verstörung war noch nicht ganz verflogen, aber er verzieh dem Freund jeden noch so groben Scherz. Zuviel hatten sie schon gemeinsam erlebt. Es entspinnt sich folgender Dialog:

A: "Hallo mein Freund, hast Du nichts besseres zu tun als alte Freunde zu erschrecken?"

S: "Nein, nein, es war ganz anders, ich wollte Dich eigentlich wieder einmal etwas fragen, aber da Du so versonnen dreinschautest und vermutlich wieder einmal mehr über das Wasser und seine Verdrängung nachdachtest konnte ich nicht umhin etwas Schabernack mit Dir zu treiben und dabei ..."

A: "Ja, ja! Schon gut, wann wirst Du endlich erwachsen Sokrates, Xantippe meinte neulich auch ..."

S: "Bitte, laß meine Frau aus dem Spiel. Wenn Du schon von 'erwachsen' redest dann beantworte mir doch einfach folgende kindliche Frage:

Archimedes wußte was nun kam: Eine Unzahl völlig logischer Fragen würde er beantworten müssen. Die logische Kette, die Sokrates aufzubauen pflegte, die endlosen Fragen die irgendwann langweilig zu beantworten wurden dienten nur einen Zweck: Am Ende stellte eine Frage alles in Zweifel was bisher so logisch erschienen war. Und wie immer ließ Sokrates die Antwort aus, teils weil er sie selber nicht wußte, teils, weil er gespannt war auf Gedanken und Lösungsansätze die einem weniger verschrobenen Gehirn entsprangen wie dem seinen. Er unterhielt sich mit Schweinehirten ebenso wie heute mit seinem Freund dem Physiker. Für ihn war jedes Gehirn gleich wertvoll. Ein Mensch mochte noch so dumm erscheinen, irgendwann kam auch er zu einem Gedanken, den man einfach als genial bezeichnete. Nur die schlauen Leute hatten diese Gedanken öfter oder auch nur die Möglichkeit sie publik zu machen. Sokrates pflegte seine Gedankengebäude daraus zusammenzubauen was andere gedacht haben. Er sortierte es nur neu. Archimedes setzte sich also bequem, mit dem Rücken an eine Säule gelehnt und den Ellenbogen auf die nächste Stufe gestützt. Heute würde es wieder länger dauern. Und es hieß wachsam sein: Die logische Falle frühzeitig wittern und sich nicht von Sokrates Redeschwall einlullen lassen.

A: "Gut, schleuder los. (Diese Redewendung war vor der Erfindung des Schiesspulvers in der Antike gebräuchlich)"

S: "Also, mein Freund. Haben nicht alle unsere Tempel vier Wände wie unsere Häuser?"

A: "Richtig."

S: "Und geht die Sonne nicht im Osten auf, läuft über Süden nach Westen."

A: {Aufgepaßt Archimedes, hier bahnt sich etwas an: Sofort widersprechen!} "Stop, auf der Südhalbkugel läuft sie über Norden nach Westen."

S: "Jaja, ich weiß, aber das ist nicht wichtig. wichtig ist das es 4
Himmelsrichtunge gibt oder."

A: "Ja, das ist wahr."

S: "Ok, Herr Physiker, warum vier Richtungen, warum nicht drei, so wie drei Punkte im Raume genügen um eine Ebene festzulegen? Oder auf einer Kugel zwei Winkel sowie ein Abstand genügen um die Position zu definieren. Wenn der Kompaß schon erfunden worden wäre würde ich der Nadel drei Spitzen verpassen."

Archimedes wusste, das all seine weiteren Argumentationen waren bereits jetzt Makulatur waren. Sein Freund hatte wieder einmal etwas im Kopfe was die weitere Konversation zunehmend spannend machte.

A: "Worauf wolltest Du hinaus Sokrates?"

S: "Nun nehmen wir ein anderes Thema: Warum wackelt ein dreibeiniger Tisch nicht?"

A: "Na, das ist doch einfach, wegen der Bodenunebenheiten, je nachdem wie der Untergrund gerade aussieht."

S: "...und wenn die Erde eine polierte Glaskugel wäre?"

Archimedes: Wieder hatte er einen Punkt verloren. "Du hast recht: Weil die Erde eine Kugel ist. Genau wie mit dem Wasser in einem Schwimmbecken: Alles was schwimmt hängt nur deswegen am Rand, weil die Oberflächenspannung es dort festhält. Prinzipiell hat jede spiegelglatte Wasseroberfläche eine kugelige Gestalt, wäre sie eben müßte sich alles in der Mitte sammeln, im Gravitationstal sozusagen." (Jetzt handelte es sich um sein Fachgebiet.)

S: "Genau!" Endlich machte Sokrates einmal eine Aussage, die nicht mit einem Fragzeichen endete.

A: "Worauf wolltest Du eigentlich hinaus, mein Freund?"

S: "Gemach, gemach, ein paar Fragen habe ich da noch, nicht, dass ich sie von Dir als Physiker beantwortet haben möchte, denn das meiste ist ohnehin logisch. Es geht wie immer darum, meine Gedanken aus einer anderen Perspektive überprüft zu wissen. Nehmen wir beispielsweise die Planeten. Es sind neun, wie wir wissen. Gut, der ein oder andere wird vielleicht noch entdeckt, aber ok. Nehmen wir also die Astrologie: Sie teilen alles in vier Gruppen ein, warum?"

A: "Weil es einfach logisch ist. Wasser, Erde, Feuer und Luft. Genau wie die vier Himmelsrichtungen."

S: "Schon, schon, aber wir haben 9 Planeten, eine Sonne und einen Mond. Also 11 Massen, die uns beeinflussen, die mit ihrer Gravitation auf uns wirken, meinst Du nicht, dass..."
Archimedes unterbricht Sokrates: "Jaja, der gute Newton, wenn dem nicht irgendwann der Apfel auf den Kopf gefallen wäre, wäre uns viel erspart geblieben."

S: "Nana, Herr Physiker, nicht über die Kollegen lästern. Immerhin ist er nicht gleich nackt durch Cambridge gelaufen und hat 'Heureka' gerufen. Ich meinte da wirken nun 11 Massen auf uns und die Astrologen, diese Scharlatane versuchen sie in 12 Tierkreiszeichen einzuteilen, lächerlich!"

Wieder hatte Sokrates nicht mit einem Fragezeichen geendet. Die Lage wurde ernst, aber Aristoteles witterte seine Chance.

A: "Du meinst, Herr Philosoph, der definierte Mondknoten ist etwas völlig irreales und dient nur dazu, die 12 Zeichen voll zu machen. Keine Masse steht dahinter die irgendwelche Wirkungen haben könnte. aber was sagt der Herr Philosoph zum Asteroidengürtel?" Triumpf leuchtete aus seien Augen, wenn auch nur sekundenlang, denn auch diesmal war Sokrates bereits einen Schritt weiter.

S: "Ja, natürlich muß der Asteroidengürtel irgendeinem Sternzeichen zugeordnet werden, ich vermute dem ewig unausgewogenen Schützen, dessen Handlungen sich nicht berechnen lassen. Die Schlange im Paradies sozusagen. Aber darum geht es gar nicht. Warum teilen die Astronomen 9 Planeten in 4 Gruppen ein und vergessen den Asteroidengürtel, dafür qälen sie sich mit einem imaginären Mondknoten herum. Die Mayas beispielsweise hatten nur 9 Monate und jedes Kind weiß, das sie mit der Natur im Einklang lebten. Sie konnten mit ihrer Mathematik die Planeten berechnen, Sonnenfinsternisse vorausberechnen etc. Der Himmel weiß, warum ihr Kalender am 21. Dezember 2012 einfach endet. Irgendein Ereignis haben sie da schon vorausberechnet.

Du wirst noch sehen, in zwei, dreitausend Jahren fangen die Menschen der Zukunft an neue Planeten zu entdecken und deren Wirkung auf uns Menschen zu rechnen, z.B. Transpluto und solch ein Mist! Archimedes, ich sage Dir: Das Universum ist ein Uhrwerk und wir sind das Zentrum. Es liegt an uns das ganze Universum zu besiedeln oder uns zu vernichten." Sokrates war in Rage geraten. Schon wieder hatte er sein Fragezeichen vergessen. Er war heute einfach unkonzentriert.

A: "Ach Sokrates, wir kommen vom Thema ab, wie Du weißt bin ich Atheist, ... Gott sei Dank." Herzliches Gelächter war wie immer die Folge. Dieser schon fast legendäre Satz entspannte auch die verfahrenste Situation.

S: "Zurück also: Warum teilen die Astrologen die Sternzeichen nicht in 3 Gruppen mit je 3 Planeten sowie einer weiteren wichtigen Masse ein?" So konkret wurde der Freund selten mit seinen Fragen. Zudem zog er einen Zettel aus der Tasche auf dem sich unverkennbar astronomisch-astrologisches Gedankengut befand. Das war sonst auch nicht seine Art. Archimedes zuckte dennoch hilflos die Schultern und machte dann einen letzten Versuch: "Na, Herr Philosoph, das kann nun kein Philosoph nicht wissen: Physikalisch teilt sich die Welt ja auch in Länge, Masse, Zeit und Energie ein, also auch 4 Schubladen. Also muss es ganz logisch immer eine Vierereinteilung sein!"
Mit dem Gefühl einen Triumph erlangt zu haben lehnte er sich zurück. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne färbten seinen Haarkranz feuerrot. In Kürze würden Sie ganz im Schatten sitzen und wenn es so weiterging auch bald im Dunkeln. Er griff zum Weinglas mit der Genugtuung, jetzt konnten keine Gegenargument mehr kommen, oder wenn, würden sie alles bisher Gedachte in Zweifel ziehen. Dennoch war das Triumphgefühl schnell weggeblasen als er Sokrates lauerndem Gesicht mit den hämisch leuchtenden Augen begegnete. Der alte Nichtsnutz hat noch einen einzigen Gedanken und Archimedes wusste das er die letzte Frage wie immer nicht beantworten konnte.

S: "Vier physikalische Größen also, Herr Physiker? Aber hat nicht unser verehrter Freund Albert, Gott habe in selig, nicht bewiesen, das Masse und Energie nur die zwei Seiten der gleichen Medallie sind? Also bleiben nur ...?"

Archimedes sah auf das astrologische Blatt in seinen Händen, aber das Wort "drei" kam ihm nicht über die Lippen. In seinem Kopfe kreisten Begriffe wie Körper, Seele Geist oder Glaube, Liebe, Hoffnung. In der Tat hatte er kein einziges Argument mehr.



Eine dreigeteilte Welt, die Erweiterung von Ying und Yang? Das wäre es noch!

Das sind so die Gedanken, im Urlaub oder auch anderswo, wenn man mal wieder darüber nachdenkt, wie das Leben auch funktionieren könnte (rein theoretisch, zumindest)!Erich Born, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.02.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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