Ewald Frankenberg

Tagebuch (Chapter D)

Mittwoch, 12.10.2011

Es wurde nicht besser. Es wirbelt ohne Unterlass durch meinen Kopf.
    
      Was habe ich getan?
       Was soll ich tun?
     Was ist Wahrheit?
       Was ist veränderbar?
     Wie wertvoll ist der Mensch?
       Wie wertvoll bin ich?
     Steckt ein Sinn im Leben?
        Habe ich einen Sinn?
     Gibt es Schicksal?
       Ist das Leben vorbestimmt?
     Gibt es Gott?

Ist alles entschuldbar, wenn man die letzten drei Fragen mit Ja beantwortet?

Dann steht das Einzelgeschöpf doch außerhalb jeder Verantwortung.
Warum muss man sich dann noch mit so düsteren Gedanken
herumschlagen? Die Anwesenheit von Gott degradiert jeden Gedanken
zur Bedeutungslosigkeit, macht Sinnsuche und Verantwortung zu
Masochismus auf intellektuellem Niveau. Ich bete, dass es Gott gibt.
Dann bin ich unschuldig, geschaffen zur geistigen Selbstzerfleischung.
Der Apfel vom Baum der Selbsterkenntnis ist auf einer Seite faul,
und die leuchtend rote, intakte Seite ist vergiftet von Eva.

Der Morgen hat ein Gutes, er entreißt uns der Finsternis und lässt uns
in unser vorgestanztes Schema gleiten. Die Arbeit erstickt das in der
Nacht zart gekeimte Pflänzchen Individualität.

Glaubst du, ich habe noch Lust?

Drei Nächte nicht geschlafen, das kurze Nickerchen über der Zeitung
auf der Toilette ist auch kein Ausgleich. Die Buchstaben verschwimmen
vor den Augen.

                     -Junge Frau vermisst-

Das Photo von der Partybekanntschaft nimmst du nur noch vage wahr,
als du von der Kloschüssel rutscht. Die Kollegen, die dich aus der
Toilettenzelle befreien, glauben, du seist kollabiert.

     –Sollen wir einen Arzt rufen?-

Nicht nötig, aber du nimmst den Steilpass gerne auf und lässt dich
beurlauben. Damit ist wenigstens das Thema Arbeit für heute durch.
Haben wir Schlaftabletten im Rotkreuzkasten; wohl eher Aufputschmittel, häh?

Du bist wirklich am Ende. Schlaf. Und du fühlst dich immer noch nicht
besser, als du die Augen öffnest, dich auf einer Parkbank wiederfindest.
Meike taucht auf, das ist der Name der Partybekanntschaft, wie du
aus der Zeitung weißt. Außerdem weißt du, dass sie seit Sonntag
verschwunden ist. Nicht mehr nach Haus gekommen. Die war ja auch
ziemlich gefrustet und fast unzurechnungsfähig angetrunken. Wer weiß,
an wen man in solchem Zustand alles geraten kann. Die Parkbank ist
zufällig dieselbe, auf der wir am Sonntag zusammen saßen, als sie sich
an meiner Schulter ausgeheult hat. Schade eigentlich, war ein nettes
Mädchen, wenn man einmal davon absieht, dass sie an dem Abend zu viel
trank, was in ihrer Situation auch noch voll entschuldbar war. Wenn sie
mir noch einmal über den Weg laufen würde, ich würde sie noch einmal
ansprechen, sie wieder in den Arm nehmen, nur in den Arm nehmen, ich
glaube, ich könnte mich verlieben. Könnte man doch die Zeit drei Tage
zurückdrehen, noch einmal anfangen. Ich könnte mich verlieben.

Du schaust nach hinten, wo sie die Hose runter ließ. Du siehst nichts,
der Rasen ist frisch gemäht. Ach, würde sie doch jetzt da stehen, die
Hose zuknöpfen, mich anlächeln.


                                                                                     ©Ewald Frankenberg

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